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Ein Krisenzentrum für Frauen in Mosul


Ende Januar wurde in der zweitgrößten irakischen Stadt Mosul erstmals ein Krisenzentrum eröffnet, das Frauen aller Bevölkergruppen eine breite Palette an sozialer und psychologischer Beratung anbietet. Das Zentrum soll in naher Zukunft auch Schutzräume bereithalten, in denen Frauen untergebracht werden können, die vor Gewalttaten fliehen. Damit orientiert sich das Zentrum an den bereits existierenden Einrichtungen in Arbil und Suleymaniah.

Frauen mit sozialen und familiären Sorgen oder solche, die unter psychischen Problemen leiden, können in der irakischen Gesellschaft bislang noch auf wenig Unterstützung hoffen. Entgegen der weitverbreiteten Vorstellung von einem zwar diktatorischen zugleich aber laizistischen und modernen Staat unter Saddam Hussein, hat sich unter der Herrschaft der Ba'thpartei ein extrem ungleiches Geschlechterverhältnis verfestigt, das Frauen lediglich eine untergeordnete Rolle innerhalb der Gesellschaft zuweist. Rigide Vorstellungen von familiärer Ehre und persönlicher Moral sind nicht nur ein Problem ländlicher Gegenden, wo Frauen bis heute als Tauschobjekte bei der Regelung von Beziehungen zwischen Clans und Stämmen dienen, sondern auch in den großen Städten des Landes. Gewalt gegen Frauen findet - innerhalb wie außerhalb der Familie - in erschreckendem Ausmaß statt. Den dramatischen Höhepunkt stellen die sog. »Morde aus Ehre« dar, bei denen Frauen mit dem Leben für mutmaßliche »Entehrungen« der Familie bezahlen müssen.

Hintergrund:

Frauen im Irak   PopUp

Die Probleme der irakischen Frauen sind bisher kaum ein Thema in der irakischen Gesellschaft. Während im kurdischen Nordirak im Laufe des vergangenen Jahrzehnts Frauenorganisationen, -zeitungen und Lobbyverbände entstehen konnten, die sich einen gewissen Einfluss auch auf politische Entscheidungen und eine Veränderung der Rechtsgrundlage erarbeitet haben, sehen sich die Frauen in den erst unlängst befreiten Landesteilen einer Situation gegenüber, die scheinbar wenig Freiraum für ihre Rechte lässt. Es gibt keine Anlaufstellen für misshandelte Frauen, die Rechtssprechung bevorzugt bislang einseitig die Männer. Frauen, die misshandelt wurden, werden in der Regel nicht als Opfer, sondern als Schuldige betrachtet und gelten als »ehrlos«. Ein Leben außerhalb der Familie ist insofern auch in großen Städten wie Mosul für eine Frau nicht ohne weiteres möglich, Hilfsangebote existieren nicht. Frauen und Mädchen verharren daher selbst dann in ihren Familien, wenn dort ein Leben ohne Gewalt und Angst nicht mehr möglich ist. Viele begehen Selbstmord. Wer dennoch flieht gilt als ehrlos und schlimmer noch: hat die Ehre der Familie verletzt und muss mitunter mit Verfolgung und Mord rechnen.

Von lokalen Entscheidungsträgern wird gerne vorgebracht, dass ersteinmal wichtigere Dinge anstünden, als die Sorgen der Frauen. Vorrangiges Ziel ist zumeist auf lokaler Ebene die Sicherheits- und Versorgungslage, die Ausformulierung einer Verfassung und die Vorbereitung von Wahlen zu gewährleisten. Danach könne auch über die Rechte der Frauen nachgedacht werden. »Doch wenn ihr [die Gemeinden] das alles ohne uns - ich meine: uns Frauen - machen wollt, frage ich sie dann, wie wollt ihr dann jemals auch nur eins der Probleme in den Griff bekommen?« Suaad Abdulrahman leitet das Frauenprogramm von WADI und ist die antreibende Kraft auch hinter dem Projekt, ein Krisenzentrum in Mosul einzurichten. »Das Zentrum in Mosul ist eine doppelte Herausforderung: Einmal wegen der politischen Spannungen. Hier gibt es auch Leute, die von Saddam profitiert haben - nicht umsonst hatten sich ja auch seine Söhne hier versteckt - und mindestens genauso viele, die [diesen Leuten] das nicht verzeihen können. Zum anderen, weil die Stadt bekannt ist dafür, dass hier die Moralvorstellungen besonders streng, also gegen Frauen sind. Wenn ich als Kurdin in eine kurdische Familie komme, dann passiert es oft, dass die Männer sagen, ich würde mich nicht so verhalten, wie es sich für eine Kurdin gehört. Ich sage dann immer: Wer kommt denn hier aus den kurdischen Gebieten - sie oder ich? Meinen arabischen Kolleginnen ergeht es ähnlich.«

