WADI Projekte

Das Männergefängnis von Suleymania


Seine neue Rolle scheint ihm zu gefallen. Kaum hat sich das schwere Eisentor hinter uns geschlossen, wird Mohammed Sarkawt von allen Seiten bestürmt. Der Ton ist bei allem Respekt freundschaftlich. Alle fragen nach den versprochenen Trikots. Sie haben vor einem halben Jahr eine Fußballmannschaft aufgebaut, und nummerierte Trikots sind die Voraussetzung, um gegen andere Mannschaften in Suleymania und Umgebung spielen zu dürfen. Und die Häftlinge wissen: Ihr Direktor ist selbst Fußballfan, irgendwann wird er die Trikots beschaffen.

07.12.2004 | IRIN News
Newspapers, Kurdish-prison style

Wir sind nicht auf dem Fußballplatz, wir sind im Männergefängnis von Suleymania, der zweitgrößten Stadt im kurdischen Nordirak, wo sich 1991 die Menschen von der Diktatur Saddam Husseins befreien konnten. Und hier hat sich in den vergangenen Jahren einiges geändert. Als ein Gefangenenkomitee und WADI mit dem Vorschlag kamen, Projekte im Gefängnis von Suleymania zu starten, war auch Mohammed Sarkawt skeptisch. Gewiss, mit Geldern von UNICEF wurde in den 90er Jahren das Frauengefängnis renoviert, auch im Jugendgefängnis gab es Rehabilitierungsprogramme. Aber eine Gefängnisbibliothek, Sprachkurse, Werkstätten? Für Häftlinge? Doch das Justizministerium in Suleymania stimmte zu, und Sarkawt bestätigt, dass die Projekte den Gefängnisalltag in kurzer Zeit einschneidend verändert haben. Die Häftlinge haben hier im eng gesteckten Rahmen der Gefängnisvorschriften die Möglichkeit bekommen, in Eigeninitiative ein menschenwürdiges Leben aufzubauen, sie können sich weiterbilden, praktische Kenntnisse erwerben, selbst eine eigene Zeitung herausgeben.


Was hier in Suleymania dank der Reformbereitschaft der kurdischen Regionalverwaltung möglich wurde, ist nur wenige hundert Kilometer weiter südlich, im von der Regierung kontrollierten Teil des Iraks, undenkbar. Gefängnisse im Irak sind traditionell Verwahranstalten, die auch wegen Bagatelldelikten verurteilte Kurzzeithäftlinge häufig nicht lebend verlassen. Im Irak werden Gefangene in große Baracken eingesperrt, zu Dutzenden auf engstem Raum sich selbst überlassen. Die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. In den Gefängnissen wird gefoltert, hingerichtet. Willkür bestimmt den Alltag. Es gibt keine Instanz, die den Respekt vor den Grundrechten Gefangener überwacht. In dem Klima der Angst richtet sich die Aggression der Häftlinge häufig gegeneinander. Nur wer Geld hat, hat eine reelle Chance, dem Gefängnis heil zu entkommen.

Auch das Gefängnis in Suleymania weist äußerlich viele Merkmale irakischer Gefängnisse auf. Es besteht aus lang gezogenen Aufenthalts- und Schlafräumen, die an dem einen Ende von einem Verwaltungstrakt verbunden werden.

In einem großen Raum dieses Verwaltungstraktes ist eine Bibliothek untergebracht, die von den Häftlingen selbst verwaltet wird. Im hinteren Teil des Raumes finden die verschiedenen von WADI finanzierten Kurse statt. Es ist kurz vor Eins, wir sind pünktlich, aber nur der Leiter der Bibliothek ist bereits anwesend. Stolz zeigt er seine Bücher. 800 Bände sind mittlerweile zusammen gekommen. Aber das reicht nicht: Viele Insassen haben bereits alle Bände durchgelesen, manche haben ihre Lieblingsbücher sogar mehrfach ausgeliehen. Wir brauchen dringend neue Bücher, sagt der Leiter der Bibliothek.


Heute startet der Anfängerkurs Englisch. Geleitet wird der Kurs von einem arabischen Häftling, er wurde wegen Spionage verurteilt. Er war früher Englischlehrer, deshalb fiel die Wahl auf ihn. Er legt die Materialien aus, wischt die Tafel, startet die Computer. Die ersten Häftlinge kommen herein. Die akademische Viertelstunde hat sich auch hier durchgesetzt – der Besuch der Kurse ist freiwillig. Aber schnell hat sich der Raum gefüllt. Vierzig Teilnehmer wollen hier Englisch lernen. Nur die Computerkurse sind beliebter, hier gibt es eine Warteliste, denn bei momentan zwei Computern muss die Teilnehmerzahl begrenzt werden. Ein Alphabetisierungskurs wurde vor einem Monat abgeschlossen. Der Folgekurs soll in zwei Wochen beginnen – vorausgesetzt, es findet sich Geld für das Kopieren der Unterrichtsmaterialien.

