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Dezember 2001 | Koalition für einen demokratischen Irak (KdI)

Die Irak Debatte


Kommentar

Zur Entwicklungsgeschichte eines technisierten Monstrums

Soeben faßte die deutsche Friedensbewegung in Kassel neue Beschlüsse zum Schutz des irakischen Staates unter dem Baath-Regime. Der Angesprochene, Diktator Saddam Hussein, quittiert auf der Stelle - und demonstriert, wohin die irakischen Finanzmittel aus den Ölexporten fließen: Zeitgleich mit den Beschlüssen der deutschen Friedensfreunde entdecken sich handfeste, evidente Hinweise auf die neuerliche Fortsetzung des Waffenhandels mit Lieferanten aus Deutschland. Genauer: des Handels mit Produkten zur Herstellung von Massenvernichtungsmitteln, nämlich ABC-Kanonen-Systemen.

Ein einziges Indiz übrigens nur im Zeichen des florierenden Handels mit Chemieprodukten der BASF und den DANZAS-Speditionstransporten rüstungstauglicher Dinge nach Baghdad. In der Tat gilt, was in den Kasseler Beschlüssen völkisch notifiziert ist: "Das irakische 'VOLK' hat lange genug gelitten". Menschen sind damit gemeint, denen die gewaltigen Geldmittel vorenthalten werden, die Saddam in eine Wiederaufrüstung steckt, die Friedensleute eigentlich verhindern müßten - in Solidarität mit der Bevölkerung im Irak, die genug unter ihrem Diktator gelitten hat.

Hans Branscheid


Dezember 2001:

Irakische Vernichtungswaffen und industriestaatliche Proliferation:
Die UN-Komission für Irak (UNSCOM) und die Bundesrepublik

von Ronald Ofteringer

Der Irak ist nicht der einzige Staat im Nahen Osten, der chemische und andere Massenvernichtungswaffen besitzt und herstellt. Irak ist aber der Staat gewesen, der solche Waffen, namentlich Giftgas, in einem Krieg (gegen den Iran) und gegen die eigene Bevölkerung systematisch eingesetzt hat. Der furchtbarste dieser Einsätze - und zugleich der erste Giftgasangriff auf eine Stadt überhaupt - war die Bombardierung Halabjas am 16. März 1988. Auch bei den Anfal-Offensiven der irakischen Armee von Februar bis September 1988, bei der nach Schätzung von Human Rights Watch bis zu 100.000 Menschen ums Leben kamen oder verschwanden, wurden C-Waffen in mindestens 40 nachgewiesenen Fällen gegen kurdische Kombattanten und die Zivilbevölkerung eingesetzt. Die Anfal-Operationen und der Giftgasangriff auf Halabja können als ein modernes Menschheitsverbrechen, ein "bürokratisch organisierter, routinemäßig verwalteter Massenmord" angesehen werden. Sie stellen nach Ansicht internationaler Menschenrechtsorganisationen und des UN-Sonderberichterstatter Max v.d. Stoel einen Völkermord im Sinne der UN-Konvention zur Bestrafung und Verhütung von Völkermord dar. Die Aufarbeitung eines solchen Menschheitsverbrechens erfordert die Auseinandersetzung mit all seinen Aspekten. Das heißt, die Verantwortlichen des Regimes vor einem vielfach geforderten Tribunal oder dem internationaler Gerichtshof anzuklagen, den Opfern Anerkennung und Wiedergutmachung zugutekommen zu lassen und sie vor Wiederholung zu schützen, die Massenvernichtungswaffen und Produktionsanlagen vernichten, und auch jene rechenschaftspflichtig zu machen, die dafür sorgten, daß die Täter über diese Waffen verfügten.
Der Irak verfügte bis mindestens 1991 über eine entwickelte C-Waffenproduktion zur Herstellung und Abfüllung von Bomben, Granaten und Raketensprengköpfen. Die Giftgas-produktion war Bestandteil eines umfangreichen irakischen Programms zur Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungswaffen (MVW) und ballistischen Trägersystemen. Westliche Industriestaaten hatten einen bedeutenden Anteil am Aufbau der irakischen Rüstungsproduktion, wobei die Deutschen Saddams wichtigste Lieferanten für hochentwickelte Technologien gerade in den verbotenen Bereichen waren.
Ich möchte am Beispiel vor allem der 1991 eingerichteten UN-Sonderkomission zur Kontrolle und Vernichtung der irakischen Massenvernichtungspotentiale (UNSCOM) und ferner des 1997 in Kraft getretenen UN-Übereinkommens für ein umfassenden C-Waffenverbot (CWÜ) aufzeigen, wie die internationale Gemeinschaft sich im Kontext internationaler Abrüstungsmaßnahmen mit dem irakischen Massenvernichtungspotential auseinandergesetzt hat. Wie wurde mit der industriestaatlichen Proliferation in diesem Fall umgegangen, und wie hat Deutschland als der Staat, der den größten und illegalsten Anteil daran hatte, sich dabei verhalten? In welchem Verhältnis steht die Irak auferlegte Abrüstung zu anderen Maßnahmen der Ahndung der vom irakischen Regime verübten Menschheitsverbrechen - so sie ergriffen wurden? Die Beantwortung dieser Fragen ist auch für das Verständnis der ständigen US-irakischen Konflikte um die UNSCOM-Inspektionen von Bedeutung.
Vorher möchte ich das Ausmaß des Beitrags der westlichen Industriestaaten zu Rüstung und Repressionsapparat im Irak kurz darstellen und zeigen, wie die internationale Gemeinschaft und einzelne Staaten mit dem irakischen Regime, den von ihm verübten Menschheitsverbrechen und der eigenen Mitverantwortung zwischen dem Jahr1988 (Halabja und die Anfal-Offensiven) und dem 2. August 1990, der irakischen Invasion in Kuwait, umgegangen ist.

