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Kritisches Trierer Jahrbuch 12/02

Keine Solidarität mit Saddam Hussein!

„Es ist das Wahrwerden des Traumes von Saddams Regime, dass sich europäische Friedensbewegte seine ureigenen Forderungen auf ihre Fahnen schreiben.“
Offener Brief verschiedener irakischer Gruppen, 2001 (1)

Der 26. Oktober 2002 war internationaler Aktionstag gegen einen drohenden militärischen Angriff auf den Irak, einen US-geführten Krieg, der beim Erscheinen dieses Jahrbuchs schon in Gang sein könnte. Hauptkundgebungsort der hiesigen Region war die US-Airbase Spangdahlem, vor der sich etwa 150 Aktivisten versammelt hatten. Notwendig wäre Widerstand gegen einen Krieg nicht zuletzt, weil er unabsehbares Leid über die irakische Bevölkerung bringen würde, um dieser statt des jetzigen Regimes eine andere, US-Herrschaftsinteressen besser dienliche Unterdrückerclique vorzusetzen, wie auch immer diese aussehen mag. Nichtsdestoweniger ist die Beseitigung der Baath-Diktatur, deren seit 1968 andauernder Terror gegen die Bevölkerung in der neuesten Geschichte nur einen Vergleich mit dem des Pol Pot-Regimes findet, dringend erforderlich. Ablehnung des Baath-Regimes kam in Spangdahlem jedoch lediglich im Redebeitrag Markus Pflügers von der „Arbeitsgemeinschaft Frieden“ und in einem Flugblatt der „Kampagne gegen Antisemitismus, Nationalismus und Krieg“ zum Ausdruck. Abgesehen von solchen Randerscheinungen machte das Schweigen zu den Verbrechen des Regimes und die in den übrigen Reden bekundete ausschließliche Feindschaft gegen die USA und ihre Verbündeten die Veranstaltung de facto zu einem Solidaritätsakt für Saddam Hussein, der sicher weiß, warum er Aktivisten dieser Art von Friedensbewegung in der Vergangenheit als „edle Seelen“ lobte. Aus dem Kreis der Teilnehmer gab es sogar unverblümte Sympathie für das Regime. Dabei war die Aktion in Spangdahlem noch einer der harmloseren Aufmärsche dieser Art in Deutschland. Auf der Berliner Demonstration am gleichen Tag hielt beispielsweise die Irakerin Nadia Jasim eine flammende, unverhohlen völkisch-antisemitische Rede, in der sie das Baath-Regime verteidigte. (2)

Ein Lichtblick angesichts solcher Ignoranz oder gar Apologetik gegenüber der irakischen Baath-Diktatur ist das Erscheinen eines Buches Anfang Oktober, das den wirklichen Charakter des Regimes und seiner Kumpane schonungslos enthüllt. In dem von Thomas von der Osten-Sacken und Arras Fatah herausgegebenen Sammelband „Saddam Husseins letztes Gefecht?“ beleuchten mehrere Autoren die Baath-Herrschaft unter verschiedenen Aspekten. Ihre historische Entwicklung wird ebenso behandelt wie ihre ideologischen Grundlagen und terroristische Praxis, den umfangreichsten Schwerpunkt bildet der internationale Kontext.

Das Geleitwort schrieb der prominente irakische Oppositionelle Kanan Makiya, der - zunächst unter dem Pseudonym Samir al-Khalil - das Buch „Republic of Fear“ und weitere Standardwerke über den Irak verfasste.

