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31. Juli 2006 | N24 | Ulrich Gutmair

Demonstration "für Israels Recht auf Selbstverteidigung"

Die Bilder toter Zivilisten prägen die öffentliche Meinung. Eine Demonstration in Berlin plädierte angesichts von Vernichtungsdrohungen gegen Israel für dessen Recht auf Selbstverteidigung.

von Ulrich Gutmair

Am Steinplatz sieht es auf den ersten Blick eher nach Sommerfest als nach Demonstration aus, als sich die Teilnehmer in der Hitze des späten Nachmittags versammeln. Blaue und weiße Luftballons mit "Shalom"-Aufdruck sind zu sehen, aus den Lautsprechern säuselt freundlicher Jazz. Der Unterschied zu den martialischen Aufzügen, in denen dieser Tage unter anderem für den "Sieg der Hisbollah" und den "Tod Israels" demonstriert wird, könnte größer nicht sein.

"Für einen Libanon ohne Hisbollah" und "Für Israel und sein Recht auf Selbstverteidigung" lauten die Forderungen der Demonstration am Freitag, zu der viele gut bürgerlich aussehende Demonstranten gekommen sind. Unter ihnen befinden sich adrette junge Mädchen in Kostümen und ältere Damen und Herren im Sonntagsstaat, aber auch so unterschiedliche Organisationen wie die FDJ und die Partei Bibeltreuer Christen.

Auch viele Israelis sind gekommen, unter ihnen ein gerade in Berlin lebender Philosoph. Er wundert sich über die mitdemonstrierenden jungen Leute, die kaputte Jeans, bunte Haare und Davidsterne tragen. Er hält die "Punk Zionisten" für ein neues popkulturelles Phänomen.

Als Schutzschilde missbraucht

Obwohl die Stimmung ruhig ist, wird schnell deutlich, dass die Teilnehmer der Demo nicht zum Spaß hier sind. Auf Schildern wird für "Demokratie statt Terror" geworben, auf einem Transparent heißt es: "Israel kämpft unseren Kampf". Ein Mann trägt ein Schild vor sich her, auf dem ein lächelnder Kofi Annan zu sehen ist, der dem Führer der Hisbollah, Hassan Nasrallah, gerade die Hand schüttelt. Darunter ist zu lesen: "Kofi Annan klagt Israel an." Der Mann erklärt, dass die vier von der israelischen Armee getöteten UN-Soldaten seit Tagen konsequent von der Hisbollah als Schutzschilde missbraucht worden seien, worüber aber niemand berichte.

"Die Welt hat sich in zwei Lager geteilt", glaubt eine 35-jährige jüdische Demonstrantin, die 1991 aus Litauen nach Deutschland eingewandert ist, und daran seien auch die Medien schuld. Sie sei hierher gekommen, weil derzeit alle mit Fingern auf Israel zeigten und der Eindruck vermittelt werde, das kleine Land bedrohe die ganze Welt. Im Gegensatz zur Hisbollah schössen die israelischen Soldaten nicht absichtlich auf Frauen und Kinder.

Ähnlich äußert sich eine ältere Dame. Der Terror, gegen den sich Israel heute wehre, werde morgen Europa bedrohen. Das libanesische Volk sei unschuldig, die Hisbollah aber ein "Monster". Die Kunsthistorikerin spricht dann aber lieber über Wagner weiter, den sie verehrt, und davon, dass sie Deutschland liebe. Dass 40 ihrer Verwandten in Babi Jar umgekommen seien, habe sie längst verziehen.

Die Opfer des Kriegs

Während der Zug am Bahnhof Zoo vorbeizieht, präsentieren einige Jugendliche den Demonstranten hämisch ein zerrissenes Israelfähnchen, später beschimpft ein Mann die Israelis als "Mörder und Faschisten". Dann ereignet sich eine skurrile Szene, die sich noch mehrmals wiederholen wird: Junge Palästinenser, die ihre Fahnen schwenken und sich unter die Demonstranten mischen wollen, werden mit "Nazis raus!" begrüßt, worauf sie ihrerseits lautstark "Nazis raus!" rufen.

Als der gut 1000 Teilnehmer zählende Demonstrationszug am Wittenbergplatz ankommt, sind zuerst nachdenkliche Töne zu hören. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, spricht von der Anteilnahme seiner Gemeinde an dem tiefen Schmerz der Opfer des Kriegs. Er nennt konkret die arabischen Bewohner Nazareths, die vor kurzem von einer Rakete der Hisbollah getroffen worden sind, aber auch eine Familie aus Wedding, die während der Flucht aus dem Südlibanon unter israelischen Beschuss geriet, wobei der Vater starb. Der Rest der Familie liegt jetzt verletzt in einem Berliner Krankenhaus.

