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Vier Interviews über "Female Genitale Mutilation"

Genitalverstümmelung an Frauen im Nordirak
"Ist es denn möglich, dass wir all die Jahre für ein freies Kurdistan gekämpft haben und jetzt sind wir Frauen nicht frei? Was für eine Freiheit ist das?" - ein Interview mit Runak Faraj (Aug. 2005)

"Bildung und Aufklärung sind der einzige Weg"
Interview mit Trifa Ali (Aug. 2005)

"FGM is killing a woman"
Interview mit Nias M. (Juli 2005)

Warum ist ein groß angelegtes Research zum Thema FGM im Nordirak dringend notwendig?
Ein Interview mit Awat Mohammad (Juli 2005)

"Bildung und Aufklärung sind der einzige Weg"

Interview mit Trifa Ali

Trifa Ali wurde 1973 in einer Collective Town in der Region Garmyan geboren. Sie lebt heute in Suleymaniah (Irakisch-Kurdistan) und arbeitet für eine kurdische Frauenzeitung. Nach ihrer Tätigkeit als Grundschullehrerin beschloss sie, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen. Sie wirkte bei Aufklärungsveranstaltungen sowie bei der Datenerhebung zur Studie Runak Farajs (Runak Faraj: Kurdish community and female genital mutilation, Suleymaniah 2004.) mit. Heute arbeit sie für CSI, eine NGO in Suleymaniah, die sich für die Stärkung der Zivilgesellschaft einsetzt. CSI ist Partnerorganisation von Wadi.

Wadi: Warum wird FGM bis heute in Irakisch-Kurdistan praktiziert?

T. A.: In den Dörfern ist das größte Problem das große Unwissen der Bevölkerung. Es gibt mehrere Gründe dafür, dass es FGM besonders in den Dörfern bis heute gibt. Denn auf dem Lande ist die FGM-Rate viel höher wie in den Städten. Zum einen wird FGM an jungen Mädchen praktiziert, weil die Familie verhindern möchte, dass die Familienehre in Gefahr gerät. Die Ehre ist das höchste Gut der Familie. Deshalb müssen Mädchen und Frauen sich einem strengen Wertekodex unterwerfen. Dazu gehört vor allem, dass sie unberührt in die Ehe gehen. Dies ist einer der Hauptgründe für FGM. Die Mütter und Tanten amputieren die Klitoris und Schamlippen ihrer Töchter, um deren Verhalten zu kontrollieren. Unbeschnittene Mädchen werden als haram (im Islam: schmutzig, schlecht) betrachtet. Sie werden ausgeschlossen und gelten als Schande. Ich habe Fälle gesehen, in denen junge Ehefrauen am Morgen nach der Hochzeitsnacht von ihrem Gatten verstoßen wurden, weil sie nicht beschnitten waren. Mütter beschneiden ihre Töchter auf dem Land auch im Glauben, ihre Töchter so vor Eheproblemen zu bewahren. Die Frauen denken, sie würden damit etwas Gutes für ihre Töchter tun.

Ein weiterer Grund ist die Religion. Viele Menschen glauben, der Islam schreibe FGM vor. Dies ist falsch, denn es steht nicht im Koran geschrieben.

Dazu kommt, dass viele Dörfer schon allein geographisch sehr isoliert sind und deshalb an ihren Traditionen festhalten. Sie praktizieren FGM, weil es Tradition ist. Die Frauen kommen nicht einmal auf die Idee, dass dies nicht sein muss. FGM hat viel mit Tradition zu tun.

Wadi: Sie sehen FGM also eher als das Resultat von Traditionen als von Religion? Bedeutet das, das die Fatwa, die kürzlich vom Mufti von Suleymaniah gegen FGM erlassen wurde, die Situation nicht besonders verbessern kann?

T.A.: Ich weiß gar nicht, dass es diese Fatwa gibt. Das Problem ist hier häufig, dass solche Dinge gar nicht zu den Leuten durchdringen. Die Meinung eines Muftis kann sehr wohl etwas an der Lage ändern, aber die Leute hören in der Regel nur auf „ihren Mufti“, das heißt, auf denjenigen, der für ihre Region zuständig ist. FGM hat sowohl etwas mit Tradition als auch mit Religion zu tun. Das Schlüsselwort ist jedoch die Ehre, denn sie spielt sowohl im Islam als auch in der kurdischen Tradition eine große Rolle. Junge Mädchen sind deshalb der Kontrolle ihrer Verwandten völlig unterworfen.

Wadi: Warum tun ausgerechnet Frauen ihren eigenen Töchtern und Nichten so etwas an?

T.A.: Sie denken, dass sie damit etwas Gutes für die Mädchen tun. Deshalb ist unser größtes Problem das Unwissen der Frauen. Sobald das Bildungsniveau im gesamten Nordirak höher ist, wird auch die Praxis der Genitalverstümmelung an Frauen zurückgehen.

Wadi: Welche Rolle spielen Männer im Bezug auf FGM?

T.A.: In den Städten wissen die Männer allgemein vor ihrer eigenen Hochzeit gar nichts davon, denn es ist ein Geheimnis zwischen Mutter und Tochter. Ich denke aber, dass die Jungen und Männer in Suleymaniah heute FGM kritisch gegenüber stehen würden, wenn sie davon wüssten. Sie würden ihre Mütter und Ehefrauen davon abhalten. Ich habe diesen Fall in meiner eigenen Familie in Suleymaniah erlebt. Meine ältere Schwester versuchte ihre achtjährige Tochter zu beschneiden. Ihr 11-jähriger Sohn rannte weinend vor mein Haus und brüllte “ Hilfe, die wollen meine Schwester zerschneiden!“. Nach einem heftigen Streitgespräch konnte ich meine Schwester davon überzeugen, ihre Tochter nicht zu verstümmeln.

Auf dem Land ist die Situation anders: Die Jungen wissen meistens von FGM, denn in kleinen Dörfern passiert nichts unbemerkt. Da sie nicht in die Schule gehen halten sie FGM meist auch für richtig. FGM hat sehr viel mit Bildung zu tun.

Wadi: Was kann gegen FGM getan werden?

T.A.: Das FGM- Problem kann nur durch Bildung und frühe Aufklärung gelöst werden. Man muss versuchen, die Leute in den Dörfern davon zu überzeugen, dass sie falsche Vorurteile haben. Wir sind im Jahr 2003 in Dörfer gefahren und Vorträge über die Folgen von FGM gehalten. Wir haben dafür Männer und Frauen unter den Dorfbewohnern ausgewählt, die schreiben können. Sie können später wie Transmissoren wirken. Danach hat Runak Faraj im Beisein von Ärzten Fragen beantwortet. Die Leute haben uns verstanden und es stellt sich dabei heraus, dass viele gar nicht wussten, das FGM die Ursache ihrer Krankheiten und Beschwerden war.

In vielen Dörfern stießen wir auf Ehemänner, die bereuten, dass ihre Frauen beschnitten worden waren.

Ich bin überzeugt davon, dass Bildung und Aufklärung der einzige Weg sind, diese furchtbare Praktik zum Verschwinden zu bringen.

Suleymaniah, 13. August 2005


Das Interview führte Sandra Strobel, Mitarbeiterin von Wadi e. V.


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