zurück

31.03.2003 | UNIQUE | von Thomas König

Zwischen Hoffen und Angst

UNIQUE im Gespräch mit Thomas von der Osten-Sacken, Aktivist der Hilfsorganisation WADI (Verband für Krisenhilfe und solidarische Entwicklungszusammenarbeit) über die Lage im Irak, die Friedensbewegung und amerikanische Außenpolitik.

UNIQUE: Auf der Website von WADI e.V. steht ein Beitrag, in dem andere NGOs sehr stark kritisiert werden, vor allem deutsche NGOs - kannst du ausführen, was die Hilfsorganisation, für die du arbeitest, anders macht als andere NGOs?

Wir sind nun seit 13 Jahren auch NGO und haben sehr kritisch die Entwicklung verfolgt, speziell dessen, das sich humanitäre Intervention nennt und letztlich im Irak nach der großen Massenflucht der irakischen Kurden in die Berge begonnen hat. Statt einer von den Kurden geforderten Anerkennung der dortigen Regionalregierung als autonome Teil eines zukünftigen demokratischen Staates Irak wurde die Region damals quasi überflutet von Hilfsorganisationen, die nicht mit den sich bildenden staatlichen Strukturen zusammengearbeitet haben, sondern mit regionalen, an den Parteien hängenden NGOs, kleineren Gruppen. Damit ist letztlich zu einer unglaublichen Destabilisierung beigetragen worden.

Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die Genfer Flüchtlingskonvention, die aussagt, dass in dem Moment, wo ein Mensch eine internationale Grenze übertritt, er in den Status eines internationalen Flüchtlings kommt, ist 1991 auf Wunsch der Türkei und des Irans ganz gezielt unterlaufen worden, als man die Kurden gar nicht über die Grenze kommen ließ, sondern im Irak quasi eine sichere Zone geschaffen wurde. Genau so willigen jetzt NGOs, die einerseits hinter der deutschen Bundesregierung und deren Antikriegskurs stehen, ein in eine Politik, die vorsieht, dass man wieder verhindert, dass Leute aus Angst vor Racheakten der irakischen Armee - die es in der Vergangenheit immer gegeben hat - über internationale Grenzen fliehen und damit in den Status internationaler Flüchtlinge kommen. Das ist einer unserer Kritikpunkte. Das andere ist die völlige Missachtung der irakischen Opposition. In ihrer großen Mehrheit strebt diese einen föderal-demokratischen Staat im Irak an. Wir fürchten jedoch, dass, sollte Saddam gestürzt werden, statt der Unterstützung eines Nation-Buildings einflussreiche Hilfs-organisationen wie "Cap Anamur" die Ethnifizierung des Irak anstrengen werden und damit dieses Projekt zerstört wird.

Gibt es dafür wirklich Anzeichen?

Es gibt eindeutige Anzeichen in der Ignoranz der großen Organisationen. Die treffen sich nicht mit der irakischen Opposition, um abzusprechen, was die Irakis wollen, sondern legen ihr altes Raster etwa vom Balkan auf Kurdistan an. Das könnte sehr gefährlich werden, weil klar ist: Wenn man Partikularinteressen finanziell unterstützt, finden sich viele Leute, die diese Interessen stark machen. Die französische Regierung hat in Ansätzen schon gezeigt, was für Modelle sie für die Zukunft im Irak präferieren würde, etwa ein libanesisches Modell, also eine Ethnifizierung des Landes. Da geht es dann auch um Einfluss und Machtstellung. Man weiß aus der Erfahrung der Arbeit der Hilfsorganisationen, die in der Regel stark von staatlicher Finanzierung abhängig sind, dass sie sehr gern und unkritisch derartige Modelle exportieren.

Du bist auch ein Sprecher der Koalition irakischer Oppositioneller, was ja ein explizit politisches Unterfangen ist, und außerdem auch als Journalist tätig. Dabei trittst du als vehementer Kritiker des irakischen Regimes auf. Was macht den aktuellen Irak noch mal anders als andere Diktaturen?

Es fällt schwer, ein anderes Land zu nennen, in dem fünf Prozent der eigenen Bevölkerung massakriert worden sind. Man schätzt bei einer Einwohnerzahl von 23 Millionen Irakis, dass über eine Million Opfer von Menschenrechtsverletzungen sind, Kriegsopfer nicht dazugezählt. Vier Millionen sind vertrieben, 1,5 Millionen sind innerhalb des Iraks zwangsweise umgesiedelt, was insgesamt fast 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Das nur mal als statistisches Material. Wer den Irak kennt, weiß, dass das die momentan schlimmste Diktatur ist, die es auf der Welt gibt, nicht nur, was riesige Bevölkerungsvernichtungsaktionen in den 80er Jahren im kurdischen Nordirak betrifft - wo der Irak als einziges Land nach 1945 mehrmals gezielt Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt und 4000 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht hat, Leute zu Hunderttausenden verschwunden sind; und dasselbe wurde im Südirak in den 90ern wiederholt.

Aber der Irak hat auch ein hochgradig aggressives, antisemitisches Regime, in dem sich die destruktiven Widersprüche des Nahen Ostens bündeln, und von dem man weiß, wenn es nicht klein gehalten worden wäre, hätte es versucht, den gesamten Nahen Osten zumindest militärisch zu kontrollieren.

Kann man ungefähr sagen, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist?

Der Irak ist quasi zweigeteilt. Der Süden und der Zentral-Irak steht unter Saddam Hussein, und wird zurecht als "Republik der Angst" bezeichnet. Jede Regung, jede Äußerung wird drakonisch kontrolliert von einem der insgesamt sieben Geheimdienste. Es gibt keine einzige Familie im Irak, die nicht ein Opfer des staatlichen Terrors zu beklagen und zugleich einen Kollaborateur des Regimes in ihren Reihen hat. Das Land ist völlig paralysiert von der Angst vor dem Terror. Das ist in Kurdistan nicht so. Trotz schlechter Ausgangsstellung in den letzten 12 Jahren ist dort der freieste Ort im Nahen Osten neben Israel entstanden. Verglichen mit dem Rest-Irak ist es paradiesisch, was Freiheit, die Möglichkeit, sich zu äußern, und so weiter betrifft. Die Irakis haben als allererstes Problem nicht die USA oder Israel oder den Iran, sondern das eigene Regime. Das haben sie auch 1991 schon gezeigt, als es nach dem Golfkrieg und dem Dauerbombardement Aufstände gegen das eigene Regime gab, als 14 von 18 Distrikten schon befreit waren. Es waren damals die USA, die diesen Aufstand nicht unterstützt haben.

Aber im Moment, was wir aus Kurdistan hören, herrschen große Hoffnung und große Angst nebeneinander.

Nun würde zum Beispiel jemand von der Friedensbewegung entgegenhalten, ein Krieg ist schon deshalb zu verhindern, weil durch den Kriegseinsatz der USA gar nicht klar ist, dass das Ba'ath-Regime diesmal gestürzt wird. Im Gegenteil, es kann doch diesmal genauso wieder passieren, was 1991 passiert ist: Niederschlagung des Aufstandes durch Duldung der AmerikanerInnen.

Man kann von amerikanischer Außenpolitik halten was man will: Die Amerikaner sagen im Gegensatz zu den Europäern, was sie wollen. Es ist daher idiotisch, die Lage jetzt mit dem Golfkrieg 1991 zu vergleichen. Damals haben die Amerikaner gesagt, sie wollen Kuwait befreien, das heißt, die "Balance of Power" wiederherstellen. Aus Befreiungsrhetorik ist damals zum Aufstand aufgerufen worden, was kriminell gewesen ist, und die Streitkräfte sind dann, als es den Aufstand gab, den man überhaupt nicht wollte, sofort zurückgerufen worden. Heute ist das erklärte Ziel der USA, Saddam Hussein zu stürzen. Sie wollen einen Regimewechsel im Nahen Osten, da sehe ich kein Argument, warum sie es nicht tun sollten. Man hat seit 1945 zum ersten Mal in der amerikanischen Außenpolitik einen Paradigmenwechsel.

Alle irakischen Oppositionsparteien haben vor zwei Dingen Angst: Dass Saddam Hussein sich an ihnen rächt, wie er das bisher immer gemacht hat, und dass die Amerikaner nicht wirklich einen neuen Irak wollen. Also wäre eine vernünftige Position, die Amerikaner ernst zu nehmen. Sie kritisch zu beobachten und die irakische Opposition zu unterstützen. Wenn der ganze Irak sich entwickeln würde wie im Norden, dann wäre das eine Wandlung ums Ganze.

In Wien findet nun in einigen Wochen eine Veranstaltung von Oppositionellen statt, die gegen den US-Krieg eintreten …

Davon habe ich gelesen (lacht). Grundsätzlich unterscheidet sich der Irak von vielen Ländern in der Region, weil er trotz des Terrors eine sehr aktive Opposition hat, die sich mit ihren verschiedenen Interessen trifft, seien das kurdische, schiitische, kommunistische, oder aber auch ganz säkular westliche Interessen. Trotz dieser Zersplitterung und Mangel an internationaler Unterstützung hat die Opposition große Fortschritte gemacht. Sie hat sich darauf einigen können, die Schaffung eines föderalen, demokratischen Staats, in dem Staatsbürgerrechte vor Gruppenrechten kommen, anzustreben. Weiters, dass dieser Staat entarabisiert werden muss, weil der Irak kein arabisches Land ist und aus der panarabischen Ideologie und aus dem ganzen Wahnsinn, der in der Region noch vorherrscht, heraus gebrochen werden muss. Aber es gibt auch Splitterorganisationen der Ba'ath-Partei, die nachweisbar aus Bagdad bezahlt werden und so tun, als wären sie eine Opposition. Und die sind es, die hier einige Linke unterstützen. Da soll man sich nichts vormachen: Die sind ein Sprachrohr Saddam Husseins.

Die europäischen Medien müssen ja, um ihren Kurs zu halten, sehr viel ausblenden. Zum Beispiel muss verschwiegen werden, dass die irakische Opposition mit den USA in großen Teilen "gut kann", wie du sagst. Warum?

Zum Großteil ist es einfach eine ungeheure Ignoranz und Unwissen, das über die Region herrscht - und ganz speziell über den Irak. Auf der anderen Seite gibt es konditionierte Abwehrreflexe. Das ist ja fundamentaler Bestandteil des Antiamerikanismus, dass man sagt: Was die Amerikaner sagen, ist eine Lüge, eine Kriegspropaganda. Das heißt, die Projektionsleistung, die Verschiebung, die Abwehrreflexe, die im Moment brauchbar sind, können jeweils aufgegriffen werden, so dass eben der "Stern" etwa von Ausgabe zu Ausgabe zu einem antiamerikanischen Hetzblatt wird und sich dann ein "Stern"-Redakteur mal hinsetzt und Irakis in Deutschland interviewt. Und plötzlich ist ein Artikel drin, der völlig herausfällt aus der restlichen Berichterstattung, weil jemand sich die Mühe gemacht hat, nachzufragen. Sobald man sich ein bisschen mehr mit dem Irak beschäftigt, merkt man, das europäische Narrativ ist nicht aufrecht zu erhalten. So kommt es, dass Leute in Redaktionsstuben oder im Fernsehen, die zu stark gegen das europäische Narrativ schießen, nicht die erste Geige spielen.


WADI e.V. | tel.: (+49) 069-57002440 | fax (+49) 069-57002444
http://www.wadinet.de
| e-mail: