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Drei Männer sprechen über FGM

 

I. „Das größte Problem besteht darin, dass Männer FGM vertuschen und Mullahs FGM predigen“

Khula Piza (Name von der Redaktion geändert) wurde in der ländlichen Region Garmyan geboren und arbeitete dort als Lehrer. Heute arbeitet er für verschiedene NGOs in Irakisch-Kurdistan und ist ein entschiedener Gegner von FGM.

WADI: Allgemein wird FGM in Irakisch-Kurdistan als Frauensache betrachtet, die von Männern bis zu ihrer eigene Hochzeit weitgehend ignoriert wird. Die meisten Männer leugnen die Existenz von FGM in Irakisch-Kurdistan oder behaupten, nichts davon zu wissen. Wann haben Sie zum ersten mal von FGM in Irakisch-Kurdistan gehört?

Khula Piza: Als ich 13 Jahre alt war, nahm ich bei einem älteren Freund in Kifri während der Sommerferien Nachhilfeunterricht. Dieser hatte nicht wirklich Lust dazu, und so saß ich regelmäßig nachmittags alleine bei ihm in einem Zimmer, und musste die Matheaufgaben, die er mir gab, abarbeiten. An einem Nachmittag im Sommer sah ich durch die offene Tür einige Mädchen zur Mutter des Freundes kommen. Sie kamen ohne Begleitung und scheinbar aus freien Stücken zu der alten Frau und gingen mit dieser in den Nebenraum. Während ich meine Matheaufgaben durchrechnete, hörte ich von neben an furchtbare Schmerzensschreie. Es war unerträglich. Ich traute mich nicht, in das andere Zimmer zu gehen. Kurz darauf sah ich, wie die Mädchen das Zimmer humpelnd verließen und nach Hause gingen. Einige von ihnen konnten kaum vorwärts gehen und vermieden mit schmerzverzehrtem Gesicht sichtbar möglichst jede Bewegung.

Als sie fort waren, ging ich in das Nebenzimmer. Tamina, so war der Name der alten Frau, saß auf dem Boden und blutige Fleischfetzen bedeckten den Boden über das ganze Zimmer verteilt. Ich fragte sie: „ Was ist passiert?“ Tamina antwortete mit einer dumpfen Stimme, als ob es das selbstverständlichste der Welt wäre: „ Ich habe sie beschnitten.“

Ich fragte sie, warum sie das getan habe. Tamina sagte: „ Das muss getan werden. Der Islam sagt, dass alle Mädchen gereinigt werden müssen.“

WADI: Wie haben Sie damals darauf reagiert? Erschien Ihnen FGM als etwas Normales?

K.P.: Nein, es erschien mir als etwas Unmenschliches. Ich war geschockt. Ich muss ergänzen, dass ich damals bereits wusste, was weibliche Genitalverstümmelung ist, aber ich hatte nicht damit gerechnet, direkter Zeuge in meiner eigenen Stadt zu werden. Ich las damals eine arabische Zeitschrift, in der es eine Seite gab, auf der Frauenärzte Fragen zu Sexualität und Gesundheit beantworteten. Dort hatte ich von FGM in Ägypten erfahren und wusste, was dies bedeutete.

WADI: Haben Sie dennoch geschwiegen?

K.P.: Nein, ich versuchte, Tamina umzustimmen. Aber FGM ist ein Tabuthema, und so stand ich mit meiner Meinung ziemlich allein in der Landschaft. Ich bin überzeugter FGM-Gegner und diskutiere heute heftig über dieses Thema mit meinen Bekannten.

WADI: Es ist ein Tabuthema, aber denken Sie, dass dies bedeutet, dass die männliche Bevölkerung nichts davon weiß?

K.P.: Nein, sie wissen es und sie vertuschen es. Genau hier liegt das Problem.

