Beduinen in Israel


"Während meines Militärdienstes fuhr ich oft die Straße nach Ma´aleh Shalom und von dort weiter in Richtung Totes Meer. Den ganzen Weg über kann man diese erbärmlichen Hirtensiedlungen sehen, Beduinen oder palästinensische Flüchtlinge, und ihre dürren Kinder in diesen Kitteln. Bei jedem vorbeifahrenden Wagen kommen sie zur Straße hinauf gerannt und betteln mit Gesten nach etwas Essen. Ich bin geschockt, jedesmal wenn ich sie sehe." Ein israelischer Soldat beschreibt in einem Brief an die Tageszeitung Ha´aretz seine Erlebnisse mit den Beduinen im Süden des Landes, ihre "erbärmlichen Hirtensiedlungen" und die bettelnden Kinder am Rande der Straße. Erlebnisse, die ihn an Bilder aus Flüchtlingscamps erinnerten, mit einem Unterschied: Die bettelnden Kinder sind wie er israelische Staatsbürger. Ein Bericht, der keine Ausnahme beschreibt. Die Lebenssituation der israelischen Beduinen ist ein Problem, über das wenig und selten gerne gesprochen wird.

Rund 250.000 Beduinen leben in Israel, die meisten von ihnen im südlichen Judäa und Negev, der Region, in der sie traditionell als Nomaden lebten. Sie gehören zu jenen Arabern, die während des Unabhängigkeitskrieges und der Gründung des Staates Israel im Lande blieben und die israelische Staatsbürgerschaft annahmen. Damit genießen sie zwar nominell die gleichen Rechte wie jeder andere israelische Staatsbürger, von einer faktischen Gleichbehandlung aber sind sie noch weit entfernt. Obwohl sie weder die nationalistischen Ambitionen palästinensischer Organisationen und Parteien, noch die militärischen Interventionen der arabischen Nachbarstaaten unterstützten, haftet ihnen als Araber der Makel an, zu jenen zu gehören, die für Israel potentiell eine Gefahr darstellen. Der Zugang zur israelischen Armee, die bis heute eine erzieherische und gemeinschaftsstiftende Aufgabe wahrnimmt, die es vielen Zuwanderern ermöglicht, sich in die neue Gesellschaft zu integrieren, ist ihnen, wie den meisten arabischen Israelis verwehrt. Administrative Ungleichbehandlung und soziale Ungleichheit auf der eine Seite, erzwungene Seßhaftwerdung und eine sprunghafte Modernisierung, die eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit nach sich zog, auf der anderen, blockieren die Integration der Beduinen in die israelische Gesellschaft.

Als Araber mit israelischem Paß sehen sich die Beduinen nicht nur der Stigmatisierung durch die israelische Gesellschaft gegenüber: Vielen arabischen Regierungen gelten jene Araber, die eine israelische Staatsangehörigkeit angenommen haben, als Abtrünnige, ein Urteil, das im Falle der Beduinen sogar eine teilweise Berechtigung hat. Die Nationalbewegung der Palästinenser nämlich übte keinen großen Reiz auf die Beduinen aus. Ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von nomadischer oder halbnomadischer Viehwirtschaft und die strukturelle Unterentwicklung der südlichen Wüstenregion haben wenig zur Herausbildung eines arabischen Nationalbewußtseins beigetragen, sondern im Gegenteil Regionalbewußtsein und eine traditionelle Sozialorganisation konserviert. Beduinen gelten allgemein als rückständig und politisch nicht verwertbar. Schwerer als die Geringachtung, mit der viele Palästinenser die Beduinen aufgrund dessen betrachten, aber dürfte wiegen, daß sie zugleich abgeschnitten von der israelischen Gesellschaft und der palästinensischen Nationalbewegung sind. So können sie weder an den politischen Entscheidungen und sozialen Planungen innerhalb ersterer partizipieren, noch verfügen sie über das Know-How und die politische Professionalität letzterer, um ihre Rechte wirkungsvoll einzuklagen.

Kaum ein Beduine lebt mehr als Nomade. Die Modernisierung des Landes, der Ausbau der Infrastruktur, Tourismus und wirtschaftliche Erschließung haben das Land in Parzellen aufgeteilt und das Umherziehen unmöglich gemacht. Die Ansiedlung in Städten hat zugleich eine ganze Kette sozialer Probleme nach sich gezogen. Der Negev bietet wenig Möglichkeiten, Arbeit zu finden, Industrie gibt es in den neu entstanden Städten nicht, in der Landwirtschaft leiden zwischenzeitlich auch die effektiv produzierenden Kibbuzim unter Liquiditätsproblemen. Der Negev gilt als innerisraelische Entwicklungsregion. In der Folge ist die Arbeitslosigkeit in den Beduinenstädten überproportional hoch und der Lebensstandard liegt in allen relevanten Bereichen weit unter dem israelischen Durchschnitt. Dabei treffen die wirtschaftliche und soziale Krise auf eine Bevölkerungsgruppe, die bis vor kurzer Zeit einer vollkommen anderen Wirtschaftsweise nachgegangen sind: 80% der erwachsenen Beduinen sind in einem Zelt geboren und als Nomaden groß geworden. Eine Folge ist, daß die traditionellen Organisationsformen ohne ökonomische Basis in transformierter Weise fortbestehen: Wichtige Verwaltungsämter werden meist unter den Stämmen und Clans paritätisch verteilt, deren Vertreter naheliegenderweise auf die Sicherung der eigenen Stammesinteressen bedacht sind. Die Verwaltung funktioniert folgerichtig mehr schlecht als recht und leidet unter ständiger Geldnot, da die staatlichen Mittel für Beduinenstädte extrem knapp bemessen sind. So wurden z.B. von der staatlichen Schulverwaltung in 1997 pro Schüler in den Beduinenstädten des Negev durchschnittlich 150 NIS - rund 75 DM - in Bildungseinrichtungen investiert, während in Tel Aviv im selben Zeitraum durchschnittlich 3.000 NIS - also ca. 1.500 DM - pro Schüler ausgegeben wurden. Besonders hart trifft die Mittelverweigerung jene Beduinen, die in den sogenannten "unrecognised-villages" leben.

Die israelischen Regierungen waren immer bemüht, eine demographische Verschiebung zugunsten jüdischer Einwohner zu bewirken, welche die Entstehung arabisch dominierter Regionen und Städte verhindern sollte. Zumal im Negev befürchtete man, die Tatsache einer arabischen Bevölkerungsmehrheit könnte zu politischen und territorialen Ansprüchen führen. Rund 200 arabische Dörfer wurden daher schlicht in ihrer Existenz nicht anerkannt; ein Mittel, den arabischen Bevölkerungsanteil nicht faktisch, sondern als statistische Größe zu verringern. Für die Bewohner dieser "non-recognised-villages" hatte dies die vollständige Abtrennung von öffentlicher Versorgung zur Folge. Da es sie offiziell nicht gibt, fühlt keine Verwaltung sich verantwortlich, um für Wasserversorgung, Elektrizität oder Bildung zu sorgen. In diesen Dörfern und den neu entstanden Siedlungen und Städten der Beduinen, die auf keiner offiziellen Landkarte verzeichnet sind, haben sich die sozialen Probleme in den vergangenen Jahrzehnten multipliziert. Die Beduinen, die sich von der Seßhaftwerdung Modernisierung und Integration in die israelische Gesellschaft erhofften, wurden bitter enttäuscht. "Die Verwaltung", konstatiert Gideon Levy in Ha´aretz, "macht den Beduinen das Leben unerträglich."

Rechts der Straße nach Ber Shebar, dem Zentrum des Negev, liegt der Kibbuz Shoval. Shoval wurde in den Zwanziger Jahren als einer der ersten links-zionistischen Kibbuze gegründet. Heute leben rund 600 Menschen dort, viele ältere kamen aus Südafrika, aus Skandinavien und Osteuropa, Pioniere des jüdischen Staates und Überlebende des Holocaust, die eine sozialistische Gemeinschaftssiedlung inmitten der Wüste aufbauten. Shoval ist heute einer der letzten Kibbuze in Israel, die weitestgehend sozialistisch wirtschaften. Die meisten Kibbuzim stecken in einer tiefen finanziellen und ideologischen Krise. Die Zeiten, in denen der Export landwirtschaftlicher Güter die Basis der israelischen Volkswirtschaft ausmachte sind längst vergangen. Der Druck zur Privatisierung wächst, während immer weniger junge Israelis Interesse an einem Leben im Kibbuz zeigen. Die einstige Avantgarde der israelischen Gesellschaft erscheint vielen nurmehr als längst überfälliges Relikt und bedeutungsloses Enklaventum. Nicht nur im Festhalten an einer sozialistischen Wirtschaftsweise unterscheidet sich Shoval von vielen anderen Kibbuzim. Der Anspruch, Arbeit zu leisten, die von politischer Bedeutung für Israel ist, hat neue Formen der Kooperation mit den arabischen Nachbarn entwickelt. Im Kindergarten des Kibbuz spielen und lernen seit 1992 jüdische und arabische Kinder gemeinsam. Die arabischen Kinder stammen aus der Beduinenstadt Rahat, die jüdischen Kinder aus Shoval und benachbarten Kibbuzim.

Rund 40.000 Menschen leben in Rahat, räumlich getrennt von Shoval durch eine Straße, die zugleich eine soziale Grenze markiert. Während der Kibbuz in einer Oase zu liegen scheint, erstreckt sich der graue Wüstenstaub über die Beduinenstadt, die aus schnell hochgezogenen Betonhäusern besteht. Wie in allen beduinischen Städten sind viele der Bewohner arbeitslos, die anderen haben ihr Glück als LKW-Fahrer und Händler entlang der Nordsüd Route gesucht. Im vergangenen Jahr wurde ein städtisches Zentrum mit Geldern der staatlichen israelischen Lotterie errichtet. Das Gebäude, dessen postmodernes Design mit Granitverblendung, Glasbausteinen und bunten Kapitellen wie ein Import aus einer europäischen Kleinstadt-Fußgängerzone wirkt, wurde noch in der Nacht der Eröffnung von Jugendlichen geplündert und steht seitdem leer - wie als Denkmal einer gescheiterten Politik. Die Situation der Kinder und Jugendlichen in Rahat ist geprägt von Perspektivlosigkeit und dem stetigen Bewußtsein von Diskriminierung. 1992 hat sich die Organisation EDEN gegründet, deren Vorstand aus arabischen und jüdischen Frauen der Region besteht. EDEN verfolgt das Ziel, die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen jüdischen Kibbuz-Bewohnern und Beduinen durch Kooperation in gemeinsamen Bildungsprojekten zu verbessern und der ökonomischen und administrativen Diskriminierung entgegenzuarbeiten. Innerhalb des Kibbuz Shoval werden von EDEN arabische Frauen als Kindergärtnerinnen ausgebildet, die in Rahat und anderen Beduinenstädten und Dörfern arbeiten. Strategie ist, durch die Einrichtung sozialer Stellen nicht nur die überfällige Betreuung zu gewährleisten, sondern auch den Druck auf die israelischen Behörden zu vergrößern. Mit jeder von EDEN ausgebildeten und staatlich anerkannten Pädagogin, die vor Ort arbeitet, wird die Verwaltung mehr und mehr gedrängt, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. EDEN setzt viel ein - persönliches Engagement mehr als Gelder, die sie von der aktuellen israelischen Regierung kaum erhoffen können. Eines dieser bislang kaum geförderten Projekte, ist die Einrichtung eines integrativen Unterrichts in der Schule, an dem arabische und jüdische behinderte wie nicht-behinderte Kinder gemeinsam teilnehmen. Die therapeutischen Maßnahmen, Bewegungstherapie, Sprach- und Ausdruckstherapie, Malkurse, Tanzgruppen werden von den Therapeutinnen ehrenamtlich geleistet oder durch EDEN von Spendengeldern finanziert. Ähnliche Projekte möchte EDEN nun auch auf die nahegelegene Palästinenserenklave Gaza ausdehnen.

Reibungslos verlief der Prozeß der Annäherung auf beiden Seiten nicht. Vor allem ältere Einwohner in Rahat wie in Shoval betrachteten den Kontakt mit der “anderen Seite" mißtrauisch. Der Erfolg der Projekte hat viele der Einschränkungen und Vorurteile abgebaut. Der Kontakt baut nicht zuletzt auf einer langen Tradition von Mißachtung und Feindseligkeit auf, die das Erkennen von Gemeinsamkeiten erschwert haben. “Was wir gemeinsam haben?", fragte eine der Beduinenfrauen und antwortete sich selbst “Wir sind aus der Vergangenheit aufgebrochen und wissen beide noch nicht, wo wir hingelangen werden."


Thomas Uwer, WADI e.V.


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