Ein Zentrum für sexuell mißbrauchte arabische Frauen


In vielen arabischen Ländern stellen Frauenorganisationen einhellig fest, daß häusliche Gewalt und Mißbrauch von Frauen innerhalb der Familie eines der bedeutendsten gesellschaftlichen Probleme im Nahen Osten darstellt, obwohl öffentlich kaum oder nur sehr verhalten darüber gesprochen wird. Die Formen dieser Gewalt stellen sich unterschiedlich dar, neben, meist gewaltsam durchgeführtem Inzest sind es Vergewaltigungen und andere Formen von sexuellem Mißbrauch. Die Opfer haben kaum Möglichkeit sich zu wehren, da einerseits in vielen Fällen die Männer von der Familie oder dem Stammesverband gedeckt werden, andererseits fatalerweise die betroffenen Frauen oftmals als die Schuldigen gelten. Bei Vergewaltigungen etwa ist es üblich anzunehmen, daß die Frau oder das Mädchen den Täter gereizt habe und deshalb selber schuld sei. Auf Frauen, die mißhandelt worden sind, wird innerhalb der Familie starker Druck ausgeübt sich nicht an Polizei oder Öffentlichkeit zu wenden. Gedroht wird damit, sie in einem solchen Fall aus dem Familienverband auszustoßen und ihnen, falls sie Mütter sind, ihre Kinder wegzunehmen.

Es kann allerdings auch geschehen, daß die männlichen Familienmitglieder eine Bekanntwerdung von Mißbräuchen als Ehrverletzung der Familie ansehen, die dann oft nur durch Tötung der betreffenden Frau wiederhergestellt werden kann. Andere Mittel der Bestrafung reichen von Prügel bis zur völligen sozialen Isolation. Diese Ehrverletzungen haben eine lange, blutige Tradition und spielen bis heute eine wichtige Rolle. Überrascht etwa ein Mann seine Frau, Tochter, Schwester oder eine andere Verwandte bei Intimitäten mit einem fremden Mann, gilt die Familienehre als verletzt . Nur die Tötung der Frau und des anderen Mannes kann dann die Ehre wiederherstellen. Diese Tötung wird, bei entsprechend konservativ eingestellten, Familien zur Ehrenaufgabe der Männer. Nicht selten treten Fälle auf, in denen vor der Dorfgemeinschaft Gelübte abgelegt werden, erst wieder zur Alltagsnormalität zurückzukehren, wenn die betreffende Frau getötet worden ist. Dieser Ehrenkodex ist, wie gesagt, noch immer weitverbreitet, gilt selbstverständlich aber nicht für alle Familien, und stellt in dörflichen Gemeinschaften ein wesentlich größeres Problem dar als in den Städten.

Seit geraumer Zeit gibt es unterschiedliche Initiativen und Organisationen, die aktiv gegen diese sogenannten "Verbrechen der Ehre" vorgehen. Die Eröffnung einer Zufluchtsstätte für bedrohte Frauen ist hierbei ein bedeutender Schritt. Das erste Haus für mißbrauchte Mädchen und Frauen in der arabsichen Welt wurde 1993 in Nazareth eröffnet. Daß dieses Frauenhaus in Israel steht, ist kein Zufall, sondern Zeichen für die besondere Situation des Teils der arabischen Community, die innerhalb Israels als israelische Staatsbürger leben.

Die ca. 800 000 Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft, leben in einer einmaligen Sondersituation, die ihr Selbstverständnis als Palästinenser und Israelis nachhaltig geprägt hat. Für Jahrzehnte abgeschnitten von der arabischen Welt, die sie nicht besuchen konnten , da sie Inhaber eine israelischen Passes sind, leben sie inmitten eines "westlichen" Staates als arabische Minderheit, der ihre Eigenarten nicht nur positiv zugestanden, sondern auch als kulturelles Stigma zugeschrieben werden . Die Auseinandersetzung zwischen dieser "Moderne", die nach 1948 sich in Israel rasant entwickelte und der traditionellen arabischen Lebensweise steht im Zentrum ihrer Situation.

Die Widersprüchlichkeit läßt sich beispielhaft an der Problematik der Familienehre zeigen. Traditionelle Eliten, besonders unter den Beduinenstämmen im Negev, propagieren öffentlich, daß Frauen, die gegen den Moralkodex verstoßen getötet werden sollen. Ein Sprachrohr finden sie dabei unter anderem im israelischen Fernsehen, wo kürzlich ein Scheich unkommentiert von sich geben durfte, daß Mädchen, die außerehelichen Geschlechtsverkehr gehabt hätten, Drogen nehmen würden oder ähnliches, es nicht verdienten weiterzuleben. Dieser Fernsehauftritt löste unter den arabischen Frauenorganisationen verständliche Empörung aus, nicht zuletzt wurde darauf verwiesen, daß einem jüdischen Israeli ähnlichlautende Äußerungen, die gegen geltende Gesetze verstoßen, nie gestattet worden wären. Es ist aber eine alte Politik der israelischen Regierung mehr oder weniger die traditionellen Machthaber und Notabeln der arabischen Gesellschaft gewähren zu lassen. So unterstützt man Kräfte, die eine gewisse Rückschrittlichkeit der arabischen Community garantieren.

Schon seit Gründung des Staates Israel stützt diese Politik sich auf die Argumentation, man wolle nicht zwangsweise westliche Werte und Vorstellungen in das arabische Kollektiv einpflanzen, sondern man achte die kulturelle Differenz. Die darausfolgende kulturelle und juristische Autonomie aber hat wenig mit arabischer Eigenart, viel aber mit Zementierung klassischer Herrschaftsstrukturen zu tun.

So stießen Vertreterinnen der Organisation Women against Violence, die Betreiberinnen des Frauenhauses in Nazareth, auch auf ablehnendes Unverständnis, als sie erstmalig Frauenhäuser für Araberinnen einforderten und das israelische Sozialministerium um finanzielle Unterstützung angingen. Derartige Einrichtungen seien nicht kulturtypisch und daher auch nicht prioritär zu fördern. "Es hat lange gedauert, bis wir begriffen haben, daß wir mit Forderungen, die sich nur auf unsere arabische Identität bezogen haben, bei der israelischen Regierung nicht weiterkommen", erklärt Aida Souliman-Touman, Vorsitzende der WAV. "Es bestand seitens der Israelis ja ein Interesse, daß wir möglichst traditionell leben und dieses Interesse teilen sie mit vielen von unseren Repräsentanten. Hier in Israel gibt es zwar eine starke Frauenbewegung, aber noch immer klammern sich die Männer an ihre Rolle als Patriarchen in der Familie. Das hängt eng mit unserer Geschichte zusammen. 1948 haben wir fast alles verloren, unser Land und unsere poltischen Einflußmöglichkeiten. Das hat besonders die Männer getroffen, die sich in Folge auf ihre Familie als einzig bleibende Sphäre zurückgezogen haben.

Erst als wir also im Ministerium unsere israelischen Pässe auf den Tisch gelegt haben und sagten: wir haben die gleichen Pässe wie Ihr, wir haben Euch um diese Pässe nie gebeten, aber da wir sie nun haben, wollen wir als gleichberechtigte israelische Bürger behandelt werden, sind wir weitergekommen". Gelder, die generell für Frauenhäuser innerhalb Israels zur Verfügung standen, wurden, wenn auch in geringem Maße, für das geplante Projekt bewilligt.

Allerdings ist die Berufung auf kulturelle Unterschiede nur eine Seite der jüdischen Politik gegenüber den Arabern. So haben arabische Aktivistinnen feststellen müssen, daß gerade fortschrittliche und linke Organisationen, die für Verständigung und Kooperation mit den Arabern eintreten, zu einer paternalistischen Haltung neigen. "Wir müssen uns oft gegen den guten Willen von jüdischen Frauenorganisationen zur Wehr setzen, arabische Frauen haben andere Probleme als jüdische und deshalb müssen unsere Lösungen auch andere sein", faßt die Vorsitzende der WAV ihre Erfahrungen zusammen.

Ziel ist die wirkliche formale Gleichberechtigung vor dem Gesetz, denn arabische Männer, die ihre Frauen mißbrauchten oder, die sogar im Rahmen der Ehrverletzung gemordet haben, können auf die Akzeptanz der Justiz bauen und kommen im Regelfall mit milden Urteilen davon. Zivile Rechtsprechung unterliegt in Israel in großen Teilen religiösen Gerichten, im Falle der muslimischen Arabern den Schariah-Gerichten, die weitgehende Autonomie genießen. Hier werde, meinen verschiedene Frauenorganisationen, zu wenig Druck ausgeübt, es gäbe eine schreiende Ungleichbehandlung von Juden und Arabern , besonders von Frauen und Männern, auch vor staatlichen Gerichten.

Trotzdem gibt es für die arabischen Aktivistinnen eine breite Palette von Möglichkeiten politisch zu intervenieren. Es besteht beispielsweise die Möglichkeit der Lobbyarbeit durch arabische Abgeordnete in der Knesset, die beispielsweise gemeinsam mit Vertretern linker israelischer Parteien verschiedene Gesetzentwürfe zur Gleichstellung palästinensischer Frauen eingebracht haben. Denn obgleich seitens der israelischen Regierung nur bedingtes Interesse an fundamentalen Änderungen innerhalb der arabischen Community besteht, bieten Verfassung und demokratische Institutionen eine Vielzahl von Möglichkeiten eigene Vorstellungen und Interessen durchzusetzen.

"Es war ein langer Prozeß", meint Aida Souliman-Toumann, "bis arabische Frauen begriffen und akzeptiert haben, daß nicht der Staat Israel in all seinen Ausformungen generell abzulehnen ist, sondern, daß das westlich-demokratische System auch ihnen viele Vorteile bietet". Die Sicherheit eines legalen Systems, in der, wie in den meisten arabischen Ländern, politische Repräsentanz nicht von Familien- und Stammesbindungen abhängig ist, ermöglicht es ohne Rücksichtnahme auf diese traditionellen Bindungen aktiv zu sein. So wurden die Probleme von häuslicher Gewalt gegen arabische Frauen offensiv in Parlament, Presse und Öffentlichkeit thematisiert und angegriffen , was in anderen Ländern des Nahen Ostens bis heute ein Ding der Unmöglichkeit wäre .

Erneut lassen sich die unterschiedlichen Facetten anhand der Frauenhäuser zeigen. Kommt eine verfolgte Frau in eine Polizeistation, um Schutz zu verlangen, kann es ihr, ist der Polizist Araber, passieren, daß er die Familie benachrichtigt, die sie verfolgt, weil er selbst diesem Moralkodex anhängt. Ist er aber Jude, interessiert er sich wenig für innerarabische Auseinandersetzungen und informiert eher die Notaufnahmestelle in Nazareth. Das gleiche gilt für den direkten Schutz der Frauen und Mädchen. Ihre Sicherheit ist durch jüdische Polizeikräfte gewährleistet. WAV bietet auch Trainigskurse für Polizisten an, in denen der Umgang mit mißbrauchten Mädchen gelehrt wird. Hierbei stellte sich heraus, daß in den Seminaren nach längeren Diskussionen arabische Polizisten, die Idee begannen positiv zu unterstützen.

Unter Schutz stehen auch Einrichtungen, in die verheiratete Frauen mit ihren Kindern kommen können, die die Übergriffe ihrer Ehemänner nicht weiter ertragen können oder wollen.

