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04.06.2008 | Der gestiefelte Kater | Sofian Naceur

Über WADI e.V.

Interview mit Thomas von der Osten-Sacken

von Sofian Naceur

Sofian Naceur: Wie ist es zur Gründung von Wadi e.V. gekommen und welches grundsätzliches Konzept steht hinter der Organisation?

Thomas von der Osten-Sacken: Die Gründung von Wadi war im Winter 1991/1992 und maßgeblich beteiligt daran waren damals Leute, die nach dem Zweiten Golfkrieg in verschiedenen Projekten im Irak und in irakisch Kurdistan gearbeitet haben. Ich war einer davon, ich hab als Student damals noch im Südirak in verschiedenen Hilfsprojekte für eine christliche Organisation gearbeitet. Dort habe ich einerseits die barbarische Realität im Irak kennen gelernt und auf der anderen Seite aber auch die Möglichkeiten gesehen, die man hat um etwas zu verändern.

Das Konzept von Wadi hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Unsere Idee war immer konkrete emanzipatorische Hilfe vor Ort mit einer relativ klar dezidierten Politik zu verbinden. Und zwar in drei Feldern: einerseits in der Asylpolitik, wir waren sehr aktiv in der Flüchtlingsarbeit bei Menschen aus dem Nahen Osten und eben auch dem Irak; zweitens: mit einer ganz klaren Aussage, dass es uns mit unserer Arbeit nicht nur um die Hilfe bei der Demokratisierung geht, sondern eben auch um den Kampf gegen die Diktatur Saddam Husseins und damit letztlich auch um den Kampf gegen Diktaturen im Nahen Osten, und das eben vor Ort zu verbinden mit Projekten die sich ganz spezifisch an Bevölkerungsgruppen richten, die unter Ausgrenzung, Ausbeutung und Unterdrückung leiden, wie eben als eine der ganz zentralen Gruppen Frauen oder Gefangene. Wir haben seit 1993 kontinuierlich in irakisch Kurdistan gearbeitet und dadurch auch immer mehr die ganzen Probleme in der Region kennen gelernt und daraus ist dann das Profil entstanden, dass wir heute haben.

Sofian Naceur: Ihre Arbeit setzt sich zusammen auf der einen Seite aus der konkreten Projektarbeit im Nordirak oder in Jordanien und auf der anderen Seite aus Öffentlichkeitsarbeit. Wo liegt ihr Schwerpunkt?

Thomas von der Osten-Sacken: Beides, das ist definitiv nicht zu trennen. In gewissen Zeiten, etwa als der Krieg gegen den Irak 2002 virulent wurde, lag unser Schwerpunkt weit stärker in der Öffentlichkeitsarbeit, weil es uns da wichtig war, den Irakern und auch spezifisch der irakischen Opposition eine Stimme zu geben. Im Moment liegt unsere Arbeit jedoch eindeutig weit stärker in der Projektarbeit. Letztlich jedoch gehören die Arbeit vor Ort, die Öffentlichkeitsarbeit und früher die Arbeit für Flüchtlinge zusammen und sind voneinander nicht trennbar.

Sofian Naceur: Was hat sich bei ihrer konkreten Projektarbeit und den Möglichkeiten, die sie im Irak haben, seit dem Sturz von Saddam Hussein 2003 geändert?

