WADI e.V. - Verband für Krisenhilfe und solidarische Entwicklungszusammenarbeit
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"Man läuft Gefahr der ungewollten Parteinahme für ein verbrecherisches Regime."
Mathias Kohler, 7. Oktober 2002

"Befürchtet wird eine Lockerung der diplomatischen Isolierung des Regimes."
Joachim Guilliard, 8. Oktober 2002

Erklärung des Mannheimer Friedensplenums zum Irak-Kongress in Berlin
21. Oktober 2002

"Teilnehmen wird jetzt, der irakische Botschafter in London."
Joachim Guilliard, 27. Oktober 2002

"Diese Art ist leider keine Basis für eine Diskussion."
Joachim Guilliard, 27. Oktober 2002

"Unsere Differenz liegt darin, dass es für mich mit der DAG (...) grundsätzlich (...) keine Zusammenarbeit geben kann."
Mathias Kohler, 28. Oktober 2002

 
Quo vadis Irak-Kongress?


Briefwechsel zu einem Kongress, der in der Kritik steht.

(Stand: 28. Oktober 2002)

 

Erklärung des Mannheimer Friedensplenums
zum Irak-Kongress in Berlin


Mannheim, den 21. Oktober 2002


Vom 01. bis 02. November 2002 findet im Schöneberger Rathaus in Berlin ein internationaler Kongress statt, der unter dem Motto steht "Der Irak - Alternativen zu Embargo und Krieg". Die Organisatoren dieses Kongresses haben sich offenbar "die notwendige Normalisierung der wirtschaftlichen wie diplomatischen Beziehungen" Deutschlands zum Regime im Irak auch zum Ziel gesetzt. Es wird für notwendig gehalten, "dass die Regierung des bedrohten Landes ebenfalls seine Position darlegen kann, unabhängig davon, was wir inhaltlich von ihr halten".

Das Mannheimer Friedensplenum hat zu diesem Kon-gress Fragen und kritische Anmerkungen, weil bei diesem Kongress von uns die Gefahr gesehen wird, dass die Kritik am Vorgehen der USA gegen den Irak und die Ablehnung des geplanten Krieges zu einer unkritischen Haltung gegenüber dem verbrecherischen Saddam-Regime führt.

Neben seriösen Organisationen der bundesdeutschen Friedensbewegung wie z.B. IPPNW, Friedensratschlag, Versöhnungsbund und DFG-VK ist Mitveranstalter al-lerdings auch die "Deutsch-Irakische Gesellschaft" und die "Deutsch-Arabische Gesellschaft (DAG)". Wir halten es für äußerst fragwürdig, sich mit solchen Gruppierungen einzulassen, insbesondere dann, wenn man genau weiß, wer dahinter steht.

Zur "Deutsch-Irakischen Gesellschaft" zitieren wir aus einer gemeinsamen Presseerklärung von PRO ASYL, medico international und anderen Hilfsorganisationen vom 29. Mai 2001:

"Aziz Alkazaz ist zugleich Generalsekretär der Deutsch-Irakischen Gesellschaft, Gründer und Vorsitzender der Irakischen Initiative für Gerechtigkeit und Völkerverständigung (IGV), sowie Vizepräsident des Kongresses der Auslandsiraker (al-Mughtaribin). Der Kongress der Auslandsiraker ist eine der Baath-Partei nahestehende weltweite Organisation, die sich regelmäßig in Bagdad trifft, um sich dort mit Regierungs-vertretern zu koordinieren. Aussagen irakischer Oppositionsgruppen zufolge dient dieser Kongress vor allem auch dazu, im Ausland lebende Oppositionelle auszuspionieren. Auch die anderen Gruppen, in denen Herr Alkazaz wichtige Positionen einnimmt, zeichnen sich durch unmittelbare Nähe zum Regime aus."

Herr Alkazaz organisierte auch den sogenannten Solidaritätsflug vom 1. bis 4. Juni 2001 nach Bagdad. Die Teilnehmer dieser Reise waren Gäste der irakischen Regierung. Dieser Flug fand damals heftige Kritik. Hans Branscheidt von medico international schrieb zu diesem "Solidaritätsflug":

