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11. September 2006 | Österreich | Corinna Milborn

Mörderischer Giftgasangriff

Ex-Diktator steht wegen des Giftgasanschlags auf Kurden wieder vor Gericht

von Corinna Milborn

Saddam Hussein ließ die kurdische Kleinstadt Halabja vor 18 Jahren mit Giftgas angreifen. Jetzt steht der Ex-Diktator deshalb vor Gericht.

Halabja. „Diese Wasserleitungen habe ich selbst gebaut, als ich zwölf war. Kurz vor dem Ende.“ Fallah Mordakhin, 31, steht vor einem kleinen Haus aus Lehmziegeln in der nordirakischen Stadt Halabja. An der Mauer kleben dünne Metallrohre. Es war Fallahs letzte Arbeit am Haus seiner Familie – kurz vor dem Giftgasangriff am 16. März 1988, der die Bevölkerung der Stadt praktisch auslöschte.

Darunter waren fünf von Fallahs Geschwistern. Fallah war 13, als Saddam Hussein die „Anfal-Offensive“ gegen die Kurden startete, für die der Ex-Diktator jetzt vor Gericht steht. Fallah kauert mit seiner Familie im Keller unter dem Haus, als über Megaphon die Warnung kommt: „Gas-Angriff, Gas-Angriff!“ „Ab da war alles Chaos“, schildert Fallah. „Alle rannten in verschiedene Richtungen davon.“

Fallah rennt auf die nächste Bergkette zu, als die Flugzeuge kommen. Das Gas sticht in den Augen und der Lunge. Aus Hubschraubern schießen Scharfschützen auf die Flüchtenden. Nur mehr sein älterer Bruder ist in der Nähe, sie binden ihre Handgelenke zusammen, um einander nicht zu verlieren. Die beiden schaffen es auf den nächsten Berggrat. Unten liegt die Stadt im Nebel aus Sarin und Senfgas.

Leichenberge

Es ist ein windstiller Tag. Alle, die nicht schnell genug waren oder über die Hauptstraße flohen, sterben: 5.000 Leichen liegen in den Straßen. Fallah und sein Bruder bleiben ohnmächtig liegen. Aber sie überleben: Wochenlang verstecken sie sich in einer Höhle, fliehen weiter in den Iran. Auf langen Fußmärschen kommen sie viel später in den Irak zurück.

Gedenken im Elend

Halabja ist zum Symbol für Saddams Husseins Vernichtungszug geworden. Vor der Stadt prangt ein Gedenkmuseum in Form einer Giftgasbombe. Auch der ehemalige US-Außenminister Colin Powell war schon hier – doch das Elend in der Stadt hat er nicht gesehen. Drinnen sind die Straßen noch immer ungeteert, die Häuser in Handarbeit wieder aufgebaut. In der kleinen Schule wird aus alten Schulbüchern geleert, nur die Saddam-Bilder sind herausgerissen. Die Krebsrate ist hier 40 Mal höher als im Umland. Viele Kinder kommen behindert auf die Welt. Als eine Gruppe Jugendlicher im März einer Regierungsdelegation eine Petition übergeben wollte und nicht in die neue Gedenkstätte eingelassen wurde, explodierte die Stimmung: Der Bau wurde gestürmt und ausgebrannt. Die kurdischen Sicherheitskräfte schossen in die Menge, es gab wieder Tote n in Hallabja.

Menschenrechte

Fallah ist es um die Gedenkstätte nicht leid. Er ist heute Jurist, arbeitet in der nächsten Stadt für die deutsch-österreichische Hilfsorganisation WADI. Saddam Hussein droht die Todesstrafe. Fallah ist damit nicht einverstanden: „Wir wollen einen demokratischen Irak, in dem Menschenrechte gelten. Auch für den größten Verbrecher.“


© Österreich, 11.09.2006


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