Erklärung
des Mannheimer Friedensplenums
zum Irak-Kongress in Berlin
Mannheim, den 21. Oktober 2002
Vom 01. bis 02. November 2002 findet im
Schöneberger Rathaus in Berlin ein
internationaler Kongress statt, der unter
dem Motto steht "Der Irak - Alternativen
zu Embargo und Krieg". Die Organisatoren
dieses Kongresses haben sich offenbar "die
notwendige Normalisierung der wirtschaftlichen
wie diplomatischen Beziehungen" Deutschlands
zum Regime im Irak auch zum Ziel gesetzt.
Es wird für notwendig gehalten, "dass
die Regierung des bedrohten Landes ebenfalls
seine Position darlegen kann, unabhängig
davon, was wir inhaltlich von ihr halten".
Das Mannheimer Friedensplenum hat zu diesem
Kon-gress Fragen und kritische Anmerkungen,
weil bei diesem Kongress von uns die Gefahr
gesehen wird, dass die Kritik am Vorgehen
der USA gegen den Irak und die Ablehnung
des geplanten Krieges zu einer unkritischen
Haltung gegenüber dem verbrecherischen
Saddam-Regime führt.
Neben seriösen Organisationen der
bundesdeutschen Friedensbewegung wie z.B.
IPPNW, Friedensratschlag, Versöhnungsbund
und DFG-VK ist Mitveranstalter al-lerdings
auch die "Deutsch-Irakische Gesellschaft"
und die "Deutsch-Arabische Gesellschaft
(DAG)". Wir halten es für äußerst
fragwürdig, sich mit solchen Gruppierungen
einzulassen, insbesondere dann, wenn man
genau weiß, wer dahinter steht.
Zur "Deutsch-Irakischen Gesellschaft"
zitieren wir aus einer gemeinsamen Presseerklärung
von PRO ASYL, medico international und anderen
Hilfsorganisationen vom 29. Mai 2001:
"Aziz Alkazaz ist zugleich Generalsekretär
der Deutsch-Irakischen Gesellschaft, Gründer
und Vorsitzender der Irakischen Initiative
für Gerechtigkeit und Völkerverständigung
(IGV), sowie Vizepräsident des Kongresses
der Auslandsiraker (al-Mughtaribin). Der
Kongress der Auslandsiraker ist eine der
Baath-Partei nahestehende weltweite Organisation,
die sich regelmäßig in Bagdad
trifft, um sich dort mit Regierungs-vertretern
zu koordinieren. Aussagen irakischer Oppositionsgruppen
zufolge dient dieser Kongress vor allem
auch dazu, im Ausland lebende Oppositionelle
auszuspionieren. Auch die anderen Gruppen,
in denen Herr Alkazaz wichtige Positionen
einnimmt, zeichnen sich durch unmittelbare
Nähe zum Regime aus."
Herr Alkazaz organisierte auch den sogenannten
Solidaritätsflug vom 1. bis 4. Juni
2001 nach Bagdad. Die Teilnehmer dieser
Reise waren Gäste der irakischen Regierung.
Dieser Flug fand damals heftige Kritik.
Hans Branscheidt von medico international
schrieb zu diesem "Solidaritätsflug":
"Die Tournee gilt einem Regime,
dem die Vereinten Nationen vollendeten Völkermord
nachgewiesen haben. Es geht nun um die profitable
Wiederanknüpfung an die alten blutigen
Geschäfte zweier Golfkriege. Schon
in den 80er Jahren boomten die deutsch-irakischen
Wirtschaftsbeziehungen: mit der Lieferung
von Giftgas und Militärtechnologie
verdienten deutsche Firmen, unbehindert
von der damaligen Bundesregierung an einem
wahrhaftigen Bombengeschäft, dem im
Irak Hunderttausende von Zivilisten bei
gezielten Giftgaseinsätzen und Vernichtungskampagnen
zum Opfer fielen.
Offenbar hoffen die alten Akteure auf ihre
neue Chance: Jürgen Möllemann,
Präsident der Deutsch-Arabischen-Gesellschaft
(DAG), dringt schon seit geraumer Zeit auf
eine "Normalisierung" der Beziehungen
zu Bagdad.
In einem weiteren Umfeld assistieren bekennende
Nationalsozialisten wie Horst Mahler, Rechte
und Deutschnationale wie Franz Schönhuber,
Alfred Mechtersheimer und Jörg Haider,
die durchaus berechtigt in ihrem Saddam
Hussein seit langem wieder einen Diktator
identifizieren, mit dem sie sich in ihrem
blinden Hass gegen die USA und das "Weltjudentum"
verbunden fühlen.
Bedauerlicherweise sind auch Teile der Friedensbewegung
und des antiimperialistischem Spektrums
in diesem Zusammenhang aktiv. Verheerenderweise
glauben sie, durch eine Kooperation von
deutscher Industrie und Saddam Hussein lasse
sich das Leid der irakischen Bevölkerung,
die unter einem 10-jährigen Embargo
und der Unterdrückung der Saddam Diktatur
leidet, beheben. Sträflich missachtet
wird dabei die warnende Stimme der irakischen
Opposition und der Kurden, die seit Jahren
das Embargo bekämpfen, zugleich aber
nachweisen, dass die Lage der Menschen im
Irak unter der Herrschaft Saddam Husseins
sich nicht bessern kann.
Tatsächlich sind Hunderttausende von
Menschen seit Beginn der Herrschaft der
Baath-Partei (1968) im Irak ermordet worden.
Sie alle sollen unerwähnt sein und
ohne Beachtung soll bleiben, dass der Irak
die Last der Sanktionen bewusst auf die
Zivilbevölkerung abgewälzt hat
und zugleich in der Tradition der 80er Jahre
(Halabja, Anfal) ganze Landstriche etwa
im Süden des Landes entvölkert
und ökologisch vernichtet hat. Systematisch
wurden bis in die neueste Zeit diejenigen
kurdischen Gebiete, die im Zugriffsgebiet
des Regimes stehen "arabisiert"
und ihre Bewohner vertrieben. Allein im
vergangenen Jahr ließ Saddam Hussein
600 Frauen öffentlich wegen "Unzucht"
enthaupten. Regelmäßig werden
die Gefängnisse des Landes in Kampagnen
gesäubert, denen etwa 1998 an einem
Tag (!) zweitausend Menschen zum Opfer fielen.
Kein Wort über die Herrschaftspraxis
des Regimes ist von diesen "Embargogegnern"
zu vernehmen, die jedoch gleichzeitig ungezwungen
die Sanktionen der Vereinten Nationen als
"US-Genozid" anprangern.
Jetzt wollen solch illustre Formationen
nach Bagdad fliegen, um ein "Zeichen
gegen das Embargo" zu setzen. Dabei
werden sie als Gäste der irakischen
Regierung im teuersten Hotel Bagdads nächtigen
und ihre Aktion wird von der irakischen
Regierung propagandistisch zutreffend als
Solidarität mit dem Diktator gewertet."
Einer der Reiseteilnehmer war der Antisemit
und Möllemannfreund Jamal Karsli (MdL),
der in seinem Reisebericht schrieb:
"Im Rahmen der Reise hatten weder
ich noch andere den Eindruck einer Vereinnahmung
durch die gastgebende Seite. Es bestand
im Gegenteil jederzeit die Möglichkeit
zu kritischer Nachfrage."
Man muss sich die Frage gefallen lassen,
ob man sich mit Leuten wie Jamal Karsli,
der übrigens den NATO-Krieg gegen Jugoslawien
unterstützte, zusammen tut. Da hilft
es auch wenig, wenn man auf ehrbare Personen
verweist, die an dieser Reise teilgenommen
haben. Wer sich zum politischen Instrument
eines mörderischen Re-gimes machen
lässt, dem helfen auch nicht seine
ehrbaren Motive. Man muss beispielsweise
beharrlich die Frage stellen, aus welchen
Quellen die Deutsch-Irakische Gesellschaft
finanziert wird. Deswegen wäre es auch
nützlich, die Finanzierung des Berliner
Kongresses offen darzulegen.
Die kritische Bewertung betrifft auch den
anderen Mitveranstalter des Berliner Kongresses,
die Deutsch-Arabische Gesellschaft (DAG),
deren Präsident der Hetzer und Antisemit
Jürgen W. Möllemann ist, dessen
Pro-jekt der Haiderisierung der FDP am 22.
September Gott sei Dank gescheitert ist
und dessen Finanzquellen gerade in diesen
Tagen immer erklärungsbedürftiger
werden. Wer dann meint, "die DAG
ist wohl doch etwas mehr als Möllemann",
spielt den Naiven, ohne es zu sein. Die
DAG ist laut Eigendarstellung "der
einzige Verein, der sich sowohl der Vertiefung
der wirtschaftlichen Beziehungen als auch
dem kulturellen Austausch widmet".
Er hat sich "die Intensivierung
der kulturellen, wissenschaftlichen, politischen
und wirtschaftlichen Beziehungen von Deutschland
zu den arabischen Staaten" zum
Ziel gesetzt. Das ist nichts anderes als
ein Lobbyistenverein, der die Geschäftsbeziehungen
zu den arabischen Staaten fördern will
und der an seiner Spitze einen Politiker
hat, mit dem die Friedensbewegung in keinster
Weise zusammen arbeiten sollte. Und das
jetzt Veranstaltungen der Friedensbewegung
von Verbänden gefördert werden,
die Unternehmerinteressen vertreten, ist
sicherlich eine neue "Bündnisqualität".
Fragwürdig halten wir auch, von achtzehn
Referenten sieben anzukündigen, die
jedoch nur angefragt worden sind. Fragwürdig
halten wir auch, einen Protagonisten von
Saddam Hussein einzuladen und dies mit der
Bemerkung abzutun, aus der Summe der Referenten
könne keine Parteinahme für das
irakische Regime abgeleitet werden.
Was uns empört und für die Ziele
der Friedensbewegung schädlich ist,
dass der Irakkonflikt auf die Frage des
Embargos und des drohenden Krieges reduziert
wird und kein kritisches oder ablehnendes
Wort zur menschenverachtenden Diktatur im
Irak gefunden wird. Zu den Verbrechen im
Irak und der Tatsache, dass vier Millionen
Menschen aus dem Land fliehen mussten, ist
kein Wort zu finden.
Die politische Situation ist im Irak nach
dem Einmarsch von Saddams Truppen in Kuwait
im Jahre1990 und der Einmischung der USA
sehr kompliziert geworden. Der Irak wird
von einem brutalen und diktatorischen Regime
beherrscht. Die Liste der Verbrechen Saddams
ist lang. Die (unvollständige) Chronik
des Schreckens:
- 1980-88: Angriffskrieg
gegen den Iran mit ca. 1 Mil-lion Toten.
- 1988: Im Rahmen
der sogenannten Anfal-Offensive wurden
180.000 Kurden ermordet oder zum Verdursten
in die Wüste verschleppt.
- 1988: Giftgas-Angriff
auf die Kurden-Stadt Halabja mit 5.000
Toten.
- 1990: Einmarsch
in Kuwait.
- 1991: Niederschlagung
des Volksaufstandes. 150.000 Tote.
- 1992: Zwangsumsiedelung
von 600.000 Marsch-Arabern, um die Opposition,
die unter ihnen arbeitete, zu schwächen.
- 1997 ff.: Hinrichtung von ca. 4.000 politischen
Gefangenen. Enthauptung von ca. 1.000 Frauen
aus oppositionellen Familien unter dem Deckmantel
des Kampfes gegen die Prostitution.
- 2000: Laut amnesty international wurden
neue Strafen, wie z. B. Hinrichtung durch
Enthauptung oder das Herausschneiden der Zunge,
z. B. wegen Verleumdung des Präsidenten,
eingeführt.
- 2000: Ethnische
Säuberung: Vertreibung kurdischer
Familien aus Kirkuk, Khaniqin, und anderen
Distrikten, als Teil eines Programms zur
Zwangsarabisierung der Kurden.
Saddams Regime hat ohne Not zwei verheerende
Kriege gegen Iraks Nachbarn geführt.
Ein weiterer Krieg, den das Regime derzeit
führt, ist ein Krieg im Innern gegen
das irakische Volk. In diesem Krieg werden
irakische Männer, Frauen und ihre Kinder
gefoltert, vergewaltigt und ermordet. In
den meisten Fällen werden die Opfer
beschuldigt, gegen das Regime und für
Demokratie zu arbeiten. Menschenrechtsorganisationen,
wie z.B. amnesty international und die UNO-Menschenrechtskommission,
haben dies wiederholt bestätigt.
Zu diesen Verbrechen darf die Friedensbewegung
nicht schweigen, wenn sie sich mit dem Irak-Konflikt
beschäftigt. Die Welt ist komplizierter
geworden. Es gibt nicht nur die Farben schwarz
oder weiß. Der Feind meines Feindes
ist nicht mein Freund. Deswegen muss sich
die Politik der Friedensbewegung auch gegen
das Regime in Bagdad wenden.
Wir fordern die Veranstalter des Berliner
Kongresses auf sich zu unserer Kritik und
unseren Fragen zu äußern:
1. Wer ist eigentlich Veranstalter und
wer Unterstützer des Kongresses? Warum
arbeitet man mit der Deutsch-Irakischen
und Deutsch-Arabischen Gesellschaft zusammen?
2. Wie finanziert sich dieser Kongress?
Welche finanzielle Unterstützung leistet
die Deutsch-Irakische Gesellschaft und die
Deutsch-Arabische Gesellschaft?
3. Warum werden Protagonisten des Bagdader
Regimes als Referenten eingeladen?
4. Warum spielen die Verbrechen des irakischen
Regimes im Programm des Kongresses keine
Rolle bzw. warum wird dazu offensichtlich
geschwiegen?
gez. Mathias Kohler
für das Friedensplenum Mannheim