Irakdebatte
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Heidi Lippmann, Carsten Hübner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak
- Drucksachen 14/4709, 14/5716 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Moosbauer
Karl Lamers
Rita Grießhaber
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache
eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der PDS fünf
Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.
Die Aussprache ist eröffnet. Ich erteile dem Kollegen Wolfgang
Gehrcke für die PDS-Fraktion das Wort.
Wolfgang Gehrcke (PDS): Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich kann den Unmut darüber verstehen,
am Freitag noch Debatten führen zu müssen, aber ich bitte
zu akzeptieren, dass es immer die kleinen Fraktionen trifft, wenn
die Reden am Nachmittag zu Protokoll gegeben werden. Aber ich halte
es nicht für den Sinn parlamentarischer Debatten, wenn sich
der Umgang miteinander auf das Austauschen schriftlicher Noten beschränkt,
(Beifall bei der PDS)
und deswegen rede ich zu diesem Punkt. Ich wusste, dass die meisten
Reden zu Protokoll gegeben werden, aber ich meine, zu Fragen der
Demokratie muss man mindestens einen Satz sagen.
Wir sollten uns darüber klar werden, dass man die Frage der
Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak natürlich unter Berücksichtigung
der Umfeldbedingungen debattieren muss: die Explosion von Gewalt
und Gegengewalt im Nahen Osten, die brüchige Grenze zwischen
Bürgerkrieg und Krieg, die beständige Drohung der USA,
möglicherweise eine Militäraktion, einen Krieg gegen den
Irak zu führen. Heute war erneut in der Presse zu lesen, dass
sich Präsident Bush einen Krieg gegen den Irak als eine mögliche
Option offen hält. Das muss man vor dem Hintergrund der Massierung
von Truppen in der Region - dazu gehört auch die Stationierung
deutscher ABC-Spürpanzer in Kuwait - sehen. All das macht die
Region zu einem Pulverfass. Gerade deshalb muss man jetzt über
Deeskalation, Stabilität und Humanität reden. Humanität
bleibt unser Anliegen.
(Beifall bei der PDS)
Ich möchte uns die eigentlichen Ziele der Sanktionen in Erinnerung
rufen - auch wenn ich sie nie geteilt und immer für falsch
gehalten habe, glaube ich, dass es gut ist, sich an diesen Zielen
zu messen -: Durch die Sanktionen sollte verhindert werden, dass
der Irak erneut eine militärische Stärke erreicht; es
sollte verhindert werden, dass er andere bedrohen kann; es sollte
verhindert werden, dass er Zugang zu Massenvernichtungswaffen bekommt;
es sollte erreicht werden, dass die kuwaitischen Gefangenen - die
600 Verschleppten - freigelassen werden und dass der Irak akzeptiert,
dass die Souveränität Kuwaits nicht infrage gestellt werden
darf.
Indirekt - das war aber nie Gegenstand der Resolution - haben viele
gehofft - auch ich habe diese Hoffnung -, dass die blutige Unterdrückung
des irakischen Volkes durch Saddam Hussein beendet werden kann und
dass dort ein Machtwechsel möglich wird. Deswegen meine Feststellung:
Die Sanktionen haben genau diese Ziele nicht erreicht. Im Gegenteil:
Sie waren kontraproduktiv.
(Beifall bei der PDS)
Man kann heute feststellen - das behauptet jeder -, dass der Irak
militärisch nicht schwächer geworden ist. Ich frage mich
immer wieder - diese Fragen werden wir beantworten müssen -:
Warum greifen alle Sanktionen gegen die zivile Bevölkerung?
Warum ist es nicht möglich, den Zustrom von Waffen in solche
Länder endgültig zu unterbinden?
(Beifall bei der PDS)
Wer hat ein Interesse daran, mit solchen Ländern Waffenhandel
zu betreiben?
Der Einfluss des Hussein-Regimes ist durch die Sanktionen nicht
kleiner geworden, durch die Nahostauseinandersetzung erst recht
nicht. Man kann sagen, dass Saddam Hussein - auch in den arabischen
Ländern - noch nie so viel Einfluss wie heute hatte.
Die Inspekteure der Vereinten Nationen sind noch nicht einmal ins
Land gekommen, um zu überprüfen, ob Massenvernichtungswaffen
vorhanden sind oder produziert wurden. Dazu möchte ich anmerken,
dass es nicht gerade hilfreich ist, dass die USA diese Situation
zum Anlass nimmt, um einen möglichen Krieg zu führen,
sich aber gleichzeitig bei der Auseinandersetzung über das
Zusatzprotokoll der Biowaffenkonvention weigert, internationale
Inspekteure ins eigene Land zu lassen. Das ist doch nicht glaubwürdig.
Auch das haben wir den USA zu sagen.
(Beifall bei der PDS)
Da wir gerade beim Thema Glaubwürdigkeit sind, möchte
ich anmerken, dass mir einmal jemand erklären sollte, warum
die USA gerade in diesen Tagen die finanzielle Unterstützung
für die irakische Opposition eingestellt haben. Wenn man einen
nicht militärischen Machtwechsel anstrebt, passt das doch nicht
zusammen.
Alles in allem hat unter den Sanktionen nur die zivile Bevölkerung
im Irak gelitten: 500 000 bis 600 000 Kinder sind an den Folgen
des Embargos gestorben; die Arbeitslosigkeit beträgt mittlerweile
60 bis 75 Prozent; die Einkommen sind um zwei Drittel zurückgegangen;
das Bildungswesen ist fast zusammengebrochen. Deswegen lauten unsere
Forderungen: Alle nicht militärischen Sanktionen - die Sanktionen
gegen das Militär möchte ich sogar verstärkt wissen
- müssen aufgehoben werden; die tatsächlich demokratische
Opposition im Irak muss unterstützt werden; politischer Druck
muss entwickelt werden; die deutschen Panzer dürfen jetzt nicht
in Kuwait
stationiert werden. Eine solche Stationierung kann international
nur als ein Einverständnis mit einem möglichen Krieg gegen
den Irak verstanden werden, in den wir uns nicht hineinziehen lassen
dürfen. Wir müssen vielmehr heraus. Es müssen sofort
Korrekturen vorgenommen
werden.
(Beifall bei der PDS)
Deshalb lautet meine Bitte und Forderung an die Bundesregierung,
endlich verbindlich zu erklären, dass man sich nicht an militärischen
Aktionen, an einem Krieg der USA gegen den Irak beteiligen wird.
Ich möchte, dass das hier verbindlich erklärt wird, damit
die USA das zur Kenntnis nehmen.
Auch wenn jetzt Freitagnachmittag ist: Ihnen das vorzutragen war
es mir wert. Das ist die Begründung zu unserem Antrag.
Herzlichen Dank, dass Sie es sich zumindest angehört haben.
(Beifall bei der PDS)
Vizepräsidentin Petra Bläss: Da die Kollegen
Christoph Moosbauer, Joachim Hörster, Rita Grießhaber
und Ulrich Irmer ihre Reden zu Protokoll gegeben haben, schließe
ich die Aussprache.1)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss empfehlung des
Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/5716 zu dem Antrag
der Fraktion der PDS zur Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4709 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
angenommen.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Aufhebung
der Sanktionen gegen den Irak (Tagesordnungspunkt 24)
Christoph Moosbauer (SPD): Wir haben den uns heute
vorliegenden Antrag zur Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak
im vergangenen Jahr hier im Plenum
behandelt - wenn ich mich recht erinnere, sogar auf den Tag genau
vor einem Jahr. Seitdem hat sich die internationale Situation, vor
allem auch in Bezug auf den Irak, fundamental geändert. Dazu
werde ich noch einiges sagen. Einige Argumente sind aber die gleichen
geblieben. Damit werde ich beginnen.
Ich habe große Sympathie für die Grundanliegen des Antrages.
Es ist unbestreitbar, dass die humanitäre Situation im Irak
heute dramatisch schlechter ist als vor zehn Jahren. Und es ist
unbestreitbar, dass die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft
nicht das erreicht haben, was sie wollten: nämlich die Erzwingung
der irakischen Kooperation bei der Identifizierung und Unschädlichmachung
des irakischen Massenvernichtungspotenzials. Wie im Antrag richtig
steht, haben die wirtschaftlichen Sanktionen Saddam Husseins innenpolitische
Stellung eher noch gefestigt, indem seine Propaganda für die
katastrophalen Auswirkungen seiner brutalen Politik den Feind von
außen verantwortlich machen kann. Von Saddam Hussein erwartet
man das ja nicht anders; von der PDS hätte ich mir das aber
schon differenzierter gewünscht.
Da liegt nämlich der Haken in Ihrem Antrag: Er verwechselt
Ursache und Wirkung. Wir müssen zunächst einmal feststellen,
dass Lebensmittel und Medikamente vom Sanktionsregime ausdrücklich
ausgenommen worden sind. Saddam Hussein verweigert sie seinem Volk
aber. Die finanziellen Mittel, die aus dem "Food for Oil"-Programm
kommen, liegen auf einem Bankkonto und werden von der irakischen
Regierung nicht für die Versorgung der Bevölkerung genutzt.
Im Irak müsste niemand hungern, wenn Saddam Hussein das nicht
wollte.
Es hat ja im letzten Jahr im Sicherheitsrat die Debatte über
die so genannten "smart sanctions" gegeben. Und es wird
sie wieder geben, wenn die Verlängerung des Sanktionsregimes
wieder auf der Tagesordnung des Sicherheitsrates steht. Saddam Hussein
hat schon im letzten Jahr klar gemacht, dass er auch im Falle einer
Lockerung der wirtschaftlichen Sanktionen keinesfalls bereit sei,
den Vereinten Nationen entgegenzukommen. Das müssen wir in
der heutigen Debatte schon auch berücksichtigen.
Sie müssen in so einen Antrag schon auch klar hineinschreiben,
wie es denn zu den Sanktionen kam. Das war ja kein spontaner Einfall
der westlichen Staatengemeinschaft, sondern des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen, nach dem Sie ja sonst auch bei jeder Gelegenheit
schreien, und zwar als Reaktion auf den Überfall und die Zerstörung
Kuwaits: nachdem der Irak israelische Städte mit Raketen beschossen
hat; nachdem der Irak sämtliche kuwaitischen Ölfelder
in Brand gesteckt und damit eine der größten Umweltkatastrophen
zu verantworten hat. Es gab also durchaus Gründe für die
Sanktionen, so ist es ja nicht. Und im Übrigen wären die
Sanktionen schon längst weg, wenn Saddam Hussein mit den Vereinten
Nationen kooperiert hätte, wie es der Beschluss des UN-Sicherheitsrates
vorsieht. Da liegt meines Erachtens der entscheidende Fehler des
Antrags und das hätten Sie berücksichtigen sollen:
Das Problem des irakischen Volkes sind nicht die Vereinten Nationen,
das Problem des irakischen Volkes heißt Saddam Hussein. Ich
finde es schon bezeichnend, dass dieser Name kein einziges Mal in
Ihrem Antrag vorkommt. Wenn wir über eine Lösung der Krise
in und um den Irak sprechen, dann müssen wir das mit dem Appell
an Saddam Hussein verbinden, endlich mit den Vereinten Nationen
zu kooperieren: Nur so kann dauerhaft eine Entwicklungsperspektive
für das irakische Volk erreicht werden! Wir wissen natürlich,
dass ein solcher Appell nur eine recht bescheidene Wirkung in Bagdad
zeitigen wird. Aber ich erwarte schon, dass wir hier im Deutschen
Bundestag Ross und Reiter nennen!
Aber auch mir ist natürlich klar, dass das Sanktionsregime
modifiziert werden muss, da mit einer Kooperation seitens des Iraks
im vollen Umfang nicht zu rechnen ist. Sie wissen, dass auch ich
dafür bin, die wirtschaftlichen Sanktionen von den militärischen
Sanktionen abzukoppeln. Das kann in einem schrittweisen Prozess
erfolgen, vergleichbar mit dem, was Sie unter Punkt 5 bei der Reduzierung
der Reparationszahlungen fordern. Jeder Schritt zu mehr Kooperation
wird belohnt mit einem Entgegenkommen der internationalen Gemeinschaft.
Nur, auch hier gilt: Saddam Hussein muss sich zunächst einmal
grundsätzlich kooperationsbereit zeigen, dann kann der erste
Schritt seitens der internationalen Gemeinschaft gemacht werden.
Ein solcher erster Schritt des Iraks könnte etwa die Freilassung
der im Golfkrieg verschleppten kuwaitischen Staatsbürger sein.
Hunderte davon werden immer noch vermisst, ihre Familien haben keine
Nachricht über ihren Verbleib oder ihren Gesundheitszustand.
Der Irak zeigt sich hier nicht einmal in Ansätzen kooperativ
bei der Aufklärung dieser Schicksale - von der Weigerung der
irakischen Staatsführung, mit UNMOVIC zusammenzuarbeiten, ganz
zu schweigen.
Wenn wir also über eine Modifizierung des Sanktionsregimes
sprechen, müssen wir von einem Prozess sprechen, an dessen
Ende die Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen steht, nicht
an dessen Anfang. Ich bin sehr dafür, das abgestimmt mit unseren
europäischen Partnern zu machen.
Noch ein Wort zum Zeitpunkt. Ich weiß ja, dass der Antrag
schon lange in den Gremien hängt und es außerdem fast
nie einen günstigen Zeitpunkt gibt, einen solchen Antrag zu
behandeln. Aber wir alle wissen um die Diskussion, dass der Irak
relativ hoch oben auf der Liste möglicher Ziele im Antiterrorkampf
der USA steht. Bitte verstehen sie mich nicht falsch: Ich bin absolut
dagegen, gegen den Irak militärisch vorzugehen. Aber jede Entscheidung,
die irgendwie missverstanden werden kann und entweder den Irak ermutigt,
ein wenig frecher zu werden oder in den USA den Hang zu einer unilateralen
Haltung in der Irakfrage verstärkt, kann am Ende kontraproduktiv
sein, vor allem auch für die Grundanliegen des Antrages, die
ich, wie schon gesagt, teile.
Aus diesen Gründen - falsche Ursachenanalyse, falsches Vorgehen
und falsche Zeit -: Die SPD bleibt beim Votum des Auswärtigen
Ausschusses und lehnt den Antrag ab.
Joachim Hörster (CDU/CSU): Schon bei der ersten Erörterung
des PDS-Antrages heute vor genau einem Jahr habe ich darauf hingewiesen,
dass die PDS nach der Grundstruktur ihres Antrages nicht dem das
irakische Volk gegenwärtig beherrschenden Unrechtsregime, sondern
vielmehr den Alliierten des Golfkrieges die Schuld am Elend der
irakischen Bevölkerung geben will. Dabei hat sich seit Stellung
des PDS-Antrages nichts daran geändert, dass das irakische
Regime mit brutaler Gewalt, mit fortdauernden gravierenden Menschenrechtsverletzungen
und ohne Rücksichtnahme auf das irakische Volk seine Macht
aufrechterhält. Niemand kann und will bestreiten, dass das
irakische Volk unter dem auch durch das Embargo verursachten Mangel
an Lebensmitteln, Medikamenten und erheblichen Schäden an der
Sozialinfrastruktur leidet. Niemand in diesem Hause will dem irakischen
Volk schaden, sondern wir wünschen ganz im Gegenteil dem irakischen
Volk eine Regierung, die sich für die lebenswichtigen nationalen
und internationalen Interessen des Irak einsetzt und nicht den eigenen
Machterhalt - mit welchen Mitteln auch immer - zum alleinigen Maßstab
ihres Handelns macht. Wenn es um die Aufhebung der Sanktionen geht,
so ist festzuhalten, dass die gegenwärtigen Machthaber im Irak
eine Bringschuld haben. Dazu kann ich nur wiederholen, was ich schon
vor einem Jahr ausgeführt habe:
Da ist zunächst einmal die Frage der Rüstungskontrolle.
Gerade wir Deutschen können aus eigener geschichtlicher Erfahrung
bestätigen, wie wichtig und notwendig es ist, infolge eines
Angriffskrieges die Rüstungsproduktion internationaler Kontrolle
zu unterwerfen, dabei verlässlich und vertrauenswürdig
zu agieren und so verlorenes Vertrauen in der Nachbarschaft wiederherzustellen.
Daran hapert es nach wie vor im Irak. Als Vorsitzender der Parlamentariergruppe
für die Beziehungen zu den Arabisch sprechenden Ländern
des Nahen Ostens kann ich aus zahlreichen Gesprächen und Kontakten
berichten, dass es dem Irak noch nicht gelungen ist, Vertrauen bei
seinen Nachbarn wiederzugewinnen. Es sind nicht nur die Zweifel
hinsichtlich ausreichender Kooperation im Zusammenhang mit Fragen
der Rüs tungskontrolle und der Vernichtung von Waffen- und
Massenvernichtungsarsenalen. Es geht auch um die Vermeidung des
verbalen Radikalismus und des Aufbaus von Bedrohungsszenarien. Und
nicht zuletzt geht es auch um die Frage, ob der Irak sich glaubhaft
darum bemüht, das Schicksal und den Verbleib von vermissten
kuwaitischen Soldaten und Staatsbürgern - es ist die Rede von
bis zu zweitausend Menschen - aufzuklären. Wenn wir daran gehen,
etwas für die Abschaffung der Sanktionen zu tun, so kann dies
nur funktionieren in Übereinstimmung mit dem arabischen Umfeld.
Das Regime in Bagdad wäre zuallererst gut beraten, vertrauensbildende
Maßnahmen im Hinblick auf seine direkten Nachbarn zu unternehmen.
Durch viele Kontakte zu Repräsentanten der arabischen Welt
weiß ich, dass man mit großer Sorge beobachtet, dass
im Irak die gesamte Versorgung am Boden liegt und nicht funktioniert,
dass neben der flächendeckenden Verarmung das vollständige
Verschwinden des Mittelstandes ins Auge fällt und dass die
Jugend des Landes wegen fehlender Bildungsmöglichkeit und der
fortdauernden Propaganda sich als Sanktionsopfer Nummer eins begreift
und gegenüber der westlichen Welt feindselig eingestellt ist.
Man befürchtet Langzeitwirkungen, die man möglichst verhindern
sollte.
Dennoch ist es schwierig, von den arabischen Gesprächspartnern
Ratschläge oder Empfehlungen zu erhalten, wie das Sanktionsregime
geändert werden könnte, um einerseits die Leiden des irakischen
Volkes zu mindern ohne andererseits das gegenwärtige Regime
zu stärken. Dabei spielt eine nicht unerhebliche Rolle, dass
der Irak selbst innerhalb der arabischen Liga nicht bereit war,
die Unverletzlichkeit der kuwaitischen Grenzen anzuerkennen und
der Sohn Sadam Husseins, der nicht irgendwer ist, noch vor weniger
als einem halben Jahr eine Landkarte präsentierte, auf der
Kuwait als Teil des Irak dargestellt wurde.
Auch die arabischen Länder erkennen, dass es äußerst
schwierig ist, mit einem Regime, das zu keinerlei vertrauensbildender
Kooperation bereit ist, Regelungen zu finden, die die irakische
Bevölkerung in ihren alltäglichen Grundbedürfnissen
nicht tangieren. Zunehmend wird man aber auch von arabischen Gesprächspartnern
nachdrücklich darauf hingewiesen, dass es in der arabischen
Bevölkerung eine stark wachsende Tendenz gibt, die die Sanktionen
gegen den Irak als ungerecht empfindet.
Bei dieser Bewertung spielen vor allem die Vorgänge in Paläs
tina und das Verhalten Israels eine zentrale Rolle. Während
man es Israel durchgehen lasse, dass es Resolutionen der Vereinten
Nationen schlicht ignoriere und bei dem Vorgehen gegen Palästina
ständig das Völkerrecht verletze, werde die Verletzung
von Entscheidungen der Vereinten Nationen durch den Irak sofort
und unnach giebig geahndet. Die internationale Gemeinschaft wende
zweierlei Maßstäbe an und billige Arabern weniger Rechte
zu als den Israelis.
Ich brauche nicht zu betonen, dass sich dieses Meinungsbild gerade
wegen der Vorgänge der letzten Wochen in Palästina dramatisch
verstärkt hat. Aber selbst wenn, was wir alle hoffen, der Konflikt
zwischen Israel und Palästina befriedet werden kann, ändert
dies unseren deutschen Handlungsspielraum gegenüber dem Irak
nicht.
Ich wiederhole: Keiner von uns will das irakische Volk leiden sehen,
zumal es kaum eine Chance hat, sich dem Würgegriff seiner diktatorischen
und menschenverachtenden Regierung zu entziehen. Solange diese Regierung
aber selbst ihre aus den Petrodollars erwirtschaftete Finanzkraft
nicht ausschließlich für die Bevölkerung einsetzt,
ist es sehr schwierig, ein anderes Sanktionssystem, das die Angriffsfähigkeit
des Irak gegen andere Staaten in der Region verhindert, zu finden.
Deswegen bedarf es
diplomatischer Bemühungen vieler Seiten, um dem im Irak herrschenden
Regime klar zu machen, dass ihre Propagandapolitik mit den Leiden
des irakischen Volkes nicht der Weg ist, um das Sanktionsregime
zu beenden. Es muss dieser Regierung klar gemacht werden, dass der
einzige Weg darin besteht, die Aggressionsbereitschaft gegenüber
anderen Staaten in der Region aufzugeben, militärisch abzurüsten,
sich dabei internationaler Kontrolle zu unterwerfen und auch dem
eigenen Volk wieder die Mindeststandards an Menschenrechten einzuräumen.
Der PDS-Antrag war vor einem Jahr und ist auch heute in diesem Sinne
alles andere als hilfreich und der Auswärtige Ausschuss und
die mitberatenden Ausschüsse empfehlen zu Recht, diesen Antrag
abzulehnen. Daher stimmt meine Fraktion der Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses zu.
Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die humanitäre Situation im Irak ist katastrophal, die Kindersterblichkeit
gestiegen und die Gesundheitsversorgung schlecht. Mangelhaft ist
die Versorgung mit Medikamenten, Elektrizität und Wasser. Weil
das Bildungssystem zusammengebrochen ist, steigt das Analphabetentum.
Auch das humanitäre Programm "Nahrungsmittel gegen Öl"
hat die Situation der Bevölkerung nicht verbessert. Saddam
Hussein ist innenpolitisch gefestigt aus der Sank tionszeit herausgegangen.
Die Sanktionen werden schon seit längerer Zeit von Dritten
unterlaufen, hauptsächlich durch den Ölschmuggel.
Schauen wir uns diese Realität an, so müssen wir ganz
klar sagen: Diese Sanktionen sind gescheitert! Aber, meine Damen
und Herren von der PDS, es ist schlicht irreführend zu behaupten,
dass ein Ende des Wirtschaftsembargos auch dem Leiden der irakischen
Bevölkerung ein Ende machen würde! Die politische Botschaft
auf diese Weise zu vereinfachen ist unredlich!
Warum leidet die Bevölkerung? Die Verantwortung hierfür
ist vor allem Saddam Hussein zur Last zu legen: Er hat die Mittel,
die dem Irak aus dem Programm "Nahrungsmittel gegen Öl"
zur Verfügung stehen, absichtlich nicht ausgeschöpft.
Er hat mögliche Leistungen der ira kischen Zivilbevölkerung
absichtlich nicht zur Verfügung gestellt und sein eigenes Land
bewußt in Geiselhaft genommen.
Das Elend im Irak hat viele Ursachen. Die erste ist der lange Krieg
des Irak gegen den Iran, die zweite der Überfall des Irak auf
Kuwait und der folgende Golfkrieg und nicht zuletzt der Mißbrauch
und die Folge der Sanktionen.
Lassen Sie uns also nicht vergessen, mit wem wir es hier zu tun
haben: Saddam Hussein ist bestrebt, Massenvernichtungswaffen herzustellen,
und verweigert die Kooperation mit Inspekteuren der Vereinten Nationen.
Im Kampf gegen den Iran und irakische Kurden hat Saddam Hussein
Giftgas eingesetzt und die Meldungen aus der jüngsten Zeit,
dass der Irak in der Lage sei, biologische und chemische Waffen,
wenn nicht sogar Atomraketen zu produzieren, bestärken mich
in der Haltung, dass es dringend nötig ist, den Irak zur Zusammenarbeit
mit den Waffeninspekteuren zu bewegen.
Deshalb begrüße ich den Vorschlag, der schon seit längerem
auch unter Franzosen, Briten und den USA Zustimmung findet, die
Sanktionen nicht aufzuheben, sondern das Sanktionsregime zu verändern.
Was wir brauchen ist eine Politik des "Alles ist erlaubt bis
auf Waffen!" anstelle des bisherigen "Alles ist verboten
bis auf Nahrungsmittel!". Leider wird dies frühestens
nächsten Juni möglich werden. Aber immerhin haben es die
Mitglieder des Sicherheitsrates jetzt geschafft, sich auf dieses
Vorgehen zu einigen.
Der Sicherheitsrat stellt dem Irak die Aufhebung der Sanktionen
in Aussicht, wenn er es endlich zulässt, dass internationale
Inspekteure ungehindert nach Massenvernichtungswaffen und Anlagen
zu deren Herstellung suchen können. Das ist das richtige Signal
an den irakischen Diktator: Wir sind kompromissbereit, aber das
Ziel der Non-Proliferation werden wir nicht aufgeben!
Eine Debatte zum Irak ist derzeit aus doppeltem Grund wichtig: Einerseits
geht es nach wie vor um die Folgen der Golfkriege, andererseits
aber gleichzeitig um den Terrorismus und die internationale Allianz
zu dessen Bekämpfung. Eine erste Frucht der Antiterrorallianz
war es, dass sich die Sicherheitsratsmitglieder nach drei vergeblichen
Anläufen endlich auf einen Fahrplan zur Veränderung des
Sanktionsregimes einigen konnten. Jetzt gilt es, diese Anti terrorallianz
am Leben zu erhalten! Sie durch einen erneuten Angriff zu gefährden
wäre politisch falsch. Deshalb unterstützen wir die Bundesregierung
und unsere europäischen Partner bei ihren Bemühungen,
die USA davon zu überzeugen, dass sie ihre Drohungen gegen
den Irak nicht militärisch umsetzen.
Die Meldungen, die uns in den letzten Wochen und Tagen aus dem oder
zum Irak erreicht haben, sind mehr als beunruhigend. Der Ton wird
aggressiver. In den USA melden sich immer mehr Falken zu Wort, die
den Irak als nächstes Ziel der Vereinigten Staaten im Kampf
gegen den Terrorismus sehen. Erst am Mittwoch hat US-Präsident
Bush eine amerikanische Militäraktion im Irak als Option bezeichnet.
Unterdessen hat Saddam Hussein eine Generalmobilmachung angeordnet.
Und der ägyptische Präsident Mubarak warnt, dass ein Angriff
auf ein ara bisches Land "schreckliche Folgen für die
Region" haben werde.
Diese Gefahr ist uns allen bewusst. Bereits jetzt ist die Situation
im Nahen Osten angespannt genug und die Bundesregierung bemüht
sich darum, den israelisch-paläs tinensischen Konflikt einzudämmen.
Die Auswirkungen einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem
Irak wären unkalkulierbar.
Deswegen kann ich auch nicht dem früheren US-Außenminister
Kissinger zustimmen, der sich am 20. Januar in der "Welt am
Sonntag" für ein rasches militärisches Vorgehen gegen
den Irak ausgesprochen hat. Kissingers geopolitischen Gründen
werden wir nicht nur menschenrechtliche und humanitäre Argumente
entgegenhalten, sondern auch politische Argumente, die nicht nur
den Zusammenhalt der Allianz gegen den Terror in den Vordergrund
stellen, sondern auch vor dem Zerfall Iraks und den Folgen warnen.
Deutsche ABC-Soldaten sind auf dem Weg nach Kuwait bzw. bereits
vor Ort. Dort werden sie an einer internationalen Katastrophenschutzübung
mehrerer Staaten teilnehmen. Bei unserer Entscheidung zur Bereitstellung
von deutschen Truppen Ende letzten Jahres war uns klar, dass im
Kampf gegen den Terror die defensiven Fuchs-Spürpanzer zum
Schutz von amerikanischen Einrichtungen von Nutzen sein könnten.
Nach Angaben der Bundesregierung handelt es sich nur um eine Übung;
der größte Teil der Truppe wird danach wieder nach Deutschland
zurückgeholt.
Zurück zu den Sanktionen. Was soll mit Sanktionen erreicht
werden? Die Sanktionen sind keine Strafe für die notleidende
Bevölkerung. Sie sind die einzige Möglichkeit, Missbilligung
gegen das irakische Verhalten auszudrücken und Druck auf das
Regime auszuüben. Wo diplomatische Vermittlungsbemühungen
nicht weiterkommen und noch keine militärische Gewalt eingesetzt
werden soll, sind Sanktionen das einzige politische Mittel, das
die internationale Staatengemeinschaft in Händen hat. Sie sendet
folgende, faire Botschaft an das irakische Regime: Lasst internationale
Waffeninspekteure in euer Land, und die Sanktionen werden beendet!
Denn die internationale Gemeinschaft darf eines nicht: das Ziel
der Non-Proliferation aufgeben.
Ulrich Irmer (FDP): Mit der Verhängung von Sanktionen
soll - wie auch im Falle des Irak - in der Regel zweierlei erreicht
werden: Zum einen soll das betroffene Regime oder Land durch wirtschaftlichen
und politischen Druck zu einer Handlung oder Unterlassung veranlasst
werden, zum anderen sind Sanktionen per se aber auch ein besonders
deutliches Symbol der Missbilligung von politischem Fehlverhalten.
Mit der Aufhebung von Sanktionen würde mithin auch anerkannt,
dass die Gründe für ihre Verhängung nicht mehr vorliegen.
Uns ist noch allen der Eiertanz in Erinnerung, den die Europäische
Union auch nach der Vorlage des Gutachtens der drei Weisen bis zur
Aussetzung der Sanktionen gegen Österreich aufgeführt
hat.
Doch wie sieht die Situation im Irak aus? Zehn Jahre nach der Operation
Wüstensturm sitzt Saddam Hussein fester im Sattel als je zuvor.
Und sein Regime meldet sich auf internationalem Parkett zurück.
Auf dem Saddam International Aerport landen wieder Linienflugzeuge,
Botschaften werden in Bagdad wieder eröffnet und der Irak ist
wieder zum zweitgrößten Erdölexporteur der Welt
avanciert. Statt Medikamente und Nahrungsmittel für sein darbendes
Volk zu besorgen, lässt er lieber 11 Milliarden Öldollar
ungenutzt auf Depotkonten liegen. Nach UNO-Beobachtungen werden
die dank gestiegener Weltmarktpreise enormen Einnahmen aus Ölschmuggel
für den Wiederaufbau seiner konventionellen Streitkräfte
eingesetzt. Seine Rüstungsindustrie läuft wieder auf Hochtouren,
nachdem er es geschafft hat, die UNO-Inspektoren zu vergraulen.
Die Mittel hierfür besorgt er sich unter Umgehung des UN-Ölembargos
aus illegalen Ölexporten zu Dumpingpreisen. Und während
seine Ingenieure die Zielgenauigkeit seiner Mittelstreckenraketen
verbessern, ruft er die "arabischen Brüder" zum "Vernichtungsschlag
gegen Israel" auf. Der ehemalige UNSCOM-Chef, Richard Butler,
schätzt, dass Bagdad nunmehr imstande ist, innerhalb eines
Jahres eine Atombombe zu entwickeln. Gleichzeitig weigert sich Saddam
Hussein weiterhin, die UNO-Waffeninspektoren ins Land zu lassen.
In jüngster Zeit nutzt Saddam die Krise im Nahost-Friedensprozess,
um sich wieder als panarabischer Führer zu präsentieren.
Während sein Volk hungert und Krankenhäuser geschlossen
werden müssen, ließ Saddam Hussein über 50 Lastwagen
mit 1 600 Tonnen Medikamenten und Lebensmitteln auf dem Landweg
über Jordanien nach Palästina schaffen. Zehntausende Iraker
warten angeblich darauf, in einem israelisch-palästinensischen
Krieg an der Seite ihrer arabischen Brüder kämpfen zu
dürfen. Überdies kündete er die Bildung einer Kommission
an, mit der
100 Millionen Euro an arbeitslose amerikanische Staatsangehörige
verteilt werden sollen. Gleichzeitig führt er sein Regime nach
innen mit einer derart unerbittlichen Härte, dass sich die
UNO-Vollversammlung zur Verabschiedung einer Resolution veranlasst
sah, die der Regierung von Saddam Hussein "systematische, weitverbreitete
und besonders schwere Verstöße gegen die Menschenrechte
und internationales humanitäres Recht" vorwirft.
Wenn es je Anlässe zur Verhängung von Sanktionen gegeben
hat, dann sind sie durch dieses Verhalten des Diktators von Bagdad
noch eher verstärkt worden.
Es ist unbestritten, dass die Versorgungslage im Lande ausgesprochen
prekär ist und die Mehrheit der Bevölkerung vom Lande
katastrophale Lebensverhältnisse erdulden muss. Umgekehrt gilt
aber auch, dass das "Öl für Nahrungsmittel"-Abkommen
in den letzten Jahren zu
einer deutlich spürbaren Verbesserung der Situation beigetragen
hat.
Es fragt sich also, was mit der Aufhebung der Sanktionen erreicht
werden könnte. Eine erste Maßnahme wäre doch sicherlich,
das Programm "Öl für Nahrungsmittel" abzustellen
mit der Folge, dass Saddam nunmehr freie Hand hätte, seinem
Volk noch weitere Leiden aufzubürden. Er könnte dabei
überdies noch auf eine Art Quasilegitimierung durch die Aufhebung
der Sanktionen verweisen. Dass es bereits heute - Sanktionen hin,
Sanktionen her - nur eines Fingerzeiges des Diktators bedürfte,
um die Lebenssituation der Iraker nachhaltig zu entspannen, ist
ebenso klar.
Eine nüchterne Analyse der Lage im Irak kommt daher zu dem
Ergebnis, dass mit der Aufhebung der Sanktionen die Position des
Diktators weiter gestärkt, seinem Volk aber nicht geholfen
würde. Im Gegenteil. Es kommt jetzt darauf an, die Sanktionen
zu verschärfen, sie zielgerichteter dort einzusetzen, wo sie
unmittelbar die Interessen Saddam Husseins beeinträchtigen,
und ihre Umsetzung besser zu kontrollieren. Es ist geradezu grotesk,
dass die gleiche PDS-Fraktion, die Saddam Hussein noch vor kurzem
mit einem Antrag des Völkermordes bezichtigt, nunmehr die Aufhebung
der Sanktionen gegen den Irak fordert. Aber derartige politische
Akrobatik sind wir ja inzwischen von den "demokratischen Sozialisten"
gewöhnt.