*Was nicht passt, wird passend gemacht

Während eine 1908 beginnende Chronologie der Geschichte und Vorgeschichte des Irak im Anhang des Buches nachgelesen werden kann, markieren Aufsätze zur jüngeren Geschichte des Staates, insbesondere der Baath-Diktatur, dessen ersten Schwerpunkt. Der Historiker Peter Sluglett gibt einen kurzen Abriss der Entwicklung bis zur Jetztzeit. Arras Fatah und Thomas Uwer analysieren in den folgenden Aufsätzen Geschichte und Funktion des irakischen Baathismus. (3) Dieser entspringt einer Synthese aus irakischem Patriotismus, panarabischem Nationalismus und Islam, wobei auch der deutsche Nationalsozialismus Pate stand, mit dem die Baathisten von Anfang an offen sympathisierten. (4) „Baath“ bedeutet „Auferstehung“ und bezieht sich auf die Wiedergeburt der „arabischen Nation“. In der Ideologie der Partei werden irakischer und arabischer Nationalismus insofern deckungsgleich, als der Irak zur urzeitlichen Wiege einer früher angeblich existierenden arabischen Einheit halluziniert wird, die von Feinden zerstört wurde und die wiederherzustellen die Baath-Partei angetreten ist, welche sich als Repräsentantin dieser arabischen Nation versteht. Um die Existenz dieser alten arabischen Kultur zu „beweisen“, erhielten irakische Historiker und Archäologen den Auftrag, die Geschichte umzuschreiben. Aus der nicht nur ethnisch und konfessionell zerrissenen irakischen Gesellschaft muss ein „arabisches Volk“ erst geformt werden durch eine Partei, die von sunnitischen Arabern beherrscht ist und sich einer schiitisch-arabischen Bevölkerungsmehrheit sowie einer großen kurdischen Minderheit und anderen Ethnien gegenübersieht. Wer sich dem Nationbildungsprojekt widersetzt oder dort nicht hineinpasst, gilt als Feind der arabischen Nation und wird mit äußerster Grausamkeit verfolgt, vernichtet oder vertrieben. Schiiten oder Angehörige konfessioneller und ethnischer Minderheiten wie der Kurden, die sich diesem Projekt unterordnen, können dabei durchaus in führende Positionen der Partei und des Staates gelangen. Erinnert sei daran, dass Vizepräsident Aziz Christ ist.

Auf die sozialistische und antikolonialistische Rhetorik des Regimes geht vor allem Thomas Uwer ein. Er verweist darauf, wie sich schon der Baath-Pionier Michel Àflaq ausdrücklich vom Marxismus distanzierte und den „arabischen Sozialismus“ im Sinne eines rückwärtsgerichteten Ideals vom „Sozialismus der edlen Seelen“ verstand. Trotz vorübergehenden Bündnisses mit der einst sehr starken Irakischen Kommunistischen Partei wurden deren Strukturen fast völlig zerschlagen, ein Großteil ihrer Mitglieder ermordet. Antiimperialistische Propaganda und Bündnisse mit imperialistischen Mächten gingen beim Regime seit jeher Hand in Hand.

*Und willst du nicht mein Bruder sein...

Die praktische Umsetzung dieser Programmatik wird anschaulich und schockierend im zweiten Schwerpunkt des Bandes dargestellt. Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer geben einen Überblick, schildern die Vernichtungsfeldzüge der Diktatur gegen alle Feinde, echte wie potentielle und vermeintliche, innere wie äußere. Die Bevölkerung wird in permanenter Angst gehalten, Abweichler grausamsten Strafen ausgesetzt, einschließlich öffentlich vollzogener Verstümmelungen und Hinrichtungen. Dazu gehört auch ein alle Sphären der Gesellschaft durchziehendes, dichtes Spitzelsystem.

Khaled Salih beschreibt die sogenannte Anfal-Kampagne, in welcher der Vernichtungskrieg der Baathisten gegen die Kurden seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Zwar hatte das Regime der kurdischen Region 1970 eine vorübergehende Teilautonomie zugestanden, die Kurden aber dennoch von Anfang an gewaltsam bekämpft, wobei Massaker, Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen die Standardmethoden ausmachten. „Anfal“ ist der Name einer die „Ungläubigen“ betreffenden Koran-Sure und wurde zum Codenamen einer Serie von Militäraktionen, die 1988, im letzten Jahr des achtjährigen Irak-Iran-Krieges und in dessen Schatten gegen die mit dieser Bezeichnung also als „ungläubig“ gebrandmarkte kurdische Bevölkerung durchgeführt wurden. Man zerstörte tausende Dörfer. Wie schon im Krieg gegen den Iran und auch bereits im Jahr zuvor gegen Kurden setzte das Militär Giftgas ein, Know-how und Equipment dazu hatten deutsche Firmen bereitgestellt (siehe unten). Die überlebende Landbevölkerung wurde zusammengetrieben und deportiert, Männer und männliche Jugendliche ausselektiert und von Erschießungskommandos ermordet. Die Funktion der Anfal-Kampagne für die Sicherung und Perfektionierung der Baath-Herrschaft wie für die Ausschaltung aller Reste von Selbstbewusstsein und Widerstandswillen der Kurden analysiert der Kurde Bachtyar Mohamed, sich dabei manchmal in gewagte Psychologisierungen versteigend.