Das Ausmaß westlicher Unterstützung für das irakische Regime

Alle westlichen Industrienationen, so Hans Leyendecker, SPIEGEL-Redakteur und Autor des wichtigsten Buches über die deutschen Todesgeschäfte mit dem Irak, haben sich an den gigantischen irakischen Rüstungsprojekten beteiligt. Als Begründung - oder Vorwand - dienten der iranisch-irakische Krieg und westliche Interessen am Golf. Wir reden nicht über Hunderte von Millionen, sondern über Milliarden, und jedes europäische Land wollte ein Stück vom Kuchen haben. Wie keine andere Nation haben jedoch die Deutschen Saddam flächendeckend mit hochgefährlichem Zeug ausgestattet.
Daß mittelständische deutsche Firmen wie Karl Kolb, Pilot Plant und WET dem Irak komplette Anlagen für die Giftgasproduktion lieferten, war seit 1984 bekannt. Die Bundesregierung reagierte damals unwirsch auf diese Informationen, die vor allem aus den USA und Israel kamen. Der damalige Wirtschaftsminister Bangemann machte reinen Konkurrenzneid der Amis im lukrativen Irak-Geschäft aus, und ein Beamter seines Ministeriums erklärte der New York Times: Demnächst sollen wir wohl auch noch den Export von Hämmern unterbinden, weil irgend jemand sie nutzen könnte, anderen damit auf den Kopf zu schlagen. Reagiert wurde mit halbherzigen Verschärfungen von Exportkontrollen. Doch in den folgenden Jahren wurden weitere Irak-Rüstungsskandale aufgedeckt: In die Lieferung von C-Waffenproduktionsanlagen waren Konzerne wie Preussag mittels Tarnfirmen verwickelt, MBB (mit einem Anteil von 75 Mio DM allein am Raketenforschungsprojekt Saad 16), Thyssen und Rheinmetall hatten dem Irak hochmoderne Anlagen für sein Raketenprogramm und die Produktion von Kanonen geliefert.
Die Aussagen des 1995 nach Jordanien geflohenen und nach seiner Rückkehr in den Irak ermordeten ex-Superministers für Militärrüstung, Hussain Kamil al-Majid, durchgesickerte UNSCOM-Erkenntnisse und Presseberichte brachten einiges mehr ans Tageslicht:
- 70 % der Giftgasanlagen im Irak kamen von deutschen Firmen. Nach Saddam s Überfall auf Kuwait im August 1990 wurde publik, daß mehrere Angestellte dieser Firmen für den Bundesnachrichtendienst arbeiteten.
- 90 % der Lieferungen, mit deren Hilfe die Iraker an der Verbesserung von Scud-Raketen arbeiteten und eigene Raketen produzierten, kamen laut UNSCOM aus Deutschland. Ein Raketenspezialist des BND war führend in das irakische Programm involviert;
- deutsche Firmen spielten eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des Gaszentrifugenprogramms zur Urananreicherung im Irak;
- Bundesbehörden wie das Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn, zuständig für Ausfuhrgenehmigungen, hatten Firmen bei Ausfuhren in den Irak direkt unterstützt.
Auch nachdem die Bilder von Halabja und der Massenflucht von Kurden vor der finalen Anfal-Offensive im August 1988 um die Welt gingen, hielt die deutsche Regierung an ihrer Irakpolitik fest: "Bei den Wirtschaftsgesprächen auf der `Internationalen Messe Bagdad´ im November 1988 (StS von Würzen, BMWi, Deutsche Wirtschaftsdelegation unter Teilnahme von 6 Abgeordneten des Bundestags und des Europäischen Parlaments) zollte die irak. Seite der Arbeit deutscher Firmen im Irak während des Golfkriegs hohe Anerkennung," hieß es im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Dezember 1988, "und brachte die Hoffnung auf noch engere Zusammenarbeit in der Zukunft zum Ausdruck. Hierbei wird die Erweiterung der Hermes-Deckungsmöglichkeiten in den kommenden Jahren eine wesentliche Rolle spielen." Derselbe Bericht vermerkt - kurz nach dem Ende der genozidalen Anfal-Offensiven - zur Situation der Kurden, daß "ihr bewaffneter Widerstand gegen Bagdad (...) zu harten Maßnahmen der Zentralregierung gegen sie geführt" habe, "zuletzt im August/September 1988" - volles Verständnis für völkerrechtswidrige "Vergeltungsmaßnahmen", wie sie deutsche Besatzungstruppen nach Partisanenanschlägen im besetzten Europa verübten. Distanzlos wird die irakische Militärdoktrin referiert: "Bis auf weiteres ist Iraks Ostflanke bedroht," und "(...)erwächst für dies Land darüberhinaus die Gefahr eines israelischen Präventivschlags (...)." Auf Abhilfe wird, den deutschen Beitrag vornehm umschreibend, hingewiesen: "Irak, das im Golfkrieg weitgehend auf Rüstungslieferungen anderer Länder (...) angewiesen war, hat seit 1985 erfolgreich eine eigene Rüstungsindustrie aufgebaut. Hergestellt werden u.a. (...) Granat- und Raketenwerfer, (...) Geschützrohre, Anlagen zur Herstellung von Panzerfahrzeugen sind im Bau. In Zusammenarbeit mit verschiedenen anderen Ländern entstehen Mittelstreckenraketen bis zu einer Reichweite von ca. 900 km. Am Aufbau eines Raketenabfangsystems wird gearbeitet."
Aus all dem resultiert der Eindruck, daß es sich bei dem deutschen Beitrag zu irakischen Rüstungsprogrammen vor allem im Giftgas-, Nuklearwaffen- und Raketenbereich um eine gezielte Politik deutscher Unternehmen handelte, die von der Regierung geduldet, teilweise gefördert und evtl. sogar mitbetrieben wurde. Die Rüstungsprojekte im Irak, vor allem im Bereich ballistische Raketen, weisen Parallelen zu anderen bundesdeutschen Aktivitäten z.B. im nukleartechnischen Bereich im Fall Südafrika auf, mit denen jenseits des offiziellen Verzichts auf Massenvernichtungswaffen in verdeckter Form versucht wurde, an solchen Rüstungsprojekten zu partizipieren. Bereits in den 70er Jahren, nach der Suspendierung der Mitgliedschaft Ägyptens in der Arabischen Liga, hatte der Irak die Konkursmasse der bis dato unter ägyptischer Federführung laufenden "Hochkomission der Arabischen Rüstungsgemeinschaft" übernommen, die eine strategische Parität mit Israel herbeirüsten sollte und mit der französische Rüstungskonzerne und deren deutsche Partner Dornier, MBB und Siemens kooperierten.
Frankreich, Großbritannien, Rußland und vor allem die USA haben den Irak in den 80er Jahren intensive Beziehungen zum Irak gepflegt. Im militärischen Technologiebereich wurden irakische Beschaffungsnetzwerke geduldet und gefördert. In den USA ist die Unterstützung des Irak durch die Reagan- und Bush-Administrationen unter dem Stichwort Iraqgate bekannt geworden. Die USA hatte den Irak im Krieg gegen den Iran massiv unterstützt: 1982 wurde Irak von der Liste der Terrorismus-Unterstützerstaaten gestrichen, 1984 die diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen. Während des Krieges bekam Bagdad amerikanische Satellitenbilder und militärischen Informationen über den Iran - bis hin zum "battlefield management" (strategische Beratung durch amerikanische Experten) - bis die USA schließlich 1987 direkt im Persischen Golf intervenierten. Über Jordanien bekam der Irak auch amerikanische Waffen, z.B. HAWK-Raketen. Umfangreiche staatliche Kreditgarantien für amerikanische Landwirtschaftsexporte in Höhe von 5 Mrd. $ wurden gewährt. Über die Filiale der Banco Nazionale de Lavoro (BNL) in Atlanta wurde ein verdecktes Kreditgeschäft aufgezogen. Der Irak konnte sich damit Anlagen und Ausgangsstoffe für sein Massenvernichtungswaffenprogramm beschaffen, u.a. Chemikalien für C-Waffen, Ausrüstung für das Nuklearwaffenprogramm (US-Konzern Dupont) und Hewlett-Packard-Computer für die Raketenentwicklung. Von den US-Krediten profitierten auch europäische und deutsche Firmen, die im Irak-Geschäft tätig waren.

Die Übergangszeit: 1988 - 1990

Die UN und ihre Mitgliedsstaaten haben es während des iranisch-irakischen Krieges versäumt, in adäquater Form auf die 1984 erstmals erfolgten irakischen C-Waffeneinsätze zu reagieren, und damit den Gebrauch von C-Waffen quasi sanktioniert. In den UN-Resolutionen 612 und 620 zum Golfkrieg, wurden die C-Waffeneinsätze zwar verurteilt, der Irak der aber nicht als Täter benannt. Auch als die Iraker 1987 begannen, Giftgas gegen die Kurden einzusetzen, reagierte die UN nicht. Die Vereinten Nationen haben damit, so der Genozidforscher Leo Kuper, auf geradezu skandalöse Weise den Anspruch des irakischen Regimes, "als Teil seiner Hoheitsgewalt Anspruch auf Genozid oder Massaker an bestimmten Volksgruppen" zu haben, sanktioniert. Auch beim Inkrafttreten des Waffenstillstands im irakisch-iranischen Krieg und bei der UN-Überwachung desselben nahm die UN die Situation der kurdischen Bevölkerung im Irak nicht zur Kenntnis.
Auch nach Halabja und den Anfal-Offensiven erfolgte keine wirksame Verurteilung des Irak. Bei der Tagung der UN-Menschenrechtskomission im Frühjahr 1989, wo die Menschenrechtsverletzungen und die C-Waffeneinsätze im Irak auf der Tagesordnung standen, wurde durch eine denkwürdige Koalition von Arabischen Staaten, realsozialistischen Ländern und Industriestaaten eine Verurteilung des Irak verhindert. Auf der Pariser Konferenz zur Überprüfung des Genfer C-Waffenprotokolls von 1925 im März 1989 wurde in der Schlußerklärung jede Erwähnung der irakischen Giftgaseinsätze vermieden. Der einzige, der das irakische Regime direkt angriff und auch Halabja erwähnte, war der israelische Außenminister. Bundesaußenminister Genscher sagte dort, die eigene Rolle völlig verdrängend: Ich habe vor den Gefahren der Proliferation gewarnt. Leider hat der Golfkrieg die Berechtigung dieser Warnung bestätigt. Derweil standen die deutsche Bauwirtschaft, Maschinen -und Fahrzeugbauer, Elektroindustrie, Chemie, Feinmechanik und Optik, aber auch Banken und Consultingfirmen "Gewehr bei Fuß", wie die Süddeutsche Zeitung schrieb, um in das Nachkriegsgeschäft im Irak einzusteigen.
Auch die USA setzten ihre Unterstützung des irakischen Regimes als regionale Ordnungsmacht fort. Eine Initiative für ein Gesetz zur Verurteilung des Genozids im Irak im US-Kongreß wurde abgebügelt, das Irak-Kreditprogramm mit 1 Mrd. US$ neu aufgelegt. Nach Iraks Kuwait-Invasion 1990 hatte die Bush-Administration wiederholt behauptet, über den Charakter und das Ausmaß der irakischen Offensiven gegen die Kurden nicht informiert gewesen zu sein. Middle East Watch wies jedoch anhand von freigegebenen Dokumenten nach, daß zumindest ein Teil der Administration im April 1988 von Massenumsiedlungen Kenntnis hatte. Ein Bericht der Defense Intelligence Agency aus der US-Botschaft in Bagdad vom 19. April 1988 besagt, daß schätzungsweise 1,5 Mio. Kurden bereits umgesiedelt wurden.
Erst nach der irakischen Invasion in Kuwait am 2. August 1990 endete die multilaterale Unterstützung für den Irak - und wurde die Zerstörung des irakischen Massenvernichtungspotentials zum Kriegs- und Nachkriegsziel der Golfkriegsallianz.

Die UNSCOM

In der UN-Resolution 687 vom April 1991 legte der UN-Sicherheitsrat nach dem Ende des 2. Golfkriegs die Bedingungen für einen Waffenstillstand zwischen dem Irak einerseits und der Golfkriegsallianz und Kuwait andererseits fest. Diese Resolution fällt unter Kap. VII der UN-Charta (Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen), der Sicherheitsrat kann also im Fall der Zuwiderhandlung zu Zwangsmaßnahmen greifen.
In Abschnitt C der Resolution 687 verpflichtet der Sicherheitsrat den Irak, ohne Bedingungen zu akzeptieren, daß "unter internationaler Aufsicht alle chemischen, biologischen und nuklearen Waffen sowie ballistische Raketen mit einer Reichweite von mehr als 150 km einschließlich aller Kampfstoffe, Ausgangsstoffe, Produktions- und Forschungsanlagen zerstört, demontiert oder unschädlich gemacht werden." Weiter wird der Irak verpflichtet, innerhalb von 14 Tagen eine komplette Liste über Umfang, Spezifikation und Ort dieser Waffen und Produktionsanlagen vorzulegen und Vor-Ort-Inspektionen zu akzeptieren. Zu diesem Zweck wird eine Sonderkomission - die UNSCOM - gegründet, die diese Inspektionen gemeinsam mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) vornehmen soll.
Zur Begründung werden die Verstöße des Irak gegen geltendes Völkerrecht, ua. das Genfer Giftgasprotokoll von 1925 und die B-Waffenkonvention, und die Verletzung des Abkommens zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen genannt. Iraks zurückliegende Einsätze chemischer Waffen zählen, das ist für unser Thema wichtig, zum Begründungszusammenhang der Resolution 687. Dabei wird allerdings weder auf die UN-Sicherheitsratsresolutionen 612 und 620 aus 1988 Bezug genommen, in denen die C-Waffeneinsätze im 1. Golfkrieg verurteilt werden, noch die Tatsache explizit ausgesprochen, daß das irakische Regime Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hatte.
In Abschnitt 14, das ist für die regionale Akzeptanz dieser Resolution von Bedeutung, wird die Erfüllung der Bedingungen dieser Resolution als Schritt in Richtung auf das Ziel einer massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen Osten und eines weltweiten Chemiewaffenverbots bezeichnet.
Die Tatsache, daß die irakischen Potentiale an Massenvernichtungswaffen zu einem wesentlichen Teil durch die Proliferation aus Industriestaaten möglich wurden, fand nur in Bezug auf nukleare Rüstung Erwähnung. In der Präambel heißt es, der Sicherheitsrat sei beunruhigt über in den Mitgliedsstaaten vorliegende Berichte, daß der Irak versucht habe, sich Material für ein Atomwaffenprogramm zu beschaffen.
Der UNSCOM, am 19. April 1991 vom Generalsekretär ins Leben gerufen, gehören 20 Mitgliedsstaaten an, darunter die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und Deutschland. Ein bißchen schizophren," konstatiert Hans Leyendecker in einem Bericht über UNSCOM, "die Inspektoren kommen zumeist aus den Ländern, deren Kaufleute vor dem Golfkrieg die Waffen mit toller Rendite an den Irak verhökert haben.
Das Mandat der UNSCOM besteht in der Durchführung von Vor-Ort-Inspektionen im Irak zur: 1) Registrierung, 2) Zerstörung bzw. Unschädlichmachung der A-, B- und C-Waffen sowie des Raketenpotentials sowie 3) in der langfristigen Überwachung der Einhaltung dieser Verpflichtungen. Um dieses Mandat zu erfüllen, wurden die UNSCOM-Teams, insgesamt ca. 120 Personen, mit umfangreichen Vollmachten ausgestattet, was Bewegungsfreiheit und Zugang im Irak, ad-hoc-Inspektionen, die Entnahme von Proben, die Registrierung und Mitnahme von Dokumenten, Fotografie, Luftüberwachung und Telekommunikation angeht. Sie genießen den Immunitätsstatus von UN-Mitarbeitern. Diese Vollmachten wurden durch einen Briefwechsel zwischen UN und irakischer Regierung spezifiziert.

Zeitrahmen und Ablauf

Bei der Verabschiedung der Resolution 687 (1991) war davon ausgegangen worden, daß der UNSCOM-Prozeß nur einige Monate in Anspruch nehmen würde. Inzwischen dauert er sieben Jahre, ohne daß die erste Phase - Inspektion und Bestandsaufnahme der irakischen Arsenale - abgeschlossen wäre, geschweige denn die zweite (Zerstörung, Unschädlichmachung, Abtransport) oder dritte (langfristige Überwachung).
Die Hauptursache besteht darin, daß das irakische Regime, auch wenn es sich teilweise um eine formal korrekte Zusammenarbeit mit UNSCOM bemüht, alle Register zieht, um das wahre Ausmaß seiner Rüstungsprogramme zu verschleiern und die Inspekteure zu behindern, zu bedrohen und zu verunglimpfen. Auch machen die Iraker dieselben Sicherheitsbedenken geltend, wie sie andere Staaten, gerade die USA, im Fall von ad-hoc-Inspektionen zur Verifizierung von Abrüstungsmaßnahmen anführen.
Dabei versucht das Regime, seine Obstruktion mit den horrenden Folgen der Sanktionen für die irakische Bevölkerung und aus der Diskrepanz heraus zu legitimieren, die zwischen dem Umgang mit irakischen Völkerrechtsverletzungen und denen anderer Staaten in der Region besteht. Die beste Möglichkeit, dies der arabischen und internationalen Öffentlichkeit vor Augen zu führen, besteht offensichtlich in der Obstruktion von UNSCOM.
Dieses irakische Vorgehen ist auf gewisse Weise kompatibel mit der amerikanischen Politik, für welche die irakische Obstruktion der UNSCOM zur Legitimation für den Fortbestand der UN-Sanktionen und der US-Militärpräsenz und -Politik am Golf dient.
Das Middle East Research and Information Center schreibt zu der jüngsten US-irakischen Krise um die UNSCOM-Inspektionen: "Clintons Politik, die alternative Optionen wie ein Kriegsverbrechertribunal oder Rüstungskontrollgremien ausklammert, scheint weniger um die irakische Einhaltung der UN-Auflagen und die Integrität der UNSCOM besorgt als um die Aufrechterhaltung des Wirtschaftsembargos, der Inspektionstätigkeit, der Flugverbotszonen und periodischer amerikanischer Militärschläge."
Eine Konsequenz aus den irakischen Obstruktionen ist, daß Berichte und Informationen aus anderen Quellen für die Arbeit von UNSCOM zunehmend wichtig wurden. In Ermangelung konsistenter Berichte der Lieferstaaten war das meist die Sache der Geheimdienste.
Die Flucht von Saddam's Schwiegersohn Hussain Kamil 1995 stellte einen Wendepunkt dar. Die Aussagen, die er gegenüber UNSCOM und dem amerikanischen Geheimdienst machte, offenbarten neue Ausmaße der irakischen MVW-Programme und die Inkonsistenz der bisherigen irakischen Offfenlegungen. Erstmals wurde z.B. bekannt, wie fortgeschritten das B-Waffenprogramm der Iraker war. Bekannt wurde auch, daß der Irak große Mengen des Nervengases VX produziert hatte. Kamil hat auch umfangreiche Angaben zu den Lieferländern, -firmen und beteiligten Personen gemacht.
Nach seiner Flucht legten die Iraker erstmals Tonnen von Dokumenten offen Allerdings wurde auch versucht, mit der Übergabe irrelevanter Dokumente wie z.B. Einfuhrbelege über Kugelschreiber die Arbeitskapazitäten von UNSCOM zu überlasten. Lt. Bericht des UNSCOM-Vorsitzenden vom 17.Dez. 1995 übergaben die Iraker z.B. einen mehr als 2.500 Seiten umfassenden Bericht über ihr Raketenprogramm, in dem Nachweise wie Kaufverträge, Bestellungen, Protokolle von Gesprächen mit Lieferfirmen etc. enthalten waren.
Ab März 1996 - nach der Auswertung der übergebenen Akten und der Ermordung von Hussein Kamil nach seiner Rückkehr in den Irak - spitzte sich der Konflikt zwischen UNSCOM und dem irakischen Regime erneut mehrfach zu. Die Inspekteure wollten Einrichtungen der Sicherheitsbehörden inspizieren, die nach Angaben Kamils beim Verstecken von Anlagen und Dokumenten eine zentrale Rolle spielten.

Berichte der UNSCOM

Der UNSCOM-Vorsitzende erstattet halbjährlich dem Sicherheitsrat Bericht. Diese Berichte sind öffentlich zugängliche UN-Dokumente, die über den Stand der Inspektionen, die Verhandlungen mit den irakischen Autoritäten u.ä. Auskunft geben. Daneben erstellt die UNSCOM Berichte über jede der bisher über 200 Missionen der UNSCOM und IAEA für den Vorsitzenden der UNSCOM. Angaben über Details der vor Ort identifizierten Anlagen und über ermittelte Leiferfirmen werden ausschließlich dem UN-Chefinspektor ausgehändigt, wie ein ehemaliger UN-Inspektor berichtete. Diese - für die Staaten, die Iraks Rüstungsindustrie aufgebaut haben - hochbrisanten Berichte werden einem Bericht der Herald Tribune zufolge auf Initiative Deutschlands, der USA und der UN geheimgehalten. Im ersten Halbjahresbericht des UNSCOM-Vorsitzenden an den Sicherheitsrat heißt es dazu: Die Sonderkomission und die IAEA sind übereingekommen, daß bevor die Informationen vollständig vorliegen und eine Gesamtanalyse der Materials vorgenommen wurde, nur den Regierungen auf Anfrage Informationen über die irakischen Beschaffungsbemühungen in ihren Ländern gegeben werden.
So hat die UNSCOM z.B. Italien und Großbritannien ihre Erkenntnisse über Firmen übermittelt, die Anteil an den irakischen A-, B- und C-Waffenprogrammen hatten. Auch die Bundesrepublik hat nach Presseberichten diese Informationen eingefordert. In einer Debatte des Bundestages im Oktober 1991 bezeichnete Staatssekretär Beckmann vom Wirtschaftsministerium die bisherigen Erkenntnisse der UNSCOM als allesamt schockierend und erklärte, die UNSCOM habe bereits vorab Auszüge aus Berichten über die Samarra-Inspektionen für das Gerichtsverfahren gegen die Firma Pilot Plant zur Verfügung gestellt.
Informationen über Details aus den vertraulichen Berichten bzw. von teilnehmenden Inspekteuren tauchten allerdings wiederholt in der Öffentlichkeit auf. So berichtete der Independent, ein nichtgenannter leitender Angehöriger der Inspektionsteams habe Diplomaten in New York informiert, daß der C-Waffenkomplex Muthanna bei Samarra für einen geschätzten Betrag von 1.000 US$ hauptsächlich mit deutscher Technologie errichtet worden sei. Die US-Regierung veröffentlichte in einer Internet-website für Golfkriegsveteranen, die am "Golfkriegssyndrom" erkrankt sind, freigegebene Dokumente der US-Geheimdienste, die Angaben über die deutschen Firmen enthalten, die dem Irak C-Waffenanlagen geliefert haben und nur aus vor-Ort-Inspektionen in irakischen Anlagen stammen können.

Resolution 1051: Ein Lieferregime, daß alle Staaten auf Meldung verpflichtet

Besondere Aufmerksamkeit verdient die UN-SR-Resolution 1051, denn in ihr wird erstmals ein Import-Export-Kontrollmechanismus für zukünftige Einfuhren von dual use-Gütern in den Irak festgelegt. Alle Mitgliedsstaaten der UN werden verpflichtet, über Exporte solcher Güter in den Irak durch Firmen ihres Landes und über Verstöße gegen diese Meldepflicht - Hinweise auf illegale Exporte - an eine gemeinsame Komission von UNSCOM und IAEA zu berichten. Ebenso ist der Irak verpflichtet, alle Einfuhren dieser Güter zu melden.
Dies läßt sich als eine indirekte Bestätigung der Bedeutung der Proliferation für die irakische Massenvernichtungsrüstung zu lesen und wirft einmal mehr Licht auf die Tatsache, daß die Proliferanten für das bis 1991 aufgebaute und teilweise eingesetzte irakische MVW-Potential nicht rechenschaftspflichtig gemacht wurden.

UNSCOM ist eines der weitgehendsten Abrüstungsregimes, das einen Eingriff in die Souveränität eines Staates darstellt, der im Fall Irak aufgrund der illegalen Aufrüstung und der Menschheitsverbrechen des Regimes als gerechtfertigt angesehen werden kann.
Das Problem der industriestaatlichen Proliferation und des ungeheuren deutschen Beitrags wird im UNSCOM-Rahmen als irakische Beschaffungs- und Umgehungstechnik rationalisiert und aus dem Verantwortungszusammenhang ausgeschlossen. Das unterminiert die Glaubwürdigkeit der UNSCOM massiv.
Problematisch ist auch die im Vergleich zur Zwangsabrüstung völlig vernachlässigte Ahndung irakischer Menschheitsverbrechen. So ist bis heute nicht die Forderung des UN-Sonderberichterstatters van der Stoel verwirklicht, den Irak auf die Zulassung von Menschenrechtsbeobachtern zu verpflichten. Auch ist die Sicherheitsratsresolution 688 (1991) im Unterschied zur Resolution 687 nicht unter Kapitel VII gefaßt, kann also nicht mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden.
Auch die Instrumentalisierung der UNSCOM zur Aufrechterhaltung des Irak-Embargos und zur Legitimierung der amerikanischen Golfpolitik sowie das Ausbleiben konkreter Schritte in Richtung einer in Resolution 687 in Aussicht gestellten A-, B- und C-waffenfreien Zone im Nahen Osten untergräbt ihre Legitimität.

Das UN-Übereinkommen für ein umfassenden C-Waffenverbot (CWÜ)

Das "Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen" (CWÜ) gilt als das einschneidenste globale Abrüstungsregime. Das 1993 fertiggestellte Abkommen wurde bisher von 167 Staaten unterzeichnet und von 106 Staaten ratifiziert und trat im April 1997 in Kraft.
Auch wenn die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft auf die irakischen C-Waffeneinsätze völlig unzureichend war und diese im Fall der irakischen Kurden völlig versagte, kann man davon ausgehen, daß die C-Waffeneinsätze im Golfkrieg und in Kurdistan ganz wesentlich dazu beitrugen, daß diese Konvention in Kraft trat. In der Präambel heißt es, daß die Generalversammlung der UN "wiederholt alle Maßnahmen verurteilt hat, die im Widerspruch zu den Grundsätzen und Zielen des Genfer Protokolls stehen." Damit ist der Irak zwar nicht genannt, aber sicher gemeint. Zudem ist der Irak laut SIPRI der drittgrößte C-Waffenproduzent nach den USA und der UdSSR.
Alle Vertragsstaaten verpflichten sich in Art. 1 zum Produktions-, Einsatz- und Weiterverbreitungsverbot für C-Waffen, und zur Vernichtung von Waffen, Vorprodukten und Produktionsanlagen. Für die Vernichtung der existierenden Waffen ist ein Zeitraum bis zum Jahr 2007 festgelegt. Alle Bestände, Ausgangsstoffe und Produktionsanlagen sind zu melden. Dem Abkommen sind Listen mit Chemikalien und Vorprodukten beigefügt.
Die durch das Übereinkommen ins Leben gerufene "Organisation für das Verbot Chemischer Waffen" (OFVCW) mit Sitz in Den Haag soll die Einhaltung mit einem bisher einzigartigen Überprüfungsregime, vergleichbar den UNSCOM-Inspektionen, überwachen.
USA und Rußland als größte C-Waffenstaaten hatten erhebliche Einwände gegen das Übereinkommen geltend gemacht, die USA vor allem gegen die Überprüfungsinspektionen, und beide erst spät ratifiziert. Die USA hat bei der Ratifizierung Einschränkungsklauseln geltend gemacht, die z.B eine Inspektion von US-Chemiefirmen ausschließen. Einige wichtige C-Waffenstaaten wie Iran, China und Pakistan traten dem Überinkommen bei, andere wie Israel, Syrien, Ägypten, und Irak bisher nicht. Den letzteren droht laut Vertrag, daß ihnen bestimmte Chemikalien nicht mehr verkauft werden dürfen.
Aufgrund der Haltung von Ländern wie der USA und aufgrund der schlechten Zahlungsmoral der Vertragsstaaten befürchten Experten jedoch, daß das Übereinkommen nachträglich ausgehöhlt wird. Viele Vertragsstaaten haben bisher auch die Deklarationen über ihre Bestände nicht in den vorgesehenen 30 Tagen eingereicht.

Deutschlands Politik bei Irak-Abrüstung und C-Waffenverbot

Es waren deutsche Chemiker, die chemische Kampfstoffe erfanden, deutsche Soldaten, die 1915 im Ersten Weltkrieg erstmals chemische Waffen einsetzten, und es war der nationalsozialistische deutsche Staat, der mit Giftgas millionenfachen Mord an den Juden Europas verübte. Diese Vergangenheit verpflichtet Deutschland zu besonderer Verantwortung im Bereich der chemischen Waffen. Wir wollen am Beispiel der UNSCOM und des CWÜ überprüfen, inwieweit Deutschland dieser besonderen Verantwortung nachgekommen ist.
Die deutsche Irak-Conntection hat aber auch eine andere Dimension. Schon nach dem erstem Weltkrieg wurde Deutschland in den Versailler Verträgen einem strengen Rüstungskontrollregime unterworfen, das sich u.a. auch auf chemische Waffen bezog. Mit erstaunlicher Tatkraft wurde in der Weimarer Republik daran gearbeitet, dieses zu umgehen. Nach dem Sieg der Alliierten über Hitlerdeutschland wurden deutscher Waffenproduktion erneut weitreichende Beschränkungen auferlegt bzw hat die Bundesrepublik mit der Unterzeichnung des Pariser Protokolls 1954 auf den Besitz von C-Waffen verzichtet. Seit den 60er Jahren hat die Bundesrepublik diese Verbote und Beschränkungen zwar nie offen in Frage gestellt, aber in der Zusammenarbeit z.B. mit Südafrika und Pakistan im nuklearen Bereich, mehrfach zu umgehen versucht. Regierung und Rüstungsfirmen haben sich stets findig gezeigt, wenn es darum ging, Rüstungsgeschäfte verdeckt zu organisieren und ihnen einen zivilen Anstrich zu geben. Diese Praxis und die Ausnutzung dieses "komparativen Vorteils" fand in den irakischen Todesdeals in den 80er Jahren erneut Anwendung. Dem irakischen Regime, das mit allen Finten und Tricks dem UNSCOM-Auftrag entgegenarbeitet, mag diese heimliche deutsche Rüstungspraxis ein Vorbild sein.

Wie bereits angesprochen, war die erste Reaktion der Bundesregierung 1984 auf amerikanische Vorwürfe bezüglich der Todesfabrik in Samarra beharrliches Leugnen. Erst Ende 1988, nachdem die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen begonnen hatten, erstattete die Regierung Bericht über den Verdacht "illegaler Ausfuhren von Ausrüstungsteilen zur Produktion chemischer Kampfstoffe im Irak." Sie gestand nun kleinlaut ein, daß nach erster Prüfung durch die Sachverständigen "ein Nachweis der Eignung der fraglichen Anlagen zur Produktion einschlägiger chemischer Kampfstoffe" höchstwahrscheinlich zu führen sei.
.Die Verfahren kamen bis zum 2. August 1990 nur schleppend in Gang. Dann wurde vor allem der internationale Druck massiv: Der deutsche Beitrag zur irakischen Masssenvernichtungswaffenindustrie geriet international in die Schlagzeilen, US-Senatoren veröffentlichten einschlägige Firmenlisten. Erst kurz zuvor hatte Deutschland in den 2+4-Verhandlungen über die Wiedervereinigung erneut seinen Verzicht auf Massenvernichtungswaffen bekräftigt.
Bisher hatte man sich immer unter Verweis auf die Verwicklung anderer Staaten in die irakische Rüstung einen Persilschein ausgestellt, gar von Konkurrenzneid gesprochen, doch nun konstatierte die Regierung in einem internen Bericht erschütternde Fälle leichtfertiger oder gar vorsätzlicher Exporte tödlicher Technologien. Sie holen uns jetzt mit fortschreitender Aufklärung ein und werfen erneut schwere Schatten auf unseren Außenhandel. Dabei entschuldigt in keiner Weise, daß auch Unternehmen zahlreicher anderer Länder an den Rüstungs-Projekten im Irak beteiligt waren, sondern zeigt dies höchstens den großen Bedarf an internationaler Abstimmung bei der Verhinderung der Proliferation von tödlichen Technologien. Man war sich plötzlich bewußt, daß viele Irak-Geschäfte Verstöße nicht nur gegen nationales Recht, sondern auch gegen internationale Regelungen wie z.B. das auch `Lex Condor´ genannte Abkommen zur Kontrolle der Verbreitung von Raketentechnologie (MTCR) darstellten. Diese hätten Deutschland viel kosten und vor allem die deutsche Enthaltsamkeit bei A-, B-, und C-Waffen unglaubwürdig erscheinen lassen können.
Schadensbegrenzung war angesagt. In der Vorbereitung des Golfkriegs ordnete sich die Bundesregierung weitgehend den USA unter (wenn man von einigen Episoden wie z.b. dem ungeklärten Umgang mit einem für den Irak spionierenden Registrator im Auswärtigen Amt absieht) und übernahm einen hohen Anteil an der Finanzierung des Krieges.
Nachdem irakische Scud-B-Raketen in Israel eingeschlagen waren, übte man sich in Scheckbuchdiplomatie. Deutsche Politiker "pilgerten nach Tel Aviv und klagten über die schwarzen Schafe der deutschen Industrie, gegen die mit aller Härte vorgegangen werde."
Dem Iran wurde Hilfe bei der Beseitigung der Folgen irakischer C-Waffenangriffe zugesagt. Ein solches Eingeständnis wurde den kurdischen Opfern gegenüber nie geäußert, sie erhielten allenfalls humanitäre Hilfe, die den massiven Zerstörungen, von den menschlichen Verlusten, sozialen und psychischen Folgen für die Überlebenden ganz zu schweigen, in keiner Weise gerecht wurde und an den regionalen und internationalen Rahmenbedingungen nichts änderte.
Im Mai 1991 veröffentlichte die Bundesregierung einen Bericht über legale und illegale Waffenexporte in den Irak und die Aufrüstung des Irak durch Firmen der BRD. Obwohl einige der Täter-Firmen bereits im 1988er Regierungsbericht genannt worden waren, wurde in diesem neuen Bericht, der sich auf alle Bereiche der todestechnischen Exporte (C-Waffen, B-Waffen, Nuklear- und Raketentechnik, "Supergun", Kanonenfabrik) erstreckte, keine der Firmen genannt. Diesen öffentlichen Bericht hatte der damalige Wirtschaftsminister Möllemann erstellt, nachdem die Opposition dagegen protestiert hatte, daß der eigentliche Regierungsbericht vom 20. März, der Firmennamen und weitere Details enthält, als "vertrauliche Verschlußsache" eingestuft worden war, die lediglich dem Wirtschaftsausschuß des Bundestages zuging. Die parlamentarische Opposition empörte sich, daß diese Informationen - anders als im Fall Rabta - der Öffentlichkeit vorenthalten wurden und daß die Rolle staatlicher Behörden ganz verschwiegen wurde, doch zur Einsetzung eines ursprünglich geforderten Untersuchungsausschusses kam es nicht.
Der offizielle Regierungsbericht ergeht sich in formalistischen Verklausulierungen und Beschönigungen. So ist von einer "äußerst restriktiven Rüstungsexportgenehmigungspraxis" der Bundesregierung gegenüber der Nah- und Mittelostregion die Rede, und dem Irak gegenüber werde "wegen der von diesem Land ausgehenden Spannungen" noch restriktiver verfahren. Den einleitenden Ausführungen zu den Genehmigungspflichten bei militärischen und dual-use-Gütern steht entgegen, daß diese sehr weitmaschig waren, was die unter öffentlichem und internationalem Druck verordneten Verschärfungen seit 1984 zeigen, und daß sie äußerst lax gehandhabt wurden. Zudem waren es Bundesbehörden, die Firmen dabei berieten, wie sie ihre "heißen" Anlagen möglichst unverdächtig deklarieren sollten.
Die Rolle von Regierung und Behörden wird beschönigt und falsch dargestellt. So ist z.B.die Rede von einer Inspektionsreise, die zwei deutsche Techniker im Auftrag der Regierung zu der Giftgasanlage in Samarra unternahmen. Es heißt dort, daß die irakischen Behörden "lediglich eine Inspektion der Komplexe der Anlage gestattet hättten, zu denen die bereits bekannten Lieferungen erfolgt waren." So, als ob das der Grund für den Befund gewesen sei, "daß die Herstellung von Kampfstoffen in den besichtigten Anlagen unwahrscheinlich (...) wäre." In dem Darmstädter Verfahren um die Lieferungen für die Giftgasfabrik Samarra hingegen sagte einer der Beteiligten, Klaus Dieter Haferkamp vom TÜV Rheinland, er habe durch die Vorbereitungsgespräche im Wirtschaftsministerium und im Auswärtigen Amt den Eindruck gewonnen, die Reise sein "nur auf Druck von Israel und den Amerikanern zustandegekommen," es ginge um handelspolitische Interessen, denn "eine amerikanische Konkurrenzfirma zu Pilot Plant" sei im Spiel. Auch sei der damalige deutsche Botschafter im Irak, "unheimlich engagiert für Samarra" gewesen, wie der andere Gutachter, Dr. Ruck vom Bundesausfuhramt, dem Gericht erklärte. Die offizielle Reise war vor Ort wesentlich von der verdächtigten Firma selbst organisiert worden, deren Bagdader Vertreter Fraenzel die Demokratische Partei Kurdistans 1988 als den Kopf des irakischen C-Waffenprogramms bezeichnete. Auf dem Rückflug begleitete der WET-Manager Al-Kadhi die deutschen Gutachter.
Geradezu komisch nimmt sich an dem Bericht aus, daß in der Chronologie der Entwicklungen in jedem einzelnen Bereich der tödlichen Exporte immer wieder die Rede davon ist, daß sich - wenn mit Wissen oder Billigung der Regierung die Geschäfte gelaufen waren - plötzlich "die Informationen verdichteten", was wohl als eine Metapher für öffentlichen und internationalen Druck zu lesen ist. Geradezu abenteuerlich klingt die Argumentation im Fall des Raketenentwicklungsprojektes Saad 16, für das die Behörden seit 1985 insgesamt 52 Ausfuhrgenehmigungen erteilt hatten. Bereits 1982 sei dem Bundeswirtschaftsministerium ein Hinweis zugegangen, "daß es sich bei Saad 16 um einen Militär-Raketenkomplex handele," worauf das Ministerium damals interessierten Firmen mitgeteilt habe, die Genehmigungschancen seien gering, und eine andere Firma, die sich um ein ähnliches Irak-Projekt beworben hatte, wissen ließ, "daß keine Genehmigungsaussicht bestehe." "Diese frühere Korrespondenz," so die Regierung weiter, "lag dem BAW bei der Prüfung der Anträge in den Jahren 1983 bis 1985 nicht vor."
Der Bericht spielt auch das Ausmaß der Geschäfte weit herunter. Zwar wird z.B. im Fall der Kanonenrohrfabrik Taji darauf hingewiesen, daß "eine unzulässige Aufsplittung eines an sich genehmigungspflichtigen Anlagengeschäfts in mehrere nicht genehmigungspflichtige Teillieferungen vorgenommen worden sein könnte." Doch fehlt der Hinweis, daß der Umfang der Geschäfte - durch diese mit Wohlwollen staatlicher Stellen angewandte Umgehungstaktik - weitaus größer war als die im Bericht ausgewiesenen Zahlen für genehmigte rüstungsrelevante Exporte in den Irak (1985: 203,1 Mio DM, 1987: 53,5, 1988: 93,2 und 1989: 96,1 Mio DM). Allein die Raketenprojekte Mahmudiya und Saad 16 hatten nach anderen Quellen einen Umfang von 1,2 Mrd. US$.
Die Bundesregierung suggeriert, so muß man aus heutiger Perspektive feststellen, daß eine Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels stattgefunden hat. Als Beleg dafür werden zum einen die administrativen und rechtlichen Verschärfungen angeführt, z.B. die Verschärfung der Genehmigungspflicht für dual-use-Güter (1989) und die Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes (1991), zum anderen die Ermittlungs- und Strafverfahren gegen deutsche Firmen. Auf die Bilanz dieser Verfahren gehe ich weiter unten ein.

Der bundesdeutsche Umgang mit UNSCOM

Sofort nach deren Gründung stellte die Bundesregierung der UNSCOM Flugzeuge, Hubschrauber und Mannschaften der Bundeswehr zur Verfügung, die sämtliche Transportkapazitäten der UNSCOM innnerhalb des Irak deckten. Gleichzeitig wurde der UNSCOM der Regierungsbericht vom Frühjahr 1991 bzw. ein ähnlich lautender Bericht über deutsche Rüstungsdeals mit Irak übergeben.
Evtl. im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen ist es der deutschen Regierung - im Verein mit ähnlich involvierten anderen Staaten - nach einem Bericht der Herald Tribune gelungen, die Geheimhaltung der UNSCOM-Informationen über Lieferländer und -firmen durchzusetzen. Zu diesen klassifizierten Dokumenten gehören demzufolge auch: "ein als vertraulich eingestufter Bericht an die deutsche Legislative über das volle Ausmaß der deutsch-irakischen Verbindungen, ein Bericht der IAEA an die deutsche Regierung, der Bericht eines deutschen Mitglieds der UN-Inspektionsteams und ein deutscher Regierungsbericht an die UNSCOM." Mit dieser doppelten Geheimhaltung ihrer Rechenschaftsberichte und der UNSCOM-Informationen konnte die Bundesregierung für sich in Anspruch nehmen, Aufarbeitungsschritte geleistet zu haben, hatte sich aber jeder öffentlichen Nachprüfbarkeit entzogen.
Trotzdem war man in Bonn mit den ersten Ergebnissen der UNSCOM nicht zufrieden - zumal einiges aus diesen Berichten unter Überschriften wie "Deutsche bei C-Waffen vorn" an die Presse durchsickerte. Fast beleidigt hieß es in einem internen Vermerk des Auswärtigen Amtes "Betreff: Festgestellte Anlagenteile deutscher Herkunft", daß es doch geboten sei, "mit gleicher Sorgfalt Unternehmen anderer Staaten" zu erfassen - nur da, so merkt Hans Leyendecker an, gab es wenig festzuhalten.
Partiell wurde mit UNSCOM weiter zusammengearbeitet. So wurde die UNSCOM 27/IAEA 9-Mission 1992 aufgrund eines Hinweises der Bundesregierung aktiv, daß große Menge Teile für Gaszentrifugenprogramm durch "ungenannte deutsche Firmen" geliefert worden sind.
Darüber hinaus wurden Einzelanfragen der UNSCOM beantwortet oder in Einzelfällen an die UNSCOM berichtet bzw. Anfragen von Gerichten über die deutsche UN-Delegation in New York an die UNSCOM weitergeleitet.
Hier wird deutlich, daß die Bundesregierung auf eine scharfe Trennung von innerstaatlichem und internationalem Umgang insistiert: Dazu gehörte anfangs ein umständliches Verfahren für die Weitergabe von UNSCOM-Berichten an Gerichte, das während der Darmstädter Prozesse um die Giftgaslieferungen für Irritationen sorgte. Anfänglich waren die Berichte nur mit großen Verzögerungen und vorsortiert durch das Justizministerium an das Gericht gelangt. Deutschen UN-Inspekteuren wurde 1992/93 vom UN-Generalsekretär die Aussageggenehmigung vor Gericht verweigert, während einer von ihnen, der Flottenkapitän Jopp, die deutschen Firmen in einem Interview mit der Zeitung "Chemische Rundschau" per Typenschild identifizierte. 1997 konnten dann deutsche UN-Inspekteure in mehreren Verfahren als Zeugen gehört werden, wobei der UN-Inspektor Norbert Reinicke die betreffende Firma Havert und weitere deutsche Unternehmen wie Thyssen, Hösch und Daimler-Benz schwer belastete.
Eine regelrechte Zitterpartie für die deutsche Regierung müssen die Aussagen des Hussain Kamil Al-Majid gewesen sein, denn er als Chef der irakischen WMD-Rüstung war der Ansprechpartner auch deutscher Rüstungsmanager. Er erstattete UNSCOM und dem amerikanischen Geheimdienst gegenüber ausführlich Bericht, mit den bereits beschriebenen Konsequenzen. Bundesdeutsche Offizielle haben nach Auskunft des Auswärtigen Amtes nicht mit H. Kamil selbst gesprochen, seine Aussagen sind der Regierung nur aus UNSCOM-Berichten und anderen Quellen bekannt.
Im selben Jahr (1995) begann die Regierung, die UNSCOM-Unterstützung aufzukündigen. Begründet wurde dies rein militärbürokratisch mit den Belastungen, die den jeweiligen Einheiten, die zudem noch für IFOR beansprucht werden, in Form zusätzlicher Flugstunden aus dem Irak-Einsatz entstünden. Angeführt wurde auch, daß bisher etwa 100 Mio DM Kosten verursacht wurden - obwohl das Auswärtige Amt erklärte, daß die Refinanzierung aller Aufwendungen nach Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit des Irak erwartet werde. Vor allem das Verteidigungsministerium drängte auf den Rückzug der Bundeswehr aus UNSCOM, während Außenminister Kinkel, dessen Name mehrfach im Zusammenhang mit den Irak-Lieferungen genannt wurde, sich für eine Verlängerung des Einsatzes stark machte.
Heute wird UNSCOM nur noch durch die Entsendung eines Vertreters in das HQ in New York und die Entsendung von Experten unterstützt. Amerikanische Äußerungen, Bonn habe im Irak wegen deutscher Beiträge zu den irakischen Rüstungsprogrammen eine besondere Verantwortung, wies die Bundesregierung deutlich zurück. Selbst die amerikanische Regierung habe sich von diesen Reaktionen in den amerikanischen Medien distanziert.

Halabja und der deutsche Einsatz für ein C-Waffenverbot

Der Einsatz für ein weltweites Verbot von C-Waffen war jahrelang ein Prestigeprojekt der Bundesrepublik. Sie wollte sich als Vorreiter bei einem wichtigen Strang der internationalen Abrüstung profilieren und mußte gleichzeitig ihrer besonderen Verantwortung gerecht werden. Die Times stellte dazu im Sommer 1990 fest: "Die anzunehmende Verwicklung so vieler deutscher Firmen ist für die deutsche Regierung besonders peinlich. Hans-Dietrich Genscher, der Außenminister, gehört zu den wichtigsten Unterstützern der Bemühungen um einen internationales Abkommen zum Verbot chemischer Waffen. (...) doch potentiell tödliche Güter und Know-how im Wert von Millionen von Pfund wurden von deutschen Firmen bis unmittelbar zur Verhängung des UN-Embargos im August an den Irak geliefert. "
Die Beteiligung deutscher Firmen an der Planung und dem Bau einer Giftgasfabrik in Rabta/Libyen drohte 1989 die Glaubwürdigkeit des deutschen Einsatzes gegen den Einsatz von Massenvernichtungswaffen schwer zu gefährden und hat "die Beziehungen zu den USA und Israel erheblich gestört," wie der Leiter des Referats Exportkontrolle im Auswärtigen Amt im Rabta-Prozeß aussagte. Erstaunlich ist, daß der Fall deutscher Beihilfe zur C-Waffenproduktion im Irak, in dem diese Waffen immerhin systematisch zum Einsatz kamen, keinen größeren Schaden hervorrief.
1994 ratifizierte Deutschland als 12. Staat das Chemiewaffenübereinkommen, ohne auch nur ein Wort über die eigene unrühmliche Rolle beim Aufbau des irakischen C-Waffenpotentials zu verlieren. Das ist besonders prekär, weil das Abkommen auch die Proliferation von Waffen, Vorprodukten und Anlagen verbietet, die Bundesrepublik also, wen dieses Abkommen in Kraft gewesen wäre, offen dagegen verstoßen hätte.
Nach Ansicht der Berghoff-Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung hat die Bundesregierung bei den Verhandlungen, die zum Abschluß des CWÜ führten, ihren Einfluß nicht hinreichend genutzt, um die Akzeptanz von C-Waffen in der Dritten Welt abzuschwächen. Sie habe es unterlassen, "ihre zweijährige Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat dahingehend wirkungsvoll zu nutzen, den völkerrechtlichen Giftgaseinsatz Iraks zu ächten."
Im Bundeshaushalt sind für die Finanzierung der OFVCW in Den Haag 13 Mio Holl. Gulden vorgesehen. Dies geht über den üblichen Anteil von 9,02 %, den Deutschland für UN-Programme aufbringt, nicht hinaus. Ausgerechnet das Bundesausfuhramt in Eschborn, das bei den Todesdeals mit Irak eine so unrühmliche Rolle spielte, wurde gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt mit der Überprüfung Einhaltung des C-Waffenverbotes betraut.
Der Gipfel ist allerdings, daß gerade die Bundesregierung, die ihren Bericht über die Rolle deutscher Firmen bei der Aufrüstung des Irak geheimhielt, im Kontext des CWÜ durchsetzen will, daß Berichte über betroffene Staaten offengelegt werden und daß Staaten das Recht haben, ihnen unliebsame Inspekteure abzulehnen.

Nationale Strafverfahren

Aus heutiger Sicht muß man sagen, daß die Berichte der Bundesregierung an den Bundestag und die UNSCOM wohl einen anderen Umgang mit diesem Komplex suggerieren als er tatsächlich eingetreten ist. Sicher ist die Justiz unabhängig von der Exekutive, so daß die Regierung nicht direkt für den Ausgang der Strafverfahren verantwortlich gemacht werden kann. Dennoch hat die Regierung 1) die Irak-Geschäfte lange Zeit gefördert oder gebilligt, 2) ihre Verbindung zu irakischen MVW- und anderen Rüstungsprojekten jahrelang geleugnet, und 3) die Rechtslage verspätet, zögernd und nur unter öffentlichem und internationalem Druck geändert. Dadurch ist die Justiz, die selbst anfangs sehr schleppend ermittelt hat, in die Lage geraten, in vielen Verfahren äußerst komplizierte Nachweise führen zu müssen (daß z.B. bestimmte Anlagen speziell für den Zweck der MVW-Herstellung konstruiert sind) und gegen knappe Verjährungsfristen zu kämpfen, obwohl der Tatbestand der Lieferung von Technologie für Massenvernichtungswaffen und Trägersysteme eindeutig nachgewiesen ist. Einige Verfahren sind allerdings sehr obskur verlaufen. Es folgt eine Übersicht über wesentliche Ergebnisse der Ermittlungs- und Strafverfahren gegen deutscher Firmen, die an irakischen MVW-Programmen und Rüstungsaktivitäten beteiligt waren.
* Die Verfahren gegen die Hauptlieferanten für das irakische C-Waffenprogramm endeten im Fall der Firmen Karl Kolb und Pilot Plant mit Freisprüchen, im Fall der Firma WET wurden Bewährungsstrafen von mehreren Monaten verhängt. Die Lieferung einer Inhalationskammer für Tier- (und evtl. auch Menschen-)versuche mit Giftgas blieb ungesühnt, die Lieferung einer Spezialmaschine zum Abfüllen von Giftgasbomben wegen Verjährung ungeahndet. Ein Klage wegen Beihilfe zum Völkermord, die der Völkerrechler Michael Bothe (Universität Frankfurt) im Fall der Giftgasfirmen als "keinesfalls abwegig" bezeichnete, wurde nie erhoben, die Darmstädter Staatsanwälte, daß sich jahrelang durch diese Verfahren kämpften, wurden auf diverse andere Stellen versetzt.
* Beim Komplex Raketentechnik wurden drei Thyssen-Manager für die Lieferung von 35 Turbopumpen für irakische Scud-B-Nachbauten zu 4-12 Monaten Haft verurteilt. Die Strafe wurde wegen "günstiger Sozialprognose" zur Bewährung ausgesetzt. Der Prozeß gegen die "Projekt Betreuungsgesellschaft", ein Ableger der Consen Gruppe, die in enger Zusammenarbeit mit MBB an der Weitergabe des Condor-II-Raketenprojektes über Ägypten und Argentinien an den Irak mitgewirkt hatte, wurde in einem vorgezogenen Schnellverfahren durchgezogen und endete mit Bewährungsstrafen von bis zu 20 Monaten.
* Die meisten Verfahren, die aus der Arbeit der Sonderkomission Nuklear des Zollkkriminalamtes in Köln resultierten, sind verjährt. Der mutmaßliche Chef des irakischen Gaszentrifugenprogramms, Karl-Heinz Schaab, gegen denn die Bundesanwaltschaft wegen Landesverrats ermittelt, sitzt in Brasilien in Auslieferungshaft.
* Zwei Manager der Firma H+H Metallform, die Anlagen für das Gaszentrifugenprogramm zur Uranreicherung für die A-Bombenproduktion und Spezialmaschinen für Saddams Raketen- und C-Waffenprograme in den Irak lieferten, wurden zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt.
* Von insgesamt 153 Verfahren gegen deutsche Firmen wegen Verletzung des UN-Embargos wurden 83 eingestellt, 12 endeten mit Bußgeldbescheiden, in vier Fällen sind noch Verfahren anhängig.

Fazit und Vorschläge

Es ist nicht ganz klar, in welchem Umfang es der UNSCOM gelungen ist, ihr Mandat zu erfüllen. Die irakischen Potentiale an Massenvernichtungswaffen werden durch die bisherige Arbeit der Komission wesentlich reduziert sein, auch wenn der Irak weiter alles versucht, verbliebene Anlagen der Kontrolle zu entziehen. Sicher verfügt der Irak - dank westlicher Hilfe - weiter über große Erfahrung und Expertise in diesem Bereich und setzt auch seine Anstrengungen fort, seine Bestände aus anderen Quellen wieder aufzustocken.
Fest steht aber, daß die durch die USA und ihre Verbündeten gesetzten Bedingungen, vor allem die Instrumentalisierung der UNSCOM für ihre Golfpolitik, die Aufgaben der UNSCOM und das Anliegen einer umfassenden Abrüstung von Massenvernichtungswaffen erschwert wurden.
Dazu gehört vor allem das Ausklammern der Proliferation, sprich der Mitverantwortung der großen Industriestaaten, an erster Stelle Deutschlands, für die Aufrüstung des Irak mit Massenvernichtungswaffen und deren Einsatz. Die Einseitigkeit der Aufarbeitung und Rechenschaftspflicht, wie sie in UNSCOM und im UN-Sanktionsregime zum Ausdruck kommt, stellt eine ständige Quelle von Konflikt dar und ist eine bewußte Täuschung der weltöffentlichen Meinung. Die fehlende Aufarbeitung der Proliferationspolitik vor allem westlicher Staaten im Fall Irak untergräbt die Glaubwürdigkeit neuer internationaler Abrüstungsregimes wie des C-Waffenübereinkommens, die in der Dritten Welt wird teilweise berechtigt, teilweise aber auch zur Legitimierung der Politk von menschenverachtenden Regimes als Mittel zur Verhinderung des Transfers von modernen und zukunftsweisenden Technologien kritisiert werden. Die Rechnung für die Folgen von industriestaatlicher Proliferation werden einseitig der Dritten Welt aufgebürdet. Nicht nur den "Schurkenstaaten", sondern den meisten Ländern der Dritten Welt wird auf diesem Weg der Zugang zu moderner Technologie erschwert. Industriestaatliche Proliferation wird allenfalls mit Blick auf die Zukunft erschwert, eine Aufarbeitung der vergangenen Proliferation und der Mitverantwortung an Menschen- und Völkerrechtsverletzungen, an Menschheitsverbrechen oder gar Völkermord wie im Fall der irakischen Kurden geschieht nicht.
Völlig ausgeschlossen wurden die Opfer, in erster Linie die Kurden. Von allen Konsequenzen, die international aus den irakischen Giftgasangriffen in den 80er Jahren gezogen wurden, haben sie keinerlei Nutzen gezogen, nichteinmal die Tatsache, daß sie die Opfer dieser völkerrechtswidrigen Einsätze waren, wurde offiziell festgehalten. Der nach dem Golfkrieg eingerichtete "Sichere Hafen" und die alliierte Flugverbotszone über dem Nordirak haben ihnen keinen Schutz bieten können. Ihre Situation wird, von humanitärer Hilfe abgesehen, nach wie vor als eine innere Angelegenheit des Irak betrachtet. Es ist ein Skandal, daß Staaten wie Deutschland und die USA heute zur Legitimation ihrer Politik mit den irakischen C-Waffenangriffen gegen Kurden argumentieren, die sie vor 10 Jahren gebilligt und aktiv unterstützt haben, auf der anderen Seite die eigene Mitverantwortung leugnen und jede internationale Lösung der kurdischen Frage verweigern.

Deutschlands Beteiligung an der irakischen C-Waffenproduktion (und dem Bau einer Giftgasfabrik in Libyen) und seine Mitverantwortung für den Einsatz von Giftgas zur Vernichtung kurdischer Menschen zeigt, daß Deutschland seiner historischen und besonderen Verantwortung nicht gerecht geworden ist, sondern neue Schuld auf sich geladen hat, die beharrlich geleugnet wird. Die Bundesrepublik hat sich jeder Anerkennung einer Mitschuld oder auch nur Entschuldigung gegenüber den irakischen Kurden konsequent verweigert.
Die wohldurchdachte Strategie der großzügiger Unterstützung von UNSCOM und gleichzeitige Geheimhaltung von Rechenschaftsberichten, die nach außen vorgetäuschte Aufarbeitung der deutschen Rüstungsbeteiligung im Irak sowie das fortgesetzte Leugnen, Herunterspielen und Vertuschen waren bisher erfolgreich .
Diese Strategie kann aber Rückschläge erleiden, wenn etwa amerikanische Golfkriegsveteranen, die am möglicherweise auf die Einwirkung irakischer C-Waffen zurückzuführenden Golfkriegssyndrom leiden, wie angekündigt vor US-Gerichten gegen deutsche Firmen wie Kolb oder Preussag klagen. Daß auch in diesem Fall die Opfer des irakischen Giftgaskriegs der achtziger Jahre, die ihre Rechtsanprüche gegen deutsche Mittäter bisher nie mit Aussicht auf Erfolg vor ein Gericht bringen konnten, erneut leer ausgehen würden, ist eine weitere tragische Dimension der tödlichen Geschäfte mit dem Irak.

Um den Erfolg des Mandats von UNSCOM und globaler Abrüstungsregimes im Bereich der Massenvernichtungswaffen zu unterstützen, den Opfern der irakischen C-Waffeneinsätze und Menschheitsverbrechen Gerechtigkeit zukommen zu lassen und die Verantwortlichen für diese Menschheitsverbrechen und den Aufbau des irakischen Massenvernichtungspotentials, mit dem diese teilweise verübt wurden, zur Verantwortung zu ziehen, sollten sich Menschenrechtsorganisationen und Friedensgruppen gegenüber ihren Regierungen und den internationalen Gremien dafür einsetzen, daß:

* die UNSCOM durch die internationalen multilateralen Abrüstungsgremien unterstützt wird;
* das Junktim zwischen UNSCOM-Mandat und der Fortsetzung der UN-Sanktionen, die vor allem die irakische Bevölkerung treffen, gelöst und die Sanktionen aufgehoben werden;
* die UNSCOM alle bei ihr vorhandenen Berichte und Informationen über Zulieferfirmen zu und Beteiligte an irakischen Programmen für Massenvernichtungswaffen und Trägersysteme offiziell offenlegt;
* im Lichte dieser Informationen die betreffenden Staaten neue, umfassende und öffentliche Berichte über die Beteiligung ihrer Länder vorlegen und Fälle von Beihilfe zu Menschheitsverbrechen und Völkermord auf dem nationalen oder internationalen Rechtsweg geahndet werden.
* die Verantwortlichen des irakischen Regimes wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit vor einem dafür einzurichtenden Tribunal bzw. vor dem internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden;
* die Mitgliedsstaaten der UN vor dem Internationalen Gerichtshof Klage erheben gegen das irakische Regime wegen Völkermord an den Kurden durch die Anfal-Offensiven 1988;
* den Kurden im Irak verbindlicher völkerrechtlicher Schutz in Form einer durch internationale Garantien gesicherten Eigenständigkeit im Irak gegeben wird und eine internationale Konferenz der Vereinten Nationen zur Situation der Kurden einberufen wird;
* die Opfer der Menschheitsverbrechen des irakischen Regimes, an erster Stelle die kurdische Bevölkerung, im Umfang der Opfer und Schäden, durch das irakische Regime bzw. aus dessen Guthaben, und durch die Lieferfirmen und-staaten für irakische Rüstungsprogramme entschädigt werden;
* im Nahen Osten konkrete Schritte zur Beseitigung aller Massenvernichtungswaffen ergriffen werden, wie in der Resolution 687 in Aussicht gestellt.

Darüber hinaus ist von der deutschen Regierung vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung Deutschlands und seiner besonderen Verantwortung in bezug auf chemische Waffen und Kampfstoffe zu fordern:

* den bisher geheimgehaltenen Bericht über Rüstungsexporte in den Irak und alle Berichte und Informationen der UNSCOM offenzulegen sowie neu, umfassend und öffentlich über die Geschäfte deutscher Firmen und die Beteiligung von Regierungsstellen zu berichten;
* die Verantwortlichen in Regierungsstellen und Behörden zur Verantwortung zu ziehen;
* offiziell zu erklären, daß es sich bei den Anfal-Offensiven des irakischen Regimes um Völkermord im Sinne der Genozid-Konvention handelt und sich in den internationalen Gremien in diesem Sinne einzusetzen;
* vor dem Internationalen Gerichtshof entsprechend Klage zu erheben oder eine solche Klage zu unterstützen;
* zu veranlassen, daß im Fall der Lieferung von C-Waffenfabriken an den Irak Klage wegen Beihilfe zum Völkermord erhoben wird und die entsprechenden Verfahren wieder aufgerollt werden;
* offiziell die Mitverantwortung Deutschlands für die vom irakischen Regime mit C-Waffen verübten Menschheitsverbrechen anzuerkennen und den Opfern, Angehörigen und Überlebenden Entschädigung zuteil werden zu lassen.


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