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10. Februar 2008 | NZZ am Sonntag | Inga Rogg

Iraks Frauen fühlen sich bedroht

von Inga Rogg, Erbil

Nach Saddam Husseins Sturz wollten die Amerikaner auch den Frauen im Irak mehr Rechte und Freiheiten bringen. Stattdessen müssen die Frauen sich heute gegen Übergriffe radikaler Islamisten wehren.

Wie so viele Frauen mit gewalttätigen Ehemännern hoffte Tara Mohammed jeden Tag, dass die Prügel nur ein Ausrutscher waren und ihr Mann am nächsten Tag wieder der Alte sein würde. Aber die Torturen wurden immer schlimmer. Er zwang sie, ihre Stelle aufzugeben, verbat ihr, alleine das Haus zu verlassen, nicht einmal ihre Eltern durfte sie besuchen. Aus den Ohrfeigen wurden Tritte und Faustschläge, die wie Donnerschläge auf sie niederprasselten. Immer häufiger dachte die Verwaltungsfachfrau an Selbstmord. Nach zwei Jahren floh die zierliche Frau zu ihren Eltern und reichte die Scheidung ein.

Wie der Kurdin aus Erbil ergeht es vielen Frauen im Irak. Unter dem später gestürzten Diktator Saddam Hussein wurden Frauen in Gefängnissen vergewaltigt und zu Tausenden verschleppt. Sogenannte Ehrenmorde durch Stammesangehörige gab es auch damals. Doch Frauen konnten berufstätig sein, sie durften sogar in hohe Staatsämter aufsteigen, und vor allem konnten sie sich frei bewegen, mit oder ohne Kopftuch. «Heute nehmen reaktionäre Islamisten das Recht in die eigene Hand», sagt die Frauenrechtlerin Majda Juburi aus Bagdad.

Im südirakischen Basra sind im vergangenen Herbst mindestens 40 Frauen ermordet worden. Drohend warnten Extremisten in Graffiti an Hauswänden: «Dir wird die höchste Strafe, der Tod, zuteil, wenn du kein Kopftuch trägst oder dich schminkst.»

In der ehemals liberalen Grossstadt übertreffen sich heute Schiitenmilizen darin, angeblich islamische Werte mit harter Hand durchzusetzen. Für Aktivistinnen wie Juburi sind die Morde in Basra nur die Spitze des Eisberges. «Beinahe täglich tauchen verstümmelte, manchmal sogar enthauptete Frauenleichen auf.» Die Dunkelziffer der Frauenmorde sei hoch, weil sich in den Ministerien niemand zuständig fühle.

Aber es sind nicht nur verbohrte Islamisten, denen Frauen zum Opfer fallen. In Kurdistan, wo die Islamisten kaum Einfluss haben, verzeichnet man nach Jahren, in denen die Frauenmorde stetig zurückgingen, derzeit einen dramatischen Anstieg. In den letzten drei Jahren wurden mindestens 500 Frauen ermordet. Dies geht aus Erhebungen des Ministeriums für Menschenrechte, der Polizei und Spitälern hervor.

«Die Täter kommen fast immer aus der eigenen Familie», sagt Nigar Bekir. «Oft reicht schon ein Blickwechsel mit einem anderen Mann, und der Vater, Bruder oder Ehemann rastet aus.» Die Psychologin betreut im Frauenhaus Nawa in Erbil die Gewaltopfer. Derzeit leben neun Frauen in der noblen Villa, die allerdings eher einem Gefängnis gleicht, weil sie aus Furcht vor Übergriffen der Angehörigen das Haus nicht verlassen dürfen.

Zugenommen haben in Kurdistan die Selbstmorde von Frauen. Über 1500 starben seit 2005 an den Folgen von Verbrennungen, bei denen sich die Frauen mit Kerosin, das zum Kochen und Heizen verwendet wird, überschüttet und dieses angezündet hatten.

Dimen Mohammed, Leiterin des Nawa-Zentrums, vermutet hinter der Zunahme der Gewalt einen Zusammenprall von Kulturen. «Frauen haben heute Zugang zu Satellitenfernsehen, Internet und Handy. Sie verlangen auch für sich mehr Freiheiten», sagt Mohammed. Der kurdische Regierungschef Nechirvan Barzani hat angesichts der katastrophalen Entwicklung die Stärkung von Frauenrechten ins Zentrum der Politik gerückt und eine Polizeisondereinheit geschaffen.

Tara Mohammed ist froh, dass sie der Ehehölle entkommen ist. Heute ist sie wieder berufstätig und geniesst ihre Unabhängigkeit. «Ich würde gerne wieder heiraten», sagt sie nachdenklich. «Aber nie wieder werde ich zur Sklavin eines Mannes. Nie wieder.»


© NZZ am Sonntag, 10.02.2008


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