WADI Projekte: NAWA-Centre for Women in Distress

Bericht über das NAWA-Centre in Suleymaniah/ Irakisch-Kurdistan


medica mondiale:

Langfristige Begleitung von Frauen und Mädchen

Das Zentrum bietet Unterkunft für bis zu 18 Frauen mit ihren Kindern, die in drei Schlaf- und Aufenthaltsräumen untergebracht sind. Die Atmosphäre im Zentrum ist sehr entspannt und das Verhältnis zwischen den Sozialarbeiterinnen und den Frauen ein lockeres und freundschaftliches. Dilkwaz, die Psychologin, die das Zentrum leitet, erzählte mir, daß es zunächst ein Problem gewesen sei, engagierte Sozialarbeiterinnen zu finden, die diese Arbeit nicht um des geringen Gehalts willen tun, sondern auch bereit sind, Nachtschichten zu übernehmen und tatsächlich rund um die Uhr für die Frauen ansprechbar zu sein. Eine solche Gruppe von 5 Sozialarbeiterinnen hat sich nun gefunden, die ihre Arbeit mit viel Elan und Engagement durchführen. Glücklicherweise ist es uns gelungen, das Ministerium davon zu überzeugen, daß es wichtig ist, diese Gruppe auch in Zukunft beizubehalten und ein Austausch der Mitarbeiterinnen sich für die Zukunft des Zentrums negativ auswirken würde. In dem "Cooperationsvertrag", den wir mit dem Ministerium abgeschlossen habe wurde deshalb eine namentliche Liste der Sozialarbeiterinnen, die vom Ministerium angestellt werden, aufgeführt.


Auch die medizinische Betreuung ist im Nawa-Centre gewährleistet

Das Zentrum steht den Frauen Tag und Nacht offen. Es gibt wechselnde Nachtschichten, jede Nacht ist eine Sozialarbeiterin und eine Helferin anwesend. In dringenden Fällen kommt die Psychologin auch nachts ins Zentrum, um ein erstes Gespräch mit dem Neuankömmling zu führen. In den meisten Fällen werden die Frauen von den verschiedenen Frauenorganisationen ans NAWA-Zentrum weitervermittelt. Das heißt, sie wenden sich mit ihrem akuten Problem, Mißhandlung, Scheidung, Depression etc., an eine der Frauenorganisationen, die ihnen dann empfehlen, ins NAWA-Zentrum zu gehen, dort anrufen und entweder organisieren, daß die Frau abgeholt wird oder mit einem Taxi ins Zentrum gebracht wird.

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Im Zentrum findet sie dann einen Übernachtungsplatz und in einem ersten Gespräch wird versucht, herauszufinden, worin das akute Problem besteht. Häufig dauert es jedoch mehrere Sitzungen, bis tatsächlich die wahren Ursachen für die Probleme in der Ehe oder zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter ausgedrückt werden, da zunächst viele Frauen ihr persönliches Problem als schamvoll betrachten. Erst wenn sie sich bewußt werden, daß sie nicht allein unter solchen Schwierigkeiten leiden, sondern viele Frauen mit ähnlichen Problemen im NAWA-Zentrum sind und gelingt es ihnen, ihre Probleme auszudrücken.


Das Centre ist bereits von weitem zu erkennen

Die einzelnen Biographien sind unterschiedlich: einige Frauen sind im Zentrum, weil sie von ihrem Ehemann mißhandelt werden, eine ältere Frau wurde regelmäßig von ihrem Sohn geschlagen. Häufig ist auch die Tatsache, daß ein Mädchen zwangsverheiratet wurde und nun einen anderen Mann liebt, Ursache für die Verfolgung durch ihren Ehemann, der ihr zum Teil sogar mit dem Tod droht. Ein Mädchen, daß gerade im Zentrum ankam als ich es zum ersten Mal besuchte, wurde in der Hochzeitsnacht von ihrem Mann geschieden, da er kein Blut auf dem Bettlaken fand und so annahm, daß sie keine Jungfrau mehr sei. Später wurde dies durch eine Frauenärztin widerlegt, die Scheidung bleibt zwar bestehen, aber das Mädchen kann in ihre Familie zurückkehren.

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Für eine Woche lebte eine ganze Familie im Zentrum, vier Schwestern, von denen eine von ihrem Vater mißbraucht wurde. Als sie dies ihrer Mutter erzählte, wurde sie aus dem Haus vertrieben, die Schwestern begleiteten sie. Erst nach vielen Gesprächen, glaubte die Mutter die Erzählungen der Töchter und reicht nun die Scheidung von ihrem Mann ein.

