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Mittelbayrische Zeitung

Westen ließ Opposition im Irak im Stich

Der Mythos vom zerrissenen Land / «Schutzzone» schützt Nachbarn vor Flüchtlingen

Von Gustav Norgall, MZ

«Alle Iraker haben für Saddam Hussein gestimmt.» Die Welt schüttelt den Kopf über diese Scheinwahlen im Irak. Ein Volk steht angeblich hinter einem brutalen Diktator, ist bereit mit ihm in den Kampf gegen die Weltmacht USA zu ziehen. Man kann über diese «Wahl» hinwegsehen, andererseits lenkt sie den Blick auf die rund 22 Millionen Iraker. Sich mit ihnen zu beschäftigen, ist für die westliche Politik aber unabdingbar. Die Menschen leiden sowohl unter ihrem Staatschef als auch unter den Sanktionen des Westens und einem möglichen «Befreiungskrieg».

Es gehört fast schon zum Standardrepertoire von Kommentatoren auf die innere Zerrissenheit des Irak hinzuweisen. Im Norden leben schließlich mehrheitlich Kurden, im Süden viele Schiiten. Auch die Sunniten haben im eigentlich laizistisch strukturierten Irak wenig Einfluss. Saddam Hussein selbst begünstigt vor allem seine Anhänger aus seiner Heimatregion Tikrit. Doch sollte man sich vor vorschnellen Schlüssen hüten. In dem Buch «Saddam Husseins letztes Gefecht? Der lange Weg zum III. Golfkrieg» weisen die Autoren zu Recht darauf hin, dass die Kurden und Schiiten zum Beispiel während des jahrelangen Kriegs des Iraks gegen den Iran loyal zur irakischen Fahne standen. War der arabische Nationalismus stärker als das Zusammengehörigkeitsgefühl der Schiiten mit ihren Glaubensbrüdern im Iran?

Es gibt aber auch Gegenbeispiele. Am Ende des ersten Golfkrieges der westlichen Koalition gegen Saddam Hussein gärte es im Irak. Die geschlagenen Truppen strömten heimwärts. Im Südirak riefen damals Truppenkommandeure zum Aufstand auf. Einen Moment lang stand der Bestand des Regimes auf der Kippe aber eventuell nicht nur das. Die arabischen Nachbarn beobachteten mit Sorge die Erhebung der Massen. In den autoritären Monarchien am Persischen Golf sah man voller Angst auf diesen Umsturz, hätte er doch zum Vorbild für die entrechteten Bürger des eigenen Landes werden können.

Wer folgt auf Saddam Hussein?

Bush Senior akzeptierte diese Bedenken. Er hielt seine Truppen an, die US-Soldaten sahen dabei zu, wie sich Saddam Husseins treue Kräfte brutal gegen die Aufständischen durchsetzten. Tausende wurden gehenkt, zum Teil öffentlich, um abzuschrecken. Das Ziel der US-Politik der nächsten Jahre lautete: Saddam Hussein stürzen, aber die staatliche Struktur des Irak nicht gefährden. Diese Schaukelpolitik schadete letztlich den Menschen im Land. Die Sanktionen in den 90-er Jahren führten zu einer Ernährungskrise. Millionen Iraker hungerten. Als im Rahmen des Programmes Öl gegen Brot wieder Nahrungsmittel in das Land flossen, konnte das Regime die Verteilung für sich nutzen. Wer gehorchte, konnte an der Hilfe teilhaben.

Im Norden entstand sogar eine «Schutzzone» für die Kurden. Ein irreführender Begriff! Der Westen definierte ein angeblich sicheres Gebiet, um die Kurden vor der Flucht in die Nachbarländer abzuhalten. Asylbewerber in Europa müssen sich seitdem sagen lassen, dass es im Irak eine innerstaatliche sichere Fluchtmöglichkeit gibt. Damit ist es allerdings nicht weit her. Saddams Truppen stießen bereits öfter in die Schutzzone vor, entführten, töteten kurdische Autonomisten. Die USA sehen zu, denn letztlich sind auch sie an einer kurdischen Unabhängigkeit nicht interessiert.

Trotzdem hofft man in Washington jetzt auf eine innerirakische Opposition dieselbe Opposition die man immer wieder im Stich gelassen hat, von deren Zielen man so wenig weiß. Der Westen betrieb in den letzten Jahren eine zwiespältige Politik gegenüber dem Irak da tun die Iraker gut daran bei Scheinwahlen Saddam Hussein Gefolgschaft zu leisten.


Literatur: Thomas v.d. Osten-Sacken, Arras Fatah (Hg.): Saddam Husseins letztes Gefecht? 283 Seiten, Konkret Hamburg, 15,20 Euro


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