WADI Projekte: In den Männergefängnissen von Sulemaniyah und Dohuk in Irakisch-Kurdistan

Perspektiven jenseits der Gefängismauern


Hintergrund

1991 konnte sich die Menschen in Irakisch-Kurdistan von der Herrschaft Saddam Husseins befreien und seitdem herrscht dort eine Selbstverwaltung, die auch acht Jahre nach der Befreiung weiterhin gesellschaftlich, politisch und ökonomisch vor schier unlösbaren Problemen steht.


Im Gefängniswesen haben die Kurden die entsprechenden Einrichtungen aus der Zeit Saddam Hussein übernehmen müssen. Im Irak herrschen in den Gefängnissen - sowohl für politische Gefangene als auch für zivilrechtlich Verurteilte - unvorstellbare Zustände. So war auch das Gefängnis von Sulemaniyah heillos überbelegt, verfügte über keine ausreichenden Freizeit- und Bildungseinrichtungen und die sanitären und medizinischen Bedingungen waren katastrophal. Hinrichtungen innerhalb der Gefängnismauern, Folter und Einzelhaft waren die Regel. Die Gefängnisse galten als sinnbildlicher Ausdruck der Schreckenherrschaft im Irak.

Die Einrichtung eines neuen Gefängnisses für männliche Langzeitgefangene in Sulemaniyah 1997 ist vor diesem Hintergrund als immenser Fortschritt zu werten. Die Regionalverwaltung in Sulemaniyah hat sich aufgrund der überfüllten Gefängnisse innerhalb des Stadtgebietes entschlossen, neue Einrichtungen zu schaffen. Dies ist neben dem Männergefängnis eine Strafvollzugseinrichtung für Minderjährige. Ein Komitee bestehend aus ehemaligen Gefangenen des irakischen Regimes, der Soziologischen Vereinigung Sulemaniyahs und Gefängnisbeamten hat dabei ein - für den Irak neuartiges - Rehabilitationsprogramm entwickelt

Nicht mehr Strafe und Züchtigung stehen im Zentrum der neuerichteten Einrichtungen, sondern Rehabilitation und Ausbildung. Körperliche Bestrafung wie die sogenannte Bastonade und Einzelhaft, die unter der Regierung Saddam Husseins die Regel waren, wurden abgeschafft, ebenso Exekutionsstellen innerhalb der Gefängnisse. Wie Vertreter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes feststellten, ist ein derartiges Konzept im Nahen Osten als reformerische Ausnahme zu betrachten.


Während pädagogische Programme und Workshops für das Jugendgefängnis bisher großzügig von internationalen Hilfsorganisationen gefördert wurden, bestanden im Männergefängnis keine derartigen Einrichtungen. Lediglich Alphabetisierungskurse wurden von der Gefängnisverwaltung angeboten.

Seitens der Gefangenen und der Verwaltung bestand der Wunsch, Schmiede- und Schreinerwerkstätten in leerstehenden Gebäuden des Gefängnisses einzurichten. Diese Werkstätten sollen dazu dienen den Gefangenen handwerkliche Fähigkeiten beizubringen, um ihnen die Integration in der Gesellschaft nach der Entlassung zu erleichtern. Bei Untersuchungen wurde festgestellt, daß die meisten Gefangenen aufgrund der ökonomischen Notsituation, die in Irakisch-Kurdistan herrscht, straffällig geworden sind. Ein überproportional hoher Anteil hat keine Berufsausbildung und ist Opfer der spezifischen sozialen und politischen Lage im Irak.

Seit Mitte der 70er Jahre hat die irakische Zentralregierung systematisch die Lebensgrundlagen der kurdischen Bevölkerung zerstört. Nicht nur wurden über 4000 Dörfer und 10 Kleinstädte dem Erdboden gleichgemacht und ihre Bewohner in künstliche Sammelstädte umgesiedelt (was einer Zerstörung der landwirtschaftlichen Grundlage der kurdischen Wirtschaft gleichkam), auch wurde bewußt eine Industrialisierung des kurdischen Nordirak verhindert. So blieben viele Männer ohne berufliche Ausbildung und waren gezwungen im besten Fall als Fürsorgempfänger der Regierung zu leben oder im Dienstleistungsbereich der Städte zu arbeiten.