Wir gehen weiter. In der hintersten Barackenreihe befinden sich die vom Gefangenenkomitee und WADI eingerichteten Werkstätten, eine Schlosserei und eine Schreinerei. In der Schreinerei herrscht Hochbetrieb. Etwa zwölf Menschen arbeiten hier an einem Großauftrag: Sie renovieren die gesamte Einrichtung des benachbarten Frauengefängnisses: Schränke, Tische, Stühle. Sie waren in einem katastrophalen Zustand, sagt der Leiter der Schreinerei.

In der dahinter untergebrachten riesigen Schlosserei hingegen ist zur Zeit nur wenig zu tun. Über 30 Gefangene haben hier bereits eine kleine Ausbildung erhalten. Das Interesse an der Vermittlung von handwerklichen Kenntnissen sei nach wie groß, sagt der Leiter der Schlosserei, ein Lebenslänglicher. Aber zur Zeit fehle es an Materialien, selbst Metallschrott sei auf dem Markt schwer zu bekommen oder unbezahlbar. Deshalb könne man nur Kleinreparaturen ausführen. Er zeigt uns ein Hochbett. Fast alle Betten im Gefängnis wurden von den Häftlingen selbst gebaut, nach den Vorstellungen der Häftlinge. Sie sind für den Gebrauch in den großen Schlafsälen optimiert. Hier verbringen die Häftlinge das Gros ihrer Zeit verbringen. In den Großräumen sind bis zu 50 Menschen untergebracht. Aber die Hochbetten erlauben trotzdem ein Minimum an Intimsphäre, denn die einzelnen Abteile können mit Vorhängen verhängt werden.


Das Gefangenenkomitee hat viele weitere Ideen. Ganz oben auf der Wunschliste steht ein Raum, in dem die Häftlinge an Besuchstagen ihre Familien empfangen können. Bislang müssen die Treffen, ob bei Schnee im Winter oder in der prallen Sommerhitze, im Freien abgehalten werden. Dass Intimität unter diesen Bedingungen unmöglich ist, ist noch das kleinste Problem. Platz gibt es auf dem Gefängnisgelände genug, nur das Geld fehlt.

Auch der Sprecher des Gefangenenkomitees sagt, dass das mangelnde Geld das größte Problem sei. Die Gefängnisleitung würde die meisten Vorschläge unterstützen, aber meist scheitere die Umsetzung an Finanzierungsproblemen.

Jeder Häftling kann sich mittlerweile über Fernsehen oder Zeitungen über die Welt draußen informieren. Alle Insassen im Gefängnis wissen, dass die kurdische Regionalverwaltung Reformen im Justizwesen und im Strafvollzug in Angriff nimmt. Die Todesstrafe ist faktisch abgeschafft, die meisten Prozesse werden in Suleymania öffentlich verhandelt, jeder Angeklagte hat ein garantiertes Recht auf Verteidigung. Im Juli 2002 wurde die erste Frau zur Richterin berufen, um der Benachteiligung von weiblichen Angeklagten vor Gericht entgegenzuarbeiten. Weitere Richterinnen sollen folgen. Auch im Strafvollzug sollen in den von der kurdischen Regionalverwaltung kontrollierten Gefängnissen Rehabilitierung und Wiedereingliederung der Gefangenen im Vordergrund stehen. Der Wille ist ja da, sagt der Sprecher des Gefangenenkomitees, aber, besonders in den Gefängnissen, kein Geld. Und daran würden viele gute Projekte scheitern. Wenn wir keine Bücher und Schreibhefte haben, können wir keine Sprachkurse durchführen. Wenn wir keine Baumaterialien haben, keine Schlosserarbeiten ausführen. Und das wäre schade, sagt er.

Gefängnisdirektor Mohammed Sarkawt nickt: „Wir sind bereit, den Häftlingen auch im Gefängnis ein Leben als Menschen zu ermöglichen, sagt er, aber dafür brauchen wir Geld. Wir beantragen immer wieder Sondermittel, aber nur in den seltensten Fällen werden die bewilligt, die öffentlichen Gelder sind knapp. Deshalb sind wir für die großen und längerfristigen Projekte dringend auf Hilfe von Organisationen wie WADI angewiesen. – Nur für die Fußballtrikots finde ich hoffentlich selbst Sponsoren, fügt er grinsend hinzu.“

Martin Roddewig


WADI e. V. unterstützt seit 1994 Projekte in den Gefängnissen von Suleymaniah.


WADI e.V. | tel.: (+49) 069-57002440 | fax (+49) 069-57002444
http://www.wadinet.de | e-mail: