zurück

HOME | Pressespiegel
20.03.2007 | Inforadio rbb

Alltag im Irak - Vier Jahre nach Kriegsbeginn

Interview mit Thomas von der Osten-Sacken

Heute [19. März] vor vier Jahren begann unter Führung der Amerikaner die Invasion des Irak. Die Entmachtung Saddam Husseins ging schnell, die Befriedung des Landes ist ferner denn je. Die Zahl der Anschläge steigt, Sunniten und Schiiten liefern sich faktisch einen Bürgerkrieg, das Land droht auseinanderzubrechen. Die Zivilbevölkerung leidet unter der Gewalt und unter Versorgungsengpässen.

Eine Umfrage hat gestern ergeben, dass nur noch jeder dritte Iraker hoffnungsvoll in die Zukunft blickt; vor zwei Jahren waren es noch rund 80 Prozent.

Thomas von der Osten-Sacken ist gestern aus dem Irak zurückgekommen, er hat dort für die Hilfsorganisation WADI e.V. gearbeitet. Birgit Karnath führte das Gespräch:

Das Interview im Wortlaut:

Karnath: Wie organisiert man seinen Alltag unter diesen Umständen im Land? Hat man mehr Angst vor Anschlägen und Entführungen oder schlägt man sich mehr mit "kein Strom, kein Wasser" herum?

Von der Osten-Sacken: Es kommt darauf an, in welchem Teil des Iraks Sie leben. Es gibt Teile im Irak, wo weder das eine noch das andere den Alltag besonders bestimmt, etwa den kurdischen Nordirak, der völlig sicher ist, oder auch das Gebiet im Süden, das relativ sicher ist. Im Zentrum bestimmt beides den Alltag, also einerseits Angst vor Milizterror und Anschlägen, aber auch eine immer noch nicht sehr gut wiederhergestellte Infrastruktur. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass sich im Irak viele Dinge positiv entwickelt haben. Dass sich Gehälter etwa verzehnfacht haben, Leute sich wesentlich mehr leisten können als noch in Zeiten unter Saddam Hussein. Das heißt, man muss sozusagen in jedem Ort wo man ist, eine spezifische Situation betrachten, ob es sich dort um ein Konfliktgebiet handelt oder nicht, ob Leute damit beschäftigt sind, sich ihre Zukunft aufzubauen oder ob sie in Gebieten leben, wo der Terror Alltag ist. Als ein positives Beispiel vielleicht: Grundbesitz hat sich überall im Irak fast verfünfzehnfacht an Wert. Das heißt auch, dass Leute durchaus an eine Zukunft denken, die besser ist. Wenn Leute nur Angst vor Bürgerkrieg haben, investieren sie nicht in Immobilien, sondern kaufen sich Gold oder Aktien.

Karnath: Die Amerikaner haben begonnen, jetzt gerade im gefährlichen Zentrum von dem Sie geredet haben, ihren Sicherheitsplan umzusetzen. Was ist dieser Sicherheitsplan ganz genau?

Von der Osten-Sacken: Bagdad ist großenteils in Hände von Milizionären gefallen, hatte ganz extrem unsichere Gebiete, wo Terroristen sowohl mit sunnitisch-islamistischem Hintergrund wie mit schiitischem Hintergrund begonnen hat, die ethnische Säuberung durchzuführen, und mit allen Methoden versucht haben, einen normalen Alltag zu verhindern, indem das Hauptziel ihrer Terroranschläge Zivilisten sind.

Der neue Sicherheitsplan zielt darauf hin, gerade gemischte Gebiete im Zentrum von Bagdad langfristig zu befrieden, den Milizen die Kontrolle der Straßen zu nehmen und in gemeinsamen Aktionen von Amerikanern und Irakis sozusagen sichere Zonen zu schaffen, wie man das auch in Afghanistan in Kabul gemacht hat, und eine langfristige Präsenz zu zeigen. Während in der Vergangenheit die Amerikaner immer relativ kurzfristig in Gebieten interveniert haben, in denen die Terroristen stark geworden sind, und sich nachdem sie das Gebiet befriedet haben, zurückgezogen haben, so dass dann wieder Radikale oder Extremisten die Macht übernehmen konnten. Das hat zu einem immensen Vertrauensverlust der irakischen Bevölkerung gegenüber den Amerikanern geführt, weil nicht die kurzfristige Intervention wichtig ist, sondern die langfristige Sicherung und Befriedung von Gebieten. Bislang - nach den ersten anderthalb Monaten dieses relativ lang angelegten Plans - zeigt sich, dass diese Strategie zumindest gewisse Früchte zeigt, weil Irakis aus Bagdad, mit denen ich gesprochen habe meinten, dass erstmals wieder Schulen eröffnet haben, Geschäfte bis nachmittags offen haben, und die Anzahl von Gewaltopfern drastisch gesunken ist im Vergleich etwa zu Dezember oder Januar


© Rundfunk Berlin-Brandenburg, 20.03.2007


WADI e.V. | tel.: (+49) 069-57002440 | fax (+49) 069-57002444
http://www.wadinet.de
| e-mail: