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Vier Interviews über "Female Genitale Mutilation"

Genitalverstümmelung an Frauen im Nordirak
"Ist es denn möglich, dass wir all die Jahre für ein freies Kurdistan gekämpft haben und jetzt sind wir Frauen nicht frei? Was für eine Freiheit ist das?" - ein Interview mit Runak Faraj (Aug. 2005)

"Bildung und Aufklärung sind der einzige Weg"
Interview mit Trifa Ali (Aug. 2005)

"FGM is killing a woman"
Interview mit Nias M. (Juli 2005)

Warum ist ein groß angelegtes Research zum Thema FGM im Nordirak dringend notwendig?
Ein Interview mit Awat Mohammad (Juli 2005)

Warum ist ein groß angelegtes Research zum Thema FGM im Nordirak dringend notwendig?

Ein Interview mit Awat Mohammad

Awat Mohammad ist Sozialforscher und publizierte unter anderem eine Studie über Gewalt an Frauen (Awat Mohammad: Domestic violence. A field research on women in Suleymaniah and Garmian districts, Asuda organization for combatting violence women, 2003.) und Selbstverbrennung von Frauen. Er engagierte sich in zahlreichen Projekten und arbeitet zurzeit unter anderem an der Vorbereitung an einem größeren Research über Genitalverstümmelung an Frauen in Irakisch-Kurdistan.

Außerdem arbeitet er als Berater für das auch von Wadi mitunterstützte Radio Dangue Newe in Halabja.

W.: Warum ist eine groß angelegte Studie zum Thema Genitalverstümmelung an Frauen in Irakisch –Kurdistan dringend notwendig?

A.M.: Zunächst müssen wir der Regierung und der Bevölkerung zeigen, dass Genitalverstümmelung an Frauen bei uns ein großes Problem ist. Beide sind sich derzeit nicht darüber bewusst. Die Mehrheit der unverheirateten Männer weiß nicht einmal, dass es so etwas gibt. Wir selbst kennen das exakte Ausmaß dieser frauenverachtenden Praxis heute noch nicht, wir wissen nur, dass ein sehr hoher Anteil der weiblichen Bevölkerung in Irakisch – Kurdistan Opfer von FGM geworden ist. Es gibt große regionale Unterschiede zu beachten. Damit meine ich nicht nur Unterschiede zwischen Stadt und Land sondern auch zwischen den unterschiedlichen kurdischen Regionen. Ein besonders großes Problem mit FGM gibt es zum Beispiel im Hauramangebiet (Gebiet im Nordwestirak an der iranischen Grenze). Dort zwang die terroristische Gruppe Ansar-al-Aslam die Bevölkerung bis 2003, ihre Töchter zu beschneiden. Seit 2003 hat sich die islamistische Gruppierung von dort zurückgezogen, doch die Familien praktizieren FGM aus Angst weiter. Wir müssen diese Studie durchführen, um exaktes Datenmaterial zu bekommen. Danach müssen wir die Bevölkerung und die Regierung aufklären und gemeinsam dieses Problem lösen. Dabei brauchen wir die Hilfe von NGOs, der UN und der Regierung. Wir brauchen diese Studie auch deshalb, um allen einen Hieb- und stichfesten Beweis vorweisen zu können. Dieses Problem gibt es nicht nur in Irakisch-Kurdistan, sondern auch in der Türkei und im gesamten Irak. Wir brauchen einen starken Gesetzgeber, der auf Basis dieser Studie Gesetze und Maßnahmen durchsetzt, die es uns ermöglichen, FGM zu beseitigen.

W.: Warum wird FGM in Irakisch-Kurdistan ihrer Meinung nach praktiziert?

A.M.: Unbeschnittene Frauen werden als haram (nach dem Islam: schmutzig, schlecht) betrachtet. Sie werden ausgeschlossen. Erst kürzlich wurde in Quaradagh eine junge Ehefrau nach der Hochzeitsnacht von ihrem Mann verstoßen, weil sie unbeschnitten war. Dies war für sie und ihre Familie eine Katastrophe. Männer denken hier, dass ihre Ehefrauen beschnitten sein müssen. Ob ein Mädchen beschnitten wird, hängt dann in zweiter Linie von der einflussvollsten Frau in ihrer Familie ab. Dies kann die Mutter, die Großmutter oder eine Tante sein. Deshalb müssen wir eine Studie machen, die sich auf die gesamte Großfamilie als solche bezieht.

Ein weiteres Problem ist, dass es keinen gesetzlichen Druck gibt. Die Täterinnen werden in der Praxis nicht belangt. Außerdem ist FGM ein Tabuthema. Wir müssen versuchen, die Bevölkerung dazu zu bringen, dieses Thema auszusprechen und zu diskutieren.

FGM wird in Irakisch – Kurdistan aus mehreren Gründen durchgeführt: Es ist sowohl eine Frage der Tradition, als auch der Religion, der Gesellschaft, der Region, der Bildung und der Gesellschaftsschicht.

W.: Wer sind die Träger von FGM ?

A.M.: Im Grunde die ganze Gesellschaft. Indirekt sind Männer die Träger, doch direkt die Frauen, denn sie führen diese Praxis selbstständig fort.

W.: Warum tun die Frauen das?

A.M.: Sie tun es meist, weil sie ungebildet sind. Sie wissen eigentlich überhaupt nicht, warum sie es tun und tun es, weil es schon immer so war und für sie normal ist. Sie denken nicht an die Zukunft ihrer Töchter.

Es ist bereits jetzt deutlich sichtbar, dass ein enger Zusammenhang zwischen Bildung und FGM besteht. Die Generation der heutigen jungen Mädchen, die in die Schule gegangen sind, sind die Generation, bei der wir ansetzten müssen, denn sie lehnen FGM ab. Ich bin auch überzeugt, dass wir mit den Ergebnissen der Studie und mit Aufklärung über die Folgen von FGM auch gebildete junge Männer überzeugen können. Ein Problem sind vor allem die Bevölkerungsschichten, die nie in der Schule waren, denn sie halten erfahrungsgemäß am meisten an Traditionen fest.

W.: Was kann während und nach der Studie gegen FGM getan werden?

A.M.: Die Studie soll so angelegt sein, dass bereits während ihrer Durchführung die Bevölkerung über die gefährlichen Folgen von FGM aufgeklärt wird und so überzeugt werden kann, diese Praxis abzulegen. FGM ist ursprünglich eine islamische Tradition. Wir Kurden nehmen den Islam nicht so ernst. Es bestehen gute Chancen, dass die Bevölkerung durch Aufklärung einsieht, dass Genitalverstümmelung an Frauen aufhören muss.

Nach Abschluss der Studie haben wir ein einleuchtendes Beweismaterial in der Hand, mit dem wir die UN und die Regierung überzeugen können, uns bei unserer Arbeit zu unterstützen. Denn ohne gesetzlichen Druck wird das Problem FGM nicht so einfach zu beseitigen sein. Wir sollten bereits in Grundschulen mit der Aufklärung beginnen. Es wird ein langer Weg sein und die Studie ist der erste, unabdingbare Schritt dazu.

Suleymaniah , Juli 2005


Das Interview führte Sandra Strobel, Mitarbeiterin von Wadi e. V.


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