"Die Tournee gilt einem Regime, dem die Vereinten Nationen vollendeten Völkermord nachgewiesen haben. Es geht nun um die profitable Wiederanknüpfung an die alten blutigen Geschäfte zweier Golfkriege. Schon in den 80er Jahren boomten die deutsch-irakischen Wirtschaftsbeziehungen: mit der Lieferung von Giftgas und Militärtechnologie verdienten deutsche Firmen, unbehindert von der damaligen Bundesregierung an einem wahrhaftigen Bombengeschäft, dem im Irak Hunderttausende von Zivilisten bei gezielten Giftgaseinsätzen und Vernichtungskampagnen zum Opfer fielen.
Offenbar hoffen die alten Akteure auf ihre neue Chance: Jürgen Möllemann, Präsident der Deutsch-Arabischen-Gesellschaft (DAG), dringt schon seit geraumer Zeit auf eine "Normalisierung" der Beziehungen zu Bagdad.
In einem weiteren Umfeld assistieren bekennende Nationalsozialisten wie Horst Mahler, Rechte und Deutschnationale wie Franz Schönhuber, Alfred Mechtersheimer und Jörg Haider, die durchaus berechtigt in ihrem Saddam Hussein seit langem wieder einen Diktator identifizieren, mit dem sie sich in ihrem blinden Hass gegen die USA und das "Weltjudentum" verbunden fühlen.
Bedauerlicherweise sind auch Teile der Friedensbewegung und des antiimperialistischem Spektrums in diesem Zusammenhang aktiv. Verheerenderweise glauben sie, durch eine Kooperation von deutscher Industrie und Saddam Hussein lasse sich das Leid der irakischen Bevölkerung, die unter einem 10-jährigen Embargo und der Unterdrückung der Saddam Diktatur leidet, beheben. Sträflich missachtet wird dabei die warnende Stimme der irakischen Opposition und der Kurden, die seit Jahren das Embargo bekämpfen, zugleich aber nachweisen, dass die Lage der Menschen im Irak unter der Herrschaft Saddam Husseins sich nicht bessern kann.
Tatsächlich sind Hunderttausende von Menschen seit Beginn der Herrschaft der Baath-Partei (1968) im Irak ermordet worden. Sie alle sollen unerwähnt sein und ohne Beachtung soll bleiben, dass der Irak die Last der Sanktionen bewusst auf die Zivilbevölkerung abgewälzt hat und zugleich in der Tradition der 80er Jahre (Halabja, Anfal) ganze Landstriche etwa im Süden des Landes entvölkert und ökologisch vernichtet hat. Systematisch wurden bis in die neueste Zeit diejenigen kurdischen Gebiete, die im Zugriffsgebiet des Regimes stehen "arabisiert" und ihre Bewohner vertrieben. Allein im vergangenen Jahr ließ Saddam Hussein 600 Frauen öffentlich wegen "Unzucht" enthaupten. Regelmäßig werden die Gefängnisse des Landes in Kampagnen gesäubert, denen etwa 1998 an einem Tag (!) zweitausend Menschen zum Opfer fielen.
Kein Wort über die Herrschaftspraxis des Regimes ist von diesen "Embargogegnern" zu vernehmen, die jedoch gleichzeitig ungezwungen die Sanktionen der Vereinten Nationen als "US-Genozid" anprangern.
Jetzt wollen solch illustre Formationen nach Bagdad fliegen, um ein "Zeichen gegen das Embargo" zu setzen. Dabei werden sie als Gäste der irakischen Regierung im teuersten Hotel Bagdads nächtigen und ihre Aktion wird von der irakischen Regierung propagandistisch zutreffend als Solidarität mit dem Diktator gewertet."

Einer der Reiseteilnehmer war der Antisemit und Möllemannfreund Jamal Karsli (MdL), der in seinem Reisebericht schrieb:

"Im Rahmen der Reise hatten weder ich noch andere den Eindruck einer Vereinnahmung durch die gastgebende Seite. Es bestand im Gegenteil jederzeit die Möglichkeit zu kritischer Nachfrage."

Man muss sich die Frage gefallen lassen, ob man sich mit Leuten wie Jamal Karsli, der übrigens den NATO-Krieg gegen Jugoslawien unterstützte, zusammen tut. Da hilft es auch wenig, wenn man auf ehrbare Personen verweist, die an dieser Reise teilgenommen haben. Wer sich zum politischen Instrument eines mörderischen Re-gimes machen lässt, dem helfen auch nicht seine ehrbaren Motive. Man muss beispielsweise beharrlich die Frage stellen, aus welchen Quellen die Deutsch-Irakische Gesellschaft finanziert wird. Deswegen wäre es auch nützlich, die Finanzierung des Berliner Kongresses offen darzulegen.

Die kritische Bewertung betrifft auch den anderen Mitveranstalter des Berliner Kongresses, die Deutsch-Arabische Gesellschaft (DAG), deren Präsident der Hetzer und Antisemit Jürgen W. Möllemann ist, dessen Pro-jekt der Haiderisierung der FDP am 22. September Gott sei Dank gescheitert ist und dessen Finanzquellen gerade in diesen Tagen immer erklärungsbedürftiger werden. Wer dann meint, "die DAG ist wohl doch etwas mehr als Möllemann", spielt den Naiven, ohne es zu sein. Die DAG ist laut Eigendarstellung "der einzige Verein, der sich sowohl der Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen als auch dem kulturellen Austausch widmet". Er hat sich "die Intensivierung der kulturellen, wissenschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungen von Deutschland zu den arabischen Staaten" zum Ziel gesetzt. Das ist nichts anderes als ein Lobbyistenverein, der die Geschäftsbeziehungen zu den arabischen Staaten fördern will und der an seiner Spitze einen Politiker hat, mit dem die Friedensbewegung in keinster Weise zusammen arbeiten sollte. Und das jetzt Veranstaltungen der Friedensbewegung von Verbänden gefördert werden, die Unternehmerinteressen vertreten, ist sicherlich eine neue "Bündnisqualität".