Thomas von der Osten-Sacken: Man hat eine Zukunftsperspektive. Zwischen 1991 und 2003 haben die Kurden im Nordirak in einer permanenten Angst gelebt, dass die Truppen von Saddam Hussein wiederkommen. Man wusste was im Südirak passiert, wo letztlich die Menschen in den 90er Jahren dasselbe Schicksal durchlitten haben wie die Kurden in den 80er Jahren, also die systematische Zerstörung ihrer Lebensgrundlage und ihrer Existenz. Und niemand hat defacto geglaubt, dass dieses irakisch Kurdistan, dass da in einem völkerrechtlichen Niemandsland existiert hat, eine Zukunft hat. Das heißt, damit waren Projekte, die wirklich auf einen langen Zeitraum von fünf oder zehn Jahren angelegt waren, letztlich unmöglich, weil niemand an deren Realisierung geglaubt hat. Eigentlich habe die Leute nur daran gedacht haben ins Ausland zu gehen oder zu fliehen, während heute die Situation durchaus anders ist. Wie Kurden gerne sagen; früher hat man mit gepackten Koffern gelebt und heute fährt man zum Picknicken in die Berge. Es gibt niemanden mehr, vor dem man wirklich Angst haben muss, man kann eine Zukunft für sich und die eigenen Kinder planen. Und das heißt natürlich auch, dass gesellschaftliche Veränderungen viel langfristiger gedacht werden können. Aber die Theorie, die wir immer vertreten haben und die ich weiterhin für richtig halte ist, der Sturz von Saddam Hussein war die Voraussetzung der Bedingung der Möglichkeit für eine Veränderung. Nun ist die Berichterstattung in Europa und spezifisch in Deutschland über die Situation im Irak relativ einseitig, sie ist beschränkt auf Terrorattacken, Unsicherheit und Angst, während man die positiven Entwicklungen weniger sieht. Wie gesagt, die Bedingung einer positiven Veränderung war der Sturz Saddam Husseins. Dieses Regime ist unreformierbar gewesen. Wenn man aber auf der anderen Seite sieht - ich war eine der wenigen deutschen Wahlberichterstatter bei der ersten Wahl 2005 im Irak - mit welcher Begeisterung gerade im Süd- und Nordirak gewählt wurde und welche Hoffnungen die Menschen mit dem Sturz des Baath-Regimes verbunden haben, dann denke ich, sollte dies der Maßstab sein um die Lage zu bewerten.

Sofian Naceur: Ein wesentlicher Teil ihrer konkreten Projektarbeit im Irak befasst sich mit der Bekämpfung der Genitalbeschneidung bei Frauen. Was haben sie in diesem Gebiet bereits erreicht?

Thomas von der Osten-Sacken: Eine Menge, dafür das man vor fünf Jahren weder in der UN noch in der WHO überhaupt wusste, dass es östlich des Suezkanals Genitalverstümmelung bei Frauen in nachweisbarem Ausmaße gibt und dies im allgemeinen nach wie vor als afrikanisches Problem bezeichnet wird. Wir sind über unsere Arbeit in den Jahren 2003/2004 über mobile Teams, die in die Dörfer gefahren sind, auf dieses Problem gestoßen und haben entsetzt feststellen müssen, dass in einzelnen Dörfern in denen wir arbeiten 50 – 60% der Frauen und Mädchen verstümmeln sind. Wir haben dann unterschiedliche Initiativen ergriffen. Einerseits haben wir zusammen mit einem kurdischen Filmemacherteam einen Aufklärungsfilm gedreht, der in den Dörfern gezeigt wird und die Frauen direkt ansprechen soll. Zudem haben wir gemeinsam mit unterschiedlichen Akteuren in irakisch Kurdistan verschiedene Konferenzen und Medieninitiativen durchgeführt und vor allem eine Petition an das kurdische Regionalparlament initiiert, ein Gesetz gegen diese Praxis zu verabschieden, welches das erste Gesetz wäre, das offiziell bestätigen würde, dass es diese Praxis gibt. Diese Petition ist von 14.000 Menschen, Frauen und Männern, unterschrieben worden. Der Gesetzesentwurf ist der erste Schritt dafür, eine wirklich großangelegte Kampagne gegen die Genitalverstümmelung von Frauen zu starten. Bisher machen wir das mit unseren sehr begrenzten finanziellen und personellen Mitteln. Letztlich ist dies nicht Aufgabe einer kleinen NGO, sondern letztlich muss dies Aufgabe der UN und Aufgabe von nationalen Regierungen sein. Jedoch versagt die UN bislang gnadenlos. Was wir aber jetzt schon im Vorfeld vorbereiten, sind Komitees, an denen Vertreter des Parlaments und der verschiedenen involvierten Ministerien (Sozialministerium, Erziehungsministerium, Gesundheitsministerium, Religionsministerium, Polizei) beteiligt sind und man dann gemeinsam eine Art Fünfjahresplan entwickelt, an dem das Parlament messen kann wie Dinge implementiert werden und wie eine effektive Präventionsarbeit im Land aussehen kann.

