WADI Projekte: Das Khanzad Home in Arbil

Ein Besuch im Khanzad Home



"Da wussten wir, das funktioniert!" erzählt die Leiterin von Khanzad Home, einem Frauenzentrum in der nordirakischen Stadt Arbil. "Khanzad Home" lässt sich im Deutschen am besten mit "Khanzads Zuhause" übersetzen. Über den richtigen Namen hatte das Komitee des Zentrums lange diskutiert. Khanzad war eine sagenumwobene Prinzessin, die im 18. Jahrhundert im Nordosten des heutigen Irak einen kurdischen Aufstand anführte - eine der wenigen weiblichen Herrscher in der männlich dominierten kurdischen Geschichte. Ihr Mut und Gerechtigkeitssinn fanden auch die Bewunderung der Männer. Bis heute ist Khanzad ein beliebter Mädchenname in Irakisch-Kurdistan. "Und dann kam ein Handwerker in das Zentrum", fährt sie fort, "und als er mit seinen Arbeiten fertig war, verabschiedete er sich mit den Worten: 'Grüßen Sie Khanzad von mir. Leider kann ich nicht länger bleiben und ihr Guten Tag sagen.' Da mussten wir ein wenig schmunzeln. Natürlich wohnt hier keine Khanzad, aber diese Atmosphäre ist genau das, was wir wollen: Die Frauen, die hier her kommen, sollen das Gefühl haben, sie besuchen eine gute Freundin und keine Anstalt oder Klinik."

Ein Zentrum, in dem Frauen in persönlichen Krisensituationen Rat suchen und Hilfe finden können, ist für den Irak, selbst in der vergleichsweise liberalen kurdischen Gesellschaft, eine Novität. Das Zentrum wird offiziell erst im Dezember eröffnet, aber schon im September, kurz nachdem die ersten Räume eingerichtet waren, meldeten sich die ersten Frauen. "Wir beraten bereits sechs Frauen, provisorisch. Wir waren selbst überrascht, wie schnell sich das herum gesprochen hat, aber uns zeigt das, wie wichtig das Zentrum hier in Arbil ist", sagt eine andere Frau, die von Anbeginn bei der Planung des Zentrums dabei war. Sie ist Vorsitzende der Liga der turkmenischen Frauen in Arbil - eine der acht Arbiler Frauenorganisationen, die sich zusammengeschlossen haben, um das Zentrum gemeinsam zu leiten. Das Spektrum der im Komitee vertretenen Organisationen reicht von Islamischen Frauen bis zu Kommunistinnen von großen Organisationen wie der Gewerkschaft der kurdischen Frauen bis zu kleinen wie dem Konservativen Frauenverband. Das Komitee trifft sich wöchentlich. Hier werden die nächsten Schritte besprochen, und bis zur Eröffnung ist noch viel zu tun. Einige geeignete Sozialarbeiter müssen gefunden werden, die Räume des Zentrums sind noch nicht vollständig renoviert. Die Erfahrung der Komiteemitglieder in der Frauenarbeit ist dabei ein großer Vorteil, nicht nur bei der Planung: "Würden nicht so viele Frauenorganisationen mitarbeiten, könnten wir das Zentrum in Arbil sicherlich nicht betreiben. Es gibt nach wie vor viele Vorbehalte, besonders unter Männern, die sagen: Was soll so ein Zentrum für ein Nutzen haben?".

Immerhin: Das Sozialministerium in der von der Kurdisch Demokratischen Partei regierten Stadt unterstützt das Projekt, wenn auch nicht finanziell. Damit war eine wichtige Hürde genommen, denn Arbil ist eine konservative Stadt. Unübersehbar prägen die zahlreichen, in den letzten Jahren hoch gezogenen riesigen Moscheen das Stadtbild, finanziert mit Geldern aus Saudi Arabien - in der Nacht taghell erleuchtet, selbst in den ärmsten Stadtteilen. Und auch die islamischen Extremisten von Gruppen wie Ansar-al-Islam haben in Arbil in den letzten Jahren Zulauf bekommen und verbreiten mit Sprengstoffanschlägen, etwa auf Freizeitparks, Angst und Schrecken. Hinzu kommen die zum Dauerzustand gewordene Perspektivlosigkeit der Menschen in Arbil, die hohe Arbeitslosigkeit, die soziale Verelendung der Bevölkerung sowie die ständige Bedrohung durch das irakische Regime, das in nur knapp einer Autostunde entfernt seine ersten Vorposten stationiert hat.

"Frauen sind die ersten, die die Veränderungen in der Gesellschaft spüren", sagt eine Mitarbeiterin des Zentrums. Zwei der sechs Frauen, die sich bereits im Zentrum gemeldet haben, kamen wegen massiven Problemen in ihren Ehen. Körperliche Misshandlungen und psychische Gewalt, d.h. Verachtung und Schikanen seitens der Ehemänner und ihrer Familien, die Angst verstoßen zu werden, gaben sie als Gründe für ihr Kommen an. Aber über die Ursachen der Probleme diskutieren die Frauen viel, da gehen die Meinungen im Komitee zum Teil weit auseinander.


"Zum Teil kannten wir uns natürlich schon vorher, zumindest vom Sehen, aber viele Frauen haben sich über das Komitee erst kennen gelernt. Anfangs war das Misstrauen groß, aber das hat sich schnell gelegt Die Arbeit an einem gemeinsamen Projekt wie dem Frauenhaus hat die Zusammenarbeit beflügelt. Wir arbeiten auch zum Teil bereits gemeinsam an weiteren Projekten. Die Resolution gegen Gewalt gegen Frauen, die das kurdische Parlament im Juli verabschiedet hat, wurde von verschiedenen Frauenverbänden formuliert - kennen gelernt haben sich viele Frauen über das Frauenhausprojekt." Auch mit dem Komitee des ganz ähnlich konzipierten NAWA-Zentrums in Suleymania, das seit bald vier Jahren erfolgreich arbeitet, haben die Frauen Kontakt. Die Zusammenarbeit beschränkt sich nicht nur auf Erfahrungsaustausch, die Pläne gehen viel weiter. "Was uns vorschwebt, ist ein Frauennetzwerk, das in ganz Irakisch-Kurdistan arbeitet. Suleymania wird von der Patriotischen Union Kurdistans regiert, bei uns in Arbil ist die Kurdisch Demokratische Partei an der Macht. Die Frauenorganisationen in der Region Suleymania haben sich bereits erfolgreich zusammengesetzt und einiges erreicht. Sie haben die Ministerien dazu gebracht, frauenspezifische Themen ernst zu nehmen und die Probleme von Frauen in der Gesellschaft öffentlich gemacht. Das wollen wir auch schaffen, hier in Arbil. Das wird nicht leicht.", sagt eine weitere Frau, die im Komitee mit arbeitet, "ist aber machbar."

Das Frauenhaus liegt in der Innenstadt von Arbil, vom Stadtzentrum ist es zu Fuß in zehn Minuten zu erreichen. Das ist wichtig, denn viele Besuche geschehen spontan, es ist für viele Frauen nach wie vor eine enorme psychische Hürde, sich beim Zentrum zu melden. Von der Straßenseite erreicht man über den Hof zuerst einen Eingangsraum. Hier trifft sich das Komitee, er dient auch als Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter. Er ist bewusst als öffentlicher Raum konzipiert, jede Frau ist willkommen. Erst dahinter schließt sich der Bereich des Zentrums an, der den Hilfe suchenden Frauen vorbehalten ist und in dem sie eine vertrauliche Atmosphäre vorfinden. "Eine der Frauen, die wir zur Zeit betreuen, erzählte, dass sie eine halbe Stunde unschlüssig auf der anderen Straßenseite stand und sich nicht traute, zu uns zu kommen. Aber als sie dann andere Frauen wie selbstverständlich rein und raus gehen sah, fasste sie den Mut und kam." Das Zentrum hat fünf weitere Räume und eine Küche. Ein unterteilter Schlafraum bietet bis zu sieben Frauen Platz. Es gibt einen einfach ausgestatteten Aufenthaltsraum mit Sitzmöglichkeiten, Büchern, einem Fernseher und viel Kinderspielzeug. Ein heller Raum ist für Beratungen und Gespräche vorgesehen. Der hinterste Raum ist für Workshops und Kurse gedacht. Er steht allerdings noch leer - Möbel und Inventar fehlen. "So ein Zentrum kostet viel Geld. Wenn wir sinnvoll den Frauen helfen wollen, müssen wir das Zentrum auch adäquat ausstatten. Miete, Gehälter, Möbel, schon die Kücheneinrichtung... - alleine, ohne die Hilfe von WADI, könnten wir das nie aufbringen. Wir hoffen wirklich, dass die Unterstützung aus Deutschland weiter anhält, sonst stehen wir wieder vor dem Aus."


Anfang Dezember soll die Eröffnung sein, und das Komitee hat sich viel vorgenommen. Einzel-, Familien und Gruppengespräche wollen sie den Betroffenen bieten, dazu juristischen Beistand, psychologische Beratung, Workshops und Weiterbildungs- maßnahmen, selbst eine medizinische Erstversorgung ist vorgesehen. Eine Telefon-Hotline soll die einfache Kontaktaufnahme ermöglichen - in Arbil eine Pionierleistung ohne Vorbild. Mut macht ihnen aber das Beispiel des NAWA-Zentrums in Suleymania, 150 Kilometer entfernt. "Es kann nicht sein, dass Frauen den langen Weg von Arbil nach Suleymania auf sich nehmen, um Hilfe zu bekommen", sagt die Leiterin, "wir müssen ihnen helfen."

Martin Roddewig


Das Khanzad Home wurde mit der Unterstützung des Weltgebetstages der Frauen eingerichtet. WADI e. V. hat sich an allen Planungen maßgeblich beteiligt.
Es werden dringend Spenden für die laufenden Kosten des Projektes benötigt.

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UPDATE: Khanzad heisst heute NAWA Erbil. Das Zentrum wurde 2004 als erfolgreiches Projekt dem Ministerium für Soziales übergeben.


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