WADI e.V. - Verband für Krisenhilfe und solidarische Entwicklungszusammenarbeit
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Quo vadis Irak-Kongress?


Briefwechsel zu einem Kongress, der in der Kritik steht.

(Stand: 28. Oktober 2002)

 

"Teilnehmen wird jetzt, der irakische Botschafter in London."


Heidelberg, den 27. Oktober 2002


Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

ich möchte im folgenden einen Überblick über den Stand der Vorbereitungen, der Referenten/innen und der finanziellen Situation geben, sowie in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf die Vorwürfe und diversen Gerüchte eingehen, die u.a. in einem Schreiben von Mathias Kohler im Namen des Friedensplenum Mannheim, sowie in einem Konkret-Artikel von v. Osten-Sacken geäußert werden.
Der Kongress stößt auf recht breites Medieninteresse, und es ist wahrscheinlich auch mit einer Teilnehmerzahl zu rechnen, die die Kapazität des Konferenzsaals (ca. 250) übersteigt. Das heißt, TeilnehmerInnen die von außerhalb anreisen, sollten sich besser noch vorher anmelden.

Zum Programm und den ReferentInnen

Die Teilnehmerliste ist nun weitgehend komplett. Es war leider im aktuellen politischen Kontext nicht möglich, tatsächlich die verschiedenen Positionen auf einer gemeinsamen Veranstaltung zu Wort kommen zu lassen. Die Tatsache, dass Alternativen zum Krieg und Embargo unter Beteiligung vieler Fachleute, die beidem bekanntermaßen kritisch gegenüberstehen, diskutiert werden sollen, hielt die Befürworter einer Intervention oder der Sanktionen von einer Teilnahme ab. Sie wollten nicht eine Veranstaltung durch ihre Teilnahme politisch aufwerten, auf der sie einen schweren Stand haben würden.

Da es für die Auseinandersetzung mit den Gegnern des Kongresses wichtig sein wird, will ich etwas ausführlicher auf das Zustandekommen der aktuellen Auswahl von Referenten eingehen.

Trotz vieler Bemühungen ist es uns nicht gelungen, einen regierungsnahen US-amerikanischen Referenten zu gewinnen Der zunächst eingeladene ehemalige Botschafter Mack sagte nach langem Hin und Her schließlich doch ab.
Wir fragten daraufhin u.a. beim Aspen-Institut nach und schließlich direkt bei der US-Botschaft in Berlin und erhielten nur höfliche Ablehnungen oder gar keine Antwort.
Sprechen wird jetzt, wenn nichts dazwischen kommt, die Bürgerrechtlerin Mara Verhayden-Hilliard, eine der Sprecherinnen des US-amerikanischen Antikriegsbündnisses A.N.S.W.E.R

Auch Bundestagsabgeordnete zu finden gestaltete sich schwierig. Zuerst Wahlkampf, dann Koalitionsgespräche und dann Absagen (Weisskirchen, Erler, Klose, die SPD-Frauen im auswärtigen Ausschuss, die grünen Grießhaber und Nachtweih etc.).
Zugesagt hat mit Edelbert Richter nun ein entschiedener Kriegsgegner innerhalb der SPD, der bis vor kurzem im Bundestag saß.
Ebenfalls letztlich einem Dialog auf dem Kongress verweigert haben sich die hier lebenden Angehörige der irakischen "Demokratischen Opposition".
Prof. Habib, den wir aus ihrem Kreis eingeladen hatten (Wirtschaftswissenschaftler und ein sehr guter Kenner der Verhältnisse im Irak und Nahen Osten) hat abgelehnt, weil der Kongress zu einseitig sei. Die Kritik am irakischen Regime käme zu kurz, und die Beteiligung eines Referenten der zumindest indirekt dem Regime nahe steht, sei nicht hinnehmbar.
Schade, da ich ihn als einen sehr sachlich diskutierenden Menschen kennen gelernt habe. (Schriftwechsel s. Internetseite des Kongress unter www.irak-kongress-2002.de.)
Als ich ihn telefonisch überreden wollte, seine Ansichten doch auf dem Kongress zur Diskussion zu stellen, sagte er mir, dass kein Iraker und kein Kurde aus ihren Kreisen teilnehmen könne, da es den "politischen Tod" bedeuten würde. Offenbar hat sich diese "Demokratisch Opposition" darauf verständigt, nicht auf dem Kongress zu diskutieren, sondern dagegen zu protestieren.

