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Juli 2006 | Die Furche | Jutta Sommerbauer

Ehrensache Mord

Irakisch-Kurdistan gilt als Musterschüler, was Demokratie und Freiheit im Irak nach Saddam betrifft. – Nicht für Frauen: Ehrenmorde und (versuchte) Selbstverbrennungen zeugen von deren Verzweiflung.

von Jutta Sommerbauer/Suleymania

Im Zentrum der nordirakischen Stadt Suleymania gibt es einen Park, den jeder kennt. „Azadi-Park“ heißt er und auf Kurdisch klingt das verheißungsvoll. „Azadi“ bedeutet nämlich Freiheit. Bis 1991, bevor im Nordirak die von Kurden kontrollierte halbautonome Zone eingerichtet wurde, war der Freiheits-Park ein riesiges Militärgelände der irakischen Armee. Stacheldraht riegelte das Areal ab, das von den Bürgern nicht betreten werden durfte. Heute aber regiert hier sattes Grün; Teiche, Imbissbuden, bunte Blumenbete und schön gestaltete Wege ziehen viele Spaziergänger an. Besonders unter jungen Kurden ist die Grünanlage beliebt: Hier ist es nämlich unverheirateten Pärchen gestattet, einander zu treffen und zusammen auf den Holzbänken zu sitzen. Und das ist schon etwas, was im Nordirak mitunter als moralisch verwerflich gilt.
Auf einer Wiese hat sich eine Gruppe von jungen Leuten niedergelassen. Sie sind allesamt Studenten der Finanzwirtschaft an der hiesigen Universität und feiern den Geburtstag einer Kommilitonin. Tortenstücke werden verteilt, einige tanzen zu Volksmusik, die aus dem mitgebrachten Kassettenrecorder dröhnt. Was sie in ihrer Freizeit am liebsten tun? „Frauen hinterher schauen“, sagt einer der Jungen und lacht. Nein im Ernst, man müsse viel lernen, das Studium sei anstrengend. An persönlicher Freiheit scheint es den Studenten nicht zu mangeln. „Wir sind Jugendliche, wir sind frei. Wir können alles sagen und schreiben was wir wollen“, ist der 22-jährige Bahman Mohammad überzeugt.

Pflichtprogramm: Heiraten

Auch in Irakisch-Kurdistan sind es die Studenten, bei denen die Gesellschaft ein Auge zudrückt. Der Campus der Universität Suleymania erinnert ein bisschen an einen Zoo – Mädchen und Jungs beschnuppern sich hier vorsichtig, und das alles hinter schützenden Mauern. Doch manche stört die Doppelmoral. Haschan, eine 22-jährige österreichische Austauschstudentin, die hier ein Semester lang Politikwissenschaft studiert, rümpft die Nase. Auf der Uni ginge es doch nur ums Sehen und Gesehen werden. „Und nach den Vorlesungen werden die Mädels immer abgeholt. Es gibt niemanden, der allein nach Hause geht. Wenn ich zu meinem Auto gehe, schaut das sehr komisch aus.“ Freundschaft zwischen den Geschlechtern sei so gut wie unmöglich, erzählt sie, man käme sofort ins Gerede. Und Heiraten gehört nach wie vor zum Pflichtprogramm. Das Heiratsalter in der Provinz Erbil, die um einiges konservativer als Suleymania ist, liege beim „Baujahr 90“, sagt Haschan sarkastisch.
Frauen und Männer seien wie Feuer und Benzin – so lautet ein bekannter Spruch im Nordirak. „Frauen wird von klein auf gesagt: Nimm dich in Acht – Männer sind gefährlich“, erklärt Fallah Muradkhin, der lokale Leiter von Wadi, einer deutsch-österreichischen Hilfsorganisation, die Frauenprojekte im Irak durchführt. Auch die Familie und Verwandtschaft üben starke soziale Kontrolle aus. Wenn sich etwa jemand „ehrlos“ benimmt oder „Schande“ über die Angehörigen bringt, dann wird das sanktioniert. Im schlimmsten Fall bezahlt man mit dem Leben. Von Ehrenmorden, verstoßenen Frauen oder der hohen Zahl an weiblichen Selbstmorden erzählt man sich im Nordirak nur hinter vorgehaltener Hand. Doch in letzter Zeit hat die unabhängige Presse begonnen, diese Missstände publik zu machen.