In solchen Fällen vermittelt NAWA einen Rechtsanwalt, der gerade auf Scheidungsfälle und die Rechte der Frau spezialisiert ist. Endgültige Schritte, wie Scheidung oder auch Selbstmord, scheinen für viele Frauen die einzigen Lösungsmöglichkeiten ihrer Probleme zu sein und erst nach mehreren Gesprächen gelingt es den Sozialarbeiterinnen, die verschiedenen anderen Wege, die gangbar sind, mit den Frauen herauszufinden. Dann wird diskutiert, ob Scheidung tatsächlich der beste Ausweg aus ihrem Problem ist, da eine geschiedene Frau gesellschaftlich sehr schlecht angesehen wird. Nach und nach werden die verschiedenen Möglichkeiten durchgegangen, bis die Frau soweit ist, sich für selbständig für einen Weg zu entscheiden. Dieser Prozeß dauert häufig mehrere Wochen bis Monate.

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Nicht alle Frauen, die ins NAWA-Zentrum kommen, leiden unter solch schwerwiegenden Problemen. Häufig sind es nur alltägliche Unstimmigkeiten, die sich angestaut haben und zu einem scheinbar unüberwindbaren Problem werden, die die Frauen dazu bewegen, im NAWA-Zentrum Rat zu suchen. Hier kann in der Regel durch Gespräche mit allen Beteiligten vermittelt werden. Obwohl nicht immer eine Einigung zwischen den Familien erreicht werden kann, ist auch die Reaktion der Familien auf das NAWA-Zentrum positiv: Viele Ehemänner kamen und bedankten sich für die Hilfe und Vermittlung, da sie zwar bemerkten, daß in der ein Bruch in der Beziehung zu ihrer Frau existierte, sie aber allein nicht in der Lage waren, diesen zu benennen oder die Ursache zu erkennen. Der Mann einer Frau im Zentrum schlug sogar vor, ein ähnliches Zentrum für Männer zu eröffnen, da auch sie häufig nicht wüßten, wie sie mit ihren persönlichen Gefühlen und Problemen umgehen sollten.


Der Gärtner kümmert sich um die Außenanlage

Neben den Einzelgesprächen, Familiengesprächen und Gruppengesprächen bietet das Zentrum tagsüber verschiedene Aktivitäten an. Am Morgen wird gemeinsam Gymnastik gemacht, zweimal in der Woche wird musiziert und getanzt. Nachmittags bieten Volontärinnen der Frauenorganisationen Workshops an, in denen genäht wird, Stofftiere gebastelt, Schmuck hergestellt wird. Im Garten des Zentrums werden Blumen gezüchtet und Gemüse angebaut. Gerade diese praktischen gemeinsamen Tätigkeiten sind den Frauen sehr wichtig, da sie dabei ungezwungen miteinander reden können und häufig erzählt eine Frau bei diesen Arbeiten wichtige Einzelheiten aus ihrem Leben und von ihrer innerfamiliären Situation. Daneben bietet ihr der Verkauf der produzierten Ware einen kleinen eigenen Verdienst und stärkt ihren Mut zum eigenständigen Handeln und Leben.

Mehrmals im Monat gehen die Sozialarbeiterinnen gemeinsam mit den Frauen picknicken oder sie gehen ins Theater und ins Kino. Es ist zu beobachten, daß die Frauen auf alle diese Reite sehr emotional reagieren und sie eine gute Möglichkeit bieten, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Die Kino- und Theaterbesitzer unterstützen das Zentrum, indem sie den Frauen Freikarten zur Verfügung stellen. Überhaupt wurde das NAWA-Zentrum seit seiner Eröffnung von vielen Seiten unterstützt.

Schon zur Eröffnung übergab UNICEF dem Zentrum einen eigenen Generator, so daß es einer der wenigen Plätze in Suleymaniah ist, in denen 24 Stunden Elektrizität verfügbar ist.

Das WFP versorgt das Zentrum mit sogenanntem "Dry Food", daß heißt Linsen, Reis, Öl etc.. Außerdem wurde zugestimmt, daß bis zum Ende des Jahres die ungelernten Mitarbeiterinnen sogenannte "Food for work" bekommen. Weitere Organisationen spendeten Einzelteile: Eine Hollywoodschaukel, einen Schreibtisch, Sportgeräte. Alle waren sich einig, daß ohne die erste Initiative von WADI das Projekt nie zustande gekommen wäre.

Vor einigen Monaten führte das Diakonische Werk in Dehok (eine Stadt im Norden Irakisch-Kurdistans) eine Fortbildung zum Thema Frauen und Gewalt durch, zu dem das NAWA-Zentrum eine Vertreterin schickte. Die neuen Informationen, die sie dort erhielt, gab sie in mehreren Seminaren an die andren Mitarbeiterinnen im Zentrum weiter. Insbesondere waren die Methoden, wie man mit spielerischen und zeichnerischen Mitteln Informationen über den Lebenslauf der Frauen, ihre positiven und negativen Lebensphasen, ihren familiären Hintergrund und ihre sozialen Bindungen sammeln kann von großer Hilfe. Da die meisten Frauen, die ins NAWA-Zentrum kommen, nicht oder nur schlecht, lesen und schreiben können, ist es wichtig, ihnen jenseits der geschriebenen Sprache Ausdrucksformen zu vermitteln. Gerade die Erarbeitung der Graphiken über sich selbst gibt ihnen Selbstbewußtsein und neue Einsichten über ihre eigene Situation.

Eine weitere positive Auswirkung des NAWA-Zentrums ist die Zusammenarbeit der Frauenorganisationen in Suleymaniah. Noch 1998 konnten sie sich nicht vorstellen, daß es möglich sein könnte, gemeinsam ein Projekt zu koordinieren und zu unterstützen. Erst durch die Erfahrung im NAWA-Zentrum, bestätigten sie auf einem gemeinsamen Treffen, wurde ihnen bewusst, daß es sehr wohl möglich ist, jenseits parteipolitischer Vorstellungen zusammenzuarbeiten.

Bis Ende August 2000 haben 247 Frauen sich im NAWA-Zentrum aufgehalten, mehrere weitere hundert haben die ambulanten Dienste des Zentrums in Anspruch genommen.

Die Telefon-Hotline

Ein grundlegendes Problem des Zentrums war nach der Eröffnung, daß keine direkte Telefonleitung dorthin bestand. Schließlich arrangierte die Leiterin des Zentrums, Dilkwaz Kareem Ahmad, ein Treffen mit dem Premierminister Kosrat Rasul, um ihm von den Aktivitäten des NAWA-Zentrums zu erzählen. Als er sie fragte, wie er dieses wichtige Projekt unterstützen könne, antwortete sie: Durch einen direkten Telefonanschluß. Drei Tage später besaß das NAWA-Zentrum einen Telefonanschluß und auch die Telefonhotline konnte in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden.


Die WADI Mitarbeiterin und Leiterin des Nawa-Centres

Die Telefon-Hotline, so ungewöhnlich diese Idee für Kurdistan ist, hat sich sehr bewährt. Seit dem Bestehen des NAWA-Zentrums wurden in den verschiedenen Zeitungen Berichte über die Arbeit des Zentrums veröffentlicht. Mit diesen Berichten wurde auch immer die Telefonnummer abgedruckt, mit dem Hinweis, daß man dort jederzeit anrufen kann und einer Sozialarbeiterin anonym sein Problem schildern kann. Viele Frauen nehmen diese Gelegenheit war, manche suchen nur Trost und Aufmunterung, andere beschließen, nach einem solchen Gespräch, persönlich im Zentrum zu einem Beratungsgespräch vorbeizukommen.

Eine Mitarbeiterin des Zentrums betonte, wie wichtig für sie dieser Telefonservice sei: "Fast jede der Frauen, die bei uns anruft, sagt am Ende des Gesprächs "ich bin froh, daß mir endlich jemand zugehört hat. Als ich anrief, wußte ich nicht mehr weiter und dachte sogar dran, mich umzubringen. Jetzt fühle ich mich besser und weiß, daß es bei Euch einen Ort gibt, wo ich hingehen kann."

Kooperation mit anderen Einrichtungen

Das NAWA-Centre kooperiert, wie gesagt, eng mit den verschiedenen parteigebundenen Frauenorganisationen. Ohne ihre Unterstützung wäre die Arbeit des Zentrums nicht denkbar, da die parteigebundenen Frauenorganisationen oft die erste Anlaufstelle für Frauen ist und sie in vielen Fällen die ersten Treffen zwischen der Familie und dem Zentrum koordinieren. Außerdem sind die Volontärinnen aktive und engagierte Mitarbeiterinnen im Zentrum. Des weiteren besteht eine enge Kooperation mit dem "Khanzad"-Zentrum, das Frauen über das NAWA-Zentrum und die Hilfe, die dort angeboten wird, informiert und den beiden Frauenschutzhäusern in Suleymaniah. NAWA vermittelt Frauen, deren leben akut bedroht ist, in diese Schutzhäuser und nimmt selbst Frauen, die im Schutzhaus waren, aber bei denen sich eine Lösung des Familienkonflikts abzeichnet, für eine Übergangszeit auf. Da die Frauenschutzhäuser eine sehr fragile und gefährdete Einrichtung in Suleymaniah darstellen, werden manchmal Frauen, die angeben, in Gefahr zu sein, anonym für ein bis zwei Tage im NAWA-Zentrum untergebracht, um zu überprüfen, daß es sich nicht um gekaufte Spioninnen handelt, die den Ort der Frauenschutzhäuser auskundschaften sollen. in der Außerdem besteht eine enge Zusammenarbeit mit der Polizei, dem Frauengefängnis, Rechtsanwälten und natürlich den Ministerien. Da das Sozialministerium ein großes Interesse an der Arbeit des NAWA-Zentrums hat, wurde ein Kooperationsvertrag mit dem Ministerium abgeschlossen, in dem die weitere Zusammenarbeit geregelt wird.

Regelmäßig finden Treffen der verschiedenen Aktivistinnen in Suleymaniah statt, in denen Erfahrungen ausgetauscht und neue Ideen entwickelt werden.

November 2000

Das NAWA Frauenzentrum wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung des "Weltgebetstages der Frauen" und der "Stiftung Umverteilen"

UPDATE: Das NAWA Frauenzentrum wurde im Jahr 2001 als erfolgreiches Projekt der Regionalregierung übergeben.


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