Nach dem Vorbild der Anfal-Kampagne ging das Regime ab 1991 gegen die schiitische Bevölkerung des Südirak vor. Dort war es, wie auch in den kurdischen Landesteilen, in der Folge des zweiten Golfkrieges zu Massenaufständen gekommen, geplant war die Terroraktion gegen die Schiiten allerdings schon lange vorher. Thomas von der Osten-Sacken zeichnet ihren Verlauf nach, dazu zählte außer erneuten Massenmorden vor allem die Trockenlegung der Marschgebiete des Südirak, womit den Bewohnern ihre Lebensgrundlage entzogen und zugleich ein Rückzugsgebiet für Widerstandskämpfer zerstört wurde.

*Pack schlägt sich, Pack verträgt sich: Das internationale Wechselspiel

Isam al-Khafaji beschreibt die politische und vor allem ökonomische Situation des Irak im regionalen Zusammenhang. Er entlarvt die Behauptung, der Irak sei in der Zeit vor den Sanktionen ein blühendes Land mit einem vorbildlichen Bildungs- und Gesundheitssystem gewesen, als Mythos. Die Sanktionen seien nicht alleine für das Elend der Bevölkerung verantwortlich, hätten dieses aber drastisch verschärft und die Machtposition des Regimes gestärkt.

Die Gefahr, der Irak könne in einen sunnitischen, schiitischen und kurdischen Staat auseinanderfallen, hält al-Khafaji für geringer, als oft beschworen. Die israelische Wissenschaftlerin Ofra Bengio, die sich mit der Lage der Kurden im Nordirak seit dem letzten Golfkrieg befasst, teilt seine Auffassung zwar bezüglich der Schiiten, hält aber eine Reintegration der Kurden in den Irak für unwahrscheinlich und bestenfalls eine föderative Lösung für möglich. Der prekären Lage der Kurden im Nordirak widmen sich auch noch einmal Uwer und von der Osten-Sacken, einer Lage, die von der Verwaltung des - durch einen leichten wirtschaftlichen Aufschwung abgemilderten - Elends im Rahmen einer offiziell nicht anerkannten Autonomie gekennzeichnet ist. Deutschland und andere europäische Staaten nutzen diese Situation, um den Nordirak als „interne Fluchtalternative“ zu definieren, wohin sie irakische Asylbewerber abschieben können ungeachtet der fortbestehenden Bedrohung der Region durch die Diktatur.

Dem Verhältnis der USA und Europas zum Irak geht Jörn Schulz nach. Gute Beziehungen zum Westen knüpfte der Irak noch während seiner Kooperation mit der Sowjetunion, insbesondere zu Frankreich entwickelten sich freundschaftliche Beziehungen. Frankreich rüstete das Regime auf, deutsche Rüstungskonzerne mischten kräftig mit. Im Krieg gegen den Iran umwarben ihn auch die USA. Nach der Annexion Kuwaits wurde der Irak für den Westen zum Feind. Dass es aber den USA und ihren Alliierten nicht um Befreiung ging, zeigte sich deutlich nach dem zweiten Golfkrieg, als in einem landesweiten Aufstand der größte Teil des Irak vorübergehend in die Hand der Revolutionäre geriet, sie diesen aber jegliche Unterstützung verweigerten und damit dem Regime einen erfolgreichen, äußerst blutigen Gegenschlag ermöglichten.

Trotz Embargos gelangen dem Irak in der Folge Importe von Rüstungsgütern. Legale wie illegale Handelsbeziehungen einer Reihe von Staaten zu diesem haben in den letzten Jahren zugenommen, die Sanktionen sind nach und nach erheblich gelockert worden, beziehen sich im wesentlichen nur noch auf zu Rüstungszwecken verwendbare Waren. Im Gegensatz zu den ersten Jahren der Sanktionen sieht Schulz daher heute das Regime als Hauptverantwortlichen für die Not der Bevölkerung. Zur Förderung antisemitischen Terrors reichen seine Ressourcen allemal, den Angehörigen palästinensischer Selbstmordattentäter werden 25000 US-Dollar gezahlt.

