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2 Jahre Radio Dange Nwe

Die "Neue Stimme":
Das erste Community Radio im Irak

Dange Nwe, auf kurdisch „Neue Stimme“, so heißt der erste unabhängige Radiosender, der seit 2005 das Gebiet von Halabja auf neue Art und Weise unterhält und mit Informationen versorgt. Thematisch beschäftigt sich Dange Nwe vorwiegend mit den spezifischen Anliegen und Problemen von Frauen und Jugendlichen im traditionell geprägten Nordirak. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Frauenrechten soll gestärkt werden. Frauen erhalten ein öffentliches Forum, in dem sie über ihre Situation und Erfahrung berichten können. Das Programm wird durch Talkshows, Nachrichtensendungen, selbst produzierte Dokumentationen und Ratgebersendungen vielfältig gestaltet. Auch Unterhaltung hat seinen festen Platz: das tägliche Programm beinhaltet kurdische, englisch/internationale, arabische, türkische und persische Musik verschiedener Stilrichtungen sowie auch eine halbstündige Romanlesung.





 
WADI hat im Jahre 2005 maßgeblich zum Aufbau und Betrieb von Denge Nwe beigetragen. In einer Region, in der noch immer fast 50% der Frauen weder lesen noch schreiben können und Zeitungen teuer und schwer erhältlich sind, stellt Radio ein ideales Medium dar, um gerade in Transformationsprozessen die Demokratisierung von Unten zu fördern. Anders als in Afrika, wo Community Radios inzwischen eine Selbstverständlichkeit darstellen, sind staats- und parteiunabhängige Medien, die nur ihren Hörer/innen verpflichtet sind, im Nahen Osten ein Novum. Seit 2005 hat das Radio eine eigene Lizenz des Ministeriums für Kultur und sendet auf der Frequenz 88,6 FM. Es ist bis heute das einzige unabhängige Radio im Nordirak.

Homepage:
Radio Dange Nwe, Halabja

Report:
Demokratie fördern bis die Anlage Abkühlung braucht [pdf]
Clandenken, Chaos, Gewalt und religiöse Hetztiraden? Dagegen erhebt Radio «Dange Nwe» seine Stimme.

Report:
StattRadio über Die neue Stimme aus dem Irak

Network:
Dengue Nué at The Communication Initiative Network

Vorrangige Zielgruppen des Radios sind Frauen und Jugendliche. Daher liegt die programmatische Schwerpunktsetzung auf Themen, die diese Gruppen in besonderer Weise ansprechen.

Die wöchentliche Sendung „Homa“ behandelt Themen, die besonders Frauen betreffen - etwa der Kampf gegen Gewalt an Frauen, Gesundheitsfragen, Sexualität und Verhütung, oder der rechtliche Status von Frauen. „Awene New“ ist eine ebenfalls wöchentlich ausgestrahlte Jugendsendung, die speziell auf Wünsche und Bedürfnisse der jungen Hörer zugeschnitten ist: Themen sind u.a. Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Eintreten gegen bestimmte Vorurteile (die sich besonders in der Herrschaftszeit der Islamisten verbreiteten), Hintergrundinformationen zu Ausbildungsmöglichkeiten, Musik, Mode, internationale Trends und Austausch von Kultur sowie ein ansprechendes Unterhaltungsprogramm. Die Sendung „Click“ verfolgt dagegen ein etwas anderes Konzept: jede Woche ist ein(e) Jugendliche(r) zu Gast, der/die seine/ihre Probleme zur Diskussion stellt.

Eine andere wöchentliche Sendung greift verschiedene Themen rund um Zivilgesellschaft, Demokratie, Gleichberechtigung und Menschenrechte auf, eine weitere vermittelt generelle Informationen zu Gesetzen und individuellen Rechten. Zudem laufen spezielle Sendungen zu den Themen Politik, Bildung, Psychologie und natürlich Sport.