Evtl. wird ein Journalist teilnehmen, der einer oppositionellen Gruppierung angehört, die nicht zu dem obigen Kreis zählt.

Dr. Rowsch Nuri Shaways, der Präsident der kurd. Nationalversammlung in Erbil musste absagen, da er im Moment überlastet und unabkömmlich sei. Da das Parlament gerade nach sechs Jahren seine Arbeit wieder aufnimmt und es heftige Auseinandersetzungen innerhalb der kurdischen Parteien über den Kurs gegenüber den Kriegsplänen der USA gibt, ist dies verständlich.
Uns wurde auf Nachfragen explizit versichert, politische Gründe, wie sie von der deutschen Vertretung der kurdischen Regionalregierung ins Spiel gebracht wurden, spielten bei seiner Ablehnung keine Rolle.
Diese deutsche Vertretung war nicht bereit, uns jemanden zu nennen, der anstelle von Dr. Shaways teilnehmen könnte - "niemand" von ihnen wäre "bereit auf Saddam's Spielfeld zu spielen" antwortete Dilshad Barzani.
Keine Antwort erhielten wir auf unsere Anfrage von der PUK, der anderen großen kurdischen Partei. Teilnehmen wird jetzt die Kurdin Rim Farha, seit kurzem Vorstandsmitglied der PDS und evtl. auch ein Vertreter des Kurdischen National Kongress.

Leider war es auch nicht einfach, Referenten zu finden, die die Haltung der irakischen Regierung vertreten können. Neben bürokratischen Hindernissen spielte hier wohl vor allem auch die Kriegsgefahr eine Rolle. Teilnehmen wird jetzt, wenn nichts mehr dazwischen kommt, der irakische Botschafter in London.

Alle anderen Änderungen bei den Referenten hatten keine politischen Gründe. So ist Ulrich Duchrow leider erkrankt und muss sich operieren lassen.
Auch Frau Prof. Eptian Al-Kibti, von der Universität der Arabischen Emirate musste aus Termingründen doch noch absagen. Da es bei den anderen in Frage kommenden Wissenschaftlerinnen der Golfregion schwierig ge-worden wäre, noch rechtzeitig Visa zu bekommen, haben wir an ihrer Stelle Prof. Lara Drake vom Middle East Institute in Washington DC eingeladen, die viele Jahre im Nahen Osten lebte und arbeitete.

Keinen Kontakt haben wir mit José Bustani, seit er aus New York weg ist. Wir haben hier nun den Journalisten Andreas Zumach und Jan van Aken (Sunshine Project) angefragt.

Finanzen

Die Finanzierung ist leider noch nicht gesichert.

Wir schätzen die Kosten im Moment auf 17.000 Euro

Dem stehen gegenüber: Beiträge der unterstützenden Organisationen in Höhe von 2.450 Euro
(Bezahlt zw. zugesagt wurden diese Gelder von IPPNW, Dt.-Irakische Gesellschaft, DFG/VK und GAAA)
Bewilligte Zuschüsse vom Ev. Entw. Dienst (ABP) und BMZ in Höhe von 3.510 Euro
Wir erwarten Einnahmen aus Tagungsgebühren und Bewirtung in Höhe von 5.000 Euro.
Das ergibt im Moment noch ein Minus von 6.000 Euro