Die USA, mittlerweile statt auf Sanktionen wieder auf einen Krieg setzend, suchen Bündnisse mit unterschiedlichen Gruppierungen der irakischen Opposition, die Vorlieben der einzelnen Abteilungen des Herrschaftsapparats stimmen da keineswegs überein. Teile der Opposition, darunter die Irakische Kommunistische Partei, wenden sich jedoch gegen einen gemeinsamen Kampf mit den USA.

Die fürchterliche Rolle deutscher Firmen bei der Aufrüstung des Irak, insbesondere - aber nicht nur - mit C-Waffen ruft Hans Branscheidt von der Hilfsorganisation „medico international“ wieder ins Gedächtnis. Gedeckt von höchsten Regierungsstellen konnten die Todesgeschäfte - teilweise unter Mitwirkung des BND - abgewickelt werden. Jürgen Möllemann half dann später als Wirtschaftsminister, die Angelegenheit herunterzuspielen und zu vertuschen. Die angeklagten Lieferanten wurden, wie Branscheidt schreibt, „entweder freigesprochen oder wegen eines simplen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz verurteilt.“

Die von mir zu Anfang angesprochene unrühmliche Rolle der Friedensbewegung nimmt sich Andrea Woeldike in ihrem den Band abschließenden Aufsatz vor. Teile der Friedensbewegung, insbesondere deutsche Aktivisten gegen das Embargo, solidarisieren sich mehr oder weniger offen mit der irakischen Regierung und steigen dabei ohne alle Skrupel mit Neonazis ins gleiche Boot. Auf Zusammenarbeit mit ebenfalls gegen das Embargo kämpfenden irakischen Oppositionellen legen sie hingegen keinen Wert. Diese, wie Salam Ali von der Irakischen KP, werfen ihnen vor, sich zu Propagandisten der Diktatur zu machen. (5) Bei ihren - man muss schon sagen: ehemaligen - Schwesterparteien stoßen die irakischen Kommunisten auf keine Gegenliebe mehr. Diese haben Saddam Hussein ihre „totale Solidarität“ erklärt, Solidarität mit den irakischen Genossen hingegen bekunden nur ein paar Parteien aus dem Nahen Osten. (6)

Eine große Verbreitung des Buches könnte der öffentlichen Blindheit gegenüber der irakischen Tragödie entgegenwirken und echter Solidarität mit den Irakern, und das heißt in erster Linie: Unterstützung des Widerstands gegen das Terrorregime, den Weg bereiten helfen. Das wäre auch ein kleiner Beitrag zu einer Alternative für diejenigen, die in ihrer Isolation und Verzweiflung auf's falsche Pferd, die US-Army, setzen.

Klaus Blees


Anmerkungen:

(1) vollständig unter: http://www.wadinet.de/News/nw71_offenerbrief.htm

(2) veröffentlicht in junge Welt, 28.10.02, S. 3

(3) Eine andere Spielart des Baathismus ist in Syrien Staatsideologie.

(4) Die historischen Ursprünge dieser innigen Beziehung und ihre im gemeinsamen Judenhass liegende Hauptmotivation beschreibt Thomas Uwer ausführlich in seinem in konkret, Heft 10, Oktober 2002 erschienenen Artikel „Besonders deutsch“.

(5) im Interview mit Thomas Uwer, Jungle World Nr.21/2001

(6) Thomas Uwer, „Vom Irrtum zur Farce“, konkret, Heft 11, November 2002


Thomas von der Osten-Sacken/Arras Fatah(Hg.): Saddam Husseins letztes Gefecht? Der lange Weg in den III. Golfkrieg. konkret texte 33 - Staat und Gewalt. 288 Seiten. EUR 14,80

Mitherausgeber Thomas von der Osten-Sacken und Mitautor Thomas Uwer arbeiten in der schwerpunktmäßig im kurdischen Nordirak tätigen entwicklungspolitischen Organisation WADI e.V., über deren Website - http://www.wadinet.de - aktuelle Informationen abrufbar sind


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