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09.03.2003 | Welt am Sonntag | von Hans Krech und Heimo Schwilk

Ein Veto für Öl und Waffen

Frankreich, Russland und China spielen im UN-Sicherheitsrat die Karte des Friedens. In Wirklichkeit aber geht es ihnen um Geschäfte mit Bagdad in Milliardenhöhe

Es war die Stunde der Heuchler und Moralisten. Nachdem der deutsche Außenminister Joschka Fischer - damals noch Vorsitzender des UN-Sicherheitsrates - am 14. Februar die Debatte über die Arbeit der Waffeninspektoren im Irak eröffnet hatte, meldete sich Frankreichs Außenminister Dominique de Villepin zu Wort.

Mit besorgter Stimme und der Theatralik eines Diplomaten, der die Grande Nation repräsentiert, sagte der graumähnige Franzose an seinen amerikanischen Kontrahenten Colin Powell gewandt: „Wir Franzosen wissen, lieber Kollege, was Freiheitskampf bedeutet - aber wir wissen zugleich, was Krieg und Zerstörung bedeuten!" Frankreich, seinen „ewigen Werten" verpflichtet, glaube daran, dass man gemeinsam eine bessere Welt schaffen könne. Aber, so fuhr Villepin fort, man müsse das mit friedlichen Mitteln tun, nicht mit Krieg.

Nachdem der lang anhaltende Beifall verebbt war, setzte sich der russische Außenminister Igor Iwanow mit der Ankündigung in Szene, Russland werde gegen den amerikanischen Kriegskurs ein Veto einlegen, „um die internationale Stabilität zu wahren". Der chinesische Vertreter im Sicherheitsrat nickte zustimmend.

Was verbindet die drei potenziellen Veto-Mächte, die sich seit Monaten mit den Amerikanern ein so zähes diplomatisches Ringen um Krieg und Abrüstung im Irak liefern? Die Antwort ist so einfach wie banal: Es geht um das große Geschäft.

Sollten sich die USA und Großbritannien durchsetzen, würden Russland, Frankreich und China wirtschaftlich wie strategisch geschwächt werden. Die Führer mehrerer irakischer Oppositionsgruppen verkündeten bereits, sie wollten nach dem Sturz Saddam Husseins keine Wirtschaftskontakte mit Staaten haben, die das Regime des Diktators unterstützt hätten.

Der Irak verfügt mit etwa 100 Milliarden Barrel Erdöl über die zweitgrößten Vorkommen der Welt. Hinzu kommen bedeutende Erdgasvorräte, die bisher kaum ausgebeutet wurden. Allein die Wirtschaftsaufträge zum Wiederaufbau des Irak nach einem Sturz des Diktators werden sich auf etwa 200 Milliarden Dollar belaufen. Wer diese Aufträge erhalten wird, darum wird gegenwärtig im UN-Sicherheitsrat gekämpft.

Russland ist traditionell der wichtigste wirtschaftliche Partner des Irak. Etwa 90 Prozent der Bewaffnung und Ausrüstung der irakischen Streitkräfte wurden aus der ehemaligen Sowjetunion bezogen. Im Februar 1995 unterzeichnete eine irakische Delegation unter Leitung von General Amir Rashid in Moskau einen Vertrag über die Lieferung von 4000 Kampfpanzern T80 U an Bagdad. Die Lieferung soll beginnen, sobald die UN-Sanktionen aufgehoben sind. Es wäre der größte Rüstungsauftrag Russlands seit Ende des Kalten Krieges. Der Irak würde in kürzester Zeit die volle Offensivfähigkeit am Golf wiedererlangen und seine Nachbarstaaten Kuwait und Iran erneut militärisch bedrohen können.

Im März 2001 unterbreitete der irakische Vizepräsident Taha Yassin Ramadan der russischen Regierung in Moskau ein Angebot über Wirtschaftsaufträge im Wert von 21 Milliarden Dollar, sollte sie sich für die Aufhebung der UN-Sanktionen einsetzen. Im August 2002 erst bestätigte die russische Regierung offiziell 70 Wirtschaftsprojekte im Irak, darunter sieben in der Petrochemie und 14 in den Bereichen Verkehr und Kommunikation mit einem Gesamtwert von 40 Milliarden Euro. Die Verträge wurden im September unterzeichnet. Damit wurde der Irak zum wichtigsten russischen Auslandsmarkt überhaupt, zum wichtigsten Devisenbringer und Hoffnungsträger für einen wirtschaftlichen Aufschwung der russischen Industrie. Zudem erwartet Moskau Aufträge beim Wiederaufbau der irakischen Streitkräfte, etwa die Lieferung von Kampfflugzeugen, Luftabwehrraketen und modernen Radaranlagen.

Im August 2002 kam es in Washington zum ersten Kontakt Russlands mit der irakischen Opposition. Andrej Kroschkin von der russischen Botschaft erklärte Intifad Kanbar, dem Leiter des Büros des Irakischen Nationalkongresses INC in Washington, die Politik gegenüber dem Irak werde ausschließlich von wirtschaftlichen Interessen geleitet. Der Irak sei zudem noch mit sechs Milliarden Dollar bei Russland verschuldet.

Anfang dieses Jahres unterzeichneten der Irak und Russland drei weitere Abkommen zur Erschließung von Erdölfeldern im Süden und Westen. Der russische Energiekonzern Lukoil teilte ferner mit, der Irak habe die Entscheidung vom November 2002 aufgehoben, den Kontrakt zur Erschließung des West-Kurna-Ölfeldes zu entziehen. Der Vertrag sei wieder gültig. Bagdad hatte ihn gekündigt, um Russland zur vollen Unterstützung der irakischen Position im Sicherheitsrat zu drängen.

Weißrussland segelt im russischen Fahrwasser. Das Land produziert zwar selbst keine Waffen, verkauft aber russisches Gerät. Minsk ist der sechstgrößte Waffenexpor-teur der Welt. Bekanntlich gelang es der irakischen Luftabwehr seit 1991 nicht, auch nur ein einziges amerikanisches oder britisches Kampfflugzeug über den Flugverbotszonen abzuschießen. weil die Radaranlagen und Luftabwehrraketen veraltet sind.

Im März 2002 wurde bekannt, dass 30 irakische Offiziere in der Militärakademie von Minsk an der modernen russischen Luftabwehrrakete S-300 ausgebildet werden, dem russischen Gegenstück zur Patriot der NATO. Auch die Lieferung dieser S-300 durch Weißrussland an den Irak soll vereinbart sein. Im Januar dieses Jahres wurden auf dem Flughafen von Beirut zwölf Tonnen Funkausrüstungen und Helme für Panzerbesatzungen beschlagnahmt, die aus Weißrussland an den Irak geliefert werden sollten.

Auch Frankreich verhält sich scheinheilig bei seinem Widerstand gegen Washington. Was Außenminister Dominique de Villepin im Weltsicherheitsrat zu erwähnen vergaß: Die irakisch-französischen Wirtschaftsbeziehungen basieren auf den langjährigen und engen Beziehungen von Präsident Jacques Chirac mit Saddam Hussein. Die einzige Auslandsreise in ein westliches Land unternahm der damalige irakische Vizepräsident Saddam 1974 nach Paris zu Chirac. Daraufhin errichtete Frankreich den irakischen Atomreaktor Osirak, der 1981 von israelischen Kampfflugzeugen zerstört wurde. Wesentliche Komponenten des geheimen Atomwaffenprogramms des Irak stammen aus Frankreich.

Im ersten Golfkrieg (1980-1988) des Irak gegen den Nachbarn Iran lieferte Frankreich Mirage-Kampfflugzeuge und die Anti-Schiff-Raketen „Exocet" an Bagdad. Nur dadurch war es dem Irak möglich, der übermächtigen iranischen Marine standzuhalten.

Auch bei Frankreich hat der Irak noch riesige Schulden. Sollte Saddam an der Macht bleiben, winken Paris Rüstungsaufträge in den Bereichen Marine, Luftwaffe und Raketentechnik sowie neben Russland der bedeutendste Anteil der Aufträge zum Wiederaufbau des Irak einschließlich der Erschließung neuer Ölfelder durch den Elf-Konzern.

Auch China, der Dritte im Bund gegen die USA, hat klar definierte wirtschaftliche Interessen, den Sturz von Saddam zu verhindern. Chinesische Firmen und Techniker verkabeln seit Monaten die militärischen Kommunikationseinrichtungen des Irak, insbesondere im Bereich der Luftverteidigung, mit abhörsicheren Glasfaserkabeln. Peking kann Aufträge in den Bereichen Infrastruktur und Marine erwarten, wenn der Diktator an der Macht bleibt. In China wurden bereits zwei Lenkwaffenfregatten für den Irak gebaut, die übergeben werden können, sobald die UN-Sanktionen aufgehoben sind.

Deutschland dagegen betrieb bis 1998 eine klar definierte Politik gegenüber dem irakischen Regime. Sie zielte darauf ab, das Land zu demokratisieren und damit auch die Interessen der deutschen Wirtschaft zu wahren. Hans-Dietrich Genscher war der erste Außenminister eines NATO-Landes, der den irakischen Überfall von 1980 auf den Iran als Aggression brandmarkte. Damals unterstützten Frankreich und auch die USA den Irak noch massiv mit Waffenlieferungen. 1991 forderte Genscher, Saddam vor ein internationales Kriegsverbrechertribunal zu stellen. Deutsche Unternehmen, die gegen die UN-Sanktionen verstießen, wurden juristisch belangt. Damit sicherte sich Deutschland an der Seite der USA den Hauptanteil der zu erwartenden Aufträge beim Wiederaufbau des Irak sowie die deutsche Versorgung mit Erdöl für die nächsten 50 Jahre.

Nach 1998 allerdings änderte die Regierung Schröder/Fischer die deutsche Irak-Politik in ihrer strategischen Ausrichtung. Sollten sich die USA mit einem Irak-Feldzug durchsetzen, stünde Deutschland draußen vor der Tür, zusammen mit Frankreich, Russland und China. Es hätte keinerlei Anteil an den erwarteten Wirtschaftsaufträgen im Gesamtwert von 200 Milliarden Dollar.

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