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akw-texte 12-02

Saddam Husseins letztes Gefecht?

Über einen aktuellen Sammelband zur Lage im Irak

Von Rainer Bakonyi

Saddam Hussein und der Irak ist dem westlichen und dabei nicht zuletzt dem deutschen Publikum ein faszinierendes Objekt der Ver- und Bewunderung. Im Zuge der anteilnehmenden Berichterstattung über das inszenierte »Ringen« des irakischen Pseudoparlaments um Annahme oder Ablehnung der verlangten Inspektion und gegebenenfalls Zerstörung der Massenvernichtungskapazitäten demonstrierte dies einmal mehr die Frankfurter Allgemeine.

Die »Zeitung für Deutschland« lädt zu einem Ausflug in die »Räume für tausendundeine Macht«(1). Hier dürfen wir des Autors Mischung aus Begeisterung, Verwunderung und antiamerikanischem Ressentiment aus dem vermittelnden Munde eines französischen Architekten vernehmen.

Jacques Barrière baut derzeit die größte Moschee der Welt: mit knapp 300 Meter hohen Minaretten soll sie zum Ruhme Saddam Husseins aufragen. Als besondere Zugabe soll eine Insel in dem sie umgebenden See die getreue Vergrößerung des Fingerabdrucks des geliebten Führer und Herrschers darstellen.

Nun ja, so meint die FAZ, der Orient kennt sonderliche Bräuche und vielleicht weiß in Bagdad ja wirklich niemand um die kriminologische Bedeutung des fingerprints im Westen. Aber in Deutschland »weiß« man nun, dass der »heimliche Völkermord am irakischen Volk« nicht ganz un-heimlich von dessen liebevoller Führung begangen wird, sondern seine Ursache in den Sanktionen hat.

Gegen solche bei rechten wie linken Fans des völkischen Regimes in Bagdad gleichermaßen beliebten, exotisch mystifizierenden »Berichte« setzen Thomas von der Osten-Sacken und Aras Fatah, sowie weitere zehn Autorinnen und Autoren harte Fakten und eine nicht vom europäisch/deutschen Blickwinkel vernebelte Sicht. Statt eingebildeter Bedrohungsszenarien für Deutschland und Europa oder ebenso wahnwitziger Enthüllungen vermeintlicher US-amerikanischer Weltherrschaftsstrategien stehen im Fokus der Betrachtung die nur allzu realen Folgen der Herrschaft des ba’thistischen Regimes für die Menschen im Irak und den Ländern der Region.

System öffentlich vollzogener Körperstrafen

In einem Geleitwort schildert Kanan Makiya, Autor der grundlegenden Monographie (2) zur ba’thistischen Herrschaft im Irak, die seither vollzogene Wandlung in der Organisation des staatlichen Terrors.

Neben die willkürlichen und buchstäblich Allen drohenden im Geheimen begangenen Folterungen und Morde trat nach dem Aufstand von 1991 ein System öffentlich vollzogener Körperstrafen – Amputationen und Brandmarkungen – und Hinrichtungen. Makiya erklärt die außergewöhnliche Beständigkeit des Regimes mittels des Terrors gegen die eigene Bevölkerung und zeigt auch die Mitverantwortung des Westens, der aus Sorge vor einer revolutionären Umwälzung der ganzen Region den soeben besiegten Ba’thisten die militärische Möglichkeit zur Bekämpfung des Aufstands beließ.

In einem Ausblick äußert er die Hoffnung, dass eine Beseitigung des Regimes – auch mit Hilfe der USA – und die Errichtung eines demokratischen und föderal verfassten Iraks, wie es die z. B. im irakischen Nationalkongress versammelte Opposition fordert, die Chance bietet, die miserable Lage, in der sich die gesamte arabische Welt befindet, zu verändern.

Der erste Teil enthält drei Aufsätze zur Geschichte des Irak. Peter Slugett erläutert die Situation in der Zeit des Kalten Krieges und die Hintergründe des gegen die erstarkende kommunistische Partei gerichteten Militärputsches von 1963, der zum ersten Male die Ba’th-Partei mit an die Regierung bringt. Diese ist seit einem weiteren Putsch im Jahr 1968 als einzige an der Macht, Saddam Hussein ist seit 1973 faktischer Alleinherrscher.