Joffe ruft die gemäßigten Muslime auf, den Terror der Hisbollah zu verurteilen, und die Christen, Israel nicht aufzugeben. Er weist darauf hin, dass einzig die christliche Gemeinschaft in Israel ständig wachse, während viele Christen die benachbarten Länder verließen.

Das Krebsgeschwür des Libanon

Joffe folgt der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Eckart von Klaeden, ans Mikrofon. Er erinnert daran, dass auch nach dem israelischen Abzug aus Gaza kein Tag vergangen ist, an dem Israel nicht mit Raketen beschossen wurde. Der Hisbollah und ihren Hintermännern in Iran und Syrien wiederum gehe es um nichts anderes als die Vernichtung Israels. Die Hisbollah habe sich zum Krebsgeschwür des libanesischen Staats entwickelt. Von Klaeden fordert, der tragische Tod der UN-Soldaten müsse aufgeklärt werden. Zu fragen sei dabei aber auch, warum die UN-Truppen erst nach dem Vorfall aus der Gefahrenzone abgezogen worden seien.

Michel Friedman, der als nächster Sprecher aufs Podium tritt, beschäftigt sich ebenfalls mit dem Iran. So wichtig Verhandlungen mit dem Iran seien, so ernst müsse man dessen Vernichtungsdrohung gegenüber Israel nehmen. Friedman fordert ein Ende der "heuchlerischen" Appeasementpolitik europäischer Spitzenpolitiker: Sie hätten nichts für die Umsetzung der UN-Resolution getan, die die Entwaffnung der Hisbollah fordert. Israel könne es sich nicht leisten, einen Krieg zu verlieren. Auf dem Höhepunkt seiner emotional vorgetragenen Rede ruft Friedman: "Nie wieder werden Juden sich abschlachten lassen!"

Der Ruf nach Frieden

Bei den Reden Joffes, von Klaedens und Friedmans wird immer wieder Beifall geklatscht. Als Mitveranstalter Thomas von der Osten-Sacken spricht, wird es merklich ruhiger. Seine Ausführungen dämpfen womöglich die Hoffnung, mit einer solchen Demonstration viel bewirken zu können. Dabei sei mit ihr sei etwas gelungen, was in Deutschland und Europa dieser Tage leider nicht alltäglich sei, glaubt von der Osten-Sacken: "Ein breites Bündnis höchst unterschiedlicher Organisationen und Personen demonstriert heute für Israel."

Es gehe dabei zwar um eine Selbstverständlichkeit, nämlich Israels Recht auf Selbstverteidigung gegen Hisbollah und Hamas, die Israel zerstören und die Juden vernichten wollten. Laut einer Umfrage hielten aber drei Viertel der Deutschen das derzeitige Vorgehen Israels für "unangemessen". Ein bedingungsloser Waffenstillstand wäre jedoch ein Sieg für Hisbollah und Hamas, die weiter aufrüsten könnten.

An die Adresse deutscher Friedensfreunde richtet von der Osten-Sacken ein Wort Paul Spiegels, der 2002 angesichts der Friedensdemonstrationen, die Israel und den USA Kriegstreiberei vorwarfen, gesagt hatte: "Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder." Von der Osten-Sacken fordert daher, der so genannte kritische Dialog "mit Islamisten, Terroristen und ihren Apologeten" müsse endlich aufhören. Stattdessen sollten all jene Kräfte unterstützt werden, die sich "gegen den Klerikalfaschismus" stark machten.

Hoffen auf mehr Licht

Dann kritisiert von der Osten-Sacken deutsche Institutionen wie den Berliner Senat, der das Theaterprojekt "Intifada im Klassenzimmer" fördere, oder die Bundeszentrale für politische Bildung, deren Nahostexperte Ludwig Watzal "für Publikationen aus dem pro-terroristischen Milieu antiisraelische Propagandatexte schreibt". Unter der rot-grünen Regierung hätten sich gar Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung "ausgerechnet mit Vordenkern der Hisbollah" im Libanon getroffen. Und als am Ende der Berliner "Islamisten-Demonstration" vor einer Woche arabische Mädchen mit Kopftuch die deutsche Nationalhymne anstimmten, "da war die so oft beschworene Integration auf ganz absurde Art und Weise gelungen".

Am Ende bleibt es dem liberalen Berliner Rabbiner Chaim Rozwaski vorbehalten, auf mehr Licht in der Welt zu hoffen. Nach einem Friedensgebet fordert er die Demonstranten auf, zuhause eine Kerze anzuzünden. Die Polizei, die mit Anti-Konfliktteams zugegen ist, hat keine nennenswerten Zwischenfälle zu beklagen.


© N24, 31. Juli 2006


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