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Stellungnahme zur Sicherheits- und Versorgungslage von Binnenflüchtlingen und Vertriebenen im kurdischen Nordirak

Berichterstatter: Thomas Uwer

1. Allgemeine Situation und Hintergrund

Es liegen bislang lediglich sehr vage Schätzungen über die genaue Zahl von Binnenvertriebenen oder Binnenflüchtlingen im kurdischen Nordirak vor. Dies liegt einerseits in der Tatsache begründet, dass demographische Erhebungen im kurdischen Nordirak niemals systematisch und flächendeckend durchgeführt wurden. Das statistische Material der einzelnen UN- sowie internationaler Hilfsorganisationen beschränkt sich auf die für Verteilungs- und Hilfsprogramme relevanten, geografisch kleinen und sozial auf zumeist eine Target Group konzentrierten Bereiche. Übergreifende Berichte wie jener des IDP-Projects des Norwegian Refugee Council setzen sich aus diesen in ihrer Qualität sehr unterschiedlichen Teilerhebungen zusammen. Sie sind, gerade was die Frage der tatsächlichen Lebenssituation von Binnenflüchtlingen und –vertriebenen anbetrifft, lückenhaft, da sie weder die hohe Mobilität gerade dieser Personengruppe erfassen können, noch jene Personen, die an Hilfsprogrammen nicht partizipieren oder sich aus Sicherheitsgründen nicht behördlich registrieren lassen. Dies betrifft insbesondere nichtkurdische Binnenflüchtlinge aus den von den zentralstaatlichen Behörden kontrollierten Regionen (s.u.). Die wenigen Untersuchungen über die Problematik der Binnenflüchtlinge/-vertriebenen im kurdischen Nordirak[1] geben lediglich Schätzungen wieder, die auf den Angaben des UN-Welternährungsprogramms WFP bzw. dem UN Programm für den Irak über registrierte Flüchtlinge/Vertriebene bzw. über die Zahl der verteilten Lebensmittelrationen beruhen. Es ist schon von daher von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen.

Ein weiteres grundlegendes Problem resultiert aus den allgemeinen Rahmenbedingungen der Region. Die Wahrung der territorialen Integrität des Irak zieht nach sich, dass Flüchtlinge, die aus den von der Zentralregierung kontrollierten Gebieten in die kurdische Selbstverwaltungsregion migrieren, dem allgemeinen Rechtsverständnis folgend ebenso Binnenvertriebe/-flüchtlinge sind, wie innerhalb des kurdischen Nordirak Geflohene oder Vertriebene. UNHCR, das lediglich über ein Mandat bei grenzüberschreitender Flucht verfügt, ist weder formell, noch in der alltäglichen Praxis für diese Personen zuständig. Eine zentrale und gesonderte Erfassung gerade dieser Gruppe erfolgt von daher nicht. Die Situation gerade dieser Personengruppe ist jedoch bei der Frage einer sicheren Ausweichmöglichkeit im kurdischen Nordirak von zentraler Bedeutung.

Die lediglich auf einem Provisorium beruhende und völkerrechtlich nicht verankerte oder gesicherte Trennung zwischen zentralirakischem und kurdischem Territorium zieht andererseits nach sich, dass jede politische Krise des Irak in direkter Weise auch den kurdischen Nordirak betrifft. Repressive Maßnahmen der irakischen Regierung ziehen Fluchtbewegungen nach sich, von denen immer auch in direkter Weise der kurdische Nordirak betroffen ist. Die gesamte Verfasstheit der kurdischen Region im Nordirak wiederum ist nur über die anhaltende Bindung an den irakischen Staat zu erklären[2]. So existiert weder ein faktischer, noch wenigstens ein formaler Schutzmechanismus, der die Region davor bewahrt, bereits morgen wieder unter der Verwaltungshoheit des irakischen Staates zu stehen. Weder wurde die faktische Selbstverwaltung je anerkannt, noch wenigstens die Demarkationslinie je festgelegt, die kurdische von zentralirakisch kontrollierten Gebieten scheidet[3]. Der kurdische Nordirak ist mithin de facto wie de jure integraler Bestandteil des irakischen Staatsterritoriums und wird lediglich von der irakischen Regierung geduldet, solange es ihr politisch opportun erscheint, dies zu tun.

Diese grundlegende Unsicherheit stellt nicht nur die Einschätzung des kurdischen Nordirak als inländische Fluchtalternative (IFA) oder Ausweichmöglichkeit generell in Frage, sondern ist ebenfalls für die hier vorrangig behandelte Frage der konkreten Sicherheit von Binnenflüchtlingen/-vertriebenen von zentraler Bedeutung. Denn daraus folgt nicht alleine die Gefahr eines großflächigen Wiedereinmarsches irakischen Militärs, sondern wesentlich konkreter die permanente Verletzung der Demarkationslinie - die eben keine Verletzung der Grenzsouveränität kurdischer Autoritäten darstellt - in kleinerem Rahmen, durch kurzfristige und auf einen kleinen Raum beschränkte Interventionen des Militärs oder der Sicherheitskräfte oder durch Beschuss. Dies wird insbesondere bei der Darstellung der Lager eine Rolle spielen.

Zudem ist festzuhalten, dass trotz der weitgehenden Annäherung der kurdischen Parteien KDP (Demokratische Partei Kurdistan) und PUK (Patriotische Union Kurdistan) nach wie vor unterschiedliche Verwaltungsorganisationen bestehen. Im Folgenden wird überwiegend über den von der PUK verwalteten Landesteil berichtet werden. Der Bericht aus Arbil/Banislawa stellt hier die einzige Ausnahme dar. Entsprechend unterschiedlich sind die zuständigen lokalen Behörden benannt. Während die Zuständigkeit für IDP-Lager im PUK kontrolliertem Gebiet bei der Behörde für „Menschenrechte und IDPs“ liegt, übernimmt im KDP-Gebiet das „Hochkommissariat für IDPs“ diese Aufgabe. Bei letzterer handelt es sich trotz der Namensähnlichkeit um keine Institution der Vereinten Nationen.