Das hängt nicht nur damit zusammen, dass man in unserer Gesellschaft nicht über Sexualität und Körperlichkeit redet, sondern mit dem gesamten Frauenbild in der kurdischen Gesellschaft. Die Männer sind meiner Meinung nach nicht bereit, sich auf die weiblichen Gefühle einzulassen, nicht einmal sie zu respektieren. Sex wird in unserer Gesellschaft als ein degradierender, schamvoller Akt für die Frauen verstanden. Eine Frau, die ihrem Mann Erregung zeigt, wird als schmutzige, verachtenswerte Frau betrachtet, die damit Schande über ihre Familie bringt. Für den Mann hingegen ist Sex eine ehrenvolle, natürliche, eben männliche Angelegenheit. Liebe bedeutet in der kurdischen Wertevorstellung etwas, was ein Mann gegenüber Gott, dem Propheten Mohammad, seinen Eltern und seiner Heimat Kurdistan gegenüber empfinden kann. Nicht gegenüber seiner Ehefrau. Damit wird der Begriff Liebe gegenüber Ehepartnern auf Sex reduziert. Und dieser hat, - trotz allen Gerüchten- einen sehr hohen Stellenwert in der kurdischen Gesellschaft. Er determiniert das Schicksal eines Mädchens: Ist das Mädchen bei ihrer Hochzeit nicht Jungfrau, bedeutet dies sofortige Scheidung oder Tod. Deshalb ist Heirat in Kurdistan keine Liebesangelegenheit, ich würde sagen: es ist eigentlich nur Stress. Das gleiche gilt für die Ehe. Hier heiratet man nicht aus Liebe, man heiratet für seine Familie, für die Anderen. Das Ganze ist als eine Art reproduktives Zweckbündnis zu betrachten. Auf dem Land ist es üblich, dass Ehepartner in getrennten Betten schlafen. Die Ehefrau wird bei Bedarf von ihrem Mann herbeigerufen, oder nicht selten herbei gepfiffen.

WADI: Und dies erklärt auch die Haltung der männlichen Bevölkerung gegenüber FGM?

K.P.: Ja, natürlich. Die männliche Bevölkerung deckt und vertuscht FGM, weil sie auf diese Art und Weise die Sexualität ihrer Frauen kontrollieren können. Für die Männer zählt nur ihr eigenes Vergnügen. Im Übrigen muss ich betonen, dass sich auch die Ärzte mit FGM arrangieren. Aus Scham wird nur selten ein verblutendes Mädchen nach ihrer Beschneidung ins Krankenhaus gebracht. Aber wenn dies der Fall ist, und das habe ich mit eigenen Augen gesehen, dann wird dieses Mädchen still schweigende genauso behandelt, wie jemand, der sich das Bein gebrochen hat oder einen Autounfall hatte.

WADI: Und die Frauen arrangieren sich damit?

K.P.: Ja, es handelt sich hier um ein Arrangement der Geschlechter. Oft sind es gerade die Frauen, die FGM verteidigen und selbst ihre eigenen Töchter oder weiblichen Verwandten als haram beschimpfen und verstoßen. Die Frauen haben sich jahrzehntelang perfekt mit ihrer Situation arrangiert. Dies zeigt auch die Tatsache, dass es die Frauen selbst sind, die FGM direkt veranlassen und durchführen. Frauen denken gemäß der Tradition, dass sie ihren Männern blind folgen müssen. Erst seit jüngster Vergangenheit gibt es Frauenbewegungen, die sich dagegen wehren. Und genau hier muss die Arbeit gegen FGM ansetzen. Man muss Frauen aufklären und sie ermutigen, sich zu wehren und für ihre Rechte einzusetzen. Gerade deshalb unterstütze ich Kampagnen gegen FGM und ich hoffe, dass in Zukunft noch mehr Menschen aus meiner Gesellschaft sich ein Herz fassen, über FGM zu sprechen und dazu beizutragen, dieser barbarischen Sitte in unserer Gesellschaft ein Ende zu setzen.

WADI: Denken Sie, dass Männer deshalb auch in eine Kampagne gegen FGM einbezogen werden sollten?

K.P.: Ja. Man kann die Tradition auch positiv nutzen. Wenn ein Mann seiner Ehefrau verbietet, seine Töchter zu verstümmeln, wird sie es nicht tun. Doch ein weiteres Problem sind die Mullahs. Auf dem Land sind viele Leute nie zur Schule gegangen. Sie glauben alles, was der Mullah ihnen erzählt. Und viele Mullahs verteidigen oder predigen FGM. Aber auch in den Städten hat der Islam in dieser Beziehung einen ungemeinen Einfluss. FGM wird meistens unter Berufung auf den Islam praktiziert. Man muss den Frauen sagen, dass der Islam auch sagt „ Du sollst nicht zerstören, was Gott geschaffen hat“, ihnen religiöse Texte als Beweise bringen, ihnen die gesundheitlichen und psychischen Folgen erklären. Dann werden die Menschen verstehen. Sowohl die Frauen als auch die Männern. FGM geht sowohl unsere Frauen als auch unsere Männer etwas an, und das nicht nur, weil beide dafür verantwortlich sind, dass es diese Praktik bei uns immer noch gibt. Deshalb bin ich dafür, dass sowohl Frauen als auch Männer durch Kampagnen dazu aufgefordert werden, sich kritisch mit FGM zu befassen.