Besonders die Frauen sind in dieser ländlichen Region des Nordirak von Analphabetismus betroffen. Ein Radiosender bietet sich daher als Medium an, um möglichst viele Menschen mit Informationen zu versorgen. Durch ein Radio können mit einfachen Mitteln auch entlegene Regionen erreicht werden, was anderen Medien so nicht möglich ist. Ein Radio ist fast immer vorhanden, selbst in Gegenden ohne Stromanschluss. Die Frauen können zuhören, ohne das Haus verlassen zu müssen oder ihre Arbeit zu unterbrechen. Das Programm ist interaktiv ausgerichtet und ermutigt die Hörer/innen, anzurufen und das Programmgeschehen mit zu gestalten. Auf diese Weise wird Radio zu einem einfachen und effektiven Mittel, um zahlreiche Themen anzusprechen, die für Frauen in ihrem Streben nach Gleichberechtigung, einem besseren Leben und gleichberechtigter Teilhabe am öffentlichen Leben von Bedeutung sind.

Ein weiterer großer Vorteil des Community Radio Konzepts liegt in der regionalen Verankerung. Gerade in abgelegenen, ländlichen Gebieten ist die Bevölkerung wesentlich empfänglicher für ein Programm, das nicht aus der anonymen Weite des Landes, sondern aus dem ihnen bekannten, begrenzten Radius zu ihnen nach Haus kommt. Dies kann sich vermitteln über lokale Kultur, lokale Mundart oder die Thematisierung lokaler Spezifika, Probleme oder aktueller Ereignisse. Die Sendung „Haware Eshk“ etwa bietet ein Kulturprogramm speziell für die Hawraman-Region. Im „Dienstagsthema“ geht es immer um eine Frage, die gerade in der lokalen Bevölkerung besonders diskutiert wird. Und „Spezial“-Sendungen thematisieren jeweils ein für die Allgemeinheit besonders brennendes Thema, wie etwa Probleme in der Strom- oder Wasserversorgung. Und auch in der beliebten Kultursendung „Latanesht Male Shaeranawa“, in der Gedichte vorgetragen und diskutiert werden, spielt der regionale Bezug eine beträchtliche Rolle. Vom Team aus wird viel Wert auf die Rückverbindung zu den HörerInnen gelegt, wofür u.a. die Sendung „Wir und die HörerInnen“ eingerichtet wurde, in der das Programm und seine Inhalte live zur Diskussion stehen.

Das Programm sieht neben den Kultur- und Informationssendungen auch regelmäßig Live-Diskussionen mit lokalen Autoritäten und Funktionsträgern vor. Damit möchte das Radio zur Etablierung einer gelebten demokratischen Kultur beitragen und der traditionellen Obrigkeitshörigkeit entgegenwirken. Eine kurdische Zivilgesellschaft, getragen von mündigen BürgerInnen, die ihre Rechte kennen und für sie streiten, ist das gewiss noch in einiger Ferne stehende Ziel der RadiomacherInnen.



60% der Bevölkerung des Irak sind Jugendliche. Daher ist es zur Sicherung einer friedlichen Zukunft des Landes entscheidend, gerade bei ihnen das Verständnis für demokratische Institutionen und Vernetzung durch Eigeninitiative zu schaffen. Das Radio ermöglicht, dass Jugendliche für Jugendliche ein Programm erstellen können. Den daran teilnehmenden Jugendlichen wird dabei die Fähigkeit zu journalistischer Arbeit vermittelt.

Das Radioteam besteht zur Zeit aus fünf jungen Festangestellten - drei Frauen und zwei Männern. Keiner von ihnen hatte zuvor eine journalistische Ausbildung. Alle erwarben ihre Fähigkeiten im ersten Jahr - durch verschiedene Ausbildungskurse, Seminare und praktische Erfahrung.

Das Radio gehört der Belegschaft und wird demokratisch verwaltet. Der Vorstand, der alle wichtigen Entscheidungen über  Organisation und Programmgestaltung trifft, wird alle drei Monate neu gewählt.