Im Folgenden wird darüber hinaus insbesondere auf den Unterschied zwischen Vertriebenen, wie den im Rahmen der Arabisierungskampagnen deportierten kurdischen Familien, und Flüchtlingen eingegangen werden.

2. Differenzierung: innerirakische Flüchtlinge/Deportierte

Im kurdischen Nordirak wird kaum zwischen Deportierten und Flüchtlingen unterschieden (s.o.). Lager sind allgemein für IDP eingerichtet, wobei IDP sowohl innerkurdische Flüchtlinge (aufgrund innerkurdischer Kämpfe oder türkischer Militärinterventionen Geflohene), Deportierte aus den kurdischen Siedlungsgebieten unter zentralstaatlicher Kontrolle, Flüchtlinge aus dem Zentralirak als auch nach wie vor nicht rückgesiedelte Vertriebene aus den Zeiten der Dorfzerstörungskampagnen der irakischen Armee in den Achtzigern umfasst. Bei IDPs aus dem Zentralirak ist grundsätzlich zwischen Deportierten und innerirakischen Flüchtlingen zu unterscheiden. Deportierte sind in Folge behördlich-repressiver Maßnahmen in den kurdischen Nordirak verbracht worden, während Flüchtlinge sich den irakischen Behörden bewusst entziehen; sie haben nicht auf Veranlassung der Behörden deren direktes Einflussgebiet verlassen. Sie haben sich - im Unterschied zu den Deportierten, die aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zum Opfer repressiver staatlicher Maßnahmen wurden – aktiv aus dem direkten Zugriffsbereich irakischer Sicherheitskräfte begeben und sich insofern dissident verhalten. Unabhängig davon, ob sie bei irakischen Sicherheitskräften bereits zuvor aktenkundig geworden sind oder nicht, geraten sie durch diese Flucht zum Gegenstand des Interesses dieser Behörden, zumal im Nordirak die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu oppositionellen Gruppen und mitunter internationalen Organisationen besteht[4].

a) Deportierte/Vertriebene

Im Falle der Deportation werden die Familien von irakischen Sicherheitskräften bis zum Checkpoint an der Demarkationslinie begleitet und auf der anderen Seite von kurdischen Sicherheitskräften in Empfang genommen und befragt. Eine Flucht erfolgt aus naheliegenden Gründen nicht über den von Sicherheitskräften bewachten Checkpoint, sondern über die grüne "Grenze" (oder sie geschieht mittels gefälschter Passierscheine).

In den kurdischen Nordirak Deportierte erhalten von den kurdischen Sicherheitskräften nur dann eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie über seit langem im Nordirak existierende Familienbindungen, bzw. über eine Arbeitsstelle bei den lokalen Behörden oder die Bürgschaft einer der vor Ort akkreditierten politischen Parteien verfügen. Alle Deportierten müssen sich hinsichtlich ihrer Niederlassungsgründe befragen lassen, wobei sie von kurdischen Sicherheitskräften mitunter bis zu einer Woche in Gewahrsam gehalten werden. Generell setzen sich nach Auskunft des UNHCR diese Vertriebenen dem Risiko aus, "als Agenten der irakischen Regierung verdächtigt zu werden. (...) Das Misstrauen gegenüber Personen aus dem Zentralirak, Kurden mitinbegriffen, die sich durch Beziehungen innerhalb der Gesellschaft nicht ausweisen können (...) bleibt weiterhin ein gravierendes Integrationshindernis." [5] Wer keine Aufenthaltserlaubnis erhält, wird in eines der unter der Verwaltung der lokalen Behörden stehenden Auffanglager verbacht. (s. 3. Lager) Seit 2001 besteht für Neuankömmlinge im PUK-kontrollierten Landesteil die Möglichkeit, eine Niederlassungsgenehmigung durch eine Registrierung zu erwerben, die jedoch eine Überprüfung durch zentralirakische Behörden mit sich bringt (s.u.).

Die lokalen Behörden verfolgen dabei das Ziel, die Deportierten an einer dauerhaften Ansiedlung im kurdischen Nordirak zu hindern. Dies hat vor allem zwei Gründe:

1. Politisch argumentieren die kurdischen Parteien, dass eine dauerhafte Ansiedlung von innerirakischen Flüchtlingen/Deportierten aus den kurdischen Siedlungsgebieten innerhalb der von der Zentralregierung kontrollierten Landesteile die Arabisierungspolitik zementieren würde. Mit der dauerhaften Ansiedlung würde gleichermaßen der demographische Anspruch auf die Gebiete aufgegeben.

2. Sozial und ökonomisch haben die kurdischen Parteien wiederholt betont, dass sie nicht in der Lage seien, einen massenhaften Zuzug zu verkraften. In einer Stellungnahme an das Niederländische Außenamt vom März 2001 betont die Regionalregierung, dass es aufgrund der drängenden Wohnungsknappheit und der angespannten ökonomischen Lage nicht möglich sei, weitere Menschen in der Region aufzunehmen und anzusiedeln. Dies würde zu einer Verschärfung der sozialen Konflikte führen.

Die kurdischen Parteien versuchen daher massiv, IDP und Flüchtlinge vor allem aus den städtischen Ballungsräumen zu verdrängen. Amnesty International beispielsweise berichtete über Auseinandersetzungen in Suleymaniah, bei denen 1994 Sicherheitskräfte Maschinenpistolenfeuer auf eine Demonstration von Flüchtlingen eröffneten. Der Anlass der Demonstration war die gewaltsame Räumung eines von Kirkukvertriebenen und Flüchtlingen bewohnten Quartiers innerhalb der Stadt und Zerstörung der Behausungen durch Bulldozer.[6] Diese Aktion begründete die lokale Verwaltung damit, dass sie der voranschreitenden Verelendung innerhalb der Stadt Einhalt gebieten wolle. Beim Versuch eigenständige wirtschaftliche Strukturen trotz der auferlegten Schattenökonomie zu etablieren, werden Flüchtlinge/Vertriebene systematisch verdrängt [7].

