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29.03.2006 | Die Welt | Jeff Gedmin

In Katar gibt es sogar Müsli

Kolumne - Der Nahe Osten verändert sich

von Jeff Gedmin

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Eine Teilnehmerin an einer Konferenz des Aspen Institute Berlin in Doha fragte einen katarischen Herrn spontan danach, was er über Demokratie denke. Er lachte und sagte, er müsse viele Bücher lesen, bevor er das beantworten könnte. Ich gehöre zu den Dilettanten, die immer noch versuchen zu verstehen, was beim Islam schiefgelaufen ist. Zum einen ist da der Terrorismus. Außerdem ist die verhältnismäßige und in manchen Fällen atemberaubende Abwesenheit von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung nicht zu übersehen. Und unter Moslems scheint es eine ausgeprägte Leidenschaft für die albernsten Verschwörungstheorien zu geben. Ein irakischer Taxifahrer in Berlin erklärte mir einmal, daß die Amerikaner absichtlich ein Sicherheitsvakuum im Irak kreiert hätten. Er war sich sicher, daß Bush die Terroristen in den Irak locken wollte - eine raffinierte Strategie, um sie von den USA fernzuhalten. Dann ist da dieser verdächtige Mangel an Demokratie, besonders hier im Nahen Osten.

Letzte Woche war ich im Golfstaat Katar, um aufs neue zu versuchen herauszufinden, wie die Menschen hier ticken. Jeder Fall ist einmalig, und Katar ist keine Ausnahme. Unweit von unserem Hotel befindet sich ein Einkaufszentrum, das jedes amerikanische Pendant blaß aussehen ließe. In der Mall gibt es Luxusboutiquen, Kinos, eine Eisbahn, Fast food (Starbucks, Burger King, Pizza Hut) und einen riesengroßen Supermarkt. Von Kopf bis Fuß in islamischen Gewändern gekleidete Katarer schlendern mit ihren Einkaufswagen die Gänge auf und ab. Katarer gehören dem Wahhabismus an, einer strengen islamischen Sekte. Aber der Emir entschied, daß sein Land nichts mit dem Wahhabismus zu tun haben sollte, der im benachbarten Saudi-Arabien vorherrscht. In diesem Supermarkt kaufen die Katarer französische Handcreme, deutsches Müsli, amerikanisches Toilettenpapier und finden sich in einem Gang vor einer bemerkenswerten Auswahl europäischer Kondome wieder.

Der Herr vor mir legte ein Batman-Kostüm für eines seiner Kinder aufs Band. Katar ist kleiner als Schleswig-Holstein. Dank seiner Öl- und Gasreserven ist Katar - gemessen am Pro-Kopf Einkommen - eines der drei reichsten Länder der Welt. Katarer sind nicht nur eifrige Konsumenten. Sie leben auch in einem der liberalsten Staaten der Region. Aber immerhin, dank des Emirs arbeiten Frauen in der Regierung, und amerikanische Universitäten haben Dependancen in der Hauptstadt eröffnet. Der unabhängige Fernsehsender al-Dschasira ist eine Initiative des Emirs und hat hier sein Hauptquartier.

Katar ist immer noch ein autoritärer Staat. Es gibt politische Gefangene. Manchen gehen die politischen Reformen zu langsam - den Islamisten gehen sie viel zu schnell. Thomas von der Osten-Sacken, der deutsche Leiter einer NGO im Nordirak, erinnerte die Teilnehmer der Aspen-Konferenz an folgendes: Im Nahen Osten müssen sich die Befürworter von Demokratie nicht nur davor fürchten, von der Regierung umgebracht zu werden, sondern auch von der islamistischen Opposition. Es gibt noch andere Menschenrechtsprobleme. Etwa 80 Prozent der 863 000 Katarer sind ausländische Gastarbeiter. Sie kommen aus Pakistan, Indien, Bangladesch und den Philippinen. Sie haben kaum Rechte, und ihre Lebensverhältnisse sind oft armselig.

Fortschritt in diesem Teil der Welt kann sehr langsam sein. Katar schaffte erst 1957 die Sklaverei ab. Aber das war zu einer Zeit, als in den Vereinigten Staaten noch Rassentrennung herrschte. Als Frankreich noch die Todesstrafe per Guillotine praktizierte und als sich viele noch fragten, ob die Deutschen wirklich Demokraten werden würden.

Wenn man Katar mit dem Iran, Saudi-Arabien oder Syrien vergleicht, wird einem klar, was für ein außerordentliches Experiment das hier ist. Die Region verändert sich.

Übersetzung Julian Knapp


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