Über drei Anträge auf Förderung bei der Stiftung Umverteilen, Aktion Selbstbesteuerung und AGDF wurde noch nicht entschieden, weil die entsprechenden Sitzungen erst nach dem Kongress stattfinden. Alle haben signalisiert, dass wir mit einem Zuschuss rechnen können. Dass sie zusammen in einer Höhe ausfallen, die unser Defizit ganz deckt, ist aber sehr unwahrscheinlich.
Wir möchten daher die Organisationen, die den Kongress mittragen, bzw. unterstützen und bisher noch keinen Betrag zugesagt haben, zu prüfen, ob und in welcher Höhe sie etwas beisteuern können.
Außerdem bitten wir auch andere Gruppen und Organisationen, sowie Einzelpersonen, mit Spenden die Finanzierung sichern zu helfen.

Überweisungen bitte auf das:
Solidaritätskonto Irak-Kongress: Kto 362 079 801 Postbank München (BLZ 700 100 80)

Bzw. individuelle Spenden wegen der Steuerabzugsfähigkeit auf eines der folgenden Spendenkonten:
IPPNW: Konto 50000 918, Stadtsparkasse Gaggenau (BLZ 665 512 90) Internationaler Versöhnungsbund: Konto: 440 906 72, Sparkasse Minden-Lübbecke (BLZ 490 501 01) Jeweils Stichwort "Irak-Kongress"

Sollten wir am Ende mehr Einnahmen als Ausgaben haben, würden wir vorschlagen, das Geld für die geplante Publikation über den Kongress zu verwenden.

Stellungnahme zu den diversen Vorwürfen

Zu der Zielsetzung des Kongresses und der Frage warum wir es für richtig halten, auch einen Vertreter des Iraks zu Wort kommen lassen, haben ich und andere schon häufig Stellung genommen (s. auch Internetseite des Kongresses), so dass ich mich hierzu kurz fassen kann.

Mit dem Kongress wollen wir zur gesellschaftliche Debatte über eine politische Lösung des Irakkonflikts beitragen, eine Lösung, die vor allem auch das Wohl der irakischen Bevölkerung berücksichtigt.
Auch wenn die Position der US-Regierung und der "irakischen Opposition" aufgrund ihres Desinteresses bzw. ihrer Weigerung nicht vertreten sind, wird der Kongress durch die große Zahl namhafter Fachleute und Politiker diesem Anspruch sicher gerecht, eine nach wie vor recht große politische Breite repräsentieren.
Wer sich die Liste der Referentinnen und Referenten anschaut, wird sicherlich nicht befürchten müssen, dass bei den Vorträgen die Kritik am irakischen Regime zu kurz kommen wird. Nicht umsonst wurde z.B. auch die Vertreterin von Amnesty International zu der Podiumsdiskussion eingeladen, die genau dem Thema Menschenrechte und Demokratie im Irak gewidmet ist.

Kritik wurde auch an einzelnen Organisationen laut, die den Kongress unterstützen, wobei zum einen die haltlosen Vorwürfe aus einer Hetzkampagne gegen den Solidaritätsflug vom letzten Jahr und seine Organisatoren wiederholt werden (s. hierzu http://www.embargos.de/irak/frameset.htm, -> 'Initiativen' -> '"Erster Direktflug aus Deutschland seit 1990' )und zum anderen versucht wird, über Assoziationsketten mit einzelnen Namen ganze Organisationen zu diskreditieren.