Als "Binnenvertriebene" oder Deportierte können dennoch nicht alle im Rahmen der Arabisierungskampagnen der irakischen Regierung aus den Regionen Kirkuk, Khanaqin und Mossul[8] bezeichnet werden. Die Einschränkung ist insofern notwendig, da nicht alle der sogenannten "Kirkuki" deportiert werden, sondern teilweise vor den erheblichen Repressionen der irakischen Regierung eigenständig fliehen, um sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Auch im Rahmen der Deportation wird - neben der Konfiszierung des nicht-beweglichen Eigentums - erhebliche Gewalt angewendet. Regelhaft werden Familienangehörige in Haft genommen, um die Familien so zum verlassen ihrer Häuser und Wohnviertel zu zwingen.[9]

b) Flüchtlinge

Dies trifft in besonderem Maße innerirakische Flüchtlinge, die sich der Registrierung durch lokale Behörden und der Festsetzung in Lagern entziehen wollen. Darunter befinden sich in großer Zahl Deserteure aus dem Zentralirak, die als erste bereits 1995 gesammelt in einem Zeltlager südlich von Suleymaniah angesiedelt wurden[10], aber auch politische Oppositionelle und Menschen, die in Konflikt mit dem irakischen Staat und seinen Sicherheitsdiensten geraten sind. In besonderem Maße sind arabische und christliche Flüchtlinge betroffen, die auf großes Misstrauen unter der Bevölkerung stoßen.

Misstrauen wird Flüchtlingen aus dem Zentralirak auch von den kurdischen Behörden entgegengebracht. In den vergangenen Jahren wurden wiederholt Informanten irakischer Sicherheitsdienste auf diesem Wege in den kurdischen Nordirak geschleust. Alleine in Arbil verbüßen derzeit mindestens vier arabische Flüchtlinge eine mehrjährige Haftstrafe wegen Spionage.

Weiterhin interessiert sich auch der irakische Staat in gesteigertem Maße für die Identität zentralirakischer Flüchtlinge im Nordirak. Ein in der Vollzugsanstalt Suleymaniah einsitzender, wegen Spionage zu mehrjähriger Haft verurteilter, arabischer Iraker gibt an, auf Flüchtlinge „angesetzt“ gewesen zu sein. Seinen Angaben und der Einschätzung der kurdischen Behörden zufolge werden die auf diese Weise gewonnenen Informationen über innerirakische Flüchtlinge systematisch gesammelt und auf verschiedenste Weise genutzt. So würde die Kenntnis über die Flucht in den Nordirak regelmäßig gegen Familienangehörige eingesetzt. Auch würden Flüchtlinge, die der oppositionellen Arbeit im Nordirak verdächtig seien oder Kontakte zu „relevanten Personen und Gruppen“ besäßen, im kurdischen Nordirak mit dem Leben bedroht und auf diese Weise auch zur nachrichtendienstlichen Mitarbeit gezwungen.

Politisch organisierte innerirakische Flüchtlinge suchen vielfach den Schutz ihrer jeweiligen Partei, wobei die Möglichkeiten und Kapazitäten der irakischen Oppositionsparteien im kurdischen Nordirak, arabischen Flüchtlingen zu helfen, zumal seit dem Zusammenbruch des Iraqi National Congress (INC) mit dem Einmarsch der irakischen Armee 1996 mittlerweile verschwindend gering sind. Die kurdischen Parteien verlangen in diesem Fall die Bürgschaft der Partei, dass diese für den Lebensunterhalt und die Unterkunft der betroffenen Binnenflüchtlinge Sorge tragen, so dass diese nicht am allgemeinen Programm partizipieren können.

3. Lager / Versorgungslage

Es herrscht, entsprechend der beschriebenen schwierigen Erhebungsgrundlage, einige Verwirrung über die tatsächliche Situation in Lagern für IDP im kurdischen Nordirak. So berichtet das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht über die „asyl- und abschieberelevante Menschenrechtslage“ im Irak am 20. März 2002, Insassen von Flüchtlingslagern erhielten 2.230 Kilokalorien täglich. „Die Flüchtlingslager der Vereinten Nationen“, heißt es weiter, „weisen Personen aus Zentralirak nicht ab“. Dies entspricht offensichtlich nicht den Tatsachen.

Wie bereits dargelegt besitzen die Vereinten Nationen kein Mandat für innerirakische Flüchtlinge im kurdischen Nordirak und unterhalten dementsprechend auch keine Lager für diese Personengruppe. Flüchtlingslager, im Sinne institutionalisierter Einrichtungen, existieren - bis auf eine Ausnahme (s. 3.1.) – ebenfalls nicht. Lediglich existieren IDP Lager die vorwiegend von Deportierten aus den von den zentralstaatlichen Behörden kontrollierten Gebieten bewohnt werden. Auch hier fällt es zumeist schwer von IDP-Lagern im engeren Sinne des Wortes zu sprechen. Bis auf eine Ausnahme (Bardaqaram – s. 3.2.1.) sind diese Lager nicht zu diesem Zweck geplant, sondern zumeist Orte, an denen die „Ansiedlung“ von IDP geduldet wird. Vorwiegend sind dies Areale in unmittelbarer Nähe der Übergänge an der Demarkationslinie, über die Deportierte in den kurdischen Nordirak verbracht werden oder aber verlassene Mujama’d.

3.1. Versorgung, Sicherheitssituation und Unterbringung von Flüchtlingen

Nahe der Stadt der Dohuk unterhalten die kurdischen Autoritäten unserer Kenntnis nach ein Lager für nichtkurdische Flüchtlinge (hierzu verweisen wir auf Eva Savelsberg, die Gelegenheit hatte, dieses Lager persönlich zu besuchen).

UNHCR Arbil betreute darüber hinaus bis 1998 wenige nichtkurdische Rückkehrer, die im Rahmen des Repatriierungsprogramms von irakischen Flüchtlingen aus dem Iran bis 1998 in den kurdischen Nordirak übergesiedelt sind. Dieses Rückkehrerprogramm wurde nach Auskunft von UNHCR Arbil sowie UNHCR Ankara 1998 eingestellt, nachdem die zentralstaatlichen Behörden eine detaillierte Auskunft über die Rückkehrer in den kurdischen Nordirak verlangten sowie darauf bestanden, dass die Rückkehr über zentralirakisches Territorium zu erfolgen habe (was einen Zugriff der Behörden ermöglicht hätte). Laut Ahmed Arif von UNHCR Arbil ist seitdem die Zahl der Rückkehrer gegen Null gegangen. Flüchtlinge im Iran werden von UNHCR nicht zur Rückkehr in den Nordirak ermuntert. Auch dies lässt darauf schließen, dass die zentralirakischen Behörden ein gesteigertes Interesse daran haben zu erfahren, wer sich als Flüchtling im kurdischen Nordirak aufhält.

Die einst von UNHCR Arbil betreuten arabischen Familien sind vom lokalen Hochkommissariat für IDPs (eine Institution der lokalen Verwaltung) inkognito untergebracht worden, nachdem mehrere Anschläge gegen diese Personengruppe verübt wurden. Arabische IDPs werden aus Sicherheitsgründen seit November 2001 in Arbil nicht mehr in Camps untergebracht. Laut Abdulrahman Belaf, dem Leiter der Behörde, waren drei gezielte Attentate (einmal mit Sprengstoff auf ein Auto in Arbil, einmal mit Kalashnikow in Arbil, einmal mit Kalashnikow auf dem Weg von Arbil nach Banaslawa) auf arabische Flüchtlinge der Grund für diese Maßnahme. In Arbil werden zur Zeit drei arabische Familien und mindestens fünfzehn unverheiratete arabische Männer von dieser Behörde versteckt. Belaf zufolge versucht die irakische Regierung auch über gekaufte Spitzel arabische Flüchtlinge ausfindig zu machen und durch Geheimdienstmitarbeiter umbringen zu lassen. Davon, dass Flüchtlinge aus dem Zentralirak, zumal arabische, in Lagern nicht abgewiesen würden, kann also keine Rede sein.

Zentralirakische Binnenflüchtlinge setzen sich im kurdischen Nordirak einer erheblichen Gefährdung aus, sofern ihre wahre Identität bekannt wird.

Binnenflüchtlinge aus dem Zentralirak versuchen sich außerhalb von Lagern durchzuschlagen. Die Möglichkeiten zur Existenzsicherung sind für Flüchtlinge außerordentlich schlecht. Eine Perspektive auf legale Einkommenssicherung existiert praktisch nicht. Flüchtlinge aus dem Zentralirak sind vor allem aufgrund der auf familiären und regionalen Bindungen beruhenden sozialen Organisation der kurdischen Gesellschaft nicht in der Lage, sich zu integrieren. Vor allem in den ländlichen Regionen, deren landwirtschaftliche Produktion nicht über eine einfache Subsistenzwirtschaft hinausreicht[11] und deren Sozialgefüge stark traditionell geprägt ist, können sich innerirakische Flüchtlinge nicht dauerhaft gefahrlos aufhalten. Diese "traditionellen" Strukturen haben vor allem als Schutzgemeinschaften zur Sicherung und Verteilung des Landes und der darauf erwirtschafteten Güter in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung erlebt.[12] Sie spielen auch bei der Verteilung von Hilfsgütern eine zentrale Rolle[13], die von den internationalen Organisationen vor Ort an lokale NGO bzw. lokale Verwaltungsstrukturen delegiert wird[14].

Binnenflüchtlinge versuchen daher, sich möglichst nahe der Städte aufzuhalten, wo aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte einerseits das Risiko des Entdecktwerdens und der anschließenden Verbringung im Auffanglager geringer scheint, andererseits Anschluss an andere Flüchtlinge im Sinne einer Interessensgemeinschaft in der Not gesucht wird. Flüchtlinge aus dem Zentralirak leben als Bettler, vom Aufsammeln von Ernteresten oder vom Verkauf geringwertiger Waren auf dem Schwarzmarkt. Von Lagern im Sinne von institutionalisierten und betreuten Einrichtungen kann hier nicht gesprochen werden. Zumeist bewohnen innerirakische Flüchtlinge leerstehende Gebäuderuinen (oftmals ehemalige irakische Militärgebäude), mitunter aber versuchen sie auch Unterschlupf in verlassenen Mujama’d zu finden, deren einstige Bewohner in ihre Dörfer zurückgekehrt sind. Die Möglichkeiten am allgemeinen Programm der UN im Nordirak zu partizipieren sind aufgrund der bereits genannten Sozialstrukturen, die direkt die Verteilung beeinflussen, äußerst gering. Auch der Zugang zum Verteilungsprogramm internationaler Organisationen ist selten gewährleistet und wenn, dann zumeist nur im Rahmen einer Zusatzversorgung, bspw. über Schulversorgungen bei Alphabetisierungskursen, wie sie unsere Organisation durchgeführt hat. Binnenflüchtlinge aus dem Zentralirak – zumal arabische – versuchen dabei ihre Identität zu verschleiern. Aus eigener Erfahrung mit sozialen Programmen in den verelendeten Suburbs Suleymaniahs ist mir bekannt, dass sich eine erhebliche Zahl von Binnenflüchtlingen unter der kurdischen Bevölkerung „versteckt“. Auch von daher suchen Flüchtlinge die Nähe zu städtischen Zentren.

Binnenflüchtlinge aus dem Zentralirak, die sich in den ehemaligen Mujama´d oder den verslumten Elendsquartieren in den Suburbs der Städte Arbil und Suleymaniah aufhalten, halten sich mit dem Auflesen von Ernteresten auf Feldern, verdorbenen Waren, dem Durchsuchen von Müll und Speiseabfällen nach Verwertbarem und dem Sammeln von Brennholz etc. über Wasser und versuchen – oft vergeblich -, an irgendeinem Hilfsprojekt zu partizipieren, um auf diese Weise an Lebensmittelhilfe heranzukommen.

Trotz einer zwischenzeitlich rigiden Sicherheitspolitik der kurdischen Autoritäten, die versuchen, die Städte von Bettlern und Obdachlosen frei zu halten, leben in Suleymaniah alleine mehrere Hundert Binnenflüchtlinge unmittelbar auf der Straße, was bedeutet, dass sie in Hauseingängen Unterschlupf suchen oder entlang der Straßen schlafen und über keine noch so erbärmliche Unterkunft verfügen. Unterschlupf wird ihnen – zumeist jedoch nur Männern – gelegentlich in Moscheen geboten. Ihre Lebensbedingungen sind extrem schlecht. Eine medizinische Versorgung findet nicht statt, die Menschen sind unterernährt und leiden an den für ein Leben auf der Straße typischen infektiösen Krankheiten. Vor allem Frauen, die auf der Straße leben, gelten als Freiwild und werden regelmäßig zu Opfern von Gewalttaten[15]. Schutz durch die lokalen Behörden können sie im Regelfall nicht erwarten[16].

3.2. Deportiertenlager

Lager für Deportierte befinden sich ebenfalls nicht unter der Leitung, Aufsicht und verantwortlichen Kontrolle der Vereinten Nationen, sondern werden von den lokalen Behörden unterhalten. Auch hier fällt es schwer, von Lagern im Sinne institutionalisierter und betreuter Einrichtungen zu sprechen, die Grenze zwischen wilder Ansiedlung und Lager sind oft fließend. Die lokalen Behörden entscheiden vor allem über die Lage der Lager und darüber, ob Deportierten eine Niederlassung außerhalb dieser Lager erlaubt wird. Für die Versorgung kommen regional unterschiedlich internationale sowie lokale Hilfsorganisationen auf, sowie auch WFP (World Food Programme), die unter bestimmten Bedingungen auch Lebensmittel aus dem 986-Programm verteilen. An diesen Verteilungen partizipieren jedoch lediglich registrierte IDP (s.u.). Eine zentrale oder einheitliche Organisation, Abwicklung und Registrierung findet in den meisten „Lagern“ praktisch nicht statt. Die Insassen halten sich darüber hinaus meist über Jahre in diesen Lagern auf, da ihnen die kurdischen Behörden im Regelfall (Ausnahmen stellen Deportierte mit engen familiären Anbindungen dar) nicht erlauben, sich in der Region niederzulassen, bzw. sich auch außerhalb der Lager wenig Alternativen bieten (über die Möglichkeit der Registrierung und Erlaubnis zur Niederlassung im Folgenden mehr). IDP’s, die dennoch die Lager verlassen, halten sich praktisch illegal oder doch zumindest außerhalb der zum Erhalt von Nahrungsmittelhilfe notwendigen Registrierung auf und haben – auch wenn sie von Seiten der kurdischen Behörden keine Strafe zu erwarten haben - von daher Schwierigkeiten am allgemeinen Verteilungsprogramm zu partizipieren. Sie befinden sich in einer ähnlichen Situation wie Flüchtlinge.

Eine Ausnahme bilden hier seit 2001 registrierte Deportierte in der PUK-kontrollierten Region. In Suleymaniah hat die zuständige Behörde für „Menschenrechte und IDP“ gemeinsam mit der „Behörde für Humanitäre Angelegenheiten“ (unter Leitung von Salah Rashid) ein Durchgangslager für Kirkuk-Vertriebene eingerichtet, das sich in Khani Sheitan befindet. Geplant ist, das Deportierte von hier auf andere Bezirke verteilt werden, wo sie unterstützt von Habitat die Möglichkeit erhalten sollen, sich anzusiedeln. Diese im Ansatz positive Entwicklung zieht jedoch einige Nachteile für Deportierte nach sich. Der Gewährung von Nahrungsmittelhilfe im Rahmen des 986-Programms geht eine Prüfung der Angaben voraus. Da das 986-Programm zentral über Bagdad koordiniert wird, erfolgt eine Anfrage bei den irakischen Behörden, die bestätigen müssen, dass die betreffenden Personen tatsächlich deportiert wurden und dementsprechend aus dem 986-Programm des Zentralirak ausgeschieden sind. Diese Überprüfung nimmt nicht nur viel Zeit in Anspruch, da die Bagdader Behörden nur wenig Interesse an der Erteilung derartiger Auskünfte haben, sondern schließt alle aus, die sich den zentralirakischen Behörden entzogen haben oder weiterhin über Angehörige im Irak verfügen. Es liegt auf der Hand, dass ein Flüchtling aus Bagdad, dessen Familie nach wie vor im Zentralirak lebt, auf gar keinen Fall im Rahmen des 986-Programms überprüft werden möchte.

An den grundsätzlichen Bedenken kurdischer Behörden gegenüber einer dauerhaften Ansiedlung Deportierter in der Region hat auch dieses seit 2001 durchgeführte Prozedere nichts geändert. Die größte Zahl der Deportierten ist bereits vor 2001 in den kurdischen Nordirak gelangt. Nach wie vor befinden sich die meisten „Lager“ möglichst nahe am Ort der Vertreibung, d.h. in unmittelbarer Nähe zur Demarkationslinie. Nach Möglichkeit wird versucht, diese IDP fern ab der Städte zu halten.

3.2.1. Bardaqaram

Bardaqaram ist ein von der kurdischen Regionalverwaltung eingerichtetes Lager. Es unterscheidet sich insofern von den übrigen Ansiedlungen. Das Lager Bardaqaram befindet sich ca. 30 km südlich von Suleymaniah und rund 20 km südöstlich von Shamshamal und liegt inmitten einer Einöde abseits der kurdischen Städte und Ansiedlungen. Die Temperaturen sind hier im Sommer extrem heiß, im Winter sehr kalt, ohne dass den IDP ein natürlicher Schutz vor der Witterung wenigstens geboten würde. Das Lager wurde 1997 von den lokalen Behörden (damals das PUK Sicherheitsamt) eingerichtet und beherbergt zwischen 250 und 300 Familien, also über 1000 Personen. Die offizielle Verantwortung für das Lager hat die im vergangenen Jahr gegründete Behörde für „Menschenrechte und IDP’s“. Darüber hinaus wird das Lager versorgt von 4Rs, PWJ (Peace Wings Japan) und KSC (Kurdistan Save the Children). Die genannten Organisationen verteilen die von den Vereinten Nationen zur Verfügung gestellten Nahrungsmittelrationen. Trotz dieser Versorgung sind die Lebensbedingungen innerhalb des Lagers extrem schlecht. Die verteilten Nahrungsmittel reichen vielfach nicht für die gesamte vorgesehene Periode aus und enthalten vor allen Dingen lediglich sog. Dry Food, also getrocknete Hülsenfrüchte, Mehl, etc., jedoch weder Obst, noch Gemüse oder andere wichtige Nahrungsmittel. Im Winter verteilt KSC zusätzlich Brennstoffe (Kerosin), die jedoch nach Auskunft der Bewohner nicht ausreichen. Nicht alle „Haushalte“ verfügen zudem über einen Kerosinheizer. Die Bewohner sind daher überwiegend von in der Umgebung gefundenem Holz, Reisig etc. abhängig und heizen mit offenen Feuerstellen.

Die Bewohner, die bei Gründung des Lagers vor sieben Jahren pro Familie ein Zelt erhalten haben, leben entweder in zwischenzeitlich undichten und halb verfallenen Zelten, in selbstgebauten Hütten aus Lehm und Sperrmüll oder einer Kombination aus Zeltplane und Hütte. (siehe Foto 1 bis 5) Sanitäre Einrichtungen im eigentlichen Sinne existieren nicht bzw. wurden von den Insassen notdürftig angelegt. Eine geschlossenes Abwässersystem existiert ebenfalls nicht. In 2001 stellte PWJ einen Wassertank zur Verfügung, der jedoch nur unregelmäßig mit sauberem Trinkwasser gespeist wird und nicht für die Versorgung des gesamten Lagers ausreicht. Trinkwasser und Nutzwasser werden daher überwiegend aus einem am Rande des Lagers entlangfließenden Wasserlauf geschöpft. Das Wasser ist – zumal es nicht nur zum Trinken genutzt wird – nicht sauber. Eine schulische Ausbildung der Kinder erfolgt selbstredend nicht.

Auch eine medizinische Versorgung existiert praktisch nicht. In schwerwiegenden Fällen müssen Erkrankte in die nächstgelegene Gesundheitsstation in Shamshamal transportiert werden. Der Weg dorthin ist beschwerlich und nimmt aufgrund des schlechten Zustandes der Piste (eine befestigte Straße existiert nicht) auch mit einem PKW eine erhebliche Zeit in Anspruch. Es kann mitunter Tage dauern, bis sich eine Möglichkeit zum Transport ergibt. Der Gesundheitszustand – vor allem der Kinder – ist durchweg schlecht, mitunter besorgniserregend, da vor allem Kinder und Alte aufgrund der schlechten Witterungsbedingungen, der mangelhaften Ernährung, dem Fehlen medizinischer Versorgung, Untersuchung und Impfungen sowie der schlechten Trinkwasserqualität und daraus folgender häufiger Durchfallerkrankungen geschwächt sind. Das Lager befindet sich der treffenden Aussage eines Mitarbeiters von PWJ zufolge in einem Zustand, den man unter normalen Bedingungen „nicht einmal Tieren zumuten“ würde.

Bardaqaram liegt in unmittelbarer Nähe der Demarkationslinie und in Sichtweite zu irakischen Militärposten. In den vergangenen sieben Jahren ist mehrfach von irakischer Seite in das Camp hinein geschossen worden. Dabei haben vereinzelte Geschosse die leichten Behausungen der Bewohner geradewegs durchschlagen. Die Menschen sind verängstigt und unsicher. Ein Schutz – etwa durch dort stationierte kurdische Milizverbände – existiert nicht. Das Camp wäre den irakischen Truppen vollkommen schutzlos ausgeliefert, sollten diese die Demarkationslinie auch nur um wenige hundert Meter überschreiten um bspw. eine Durchsuchung in dem Lager durchzuführen.

3.2.2. Shorish

Ebenfalls als Lager firmiert die ehemalige Mujama’d Shorish bei Shamshamal. Seit große Teile der einst in Shorish zwangsweise angesiedelten Familien wieder in ihre Dörfer zurückgekehrt sind, nutzen die kurdischen Behörden die Mujama’d zur Unterbringung von Kirkuk-Deportierten. In Shamshamal befindet sich auch einer der „Grenzübergänge“, über die irakische Sicherheitskräfte Kurden in den Nordirak deportieren. Im Falle Shorishs fällt es insofern schwer von einem Lager zu sprechen, als eine zentral organisierte Betreuung praktisch nicht stattfindet. Deportierte werden in täglicher Praxis dorthin verwiesen. Die Fluktuation ist entsprechend groß, da immer wieder Deportierte das Lager in der Hoffnung verlassen, eine bessere Alternative in den verslumten Suburbs der nahegelegenen Stadt Suleymaniah zu finden. In Shorish leben darüber hinaus Flüchtlinge und nach wie vor auch Familien, die seit der Zeit der Anfal-Kampagnen vertrieben sind und bis dato noch nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten.

Neuere IDP in Shorish können nur teilweise auf die bereits existierenden Wohneinheiten der Mujama’d zurückgreifen. Sie erhalten ein Zelt und bauen sich – ähnlich wie in Bardaqaram – ihre Behausungen aus Fundstücken und Abfällen selbst. Auf diese Weise ist die Mujama’d Shorish – entgegen des bereits Anfang der Neunziger Jahre formulierten Ziels von UN und internationalen Hilfsorganisationen, diese Zwangsansiedlungen aufzulösen – in den letzten Jahren stetig gewachsen. Auch in Shorish existiert keine geschlossene Kanalisation. Die öffentliche Infrastruktur inklusive der fundamentalsten Dinge wie Strom, Wasser oder sanitäre Einrichtungen befinden sich in einem beklagenswerten Zustand. Seit 1990 ist in Shorish keinerlei Aufwand für den Erhalt der Infrastruktur betrieben worden. Derzeit leben mehrere Tausend Menschen in Shorish, wobei unklar bleibt, wie viele von ihnen in den vergangenen Jahren aus der Region Kirkuk deportiert wurden. Schulen oder Kindergärten existieren nicht, ebenso wenig die Möglichkeit zu arbeiten. IDPs aus Shorish versuchen daher zu den nächstgelegenen Feldern im Norden des Lagers zu gelangen, um Erntereste aufzulesen oder Brennholz zu sammeln. Die Lebensbedingungen sind sehr schlecht, auch wenn Shorish – im Gegensatz zu Bardaqaram – durch das in unmittelbarer Nähe gelegene Shamshamal über eine rudimentäre Gesundheitsversorgung verfügt. IDPs sind jedoch üblicherweise nicht in der Lage, für Medikamente und medizinische Behandlungen aufzukommen, auch nicht durch Eintauschen der Lebensmittelrationen, die nach Auskunft befragter Bewohner kaum für die gedachte Periode ausreichen. Impfungen und Regeluntersuchungen werden nicht durchgeführt. Chronisch Kranke bleiben daher in der Regel unbehandelt, Erkrankungen werden erst behandelt, wenn sie lebensbedrohlich werden und damit oft zu spät, um eine dauerhafte Schädigung abzuwenden.

Shorish ist – wie Bardaqaram – direkt an der Demarkationslinie gelegen. Gleich drei irakische Militärlager umgeben das Lager Shorish, alle in direkter Nähe. (siehe Foto 7) Regelmäßig wird von dort in das Lager gefeuert. Besonders betroffen sind davon die Neuansiedlungen, die sich im südlichen Teil von Shorish und damit in unmittelbarer Nähe zur Demarkationslinie befinden. Im Juli ist hier beispielsweise ein siebenjähriges Kind beim Spielen innerhalb des Lagers von irakischem Beschuss getötet worden (siehe Foto 6). Ähnlich wie in Bardaqaram bieten die meisten der Behausungen keinen wirkungsvollen Schutz vor derartigem Beschuss. Projektile aus Gewehren und Maschinenpistolen durchdringen problemlos die meisten Notbehausungen. Nach Auskunft eines Mitarbeiters des Departments für Menschenrechte hat dieser Beschuss in den letzten Jahren bereits mehrere Tote sowie Verwundete gekostet. Eine genaue Zahl liegt aufgrund der mangelnden Betreuung und Versorgung nicht vor.

Wie insgesamt gilt auch hier, dass es eines größeren Einmarsches der irakischen Armee nicht bedürfte, um einen direkten Zugriff auf die in Shorish untergebrachten Menschen zu bekommen.

3.2.3. Banislawa

Das Lager Banislawa befindet sich ca. 10 km süd-östlich Arbils in Nähe der Demarkationslinie. Banislawa ist eine ehemalige Mujama’d und gehörte zu jenen kurdischen Ansiedlungen, die während des Einmarsches irakischer Truppen in Arbil 1996 als erste überrannt wurden. In Banislawa landen laut Abdulrahman Belaf, High Commissioner for IDPs in Arbil, Rückkehrer, sowie Deportierte, die in die Region Arbil kommen und weder Land noch Verwandte haben, bei denen sie unterkommen könnten. Zur Zeit leben ca. 800 Familien in Banislawa, die mit Zelten ausgerüstet wurden. Aus den Zelten wurden – wie in den anderen Lagern auch – notdürftige Behausungen errichtet (siehe Foto 8), die mit Lehm, Fundstücken und Abfällen ergänzt werden. 1990 (!) wurden von den Vereinten Nationen für die damaligen Bewohner Toilettenhäuser errichtet, die jedoch niemals funktionstüchtig waren, da die entsprechende Kanalisation nicht gelegt wurde. Diese Toiletten werden heute von IDPs bewohnt (s. Foto 9). Das Camp besitzt eine Wasserleitung mit Hydranten an den Kreuzungen der großen Hauptwege, die Hälfte der festen Behausungen (Überbleibsel der Mujama’d) hat mittlerweile Strom. Die meisten Bewohner holen Trink- und Nutzwasser an gemeinschaftlichen Stellen, die kaum den minimalsten Standards entsprechen (s. Foto 10). Weder sind die Straßen befestigt, noch verfügen die Behausungen über einen befestigten Untergrund, so dass das Lager, das auf Lehmboden errichtet ist, in der regenreichen Jahreszeit geradezu im Schlamm versinkt. Es gibt weder eine Krankenstation noch Kindergärten oder Schulen. Chronisch Kranke bleiben unversorgt, akut Erkrankte müssen selbst für eine Verbringung ins Hospital in Arbil sorgen und können üblicherweise nicht die dazu erforderlichen Geldmittel aufbringen. Der allgemeine Gesundheitszustand ist schlecht. Alle Bewohner leben hier von den Nahrungsmitteln, die ihnen vom WFP zur Verfügung gestellt werden, wobei sich die Versorgung auf Dry Food beschränkt. Die Nahrungsmittelrationen reichen nach Auskunft der Bewohner nicht aus. Einige Männer haben jedoch Tagelöhnerjobs, meist in der Landwirtschaft.

4. Conclusio

Ausgangspunkt war die Frage der Versorgung von Flüchtlingen/Deportierten im kurdischen Nordirak. Aufgrund der Tatsache, dass ein großer Teil der Binnenflüchtlinge und ein bedeutender Teil der Deportierten außerhalb institutionalisierter Lager lebt, ist eine allgemeine Auskunft über die Lebensverhältnisse kaum möglich. Auch innerhalb der Ansiedlungen, die man als Lager bezeichnen könnte, da sie doch zumindest einer Kontrolle unterliegen – wenn auch einer vorwiegend repressiven -, hängt die konkrete Lebenssituation von der Lage und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten ab, ein Einkommen außerhalb der Lager zu finden. Diese sind im kurdischen Nordirak bekanntermaßen schlecht. Entlang der Demarkationslinie, wo sich die Lager mehr oder weniger ausnahmslos befinden, wird aufgrund der vagen Sicherheitslage kaum Landwirtschaft betrieben. Regelmäßig haben irakische Truppen kurdische Felder entlang der Demarkationslinie in Brand geschossen. Insgesamt ist die Versorgungslage der Lager sehr schlecht. Die Bewohner verfügen im besten Falle über Dry Food aus dem UN-Nahrungsmittelprogramm. Kranke Menschen werden nicht behandelt. Aufgrund der mangelnden Gesundheitsversorgung existieren keinerlei verlässliche Daten über den gesundheitlichen Zustand in den Lagern und die Zahl der unbehandelt Verstorbenen. Selbst der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist nicht immer gewährleistet. Menschen in den Lagern leiden unter chronischen Infekten und Durchfällen. Die Behausungen der Lager sind nicht geeignet ein menschenwürdiges Leben zu garantieren. IDPs hausen in verrotteten Zelten, selbstgebauten Hütten oder funktionsuntüchtigen Toilettenhäuschen. Weder gibt es Kindergärten, noch Schulen.

Immer wieder kommt es zu „Grenzzwischenfällen“. Aufgrund ihrer Nähe zur Demarkationslinie und irakischen Truppenkontingenten sind die Lager einer besonderen Gefahr ausgesetzt. Regelmäßig werden einzelne Lager von irakischer Seite beschossen. Ein Schutz vor dem Zugriff irakischer Sicherheitsdienste existiert nicht. Bei einem jeder Zeit möglichen Zugriff irakischer Sicherheitskräfte werden die dort konzentrierten IDPs gewissermaßen auf dem Präsentierteller serviert. Ein solcher Zugriff muss nicht durch eine großangelegte und militärische Vergeltungsschläge nach sich ziehende Operation geschehen, sondern kann durch eine zeitlich und räumlich begrenzte Maßnahme vollzogen werden. Die IDP-Lager bieten keinen Schutz vor den Übergriffen der zentralirakischen Behörden.

Arabische und zentralirakische Binnenflüchtlinge sind einer besonderen Gefährdung ausgesetzt und halten sich versteckt oder zumindest inkognito im kurdischen Nordirak auf.

Außerhalb der Lager ist das Überleben wesentlich schwerer. Menschen leben von Abfällen und hoffen auf schwere oder gesundheitsgefährdende Jobs in den Märkten der Städte. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Flüchtlinge lebt auf der Straße. Ein automatischer Zugang zur Nahrungsmittelverteilung im Rahmen des 986-Programms besteht nicht.


[1] Vor allem der Bericht des IDP-Projekts des Norwegian Refugee Council: Global IDP Data Base, IDP in Northern-Iraq, 2000

[2] vgl. Uwer/v. der Osten-Sacken: Irak - Republik des Schreckens, Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes zum Irak und die Realität, Frankfurt/Main 1999

[3] vgl. Cook, Helena: The Safe Haven in Northern Iraq: International Responsibility for Iraqi Kurdistan, Clochester/London 1995

[4] Hier sei darauf hingewiesen, dass eine große Zahl der im kurdischen Nordirak tätigen Hilfsorganisationen nicht bei der irakischen Zentralregierung akkreditiert ist und sich insofern illegal im Lande aufhält. Dies betrifft unter anderem Hilfsorganisationen wie Peace Wings Japan (PWJ), die Hilfsprogramme in Deportiertenlagern unterhalten und bereits 1995 das vom UNHCR eingerichtete Lager bei Atrush für türkisch-kurdische Flüchtlinge versorgten.

[5] UNHCR-Deutschland, Gutachten an das OVG Magdeburg, 100.IRQ-01/1449/MH/HS, Berlin 2001, S.3

[6] vgl. Amnesty International: AI – Human rights abuses in Iraqi Kurdistan since 1991/1995

[7] vgl. Leezenberg, Michiel: Neoliberale Gewaltherrschaft. Das zweifelhafte Erbe der Baath-Partei in Irakisch-Kurdistan, in: INAMO, Nr. 21, Jhg. 6, S. 18 ff

[8] Die Bezeichnung des Gebietes beschränkt sich meistens auf diese drei Städte, wobei das von der Arabisierung betroffene Gebiet auch andere Städte wie Makhmour, Sinjar oder Sheikhan umfasst. vgl. Background Paper on Refugees and Asylum Seekers from Iraq, UNHCR, CDR, Genf 2000, S.13

[9] vgl. Amnesty International - Report - MDE 14/10/99 Iraq. Victims of Systematic Repression, Nov. 1999, S. 13 ff

[10] Dieses Lager für Deserteure wurde 1996 wegen des Einmarsches irakischer Truppen in Arbil und der verstärkten Infiltration durch irakische Sicherheitskräfte zu dieser Zeit aufgelöst.

[11] vgl. Uwer, Thomas: Die Bauernbewegung im Nordirak, in: Blätter des iz3w, 1995

[12] vgl. Prof. Dr. Andreas Wimmer/“Stammespolitik und die kurdische Nationalbewegung im Irak, in: Ethnizität, Nationalismus, Religion und Politik in Kurdistan/Berlin 1997/ 11ff

[13] vgl.: Abd Al-Jabbar, Faleh: Die Renaissance der Stämme: Tribalismus im Irak, in: INAMO-Beiträge, Nr. 21, Jhg. 6, 2000, bzw. Leezenberg, Michiel: Humanitarian Aid in Iraqi-Kurdistan, in: Cahiers d’ études sur la Méditerranée orientale et le monde turco-iranien. Nr. 29, Jan./Febr. 2000

[14] vgl.: Uwer, Thomas: European Refugee Policies - Humanitarianism or Neo-Colonialism?, § 1: Relief work, in: Turkey and Refugees, Report on Interim Project results, Hildesheim 2001, S. 71 f

[15] Report of the Womens Organisations Committee in Suleymaniyah to wadi on the Situation of Street Women in Suleymaniyah, Suleymaniyah 1999

[16] So existiert zwar in Suleymaniah seit 2000 ein Zentrum für Frauen in Notsituationen, das von WADI gefördert wurde, eine Unterstützung der Straßenfrauen ist über eine derartige Einrichtung jedoch kaum möglich.



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