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15.09.2004 | epd medien

Nüchterne Erkundung

Die Lange Nacht des ZDF zum 11. September

epd Nun sollte man natürlich erst einmal meckern. Lange Nacht, letzten Freitag, von halb eins bis morgens um drei. Thema: "Die Folgen des 11. September", Obertitel: "Gut gegen Böse?", Fernsehen für Schlaf- und Arbeitslose, aber immerhin 240.000 sollen zugeguckt haben. Und es gibt ja Videorecorder.
Woran man nicht gerne erinnert, sonst fühlen sich die Senderoberen noch ermutigt, Programme für den, sagen wir mal, etwas intelligenteren Teil der Bevölkerung nur noch nach Mitternacht zu senden. Oder war's ein Experiment, das Austesten einer neuen Sendeform? Die, bei Gelingen, man wagt es kaum zu hoffen, fester Programmbestandteil werden könnte? Im öffentlich-rechtlichen ZDF zweieinhalb Stunden Fernsehen am Stück zum Mitdenken - womöglich gar abends um zehn?

Also, kurz und gut: Letzten Freitag war das ZDF in journalistisch bemerkenswerter Form. Fünf Leute im Studio plus Moderator Dietmar Ossenberg, in einem Riesenstudio nebenbei, man hat auch optisch was hergemacht. Peter Scholl-Latour, Hans-Peter Raddatz, Orientalist, Don Jordan, Amerikaner und Journalist, Akthan Suliman, Deutschland-Korrespondent von Al Jazeera (davor Deutsche Welle), Thomas von der Osten-Sacken, Journalist und für die entwicklungspolitische Organisation Wadi e.V. im kurdischen Nordirak aktiv. Dazu zehn kurze Einspielteile.

Man sieht: Schon bei der Auswahl der Diskutanten war die Redaktion (Michael Renz, Jasmin Hakmati) etwas einfallsreicher als Sabine Christiansen (die Leitung hatte Yvette Gerner). Folglich keine ausgewogenen Zwei-Minuten-Aufsager, die Beteiligten konnten in Ruhe ausreden und Dinge sagen, die, auch wenn sie wahr sind, man sich im Fernsehen sonst nicht zu sagen getraut. Keine beflissenen Selbstbezichtigungen (Der Westen ist schuld!) oder demütigen historischen Verweise (Kreuzzüge!). Kein: Der Islamismus hat mit dem Islam nichts zu tun!, um hier lebende Muslime nicht zu irritieren, sondern die nüchterne Erkundung eines bedrohlichen Phänomens.

So wie Fernsehinformation sein sollte. Ist der Westen schuld? Ja, sagt Don Jordan, indem er "opportunistisch mit Despoten in Saudi-Arabien, Oman, Qatar gekungelt hat". Aber, so Jordan: "60 Prozent der 18- bis 25-jährigen Männer sind in den islamischen Ländern arbeitslos - ist das unsere Schuld, bei diesem Ölreichtum?" "700 Milliarden Dollar allein der Saudi-Family werden von westlichen Banken verwaltet", sagt Raddatz. Die daran gut verdienen. Aber was ist, wenn radikale Ideologen diese gewaltigen Summen abziehen? "Mit diesen Massen von Geld kann man mehr Schaden anrichten als durch Terrorismus": Don Jordan.

Ein Thema in aller Ruhe umrunden, wo gibt's das denn noch? Allenfalls im Radio. Gibt es einen Kampf der Kulturen? Warum hassen sie uns? Was treibt Amerika? War der Krieg gegen den Irak letztlich doch notwendig? Ist der Islam eine Gefahr für uns, weil er die weltweite Herrschaft anstrebt? Waren wir viel zu lange viel zu tolerant?

Wollen die Menschen im Nahen Osten Demokratie nach westlichem Vorbild? "Demokratieexport nach unseren Vorstellungen ist völlig unrealistisch": Scholl-Latour. Vor allem sollten die USA nicht als Lehrer auftreten, sagt der syrische Muslim Suliman. "Solange die USA als Lehrer auftreten, wird es keine Demokratie geben. Diese Lehrerrolle ist unakzeptabel in der arabischen Welt, denn sie setzt unsere minderwertige Stellung voraus."

Und wie ist das mit dem vielgepriesenen christlich-muslimischen "Dialog"? Im Dialog, so, wie er bisher geführt wurde, sagt Raddatz, "ist es geradezu verboten, sich Wissen über den Islam anzueignen". Man fühlt lieber. Auf christlicher Seite. Der Dialog, sagt von der Osten, "findet mit selbstmandatierten Figuren statt, die häufig in islamistischen Netzwerken enden". Was sich im Dialog als muslimisch präsentiere, sagt er, habe ein "geschlossenes antisemitisches, antiwestliches Weltbild". Figuren, die, so von der Osten, "mittels saudischer Petrodollars Netzwerke bilden und langsam, aber sicher migrantische Gemeinden im Sinne des Dschihad islamisieren".

Jeder, der das wissen will, wusste das auch schon vorher. Nur: Man hat es bisher so klar im Fernsehen noch nicht gehört. Insofern ist die Lange Nacht des ZDF ein Vorbild für weitere ehrliche Erkundungen.

G.Z.


epd medien Nr. 72, 15. September 2004


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