Hierzu darf ich aus dem Brief von Prof. Gottstein (IPPNW) vom 23. Oktober zitieren, den er aus Anlass des Schreibens von Mathias Kohler (Mannheimer Friedensplenum) an mich schrieb:
"4) Die Deutsch-Irakische Gesellschaft, sowie die Deutsch-Arabische Gesellschaft vertritt eine große Zahl von Deutschen und gebürtigen Irakern und anderen Arabern, die sich um gewaltfreie Konfliktlösungen bemühen. Sicher sind unter den Mitgliedern auch Anhänger der Baath-Partei sowie der Anti-Saddam Opposition.
4) Der von uns sehr geschätzte Herr Branscheidt setzt sich seit Jahren verdienstvollerweise für die Kurden in der Türkei und in Nordirak ein. Er ist der Meinung, dass nur durch einen Krieg das kurdische Volk seine Freiheit bekommen könne, und daher plädiert Herr B. für Krieg der USA gegen Irak. Außerdem verlangt er, dass durch Krieg der brutale Diktator beseitigt werde. Wir sorgen uns um das Leben und die Gesundheit der vielen Tausend unschuldigen Kinder, Frauen und anderer, die in dem Krieg der USA sowie durch Bürgerkrieg umkommen werden.
5) Der von Herrn Alkazaz organisierte Flug von Frankfurt nach Bagdad geschah nicht auf Einladung der irakischen Regierung, sondern wurde von den Teilnehmern selber bezahlt. Die Unterbringung war nicht im teuersten Hotel Bagdads, also nicht im "Al Rashid", sondern in einem der vielen anderen Hotels der Mittelklasse. Dass die Flugteilnehmer in Bagdad zu Besuchen in Stadt und Umgebung mit Bussen eingeladen waren, stimmt, aber nur ein Teil der Reisenden nahm daran teil.
"

Es ist nicht akzeptabel, dass ein zahlenmäßig eher kleiner Teil der hier lebenden Iraker und ihre deutschen Unterstützer sich anmaßen, alle anderen Iraker, die ihre Politik gegenüber dem irakischen Regime nicht mittragen, als Anhänger des Regimes zu denunzieren.
Den meisten ging es immer vorrangig darum, dass sie wieder besseren Kontakt zu ihren Familien halten können und dass das Embargo fällt.
Und im Irak selbst würde es sicher auf ziemliches Unverständnis stoßen, wenn bekannt werden würde, dass Organisationen, die sich für einen demokratischen Irak einsetzen, eine Veranstaltung bekämpfen, die Alternativen zu dem sie akut bedrohenden Krieg und zum Embargo entwickeln will, dem sie - im Unterschied zu den hier lebenden Landsleuten - unmittelbar ausgesetzt sind.

Wie mehrfach erwähnt, soll und wird selbstverständlich auch das Verbrecherische am irakischen Regime zur Sprache kommen. Der Schwerpunkt hier in Deutschland muss sich aber ebenso selbstverständlich auf die Politik der deutschen Regierung wie die ihrer Verbündeten konzentrieren - hierin liegen sowohl unsere gesellschaftliche Verantwortung, wie auch Möglichkeiten der unmittelbaren Einflussnahme.
Die äußere Bedrohung und das Embargo - die als Aggression von außen gegen die gesamte Bevölkerung empfunden werden, die Finanzierung und Ausbildung irakischer Oppositionskräfte für bewaffnete Aktionen und geheimdienstliche Aktivitäten im Irak etc. tragen sicherlich nicht zu einem Klima bei, indem sich fortschrittlichen Alternativen im Irak entwickeln können.

Hans von Sponeck antworte vor kurzem der Süddeutschen Zeitung auf die Frage, was "außer der von Washington zitierten Kugel" Saddam Hussein bewegen könne, sein Amt zu verlassen:
"Er hat nach wie vor großen Rückhalt in der Bevölkerung. Man muss deshalb die Herzen und Seelen der Muslime im Mittleren Osten gewinnen. Die Beziehungen zwischen den westlichen, christlich geprägten Staaten zu dieser Region müssen weit über die Irak-Frage hinaus völlig neu definiert werden. Erst wenn wir neues Vertrauen zueinander geschaffen und Vorurteile abgebaut haben, wird Husseins Stuhl wackeln."
(Ich füge das Interview bei.)

All diese Fragen können und werden sicherlich auch auf dem Kongress diskutiert werden.

Mit den besten Grüßen,
Joachim Guilliard