Sofian Naceur: Ein weiteres Feld eurer konkreten Arbeit ist der Aufbau von Community Radios im Nahen Osten. Dabei habt ihr unter anderem ein solches Radio im nordirakischen Halabja aufgebaut. Wie hat sich dieser Sender etabliert und wie arbeitet er?

Thomas von der Osten-Sacken: Die Idee ist damals aus verschiedenen Projekten, die wir damals unterstützt haben, entstanden; vor allem aus einem Frauenzentrum in Halabja. Es bestand der Bedarf, das ein Medium entwickelt wird, das den Menschen vor Ort eine Stimme gibt, in einer Region in der fast alle Zeitungen, Radiostationen und TV-Sender zu bestimmten Parteien gehörten und eben als Propagandainstrument dieser Parteien wahrgenommen werden. Aber mir erschien dies sofort als eine gute Idee, auch augrund von Literatur über die Bedeutung von Community Radios für die Demokratisierung und die Stärkung von Frauenrechten in einigen afrikanischen Ländern. Wir haben dann von der Pieke auf mit den Menschen in Halabja diese Idee entwickelt, eines der ersten Frauen- und Jugendradios aufzubauen, dass sich eben spezifisch an die beiden Bevölkerungsgruppen richtet, die auf der einen Seite die absolute Mehrheit in den Gesellschaften des Nahen Ostens stellen und auf der anderen Seite am wenigsten überhaupt zu Wort kommen. Also zum einen Frauen, die weitestgehend ausgeschlossenen sind aus Gesellschaft und Politik und zum anderen Jugendlichen, die überhaupt keine Möglichkeiten haben ihre Energien, Wünsche und Träume zu artikulieren und auch umzusetzen, so wie wir das gewöhnt sind mit Jugendzentren und autonomen Kulturclubs.

Und über einen sehr langwierigen Prozess, nachdem wir dann die Finanzierungszusagen einer US-amerikanischen und einer spanischen Organisation hatten, haben wir erst einmal mit einer Gruppe von Jugendlichen die Grundlagen entwickelt, was denn eigentlich ein Community Radio ist und was man bei einer solchen Einrichtung beachten muss und ihnen dabei geholfen sich selbst eine Art von Konstitution zu geben. Sie wollten das unbedingt demokratisch und mit einem Rotationsprinzip, und dann habe wir ihnen erklärt was das für Möglichkeiten aber auch Konfliktfelder das eröffnet. So ist dann sozusagen in den letzten drei Jahren dieses hocherfolgreichen Radio entstanden und das von Menschen, die größtenteils keinen Schulabschluss haben und meistens in iranischen Flüchtlingslagern aufgewachsen sind, professionell geleitet wird und Vorbild ist für andere Radiostationen. Mittlerweile haben sie zudem die Möglichkeiten des Radios und des Radiomachens in seiner ganzen Vielfalt ausgenutzt; einerseits um direkt mit und für Frauen Radio zu machen, nachmittags für Jugendliche wenn diese aus der Schule kommen, abends Kulturprogramm, aber eben auch Programme, wo Lokalpolitiker sich rechtfertigen müssen. Menschen können hier also anonym anrufen und Lokalpolitiker nach ihrer Arbeit und ihren Versprechen ausquetschen und plötzlich müssen diese sich für ihre Arbeit rechtfertigen und zwar über dieses unabhängige Medium Radio.

Sofian Naceur: Du hast eben das Rotationsprinzip angesprochen. Wie funktioniert das Rotationsprinzip bei diesem Sender und welche Erfahrungen hast du damit gemacht?

Thomas von der Osten-Sacken: In den vergangenen drei Jahren hat sich ein Stamm von fünf Redakteuren herausgebildet, die jetzt als bezahlte Vollzeitredakteure dort arbeiten und um diesen Stamm gibt es freiwillige Leute, die für die verschiedenen Programme verantwortlich sind. Und diese fünf Redakteure sind sozusagen der gleichberechtigte Stamm des Radios, was sehr revolutionär ist, in einer Region, die extrem hierarchisch geprägt ist. Alle vier Monate wechselt dann die Position des Repräsentanten und Außensprechers des Radios unter diesen Stamm. Zudem sind Frauen gleichberechtigt mit Männern und dieses System funktioniert bei diesem Radio.


© Der gestiefelte Kater, 4. Juni 2008


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