WADI: Heißt das, dass ausschließlich muslimische Mädchen von FGM betroffen sind? Unsere bisherigen Untersuchungen bestätigen dies nicht.

K.P.: Nein, FGM wird auch unter Yezidi und Kakey praktiziert. Es würde mich nicht wunderen, wenn dies auch bei Christen und Juden der Fall wäre.

WADI: Mit welcher Begründung praktizieren diese Gruppen FGM?

K.P.: Sehr häufig wissen die betroffenen Frauen gar nicht, warum sie dies tun. Sie tun es aus Tradition und Unwissen. Indirekt hängt dies aber auch mit dem Islam zusammen. Unsere ganze Gesellschaft ist sehr islamische geprägt. Kakey und Yezidi haben Jahrhunderte lang mit Muslimen zusammen gelebt und sich assimiliert. Viele Sitten sind einfach übernommen worden.

Aus diesem Grund ist Aufklärung und Information so wichtig. Die Frauen müssen erfahren, dass keine Religion FGM vorschreibt und dass sie ihre körperliche und psychische Integrität extrem gefährden. Da das Problem aber eigentlich bei den Männern anfängt, sollten diese auch mit einbezogen werden.

 

II. „Wir haben zu lange geschwiegen“

Dana (Name von der Reaktion geändert) wurde in der nordirakischen Stadt Halabja geboren, die 1988 Opfer eines Giftgasangriffes der irakischen Zentralregierung wurde, der mehreren Tausend Menschen das Leben kostete und das der Überlebenden bis heute verseucht. Dana stammt aus der Religionsgemeinschaft der Kakey, die eine große Anzahl von Mitgliedern in der islamisch dominierten Stadt Halabja haben. Die Anhänger dieser vorislamischen Religion glauben an Reinkarnation, verhalten sich aus politischen und traditionellen Gründen jedoch nach außen häufig wie Muslime. WADIs Nachforschungen ergaben, dass FGM auch unter Kakeys weit verbreitet ist.

WADI: Wann haben Sie zum ersten Mal von FGM gehört?

Dana: In der Grundschule.

WADI: Hielten Sie FGM damals für etwas Gewöhnliches?

D.: Ja, ich hielt FGM für völlig normal. Ich wusste, dass man Jungen beschneidet und ich dachte, es ist für Mädchen dasselbe. Ich hätte FGM nie in Frage gestellt, da ich wusste, dass Beschneidung für Jungen ein religiöses Muss ist. Außerdem glaubte ich, dass dies auf der ganzen Welt praktiziert wird. Eigentlich wusste ich aber nichts genaues, weder über die Begründung noch über die Folgen. Allerdings taten die Mädchen genauso Leid wie die Jungs leid, denn ich verband den Gedanken mit Schmerzen.

WADI: Haben Sie damals mit anderen Jungen oder Männern Über FGM gesprochen?

D.: Nein, natürlich nicht. FGM ist ein Tabuthema.

WADI: Wie sind Sie zum überzeugten Anti-FGM-Aktivisten geworden?

D.: WADIs Projekte gegen FGM haben mit die Augen geöffnet und mir wurde klar, dass FGM nicht auf der ganzen Welt praktiziert wird und das es keinen einzigen Grund gibt, der diese frauenverachtende Praktik rechtfertigt. Ich las daraufhin das Buch der arabischen Schriftstellerin N. Sadawi und war geschockt. Ich beschloss, mich gegen FGM einzusetzen.

WADI: Welche Faktoren halten FGM in Irakisch-Kurdistan aufrecht?

D.: Auch wenn der Islam eine zentrale Rolle spielt, denke ich, dass es vor allem kulturelle Faktoren sind, die FGM aufrechterhalten. Das zeigt sich zum Beispiel auch darin, dass auch nicht-muslimische Frauen in Irakisch-Kurdistan FGM praktizieren. Ich kann bezeugen, dass FGM unter Kakeys weit verbreitet ist. Ich wusste jahrelang selbst nicht, dass alle Frauen meiner Familie davon betroffen sind.

WADI: Warum praktizieren diese Frauen FGM?

D.: Sie tun es aus Tradition. Es ist eine Normalität. Viele Familien denken bereits bei der Geburt ihrer Tochter an deren Hochzeit. Um sie verheiraten zu können, wollen sie sozusagen die soziale Norm erfüllen. Viele Kakey-Frauen sagen, die Klitoris sei haram . Dieses Wort gibt es in unserer Religion eigentlich gar nicht. Doch den Frauen ist nicht bewusst, dass es sich hierbei um eine Übernahme aus dem Islam handelt, die ein integraler Bestandteil unserer Kultur geworden ist und die durch traditionelle Erziehung von Generation zu Generation weitergegeben wird.

WADI: Wie kann diese Tradition gestoppt werden?

D.: Ich denke, FGM kann nur durch Bildungs- und Aufklärungskampagnen gestoppt werden. Nachdem erste Kampagnen dafür gesorgt haben, dass FGM in der community thematisiert wird, ist es auch vielen Männern peinlich, dass es so etwas bei uns noch gibt. Ich denke aber, der kurdische Nordirak sollte nicht vor dem Problem, das wir nun einmal haben, fliehen, sondern dagegen offen ankämpfen. Wir könnten somit zu einem demokratischen Modell für andere Religionen des Nahen Osten, wie zum Beispiel Syrien, Libanon, Südirak und Iran werden, wo FGM ebenfalls weit verbreitet ist.

 

III. „Wir sollten gemeinsam gegen FGM kämpfen“

Hiwar (Name von der Reaktion geändert) wurde in Suleymaniah geboren und engagiert sich seit Jahren für Menschenrechte und Demokratisierung. Als überzeugter FGM-Gegner engagiert er sich in Kampagnen gegen FGM.

WADI: Wann haben Sie zum ersten Mal von FGM gehört?

H.: In der Grundschule. Damals dachte ich, dass FGM für Mädchen das gleiche bedeutet wie für Jungen. Ich hielt FGM aber keinesfalls für normal, sondern für eine inhumane Sache.

Dies wurde mir besonders bewusst, als ich vor 3 Jahren miterlebte, wie meine Mutter meine Schwester vor deren Hochzeit beschneiden lies. Ich erfuhr dies erst im Nachhinein und war schockiert. Doch ich kann nicht mit meiner Mutter darüber reden. Außerdem werden nun alle glücklich sein, denn sie denken, meine Schwester sei eine saubere Frau.

WADI: Heißt das, das die männliche Bevölkerung im Allgemeinen weiß, dass FGM praktiziert wird?

H.: Ja. Allerdings hängt es von der Familie ab. Man weiß, dass es FGM in Kurdistan gibt, man hört auch, wenn über die Beschneidung der Nachbarstochter oder der Klassenkameradin gesprochen wird, aber man weiß nicht immer, dass es in der eigenen Familie praktiziert wird.

WADI: Das heißt, man weiß es eigentlich schon und könnte es auch herausfinden?

H.: Ja, eigentlich schon. Vielleicht will man es manchmal einfach nicht wissen.

WADI: Würden Sie bestätigen, dass Männer FGM mittragen?

H.: Ja. Sie decken FGM.

WADI: Wer entscheidet in der Familie über FGM?

H.: Eigentlich die Mutter. Doch wenn der Vater dagegen ist, wird das Mädchen nicht verstümmelt. Allerdings wird sich nur ein aufgeklärter, gebildeter Vater gegen FGM einsetzen. Ansonsten müsste man wirklich mit dem Mullah und einer Fatwa kommen.

Aus diesem Grund halte ich es für wichtig, auch Männer in FGM-Kampagnen einzubeziehen?

WADI: Wie könnte dieser Einbezug aussehen?

H.: Meine bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass Männer sehr interessiert und positiv auf Aufklärungskampagne reagieren. Ich denke, es wäre nur von Vorteil, wenn künftig die männliche Bevölkerung durch frauengeführte Teams über FGM aufgeklärt wird. Dies würde die Stärkung der Frauenrechte im doppelten Sinne fördern.

Suleymaniah / Kifri September 2006


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