Mosul ist in der Tat einer der Kulminationspunkte politischer Auseinandersetzung im Irak - nicht erst seit dem Sturz Saddam Husseins. Unter dem Druck des Ba'thregimes, das mit Umsiedlungsprogrammen und Deportationen gegen Minderheiten in der Stadt vorging, haben die Communities der Stadt und im Kleinen die Familien mit einem Rückzug in private, religiöse und traditionale Formen reagiert. In Mosul zeigt sich das Ergebnis von mehr als 30 Jahren ba'thistischer Diktatur als eine tiefgehende soziale Zerrüttung und Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas besonders deutlich, da hier Begünstigte und Unterdrückte in Form ethnischer Communities aufeinanderstießen, während die tragenden Säulen des Geheimdienststaates - Verrat und Spitzeltum - diese Gemeinschaften von ihnen auffraßen.

Hintergrund:

Mosul   PopUp

Frauen leiden in besonderem Maße unter der sozialen Verwüstung, die das Ba'thregime in Mosul hinterlassen hat. Als Witwen und Hinterbliebene von »Verschwundenen« tragen sie vielfach die gesamte Verantwortung für den Erhalt der Familie, während sie andererseits von Rechten weitgehend ausgeschlossen sind. Denn der Druck der Arabisierungspolitik in den vergangenen Jahren hat nicht nur zur Zerstörung sozialer Beziehungen geführt, sondern auch dazu, dass ethnische und religiöse Gemeinden mit einer immer stärkeren Traditionalismus reagierten, der für Frauen fast zwangsläufig einen Rückschritt bedeutete.

Eine entsprechend geringe Aufmerksamkeit wird den enormen psychischen Problemen vieler Frauen entgegengebracht. Viele Frauen in Mosul leiden unter einer schweren Traumatisierung, ausgelöst durch Gewalt oder den Verlust von Familienangehörigen. Andere wurden zum Opfer staatlicher Gewalt, wurden verhaftet, gefoltert und von Sicherheitskräften vergewaltigt und sehen sich aufgrund dessen heute von ihren Angehörigen alleingelassen. Soziale Not und familiäre Enge führen zu ausweglosen Situationen.

Das Krisenzentrum »Ninawa«, das in der zweiten Januarwoche 2004 in Mosul eröffnet wurde, hat sich gegen alle Schwierigkeiten vor Ort durchgesetzt. Nach anfänglicher Skepsis stießen Suaad Abdulrahman und ihre Kolleginnen zunehmend auf Zustimmung beim lokalen Stadtrat. Im kurdisch-arabischen Stadtteil Karama, im Norden der Stadt, wurde nun eines der vielen ehemaligen Verwaltungsgebäude des Ba'thstaates für das Krisenzentrum zur Verfügung gestellt. Das Haus verfügt zunächst über ausreichend Raum für eine offene Beratungsarbeit, sowie es gute Möglichkeiten bietet für den zukünftigen Ausbau zur Einrichtung von Schutzräumen für Frauen, die vor männlichen Angehörigen in Sicherheit gebracht werden müssen oder aber aufgrund von Flucht oder Konflikten obdachlos geworden sind und schutzlos auf den Straßen Mosuls leben.

Vorausgegangen war die Arbeit von »Mobilen Teams«, einer aufsuchenden sozialen und medizinischen Betreuung von Frauen, die in den Mosuler Stadtteilen seit Mitte 2003 auch die Situation von Frauen erhebt. Wie diese Teams so wird auch der Stab an Mitarbeiterinnen im Krisenzentrum »Ninawa« aus Frauen aller in der Stadt vertretenen Bevölkerungsgruppen zusammengesetzt sein. Es geht eben nicht darum, ein exklusives Projekt für einen der Stadtteile oder eine der dort vertretenen Gruppen einzurichten, sondern eine Anlaufstelle, die allen Frauen offen steht, ohne dass soziale, ethnische oder religiöse Barrieren überwunden werden müssen.