Das Changieren zwischen Sowjetunion und USA ermöglichte es ihm nach der Revolution im Iran diesen mit der Unterstützung beider Blöcke anzugreifen. Der Wegfall der Sowjetunion bewog den vom Westen unterstützten Gewaltherrscher als ›antiimperialistischer Führer‹ den USA die Stirn zu bieten und mit der Annexion Kuwaits die Vereinigung der »arabischen Nation« voran zu treiben.

Die Niederlage in diesem Krieg führte zum gescheiterten Aufstand. Slugett beschreibt die fatalen Folgen für die Irakis: Flucht und Vertreibung, Massenhinrichtungen und ein Regime, das gelernt hat, die Sanktionen zur Kujonierung seiner Bevölkerung zu nutzen. Sein Fazit ist düster, einen Sturz Saddams hält er für schwer erreichbar; sollte dies jedoch glücken, so stelle das sicher keine Gefährdung der regionalen Stabilität und der nationalen Integrität des Irak dar.

Eine soziologische Analyse des Ba’thismus als Nationsbildungsprojekt gelingt Aras Fatah. Die nationalistisch-sozialistische Ba’th-Partei hat in einem postkolonialen Gewaltakt aus einem »Staat ohne Nation« eine homogenisierte »Gesellschaft im Ausnahmezustand« geschaffen, in der die grundlegendsten Bedürfnisse nach Nahrung, Wohnung und medizinischer Versorgung direkt von der Partei abhängig sind.

Thomas Uwer zeigt dann das Wesen der Ba’th-Herrschaft als Kolonialismus im eigenen Lande auf, der mit den sinnentleerten Begriffshülsen des Antikolonialismus einen permanenten Krieg gegen alle führt, die sich noch der Kontrolle der Ba’th-Partei entzogen hatten. »Antiimperialismus, Sozialismus, Revolution und Befreiung haben sich in Chiffren der Unterdrückung verwandelt, alle Klassenstrukturen und Interessenverbände, auf die sich eine Befreiung stützen könnte, wurden zerstört.«

Im zweiten Abschnitt wird der Zusammenhang von Ideologie, Terror und Vernichtung verhandelt. Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer führen in die verschwörungstheoretische Ideologie des Ba’thismus und der aus dieser sich ergebenden terroristischen Struktur seiner Herrschaft ein.

Da der Irak als beständig von außen – Iran, Israel, USA – bedroht gewähnt wird, diese äußeren Kräfte über Unterstützung im Inneren – die kurdische Minderheit, die schiitische arabische Mehrheit – zu verfügen scheinen, gerät dem Regime jede Auseinandersetzung innerhalb der irakischen Gesellschaft zum Kampf auf Leben und Tod. Khaled Salih berichtet von der Konsequenz dieses terroristischen Staatskonzepts für die kurdische Bevölkerung, gegen welche die erste sogenannte Anfal-Kampagne am Ende des Krieges gegen den Iran gerichtet war.

Begleitet von Giftgaseinsätzen gegen kurdische Dörfer und Städte wurden Hunderttausende Menschen umgesiedelt, Ortschaften zerstört und Tausende durch Erschießungskommandos massakriert. Bachtiar Mohamed sieht in der Anfal-Kampagne die »verborgenen Quellen der Ba’th-Herrschaft«.

»Sprachlose Gesellschaft«

Dadurch, dass es gelungen war, Zehntausende auszurotten ohne dass dies bei der Restbevölkerung (und in der übrigen Welt) auf Interesse stieß, habe Ba’th eine »sprachlose Gesellschaft« etabliert. Schließlich berichtet Thomas von der Osten-Sacken über die Trockenlegung der Sumpflandschaften zwischen Euphrat und Tigris und die dadurch möglich gewordene Vertreibung und Ermordung der Bevölkerung Süd-Iraks.

Der dritte Abschnitt behandelt den »Irak im internationalen Kontext«.