Daß alleine im Zeitraum von 1994 bis 1997 über 450 Mädchen von Polizei, Sozialarbeitern und Krankenhäuser in das Schutzzentrum überwiesen wurden, zeigt wie groß dieses Problem ist. Es muß außerdem von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden, da viele Frauen und Mädchen keine Möglichkeit haben sich an Sozialarbeiter oder Polizisten zu wenden, oder nicht den Mut aufbringen die gesellschaftliche Barriere hierfür zu überwinden. Groß ist die Angst als Prostituierte oder unmoralische Person stigmatisiert zu werden.

Für wie viele Mädchen jede Hilfe zu spät kommt ist unbekannt. In den letzten Jahren wurden 52 Fälle von Tötungen aus Ehrengründen dokumentiert, die arabische Rechtshilfsorganisation "Albadeel" geht allerdings von einer wesentlich höheren Zahl aus, wobei Morde bekannt ist, daß mutmaßliche Morde als Unfälle oder Selbsttötungen kaschiert werden.

Die Mädchen und jungen Frauen, die im Zentrum in Nazareth aufgenommen werden, blicken oft auf eine jahrelange Tragödie zurück. Viele sind extrem verwahrlost, haben keinerlei Schulausbildung genossen und sind völlig traumatisiert. Das bisher jüngste, hier behandelte, Opfer familiärer Vergewaltigung war gerade mal neun Jahre alt. In dem Zentrum, daß die Mädchen aus Sicherheitsgründen nicht verlassen dürfen, werden sie psychosozial betreut und soweit möglich wiederaufgerichtet. Hierfür stehen nur sechs relativ kleine Räume zur Verfügung, die chronisch überbelegt sind. Nach drei Monaten wird versucht sie in die Gesellschaft widereinzugliedern, was vor allem dann fundamentale Schwierigkeiten bereitet, wenn die Familie weiterhin an ihrer Tötungsabsicht festhält. In solchen Fällen kam es schon vor, daß Mädchen bis zu einem Jahr im Zentrum bleiben mußten. Dann wird versucht ihnen eine Existenz weitab von ihrem Heimatdorf zu schaffen, was in einem kleinem Land wie Israel nicht leicht fällt. Seit 1995 besteht außerdem eine Wohneinheit, in der Mädchen mit extremen Problemen vorübergehend betreut wohnen können.

Um überhaupt den Ehrentötungen ein Ende zu setzen hat sich eine breite Koalition verschiedener arabischer Organisationen gegründet. Ziel ist es auf politischer Ebene darauf hinzuwirken, daß diese Vergehen gerichtlich wesentlich härter geahndet werden und mittels Aufklärung in Schulen und anderen Einrichtungen die Ursachen von Mißbrauch zu bekämpfen. Man stehe, meinen Mitarbeiterinnen von WAV, erst am Anfang, habe aber in den letzten Jahren schon eine breite öffentliche Sensibilisierung für dieses Thema erreicht und man hoffe, daß auch in anderen arabsichen Ländern ähnliche Einrichtungen geschaffen werde. Entsprechende Initiativen und Ideen gibt es beispielsweise auch in Jordanien, nur stellt sich dort die Situation wesentlich komplizierter dar.

Allerdings sei die Unterstützung, die man, nach längeren Auseinandersetzungen endlich vom israelischen Sozialministerium erhalten habe unter der Regierung Netanjahu wieder gekürzt worden. Statt emanzipatorische Initiativen und Gruppen zu unterstützen, versuche die neue Likud Regierung wieder die Allianz mit den alten arabischen Eliten und Notabeln zu verstärken. Ob und wie sich diese Politik auf die arabische Community innerhalb Israels auswirkt ist noch nicht abzusehen.


Thomas v. der Osten-Sacken WADI e.V.


WADI e.V. unterstützt die Einrichtungen für mißbrauchte Mädchen in Nazareth.
Spendenkonto: 612305-602, Postbank Frankfurt, BLZ: 500 100 60


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