Ab Ende Januar bietet das Zentrum »Ninawa«:

- eine offene soziale/psychologische Beratung

Ein großer Teil der Probleme, mit denen sich Frauen konfrontiert sehen, ereignen sich innerhalb der Familie. Sie reichen von finanziellen Sorgen und Fragen zur Erziehung der Kinder über (z.T. auch recht einfache) Probleme mit Ehemännern und anderen Familienmitgliedern bis hin zu Depressionen, schweren Konflikten und Psychosen. Da der Umgang mit psychischen aber Problemen mit einem starken gesellschaftlichen Tabu versehen ist, das betroffene Frauen als »verrückt« abstempelt, werden derartige Probleme »innerhalb der Familie« gehalten. Ähnliches gilt für Auseinandersetzungen, die als familien-intern betrachtet werden und gegenüber der Außenwelt verschwiegen werden. Derart abgeschottet erschließen sich den betroffenen Frauen keinerlei Möglichkeiten einer Lösung. Psychische Probleme wachsen sich unter dem Druck der familiären Enge z.T. zu schwerwiegenden Psychosen aus. Das Zentrum bietet eine offene Beratung an, die sich an diese Frauen richtet.

- ein Mediationsprogramm zur Schlichtung familiärer Probleme

Probleme, die aus der familiären Situation entstanden sind, können nur in wenigen Fällen dadurch gelöst werden, dass die Frau ihre Familie verlässt, da ein Leben ohne familiären Hintergrund für Frauen kaum möglich ist. Langfristige Lösungen komplizierter Konfliktlagen aber auch der Erfolg therapeutischer Programme setzen zugleich die Bereitschaft der Familienangehörigen voraus, sich der Situation zu stellen und an der Suche nach Lösungswegen mitzuwirken. Erfahrene Mediatorinnen aus den Frauenzentren Khanzad und NAWA bilden derzeit in Mosul Kolleginnen aus, die diese vermittelnde Arbeit zwischen den Frauen und ihren Familien - oft auch den Behörden - leisten. Zu ihren Aufgaben gehört es auch Lösungen für Frauen zu suchen, die sich stationär im Zentrum befinden.

- Schutzräume mit medizinischer und psychologischer Betreuung

Für die nächsten Monate ist geplant, Schutzräume einzurichten, in denen Frauen, die sich in einer akuten Gefährdungssituation befinden oder eine teifgreifende Krise durchleben, betreut werden. Mitunter gravierende Übergriffe gegen Frauen und Mädchen machen es erforderlich, einen sicheren Schutz zu gewährleisten. In manchen Fällen stimmen die Familien auch einer Lösung zu, die einen zeitweisen Aufenthalt von Frauen in dem Zentrum vorsieht, um diese aus der Konfliktsituation herauszulösen. Voraussetzung dafür aber ist die Akzeptanz innerhalb des Stadtteils. Schutzräume können nur dann ihren Sinn erfüllen, wenn sie nicht von den Nachbarn als »ehrlos« angesehen werden. Nach der Durchführung der ersten Kurse und Programme wird das Zentrum daher in enger Konsultation mit der lokalen Vergangen mit der Einrichtung der Schutzräume beginnen.

- Alphabetisierungskurse und Bildungsprogramme für Frauen

Das Zentrum bietet darüber hinaus Alphabetisierungskurse an sowie Unterrichtsreihen zu Themen der Familienplanung, der Gesundheitsvorsorge und Kindererziehung, aber auch über Frauenrechte und die Stellung von Frauen im Islam.


Ein Neuanfang ist nur mit Frauen möglich

Das avisierte Projekt geht davon aus, dass bei einem Wiederaufbau von Anfang an die Frauen beteiligt sind und ihrem Anspruch auf eine bessere soziale wie rechtliche Stellung innerhalb der Gesellschaft Rechnung getragen wird. Frauenprojekte sind - auch wenn sie über die kurzfristige Hilfe auf eine langfristige Demokratisierung hinausweisen - nicht aufschiebbar. Das Projekt zielt daher sowohl auf die Sicherung einer notwendigen Grundversorgung, als auch auf die langfristige Stärkung von Frauen innerhalb ihrer lokalen Gemeinschaften und der Etablierung von Frauenrechten.

UPDATE:

Das Zentrum sah sich 2004 wegen zunehmender Gewalt und Bedrohung durch Islamisten gezwungen, seine Arbeit einzustellen.


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