Etwa 20 weitere Mitarbeiter/innen liefern einen Großteil der Programme. Allesamt Überlebende des Giftgasangriffes auf Halabja im Jahr 1988, teilen sie eine traumatische Vergangenheit von Tod und Vertreibung, Flucht und Exil, Rückkehr und Internierung in so genannte Collective Towns. Im Jahr 1988 wurde die Stadt Halabja mit Gas bombardiert, das mit Hilfe deutscher Firmen hergestellt worden war.

Die Freude über die Befreiung von Teilen des Nordiraks aus den Fängen der baathistischen Zentralregierung im Jahr 1991 konnten sie nur kurze Zeit genießen. Bald setzten sich islamistische Gruppierungen in der Region fest und installierten ein neuerliches Regime der Unterdrückung und des Terrors, das gerade Frauen ihre Rechte verweigerte, aber auch für Männer, die sich nicht konform verhielten, lebensbedrohliche Konsequenzen zur Folge hatte. Mit dem Jahr 2003 wendete sich jedoch das Blatt nochmals, die Islamisten wurden mit Hilfe der Amerikaner und kurdischen Peshmergas vertrieben. „Ich kann meine Gefühle darüber noch kaum in Worte fassen“, erzählt Shian vom Radioteam, „doch eines steht fest: in diesem Jahr hat sich alles in meinem Leben verändert.“ Im Jahr 2000 musste sie die Schule in der 5. Oberstufe verlassen, weil sie sich weigerte, ihr Haar zu bedecken. Die Islamisten dominierten die Schulen und drangsalierten Mädchen, die das Kopftuch verweigerten, oder dieses anders als „vorschriftgemäß“ trugen. „Trotz der Unterstützung meiner Eltern konnten weder ich noch meine Schwester einen Schulabschluss erreichen. Dabei waren wir immer Vorzugsschülerinnen gewesen.“ Niemand im Radioteam hat diesen Abschluss erreicht, die Gründe sind alle ähnlich: Armut, Flucht, Tod der Eltern, Krankheit, Druck der Islamisten. Auch darüber wollen sie in ihren Radiosendungen berichten.


Sie haben sich bei Dange Nwe beworben, als sie erfuhren, dass dies kein Parteisender ist, sondern ein unabhängiges Forum für Frauen und Jugendliche. „So etwas hat es hier tatsächlich noch nie gegeben“, meint Qeisar, der eine Sendereihe geplant hat, in der er philosophische Schriften vorstellt und über Sexualität und Gesundheit debattiert. Auch Qeisar hat nur 6 Jahre Schule hinter sich, doch während des Kriegs versuchte er immerzu, Bücher zu bekommen und sich weiterzubilden. Shohan ist 20 Jahre alt und will vor allem im technischen Bereich der Radiostation arbeiten. Einen Computerkurs konnte sie bereits im Halabja Women Center von Wadi absolvieren. Auch Galawesh musste die Schule auf Druck der Islamisten verlassen. Sie produziert Sendungen über kurdische Kunst und setzt sich mit der eigenen Geschichte auseinander. Hero interessieren Frauenrechte in der irakischen Gesellschaft: „Meine erste Sendung heißt „Die Freiheit beginnt im Kopf“ und ist an jene Frauen gerichtet, die die Fesseln unserer Gesellschaft überwinden möchten.“

Neben der täglichen Programmarbeit übernimmt das Radioteam auch andere notwendige Aufgaben im kulturellen Bereich; es übersetzt Filme ins Kurdische oder hilft beispielsweise jungen Dichtern bei der Veröffentlichung ihrer Gedichte. Radio Dange Nwe beteiligte sich auch an der aktuellen Kampagne von WADI gegen die in der Region weit verbreitete Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) und trug nicht unwesentlich zur Verbreitung eines diesbezüglichen Problembewusstseins in der Bevölkerung bei.