Fragwürdig halten wir auch, von achtzehn Referenten sieben anzukündigen, die jedoch nur angefragt worden sind. Fragwürdig halten wir auch, einen Protagonisten von Saddam Hussein einzuladen und dies mit der Bemerkung abzutun, aus der Summe der Referenten könne keine Parteinahme für das irakische Regime abgeleitet werden.

Was uns empört und für die Ziele der Friedensbewegung schädlich ist, dass der Irakkonflikt auf die Frage des Embargos und des drohenden Krieges reduziert wird und kein kritisches oder ablehnendes Wort zur menschenverachtenden Diktatur im Irak gefunden wird. Zu den Verbrechen im Irak und der Tatsache, dass vier Millionen Menschen aus dem Land fliehen mussten, ist kein Wort zu finden.

Die politische Situation ist im Irak nach dem Einmarsch von Saddams Truppen in Kuwait im Jahre1990 und der Einmischung der USA sehr kompliziert geworden. Der Irak wird von einem brutalen und diktatorischen Regime beherrscht. Die Liste der Verbrechen Saddams ist lang. Die (unvollständige) Chronik des Schreckens:

  • 1980-88: Angriffskrieg gegen den Iran mit ca. 1 Mil-lion Toten.
  • 1988: Im Rahmen der sogenannten Anfal-Offensive wurden 180.000 Kurden ermordet oder zum Verdursten in die Wüste verschleppt.
  • 1988: Giftgas-Angriff auf die Kurden-Stadt Halabja mit 5.000 Toten.
  • 1990: Einmarsch in Kuwait.
  • 1991: Niederschlagung des Volksaufstandes. 150.000 Tote.
  • 1992: Zwangsumsiedelung von 600.000 Marsch-Arabern, um die Opposition, die unter ihnen arbeitete, zu schwächen.
  • 1997 ff.: Hinrichtung von ca. 4.000 politischen Gefangenen. Enthauptung von ca. 1.000 Frauen aus oppositionellen Familien unter dem Deckmantel des Kampfes gegen die Prostitution.
  • 2000: Laut amnesty international wurden neue Strafen, wie z. B. Hinrichtung durch Enthauptung oder das Herausschneiden der Zunge, z. B. wegen Verleumdung des Präsidenten, eingeführt.
  • 2000: Ethnische Säuberung: Vertreibung kurdischer Familien aus Kirkuk, Khaniqin, und anderen Distrikten, als Teil eines Programms zur Zwangsarabisierung der Kurden.

Saddams Regime hat ohne Not zwei verheerende Kriege gegen Iraks Nachbarn geführt. Ein weiterer Krieg, den das Regime derzeit führt, ist ein Krieg im Innern gegen das irakische Volk. In diesem Krieg werden irakische Männer, Frauen und ihre Kinder gefoltert, vergewaltigt und ermordet. In den meisten Fällen werden die Opfer beschuldigt, gegen das Regime und für Demokratie zu arbeiten. Menschenrechtsorganisationen, wie z.B. amnesty international und die UNO-Menschenrechtskommission, haben dies wiederholt bestätigt.

Zu diesen Verbrechen darf die Friedensbewegung nicht schweigen, wenn sie sich mit dem Irak-Konflikt beschäftigt. Die Welt ist komplizierter geworden. Es gibt nicht nur die Farben schwarz oder weiß. Der Feind meines Feindes ist nicht mein Freund. Deswegen muss sich die Politik der Friedensbewegung auch gegen das Regime in Bagdad wenden.

Wir fordern die Veranstalter des Berliner Kongresses auf sich zu unserer Kritik und unseren Fragen zu äußern:

1. Wer ist eigentlich Veranstalter und wer Unterstützer des Kongresses? Warum arbeitet man mit der Deutsch-Irakischen und Deutsch-Arabischen Gesellschaft zusammen?
2. Wie finanziert sich dieser Kongress? Welche finanzielle Unterstützung leistet die Deutsch-Irakische Gesellschaft und die Deutsch-Arabische Gesellschaft?
3. Warum werden Protagonisten des Bagdader Regimes als Referenten eingeladen?
4. Warum spielen die Verbrechen des irakischen Regimes im Programm des Kongresses keine Rolle bzw. warum wird dazu offensichtlich geschwiegen?

gez. Mathias Kohler
für das Friedensplenum Mannheim