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15.03.2008 | Deutschlandradio | Andréa Vermeer

20 Jahre Giftgasangriff auf die irakisch-kurdische Stadt Halabja

von Andréa Vermeer

Im Frühjahr 2008 wurde Ali Hassan Al-Majeed, in Deutschland besser bekannt unter dem Namen Chemie-Ali, zum Tode verurteilt. Er war der verantwortliche Befehlshaber für den Giftgasangriff auf die kurdische Ortschaft Halabja im Jahr 1988. Ziel des damaligen Baath-Regimes unter Führung von Saddam Hussein war es, den kurdischen Widerstand zu brechen. Denn viele Kurden hatten während des Iran-Irak-Krieges mit den Iranern kollaboriert.

Die Straßen in Halabja sind in einem schlechten Zustand und so rollt der Jeep von Schlagloch zu Schlagloch. Kühe wollen auf die andere Straßenseite, der Fahrer fährt knapp an Ihnen vorbei.

Es ist Mittag in der kurdischen Kleinstadt und die Händler haben ihre kleinen Verkaufsstände zugehängt.

Wenn Falah durch die Stadt fährt, erinnert er sich an die Bilder, die er als Jugendlicher gesehen hat. Überall Leichen von Frauen, Kindern und Männern, ihre Körper sind entstellt, teilweise bis zur Unkenntlichkeit. Diese Bilder vergisst Falah nie. Er hat den Giftgasangriff des Regimes von Saddam Hussein auf die Kurden überlebt. Rund 8000 Menschen starben:

Ich war damals 14 Jahre alt, als wir mit dem Giftgas in Halabja angegriffen wurden. Wenn ich heute nach Halabja reise, dann hat sich nichts verändert. Es ist immer noch wie zu Zeiten des Giftgasangriffs. Es gibt keine Veränderung im Leben der Menschen. Das ist das Hauptproblem.

Heute arbeitet Falah für die Nichtregierungsorganisation "wadi". Er kennt die Probleme der Menschen, weil er mit ihnen die grausamen Erinnerungen teilt:

Am 16. März 1988, um kurz nach halb zwölf, fällt die erste Bombe auf Halabja im Süden von Kurdistan. Die Menschen geraten in Panik. Dann folgen weitere Angriffe, der süßliche Obstgeruch des Giftgases breitet sich aus. Falah erlebt den Angriff in seinen Albträumen wieder und wieder:

Niemand kümmert sich wirklich ernsthaft um die Menschen hier. Jeder in Kurdistan müsste eine psychologische Betreuung haben. Ich glaube, ich könnte alles ertragen, wenn ich wieder nach Halabja zurück müsste, wenn ich alleine bombardiert werden würde. Aber ich ertrage den Gedanken nicht, dass mein Sohn Shamlo so etwas je erleben muss. Vor ein paar Tagen träumte ich, dass ich mit Shamlo in der gleichen Situation bin. Wir leben alle in diesem Trauma und keiner beschäftigt sich damit.

Für die Menschen von Halabja wurde ein symbolischer Friedhof angelegt in Gedenken an die Opfer des Giftgasangriffs. Hunderte von Grabsteinen liegen symmetrisch angeordnet im Rasen. Ein großes Schild am Eingang erinnert an die Täter und verbietet Baathisten, den Gefolgsleuten von Saddam Hussein, den Zutritt.

Unter den Folgen des Anschlags leiden besonders die Frauen. Die Auslegung des Islam setzt Grenzen für ihr Leben in der Gesellschaft. Da ihre Männer nicht offiziell für Tod erklärt werden, müssen sie ihre Trauer fortsetzen. Sie dürfen nicht wieder heiraten und dies gilt auch für ihre Töchter. Ohne Familienoberhaupt, das traditionell das Geld verdient, haben die Frauen massive wirtschaftliche Probleme. Falahs Hilfsorganisation hat ein "Frauencafé" in Halabja eröffnet:

In diesem Café haben wir den Frauen die Möglichkeit gegeben, dass sie dort hinkommen können und unter sich sind. Sie können über ihre Probleme sprechen und auch über die Vergangenheit. Ab und zu beraten eine Rechtsanwältin und Sozialarbeiterin die Frauen. Sie versuchen mit ihnen zu reden. Aber das ist alles sehr eingeschränkt.
Das, was wir leisten können ist nur eine Art "Erste Hilfe". Eine kleine erste Hilfe. Aber was diese Regierung alles machen könnte, mit ihren Institutionen und Universitäten.

Von Zeit zu Zeit reisen kurdische Regionalpolitiker nach Halabja. Es sind offizielle Termine, die wie eine Inszenierung wirken, bei der im Minutentakt die Darsteller wechseln. Zuerst geht es in die Parteizentrale, dann spricht der Bürgermeister. Abschließend landet der Besucher auf einem der großen Sessel in einer lokalen Nichtregierungsorganisation für die Opfer von Chemiewaffen.

Ein Parteifunktionär erklärt, dass es vor allem darum ginge, Studien über den Giftgasanschlag durchzuführen und die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern aus dem Ausland auf sich zu ziehen. Die rund 15 Männer im Raum nicken zustimmend.

In einem Nebenraum der Organisation sitzen auf einem alten Sofa Nasanin, Begard und Najat. Sie leiden bis heute an den Folgen des Giftgasangriffs. Nasanin schiebt ihren Rock hoch und entblößt ihre Beine. Überall sind Narben zu sehen, sie bilden tiefe Krater auf ihrer Haut. Nur verschämt gibt sie dem Übersetzer kurze leise Antworten. Begard erklärt dem Übersetzer, was mit ihren Augen geschehen ist:

Diese Frau erklärt, dass sie bereits auf einem Auge erblindet ist und das andere Auge, so erzählt sie, wird auch bald nichts mehr sehen.

Emotionslos und nüchtern beschreiben die Frauen ihre Leiden.

Über psychische Probleme wird nicht gesprochen, das ist "aiba", beschämend, das gehört sich nicht. Eine weitere Auslegung des Islam darüber was angeblich unrein und damit schamvoll ist. Das macht es schwierig, die Überlebenden des Giftgasangriffs psychologisch zu betreuen, um ihre Vergangenheit aufzuarbeiten.

Im anderen Zimmer diskutieren die Männer weiter. Die Kurdische Regional Regierung bemüht sich um Schadensbegrenzung. Aber nach zwanzig Jahren fällt es schwer, einen Anfang zu finden für konkrete Hilfe besonders im sozialen Bereich.

In den Gesprächen klingen immer wieder die anderen Massaker des Baath-Regimes von 1988 an: die so genannten Anfal-Kampagnen bei denen im Laufe eines Jahres rund 182.000 Kurden verschleppt und getötet wurden.

Ziel des Baath-Regimes war es, den kurdischen Widerstand zu brechen. Denn viele Kurden hatten während des Iran-Irak-Krieges mit den Iranern kollaboriert. Den Kurden wurden im Gegenzug von den Iranern territoriale Zugeständnisse gemacht.

Die vielseitigen Wechselbeziehungen während des Iran-Irak-Krieges, beschreibt der Publizist Joost Hiltermann in seinem jüngsten Buch: "Eine vergiftete Angelegenheit".

Für die Nichtregierungsorganisation "Internationale Krisengruppe" reist er öfter in den Nordirak. Hiltermann stuft die Verbrechen an den Kurden eindeutig als Genozid ein. Die schockierende Wirkung vom Einsatz der chemischen Waffen habe weitreichende Konsequenzen:

Mit dem Einsatz von Giftgas in Halabja wurde es überhaupt möglich die Kurden so leicht von ihrem Land aus den Dörfern zu vertreiben und beinah schon automatisch gingen sie auf die asphaltierten Straßen. Und dort liefen sie direkt den lauernden irakischen Soldaten in die Arme und wurden in LKWs weggebracht in Camps. Dies ist alles sehr wichtig, für die Kurden, das ist logisch und verständlich. Das Irak-Tribunal hätte die Massaker behandeln müssen. Aber das Tribunal war vollkommen verkehrt aufgebaut worden, unilateral durch die Amerikaner mit dieser irakischen Regierung, die eigentlich nur Rache nehmen will.

Jetzt im Frühjahr 2008 wurde Ali Hassan Al-Majeed, in Deutschland besser bekannt unter dem Namen Chemie-Ali, zum Tode verurteilt. Er war der verantwortliche Befehlshaber während der Anfal-Kampagnen und auch für den Giftgasanschlag in Halabja.
Für die Überlebenden ändert sich damit jedoch nichts. Falah sagt: Die Albträume bleiben


© Deutschlandradio , 15.03.2008


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