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06.11.2006 | Der Standard

Gesetz gegen "Herabwürdigung des Türkentums" vor Abschaffung?

Erdogan: Umstrittener Artikel 301 könnte geändert werden - Reaktion auf EU-Kritik - Neuer Prozess: Kurdenpolitiker Zana angeklagt

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Istanbul - Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Sonntag die Bereitschaft seiner Regierung erklärt, den umstrittenen Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches zu ändern, unter dem eine Reihe von Schriftstellern und Journalisten angeklagt wurde. Die EU, der die Türkei beitreten möchte, kritisiert den Artikel heftig und fordert dessen Reform.

"Wir sind offen für Vorschläge, um den Artikel 301 konkreter zu gestalten, sollten sich durch unklare Bestimmungen Probleme ergeben", erklärte Erdogan laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi.

Unterdessen hat in der Türkei ein neuer Prozess wegen des umstrittenen Artikels 301 begonnen. Wie die Menschenrechts- und Hilfsorganisation Wadi am Sonntag in einer Aussendung berichtete, begann letzte Woche in Istanbul der Prozess gegen den kurdischen Politiker und Menschenrechtsaktivisten Mehdi Zana, dem "Herabwürdigung des Türkentums" vorgeworfen werde.

Zana ist mit der prominenten kurdischen Politikerin und Sacharow-Preisträgerin Leyla Zana verheiratet. Er gilt in der Türkei als "Urgestein" des kurdischen Linksnationalismus. Ende der 1970er-Jahre wurde er zum Bürgermeister von Diyarbakir gewählt. Nach dem Militärputsch 1980 wurde er verhaftet, gefoltert und verbrachte viele Jahre im berüchtigten Militärgefängnis Nr. 5 in Diyarbakir.

In einem Interview mit dem Magazin "Tempo" hatte er vor kurzem erklärt, dass "Kurdistan" zwischen vier Staaten aufgeteilt wäre. Der Osten und Südosten der Türkei wäre Kurdistan und niemand könne dies leugnen. Der Iran und der Irak hätten diese Realität akzeptiert, die Türkei würde sie jedoch weiterhin leugnen. Dafür muss sich der 65-jährige Intellektuelle nun vor einem türkischen Gericht verantworten.

Trotz scharfer Kritik von Menschenrechtsorganisationen und der EU an Artikel 301, der die "Herabwürdigung des Türkentums" unter Strafe stellt und bis zu drei Jahren Haft androht, werden jedes Jahr mehrere Journalisten, Politiker und Intellektuelle auf Grund dieser Paragrafen angeklagt. Im September begann ein Prozess gegen einen Journalisten der in Istanbul erscheinenden armenischen Zeitung "Agos". Anfang 2006 wurde ein Verfahren gegen den Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk eingestellt. (APA


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