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04.05.2006 | Die Presse.com

Wo einst der Terrorpate predigte

REPORTAGE. Zwei Jahre lang unterdrückte al-Qaida-Schlächter Mussab al-Zarqawi die Bewohner des irakischen Dorfes Biara. Die Spuren der Schreckensherrschaft sind beseitigt. Doch Angst vor Rache der Islamisten ist geblieben.

Die Männer in den Tarnanzügen kontrollieren akribisch die Reisepässe. Besucher aus Europa verirren sich nur selten in diese unwegsame Berggegend. Nach einem kurzen Blick ins Innere des Wagens geben die kurdischen Kämpfer den Weg frei. Es sind Soldaten der neuen Spezialeinheit "Asaisch", die die kurdische Regionalregierung des Nordirak an den unruhigen Rändern ihres Herrschaftsbereichs Wache schieben lässt. Nur einen Kilometer hinter diesem letzten Checkpoint beginnt der Iran.

Ein Netz geheimer Bergpfade und Felshöhlen überzieht das Grenzgebiet. Nicht nur Schmuggler treiben hier seit jeher ihr Unwesen. Hier fand auch ein Mann Zuflucht, der heute zu den meistgesuchten Terroristen der Welt zählt: Abu Mussab al-Zarqawi, Kopf der al-Qaida im Irak, Mastermind der brutalsten Anschläge im Zweistromland.

Der Wagen lässt den Kontrollposten der kurdischen Soldaten hinter sich, kämpft sich die schmale, staubige Straße weiter in Richtung Iran. Auf den Hügelketten, die sich in nur einigen hundert Metern Entfernung auftürmen, liegen die ersten Stellungen der iranischen Grenztruppen. Direkt darunter, - noch auf irakischer Seite -, schmiegen sich niedrige Häuser an den bewaldeten Abhang. Durch das Grün leuchten die hellblauen Kuppeln einer Moschee. Der kleine idyllische Ort Biara ist der letzte Außenposten des Irak.

"Ihr könnt aufhören, zu kämpfen. Hier seid ihr doch schon im Paradies", hatten die Bewohner Biaras den bärtigen Männern geraten, die 2002 in das Dorf einmarschiert waren. Unter den bewaffneten Eindringlingen: al-Zarqawi.

Auch die Fremden seien anfangs von der Schönheit der Natur, den malerischen Wasserfällen, betört gewesen, erzählt man sich in Biara. Doch langfristig dachten die Islamisten von "Ansar al-Islam" nicht daran, ihr Streben nach dem himmlischen Paradies aufzugeben. Als Vorstufe zur Herrschaft Gottes im Jenseits errichteten sie in Biara die absolute Herrschaft des Islam auf Erden - oder zumindest dessen, was sie unter Islam verstanden. Sie nisteten sich in der kleinen Moschee mit den blauen Kuppeln ein - ursprünglich ein Gotteshaus eines Sufi-Ordens. Hier soll auch al-Zarqawi seine Hasspredigten gehalten haben.

Khalid Hamali kann sich noch gut an diese dunkle Zeit erinnern. "Sie haben meinen Onkel umgebracht", berichtet der Dorflehrer. "Bis heute wissen wir nicht, wo seine Leiche vergraben liegt."

Die Frauen von Biara hatten sich während der Regentschaft der Islamisten kaum aus dem Haus gewagt. Wenn doch, mussten sie sich voll verschleiern. "Zu Beginn hielten sich viele Frauen nicht daran. Einige wurden geschlagen. Bei ihren Männern trieben die Araber Geldstrafen ein", erzählt Hamali. Das Wort Araber betont der Lehrer besonders. "Wir aus dem Dorf hatten mit diesen Kämpfern nichts zu tun. Die kamen von außen - aus arabischen Ländern und aus Afghanistan."

Ob er sich an den späteren Topterroristen al-Zarqawi erinnern kann? Hamali lächelt. "Es waren so viele Kämpfer hier. Sie benutzten Alias-Namen. Und wir haben versucht, möglichst wenig mit ihnen zu tun zu haben."

Im März 2003, während des Feldzuges gegen Saddam Hussein, wurde dem Islamisten-Spuk in Biara ein Ende bereitet. US-Kampfflugzeuge bombardierten den Ort. Dann rückten kurdische Peshmerga in die Siedlung ein. Die Kämpfer von "Ansar al-Islam" zogen sich zurück. Sie versteckten sich in den nahen Höhlensystemen oder setzten sich in den Iran ab. Die Umstände von al-Zarqawis Flucht liegen im Dunkeln. Die Luftangriffe zerstörten große Teile des kleinen Ortes. Oft genügte nur eine Detonation in einiger Entfernung, um die fragilen Häuser zum Einsturz zu bringen. Heute ist Biara wieder aufgebaut. Statt Lehm wurde vielfach Beton verwendet, um die Häuser diesmal stabiler zu machen.

Auch sonst hat sich in Biara einiges verändert. Statt Schleiern tragen die Frauen heute Kopftücher; und besuchen ein Frauenhaus, dass die Hilfsorganisation "Wadi" aufgebaut hat. Unterstützung für das Zentrum kommt von der österreichischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit ADA und der Stadt Wien.

Im Frauenhaus unterrichtet auch Hamali. Noch immer sei es den Frauen unangenehm, auf ihrem Weg dorthin gesehen zu werden, berichtet der Dorflehrer. "Sie haben Angst, die Islamisten könnten eines Tages zurückkehren."


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