In verschiedenen Fällen unternahm das Team weiter gehende Anstrengungen, um in Not geratenen Menschen, die über Ratgebersendungen an das Radio herangetreten waren, zu helfen. Allein im Rahmen der Jugendsendung „Awene Nwe“ konnte 16 Personen, in allen Fällen Mädchen bzw. Frauen, weitere Hilfe vermittelt oder geboten werden. Sie hatten um Rat gebeten, weil sie sich schwer wiegenden Problemen, entweder in Ehe- und Scheidungsdingen oder in Verbindung mit Drogen, gegenübersahen. Manche sprachen davon, sich umbringen zu wollen, insbesondere durch Selbstverbrennung.

Lokale Vernetzung ist für solche Hilfsangebote unentbehrlich. Das Radioprojekt unterhält mittlerweile gute Kontakte zu diversen anderen vor Ort tätigen Nichtregierungsorganisationen und Behörden. Die Einbettung in ein Netzwerk erweitert den Aktionsradius und ermöglicht aufgrund der lokalen Verankerung ggf. gezieltere Problemlösungsstrategien.


Das Radio ist als „Alternativsender“ zum bestehenden Programmangebot gegründet worden. Doch obwohl – oder vielmehr: weil - sich mit der Programmgestaltung ein beträchtlicher diskursiver und letztlich emanzipativer Anspruch verbindet, ist Dange Nwe längst zum populärsten Sender der Region aufgestiegen! In einer Umfrage der PUK (Patriotische Union Kurdistans) in Halabja z.B. erklärten jüngst 500 von 750 Befragten, Dange Nwe sei das beste Radio in der Sharazor- und Halabja-Region. Etwa 30.000 Menschen hören täglich den Sender.

Trotz dieses Erfolges muss WADI noch immer 60% der Kosten des Radios tragen. Die Werbeeinnahmen sind angesichts der Einschaltquoten verhältnismäßig gering, da es neben Dange Nwe kaum selbst tragende, unabhängige Medien gibt und eine entsprechende Werbekultur nicht verankert ist.

Das Radio finanziert sich außerdem über Privatspenden sowie Zuwendungen von Geschäftsleuten, Nichtregierungsorganisationen und regierungsamtliche Stellen. Um aber weiterhin Unabhängigkeit gewährleisten zu können, sollte nicht mehr als 20% des Haushalts aus Regierungs- oder Parteitöpfen bestritten werden.


Im Radioteam werden die möglichen Konsequenzen diverser geplanter Radio-Features diskutiert. Baathisten und radikale Islamisten haben ihre Macht verloren, doch die Jahre ihrer Terrorherrschaft haben Spuren in der Gesellschaft hinterlassen. „Wir müssen vorsichtig vorgehen, sonst werden die konservativen Kräfte Dange Nwe abdrehen“ – meint der eine – „Nein, wir müssen offensiv vorangehen, wir dürfen keine Angst haben, denn wir leben heute in einem freien Land!“ – kontert die andere. Die repressiven Strukturen einer stark patriarchal geprägten, konservativen und über lange Zeit hinweg auch isolierten Gesellschaft sind allgegenwärtig, doch die engagierten Mitarbeiter/innen von Radio Dange Nwe haben beschlossen, gemeinsam durch den Äther dagegen anzukämpfen. Schon die schiere Existenz des Radios wirkt in einer durch Partei- und Clanloyalitäten strukturierten Gesellschaft als inspirierendes Exempel für Demokratie und Freiheit.

Die Einrichtung von Radio Dange Nwe wurde ermöglicht von ACDI-VOCA, Radio Gladya Palmera und WADI. Aber die laufenden monatlichen Kosten müssen weiter gedeckt werden. Zwar versucht das Radio sich auch durch – im Nordirak neue – Konzepte von Sponsoring und Werbung zu tragen; bis es allerdings finanziell auf eigenen Beinen stehen kann, werden noch Jahre vergehen.  Daher ist dieses Projekt besonders auf Ihre Privatspende angewiesen!

Dieses Projekt gezielt mit Ihrer Spende unterstützen: Stichwort „Neue Stimme“

WADI e.V. | tel.: (+49) 069-57002440 | fax (+49) 069-57002444
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