Nachdem 1991 die kurdischen Parteien im Nordirak die Macht übernehmen konnten, brach das irakische Sozialsystem zusammen. Löhne konnten nicht mehr gezahlt werden oder waren lächerlich gering. Gerade für städtische Wohlfahrtsempfänger oder Beschäftigte des Dienstleistungsbereichs brach eine Zeit herein, in der sie nicht mehr für ihren Lebensunterhalt sorgen konnten. Steigende (Klein)Kriminalitätsquoten waren die Folge: Die Mehrzahl der Gefangenen ist aufgrund von Eigentumsdelikten inhaftiert.

Daß der kurdischen Verwaltung diese Zusammenhänge nicht nur bewußt sind, sondern sie versucht mit ihren beschränkten Mitteln im Rahmen des Strafvollzugs auf sie zu reagieren, ist als äußerst positive Entwicklung zu bewerten. Zugleich stellen diese Schritte eine bewußte Loslösung vom herkömmlichen äußerst repressiven irakischen Gefängniswesen dar.

Die Tatsache, daß etwa der Leiter des Jugendgefängnisses selbst jahrelang politischer Gefangener der irakischen Diktatur war, zeigt welche Sensibilität diesem Bereich entgegengebracht wird.

Daß, trotz widriger politischer Rahmenbedingungen, derartig weitreichende Reformen des Strafvollzugs angegangen werden, ist eine Initiative zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen im Nordirak.


Das Projekt

Nachdem seit einem halben Jahr im Jugendgefängnis erfolgreich Workshops durchgeführt werden, soll diese Maßnahme auch auf das Männergefängnis ausgedehnt werden, in dem durchschnittlich 200 Männer inhaftiert sind.

Bisher wurden lediglich Alphabetisierungskurse angeboten, es gibt eine Bibliothek und verschiedene sportliche Aktivitäten. Konkrete Ausbildungsmaßnahmen konnten bislang aufgrund des beschränkten Budgets des Gefängnisses nicht angeboten werden.

Bei Befragungen der Gefangenen stellte sich heraus, daß sie mehrheitlich eine Ausbildung als Schreiner oder Schmiede wünschten. Obgleich die Chancen Arbeit auf dem kurdischen Markt zu finden beschränkt sind, bietet sich in diesem Bereich noch die größte Möglichkeit.

Entsprechende Hallen sind im Gefängnisbau vorhanden und in guter Verfassung. Jeweils eine Halle wird als Werkstätte genutzt; dort können jeweils 30 Gefangene unter professioneller Anleitung ausgebildet werden.

Die hergestellten Produkte werden verkauft, wobei Verträge mit Großabnehmern geschlossen werden können. Als Großabnehmer kommen im Nordirak hauptsächlich internationale Hilfsagenturen oder die UN infrage, die für die Einrichtung von Schulen und Kindergärten Möbel in bedeutendem Umfang benötigen. Durch den Verkauf dieser Produkte soll genügend Kapital erworben werden, um neue Materialien zu kaufen und an die Gefangenen festgesetzte Löhne zu bezahlen, die diese entweder unverzinst auf ein Konto einzahlen können, um nach Entlassung ein Startkapital zu besitzen, oder direkt zur Verbesserung ihrer Lebenssituation nutzen.

Außerdem hilft die Selbstverwaltung der Werkstätten den Gefangenen, organisatorische und Kenntnisse in Verwaltung und Buchführung zu erlernen.

Wie auch bei anderen gefängnisinternen Aktivitäten wird ein Gefangenenkomitee gewählt werden, das für Wartung und Instandhaltung der Werkstätten verantwortlich ist. Ähnliche Komitees verwalten die Bibliothek, Küche und die Sporteinrichtungen.


Projektpartner ist die Gefängnisverwaltung, wobei die Durchführung des Projektes von lokalen Mitarbeitern von WADI e. V. vor Ort betreut wird. WADI e. V. hat in den vergangenen Jahren Erfahrungen in der Arbeit mit Gefangenen gesammelt; so wurden 1995/ 96 Alphabetisierungskurse im Frauengefängnis durchgeführt und aufgrund der Initiative von WADI eine erfolgreiche Amnestiekampagne für zum Tode verurteilte Frauen durchgeführt.

Sulemaniyah, 1997


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