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5. Februar 2007 | StopFGM

Erfolge im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung

Pressekonferenz von StopFGM anlässlich des internationalen Tages gegen weibliche Genitalverstümmelung

Teilnehmer:
Mag.a Barbara Prammer, Präsidentin des Nationalrates NAbg.
Petra Bayr, Sprecherin der Plattform stopFGM
Soma Ahmad, WADI – Verband für Krisenhilfe und solidarische Entwicklungszusammenarbeit
Mag. Martin Janata, Renner-Institut

Die im Herbst 2003 gegründete Österreichische Plattform gegen weibliche Genitalverstümmelung – stopFGM gibt auch heuer wieder anlässlich des 6. Februar, dem internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung, eine Pressekonferenz zum Thema.

Die Teilnehmer der Pressekonferenz

Die Teilnehmer: (v.r.n.l.) Soma Ahmad, Barbara Prammer, Petra Bayr, Martin Janata

Weltweit sind etwa 155 Millionen Frauen sexuell verstümmelt. Teile der äußeren Genitalien wurden ihnen mit Messern, Glasscherben oder Rasierklingen weggeschnitten, meist als Kind, oft schon als Baby. Sie sind jeglicher Lust an Sexualität beraubt, sie leiden ein Leben lang unter psychischen und physischen Qualen, beispielsweise deshalb, weil vor jeder Geburt, zum Teil sogar vor jedem Geschlechtsverkehr die Genitalien aufgeschnitten und danach wieder zugenäht werden. Täglich kommen weltweit etwa 7000 Mädchen dazu, die solcherart verstümmelt werden und so einen Teil ihrer Zukunft verlieren, wenn sie nicht an den Folgen des Eingriffes sterben, der fast immer unter unvorstellbaren unhygienischen Bedingungen vor sich geht. In 28 afrikanischen Staaten sind bis zu 90 Prozent aller Frauen und Mädchen von dieser Form der Gewaltanwendung betroffen.

Genitalverstümmelung von Frauen ist nicht religiös begründet, macht vor keiner gesellschaftlichen Schicht halt und ist nicht nur im fernen Afrika zu finden. FGM (female genital mutilation) passiert auch in Asien und Europa – auch in Österreich. Eltern glauben, ihren Töchtern nur durch die sexuelle Verstümmelung ein gutes Leben an der Seite eines Ehemannes garantieren zu können; Mädchen glauben, sie seien ohne den Eingriff nicht rein, nicht schön.

Mit einer 5000 Jahre alten Tradition zu brechen ist nicht einfach und trotzdem notwendig. Viele Familien, Clans und Dörfer haben dies erkannt und es setzt ein Umdenken ein: Familien ersparen ihren Töchtern den unvorstellbar grausamen Eingriff in ihre Integrität, immer mehr Männer bzw. deren Familien verzichten darauf, dass ihre zukünftigen Ehefrauen sich dem Ritual unterzogen haben.

Am 6. Februar 2003 wurde bei einer Konferenz des Inter African Committee der „International Day of Zero Tolerance to FGM“ ausgerufen. Die Deklaration ist ein Ergebnis des Tabubruchs, des Öffentlich -Machens des Unfassbaren, die Frucht der aufopfernden Arbeit vieler afrikanischen Frauen- und Menschenrechts- Organisationen. Der 6. Februar ist ein Gedenktag, an dem es gilt, Vereinbarungen im Kampf gegen FGM zu erneuern, an dem wir unsere Aufmerksamkeit auf das Problem fokussieren und uns selbst an die Konsequenzen erinnern, an dem alle am Kampf Beteiligten ihre Erfolge und Probleme überdenken; ein Tag, an dem neue Schritte geplant werden, an dem wir alle MeinungsbildnerInnen, politisch Verantwortliche und Involvierten daran erinnern, noch mehr dazu beizutragen, dieses grausame Ritual für immer auszulöschen und damit Frauen Freiheit, Selbstbestimmung und Würde zurückzugeben.


Nationalratspräsidentin Barbara Prammer hat auf Anregung der Afrikanischen Frauenorganisation 1999 als Frauenministerin eine Studie in Auftrag gegeben, die die Situation von betroffenen Frauen in Österreich erhoben hat. Österreich hat damals eine Vorreiterrolle im Kampf gegen weiblichen Genitalverstümmelung gespielt. Die Studie ist Ausschlag gebend dafür gewesen, dass das österreichische Parlament in einem Vier-Parteien-Beschluss das Strafgesetz dahin gehend erweitert hat, dass FGM ausdrücklich als Straftat aufgenommen wurde.

Prammer wurde auf Grund dieser und anderer Initiativen gegen FGM in der Folge vom Inter African Committee (IAC), einem Zusammenschluss von 28 afrikanischen Staaten, der Maßnahmen gegen FGM fördert, zur Goodwill-Botschafterin des IAC zur EU gemacht. Hier liegt auch der Schwerpunkt ihrer Aktivitäten gegen FGM.

Besonders wichtig im Kampf gegen FGM ist für Prammer die Zusammenarbeit mit den Betroffenen, und die Einbindung der Männer in die Aufklärungsarbeit. Denn so lange Männer nur eine verstümmelte Frau als Ehefrau akzeptieren, werden Väter und Mütter ihre Töchter dieser Tortur unterziehen.

Nationalrätin Petra Bayr, Sprecherin und Initiatorin der Plattform stopFGM, berichtet über die bisherigen Erfolge im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung. Der Bogen spannt sich von Gesetzeserlässen in Afrika, über gerichtliche Verurteilungen in Europa und den USA bis hin zu den zahlreichen Dorfgemeinschaften in Afrika, die sich – zum Teil in zeremoniellen Feierlichkeiten – von der grausamen Tradition abgewandt haben.

Äthiopien ist ein gutes Beispiel eines afrikanischen Landes, in dem zahlreiche Projekte von Hilfsorganisationen wie Care oder Menschen für Menschen bereits gefruchtet haben und sich ein Erfolg im Kampf gegen FGM bereits abzeichnet. Care beispielsweise hat mit einer Kampagne bei der Volksgruppe der Afar, die als nomadisierende ViehzüchterInnen leben, erreicht, dass im Zuge einer Versammlung der 76 höchsten religiösen Würdenträger eine öffentliche Weisung gegen FGM ausgesprochen wurde. Solche Ereignisse sind in Belangen eines Traditionsbruchs von enormer Bedeutung und in ihrer Wirkung nicht hoch genug einzuschätzen. Gesetzliche Regelungen alleine bringen keine Beendigung der Menschenrechtsverletzung gegen Frauen. Die Regierung bemüht sich bereits seit 1987 im Rahmen von Vorsorgeprogrammen um Aufklärung über die schädlichen Folgen von FGM und setzte auch ein nationales Komitee zu traditionellen Praktiken ein. 2004 wurde schließlich ein Gesetz erlassen, das FGM unter Strafe stellt. Auch die Hilfsorganisation Menschen für Menschen von Karl Heinz und Almaz Böhm hat durch ihre mittlerweile jahrzehntelangen Bemühungen erreicht, dass in sämtlichen Projektregionen FGM der Vergangenheit angehört. Immer beginnt der Erfolg mit einem Dorf, welches Beispielwirkung gibt und so nach und nach einen „Schneeballeffekt“ auslöst.

In zahlreichen afrikanischen Staaten steht FGM entweder explizit oder im Rahmen des Strafgesetztes als Körperverletzung unter Strafe – die tatsächliche strafrechtliche Verfolgung ist erst im Anrollen, aber auch dabei geben Einzelfälle eine positive Signalwirkung.