Sara Qadir ist Journalistin bei der unabhängigen Wochenzeitung Awena. Die junge Frau, lässig in fleckige Jeans und eine weiße Bluse gekleidet, hat in Krankenhäusern recherchiert. 2005 haben 725 Frauen versucht, sich selbst zu verbrennen, 172 davon starben. „Wenn man in einer schrecklichen Familiensituation ist und es keine Möglichkeit gibt, das zu ändern – dann machen die Frauen das“, erklärt Qadir die Hintergründe.
Auch Ehrenmorde sind ein akutes Problem in der Region Suleymania. Qadirs Daten zufolge wurden im letzten Jahr 27 dieser Ehrverbrechen verübt. Allein in den ersten zwei Monaten des Jahres 2006 wurden wieder acht Frauen getötet. Obwohl die Ehrverbrechen mittlerweile unter Strafe stehen, kommt es selten zu Schuldsprüchen vor Gericht. Für bedrohte Frauen ist Flucht oft die einzige Rettung, ein Frauenhaus der letzte sichere Ort.

Flucht als einzige Rettung

Das Nawa-Zentrum in Suleymania befindet sich in einem ganz normalen Wohnviertel. Fast sieht es wie ein Einfamilienhaus aus – nur dass ein Polizist den Eingang des Gebäudes bewacht. Das Zentrum bietet Platz für bis zu 20 Frauen, die in hellen Mehrbettzimmern wohnen. Die hier lebenden Frauen wurden von Nächsten verstoßen und haben keinen Ort mehr, wo sie hingehen können. Oder sie wurden mit dem Tod bedroht, weil sie sich in den falschen Mann verliebten. „Zu Beginn haben die Leute gesagt: Wie könnt ihr euch nur in Familienangelegenheiten einmischen?“ sagt Diman Kamal Achmed, Sozialarbeiterin und Direktorin des 1999 eröffneten Zentrums. Doch das habe sich geändert „Die Öffentlichkeit hat uns akzeptiert.“
Im Irak gibt es aber nur zwei derartige Zentren – in Erbil und Suleymania. Beide wurden von Wadi aufgebaut. Mittlerweile verwaltet die Kurdische Regionalregierung beide Einrichtungen. „Unser Ziel ist es, Projekte nach einer gewissen Anlaufphase an die Behörden zu übergeben, denn es ist der Staat und nicht ein Verein, der für die Sicherheit und Unversehrtheit seiner Bürgerinnen zu sorgen hat“, so Mary Kreutzer von Wadi Österreich.

Frau gehört allen anderen

Die Zukunftsperspektiven für die Frauen, die hier her kommen, sind nicht gerade rosig. Denn eine allein lebende Frau wird von der Gesellschaft noch immer nicht akzeptiert. „Wir leben in einer islamischen Gesellschaft leben, in der die Frauen immer unter dem Mann stehen. Die Frauen gehören allen anderen, nur nicht sich selbst: dem Vater, dem Bruder, dem Ehemann“, erklärt Diman Kamal Achmed. Deshalb ist die Wiederverheiratung oft die einzige Chance für die Betroffenen, um das Frauenhaus wieder verlassen zu können. Dass der Norden und der Rest des Iraks sich politisch immer mehr miteinander zu tun haben, bekommen auch die Mitarbeiterinnen zu spüren. Die Regionalregierung sehe es nicht gerne, wenn Araberinnen aufgenommen werden, erzählt die Direktorin, hinter deren Schreibtisch ein Portrait von „Mam Jalal“, so die familiäre Anrede des irakischen Staatspräsidenten Jalal Talabani – prangt. Der angebliche Grund: Terror-Gefahr. „Wenn eine Frau auf der Straße steht, können wir sie doch nicht im Stich lassen!“ entgegnet Achmed.

Nicht nur Vorbild für Restirak

Irakisch-Kurdistan dient vielen Beobachtern bezüglich der Erfahrungen mit Demokratie aus den letzten 15 Jahren als Vorbild für den Restirak. Dennoch fällt es Frauenvertreterinnen schwer, ihre Forderungen in den politischen Gremien durchzusetzen. Denn in Zeiten von politischer Instabilität und Terrorgefahr ist das „nationale Interesse“ meistens wichtiger als die Geschlechtergleichheit. Häufig bleiben die Politikerinnen vor den Eingangstoren zur Macht stehen. Dahinter treffen sich die wohlbekannten Männerrunden. In der Anfang Mai neu vereinigten Kurdischen Regionalregierung sind nur zwei Ministerinnen – von 42 Kabinettsmitgliedern. Damit liegt das sonst so fortschrittliche Kurdistan hinter der Zentralregierung in Bagdad.
Dennoch scheint die Demokratie erste Früchte zu tragen. In Suleymania sind – zumindest tagsüber – unbegleitete Frauen auf den Straßen zu sehen, viele ohne Kopftuch, manche sogar in figurbetonter westlicher Kleidung. Und abends treffen sich Freundinnen im Serchnar-Vergnügungspark, um miteinander zu picknicken. Es war nicht immer so in Suleymania, sagt Achmed. „Aber heute gibt eine neue Generation von Frauen, die mutig sind und an die Öffentlichkeit gehen.“


© Die Furche Nr. 28/13. Juli 2006


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