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11.01.2008 | Die Welt | Nora-Vanessa Wohlert

Das erste Frauencafé im Irak

Mit Billigung der Männer - Zugang zu Bildungsangeboten

von Nora-Vanessa Wohlert

http://www.welt.de/

Berlin - Der Blick aus den Fenstern im obersten Stockwerk des Frauenzentrums der irakischen Stadt Halabdscha reicht in die Berge; der Blick hinein macht Mut: gemütliche Atmosphäre, Frauen lachen. So beschreibt Thomas von der Osten-Sacken von der deutsch-österreichischen Hilfsorganisation Wadi die Lage. Wadi hat das Frauenzentrum mit aufgebaut. Auf der Terrasse des Gebäudes in der Innenstadt wurde jetzt das erste Frauencafé im kurdischen Nordirak errichtet.

Tatsächlich gibt es in der Region kaum öffentlichen Kommunikationsraum für Frauen. Teestuben und Cafés gehören zur Männerwelt - Frauen bleiben die Orte verschlossen. Doch das Frauenzentrum Halabdscha hat jetzt Raum zum Reden geschaffen. Seit März 2004 bietet es den Besucherinnen den seltenen Zugang zu Bildungsangeboten. Erst die Akzeptanz des Zentrums auch durch Männer machte den Schritt zum Frauencafé denkbar. Kürzlich hat ein Mann zu von der Osten-Sacken gesagt: "Einmal die Woche wasche ich jetzt ab, und meine Frau geht ins Café."

Das Café erweitert das Angebot des Frauenzentrums. Nun treffen sich die Irakerinnen zum Beispiel zum gemütlichen gemeinsamen Kaffeetrinken. Die Frauen fänden Platz "für ihr Recht auf Spaß", sagt von der Osten-Sacken. Falah Moradkhin Shakaram, der das Projekt für Wadi betreut, erläutert: "Das Café bietet den Frauen zum ersten Mal eigenen Raum für Verwirklichungen. In Aufführungen, mit Musik und bei Festen schöpfen sie Selbstvertrauen." Das Café werde gut angenommen, sagt Moradkhin Shakaram. Bereits bei der Eröffnung seien etwa 300 Besucherinnen gekommen. Die Politik vor Ort unterstütze die Idee, und auch von den Männern habe es positive Resonanz gegeben.

Frauen stehen im Mittelpunkt der Arbeit von Wadi. Weit verbreiteten Problemen, wie Gewalttaten wegen "Verletzung der familiären Ehre" oder Restriktionen beim Zugang zu Bildung, soll durch Aufklärungsarbeit oder Leseklassen entgegengewirkt werden. In einer Region, in der noch immer fast 50 Prozent der Frauen weder lesen noch schreiben können, spielen solche frei zugänglichen Angebote eine entscheidende Rolle.

Auch ein mobiler Krisendienst unterstützt die Frauen. Dadurch soll ihnen in Notlagen schnell und unbürokratisch Hilfe von Krankenschwestern, Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen zuteil werden. Mithilfe eines Netzwerks von Frauenorganisationen vor Ort wurde auch das erste unabhängige Community-Radio "Neue Stimme" geschaffen, das sich vorwiegend mit den Anliegen und Problemen von Frauen und Jugendlichen im traditionell geprägten Nordirak beschäftigt. Der Radiosender beteiligt sich auch an einer aktuellen Kampagne gegen Genitalverstümmelung bei Frauen.

Das Engagement für Frauen ist nötig, da allen voran sie und die Kinder weiterhin mit den Folgen der baathistischen Herrschaft, des jahrelangen Embargos und des Krieges konfrontiert sind. Das erste Frauencafé im Nordirak befindet sich in einer Stadt, die besonders unter dem Regime Saddam Husseins zu leiden hatte. Halabdscha, die Stadt im Gouvernement As-Sulaimaniyya, 16 Kilometer von der iranischen Grenze entfernt, ist durch ihre traurige Geschichte bekannt: Im März 1988, am Ende des Krieges des Iraks gegen den Iran, wurde sie Schauplatz des Giftgasangriffs der Al-Anfal-Operationen der Baath-Regierung. Nach Schätzungen wurden damals 5000 Zivilisten getötet. Viele Überlebende leiden noch immer unter Langzeitfolgen.

Die Situation in der Region ist schwierig. Doch es zeichnen sich auch positive Tendenzen ab. Dies zeige die Eröffnung des Frauencafés, sagt Moradkhin Shakaram, und erzählt von der Eröffnung des Frauenzentrums im Jahr 2004. "Als wir das erste Frauenzentrum aufmachten, glaubte niemand an den Erfolg. Doch es war ein erster Schritt für viele weitere Frauenzentren." Die breite Resonanz, die dann die Eröffnungsfeier des Cafés in irakischen und kurdischen Medien hervorrief, und die Akzeptanz von politischer Seite lassen hoffen, dass es bald auch in anderen Städten Frauencafés geben wird.


© Die Welt, 11.01.2008


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