  • Uganda – 1996 wurde ein Mädchen durch richterlichen Beschluss vor FGM bewahrt,
  • Ghana – mehrere Verhaftungen, 1998 Verurteilung einer Beschneiderin, Regierung versucht mit Aufklärungsprogramm FGM einzudämmen
  • Elfenbeinküste – 2001 mehrere Verurteilungen
  • Kenia – 2002 Verhaftung und Anklage
  • Sierra Leone – 2002 mehrere Verhaftungen

Auch in Europa und in den USA gibt es erste gerichtliche Verfolgungen, die eine abschreckende Wirkung erreichen und verdeutlichen, dass wir weltweit im Kampf gegen FGM einen guten Schritt weiter gekommen sind.

  • Frankreich – Vorreiter in Europa: seit 1979 über 30 Prozesse (nimmt wegen Abschreckung ab)
  • Spanien – 2006 Asyl Antrag abgelehnt, der Nationale Gerichtshof urteilt dagegen, dass FGM eine „brutale physische und psychische Verletzung“ bedeutet und gewährt ein Bleiberecht für die Frau in Spanien
  • USA – 2006 wird ein Mann wegen Verstümmelung an seiner Tochter zu zehn Jahren Haft verurteilt
  • Schweden – 2006 wird erstmals Anklage gegen einen Vater erhoben, der Tochter in Somalia verstümmeln ließ


Martin Janata, Renner-Institut: Studie zur rechtlichen Situation von FGM in Europa

Seit der Gründung der Österreichischen Plattform gegen weibliche Genitalverstümmelung bemerken wir ein stetig steigendes Interesse am Thema FGM, dass auch von vielen Organisationen, die sich in den letzten Jahren der Plattform anschlossen, bestätigt wird.

StudentInnen verschiedener Fachrichtungen, SozialarbeiterInnen aber auch SchülerInnen melden sich, um Informationen für Hausarbeiten, Seminararbeiten oder ihre praktische Tätigkeit zu erhalten. Die Bewusstseinsbildung über dieses Problem ist voll im Gange.

Gerade mit dem steigenden wissenschaftlichen Interesse am Thema gelingt es bessere Ansätze für den Umgang mit Opfern von FGM im gesundheitlichen, psychologischen und gesetzlichen Bereich zu erarbeiten und umzusetzen.

Beispielhaft möchten wir hier die Empfehlungen einer Studie von Sophie Poldermans präsentieren, die im Rahmen der Ausarbeitung der Studie auch mit der Plattform Kontakt aufgenommen hat. Frau Poldermans arbeitete zur Erlangung des „European Masters in Human Rights and Democratisation“ eine Studie unter dem Titel „Combating Female Genital Mutilation in Europe“ aus, die die legislativen und präventiven Maßnahmen gegen FGM in den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien und Österreich vergleicht. Die komplette Studie kann von der Homepage der Plattform (www.stopfgm.net) heruntergeladen werden.

Empfehlungen der Studie:

  • Alle europäischen Staaten müssen das Problem FGM erkennen.
  • Es ist notwendig die Dimension von FGM in Europa zu erfassen.
  • National Aktionspläne sollten entwickelt werden. Ziel dieser Pläne wäre eine klare, nicht notwendigerweise spezielle, Gesetzgebung. Länder mit Spezialgesetzen, wie Österreich, sollten diese so gestalten, dass sie keine Interpretationsmöglichkeiten zulassen.
  • Hindernisse, die der Umsetzung der Gesetze im Weg stehen, müssen ausgeräumt werden (z.B. Doppelkriminalität).
  • Wege zu einem permanenten Monitoring müssen gefunden werden.
  • Vorbeugende Maßnahmen sollten von allen europäischen Staaten eingeführt werden (Aus- und Weiterbildung für Schlüsselpersonal o. Ä.)
  • Auf Ebene der europäischen Union sollte jedenfalls eine einheitliche Strategie zur Vorbeugung in Angriff genommen werden.


Soma Ahmad, WADI Österreich

Soma Ahmad, WADI Österreich

Soma Ahmad, WADI Österreich

WADI Österreich unterstützt v.a. Projekte mit und für Frauen im Irak und in der Türkei, ist aber auch in Europa für die Rechte von AsylwerberInnen und in der Informationsarbeit über den Irak, Türkei, Syrien, den Sudan und andere Staaten der Region aktiv. All diese Aktivitäten geschehen in aktiver Zusammenarbeit mit den demokratischen fortschrittlichen (oft oppositionellen) Kräften dieser Staaten. Seit 1995 unterhält WADI in Irakisch-Kurdistan zwei Büros. Lokale MitarbeiterInnen betreuen vor Ort die verschiedenen Projekte, wie etwa Frauenschutzhäuser, Frauenzentren, frauengeleitete mobile Teams, Alphabetisierungs-Programme in Gefängnissen usw. Außerdem unterstützt WADI einen Zusammenschluss lokaler Frauenorganisationen und arbeiten mit verschiedenen lokalen und internationalen Organisationen und UN-Agenturen zusammen.

Kampagne gegen Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) im Nordirak Mobile WADI-Teams organisieren (seit der Vertreibung der baathistischen und islamistischen Terrorgruppen aus dem kurdisch verwalteten Nordirak) Frauenversammlungen und leisten dabei medizinische, psychologische und juristische Betreuung. Die Teams bestehen aus je einer Sozialarbeiterin, einer psychologischen oder einer ärztlichen Fachkraft, oft auch in Begleitung einer Juristin. Nachdem sie die Region seit vielen Jahren betreuen und das Vertrauen der Bevölkerung genießen, wurden sie immer häufiger mit einem Tabu-Thema konfrontiert: ein Großteil der betreuten Mädchen und Frauen sind genital verstümmelt. Vor zwei Jahren führten die WADI-Mitarbeiterinnen eine erste statistische Erhebung in 40 Dörfern der Region Germian (im südlichen Nordirak) durch. Dabei wurden 1544 Mädchen und Frauen befragt. Das Resultat: 907 unter ihnen litten an den Folgen von FGM. Die MitarbeiterInnen entschlossen sich für eine breit angelegte Aufklärungskampagne. Seitdem zeigen sie bei den Frauenversammlungen einen Aufklärungsfilm gegen FGM, in dem nicht nur eine irakische Gynäkologin vor den schädlichen Folgen der Entfernung der Klitoris warnt, sondern auch ein liberaler kurdischer Mullah FGM ausdrücklich aus unislamisch benennt. Zu Beginn dieser Kampagne stand die Abwehr einiger Vertreter der kurdischen Regionalregierung. Vorwürfe wurden lanciert, dass die WADIMitarbeiterinnen mit ihrer Thematisierung des Tabu-Themas das Land als rückständig und primitiv diffamieren würden. In Österreich wiederum wurde WADI von zwei Vertretern islamischer Vereine öffentlich als „islamophob“ bezeichnet, denn FGM sei ein „afrikanischer Brauch“, den es im Irak „nie gegeben“ habe. Trotz aller Widerstände hat die Kampagne im Irak großen Erfolg, und genießt mittlerweile auch die Unterstützung diverser Regierungsvertreter der KRG (Kurdish Regional Government).

Letztes Jahr organisierte WADI in Erbil/Hawler eine gut besuchte Anti-FGMKonferenz. Daraus resultierend entstand eine Arbeitsgruppe, in der sich VertreterInnen irakischer Frauenorganisationen, der KRG und von WADI zusammenfanden, um an einem Gesetzesentwurf gegen die Ausübung von FGM arbeiten. In Bälde startet eine Anti-FGM-Inserat-Kampagne in allen Tageszeitungen des Nordirak sowie ein TV-Clip für sämtliche Fernsehsender. Im April 2007 beginnen - mit Unterstützung der Schweizer Caritas sowie der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit – drei Mobile Teams eine intensive Kampagne gegen FGM und in zwei Jahren soll eine fundierte Studie erstellt und veröffentlicht werden.

Soma Ahmad (WADI Österreich), geboren in Kirkuk, studiert Politikwissenschaft und Arabistik an der Universität Wien.


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