Isam al-Khafaji nimmt den »Mythos vom Ausnahmefall Irak« unter die Lupe. Er weißt mit zahlreichem statistischen Material die, eben nicht erst durch die Sanktionen entstandene, miserablen wirtschaftlichen Leistungen der ba’thistischen Staatsökonomie nach. Jörn Schulz analysiert das Verhältnis der USA, Europas und dem Irak.

Nachdem die verbündete Sowjetunion sich weigerte, das Atomprojekt des Irak zu unterstützen half Frankreich und mit ihm die BRD weiter. Das stets ambivalente Bündnis mit den USA war geprägt von deren Interesse an einer Eindämmung des Iran, sowie von einem geostrategischen Interesse an Stabilität in der Region. Dieses führte dazu, dass bisher niemals die Aufstände im Irak unterstützt worden waren.

Ofra Bengio beschäftigt sich mit der Zukunft des Irak. Sie stellt die Frage nach einer Unterstützung der Kurden unter Vermeidung eines Zerfallens des Iraks in den Vordergrund. Hans Branscheidt liefert die Geschichte des deutschen Beitrags zum Waffenarsenal des Iraks: Der Aufbau der Chemiewaffenindustrie mitsamt der Trägersysteme unter den Augen eines Wirtschaftministers Möllemann.

Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken schildern die prekäre und von der internationalen Nothilfe abhängige Situation in der kurdischen »Schutzzone« im Nordirak. Dabei spiegelten sich die internationalen Einflussnahmen in den politischen und gelegentlich militärischen Spannungen innerhalb der kurdischen Selbstverwaltung.

Abschließend setzt sich Andrea Woeldike unter Heranziehung umfangreichen Belegmaterials mit den »deutschen Friedenswünschen« auseinander. Vereint in der Bewunderung des »antiimperialistischen Helden« betreibt eine unheimliche Allianz aus Altlinken, Regierungsmitgliedern, »Globalisierungsgegnern«, Lobbygruppen der Rüstungsindustrie, antimilitaristischen Gruppen und militanten Rechtsextremen die Beseitigung der Sanktionen gegen den Irak und wendet sich mehr oder weniger offen gegen Israel. Der Irak sei dabei »zur perfekten Projektionsfläche (...) geworden, (...) um deutsche Grundbefindlichkeiten in den Nahen Osten zu exportieren.

In dieser doppelten Stoßrichtung – gegen Washington und Tel Aviv – finden die unterschiedlichsten Gruppierungen zusammen.« Ergänzt wird der Band durch eine Chronologie, die von der Gründung erster arabisch-nationalistischer Clubs im Jahre 1908 bis zur Erklärung des wahlkämpfenden Gerhard Schröder, sich nicht an einer Militäraktion gegen den Irak zu beteiligen, reicht.

Dieser Sammelband ist ein unverzichtbarer Beitrag in der bisher von jeder Kenntnis unbeleckten »Diskussion« über den Umgang mit dem gefährlichsten und massenmörderischsten Regime seit Pol Pots Kambodscha.

Die mit ihren Themengebieten seit Jahren – gelegentlich nur allzu schmerzhaft – vertrauten Autorinnen und Autoren haben Fakten zusammen und Sichtweisen vorgetragen, die in deutscher Sprache bisher kaum oder gar nicht zugänglich waren. Statt der vor allem in Deutschland üblichen Schwarzweißmalerei kommt hier eine Vielfalt von Positionen zu Wort, die jedoch sämtlich den Menschen in der Region verpflichtet und daher in einem einig sind: Das Ba’th-Regime und Saddam Hussein sind die Ursache des millionenfachen Leids, seine Beseitigung ist die Voraussetzung jeden emanzipatorischen Handelns.


Thomas von der Osten-Sacken /Aras Fatah (Hg.):Saddam Husseins letztes Gefecht? Der lange Weg in den III. Golfkrieg. Hamburg 2002 (KVV konkret)14,80 EUR

Anmerkungen
1 FAZ vom 12. November 2002. Der Artikel ist seiner ganzen Tendenz nach sozusagen prototypisch für die deutsche Presse.
2 Kanan Makiya: Republic of Fear: The Politics of Modern Iraq, University of California Press, 1989


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