25.03.2003 | Frankfurter Rundschau
Die Flucht in sichere Gefilde schaffen die meisten nicht
Hilfsorganisationen werfen Saddam Hussein vor, die Iraker mit Gewalt im Kriegsgebiet festzuhalten
Die Zeit drängt. Schon jetzt sollen nach Angaben der UN allein in den Kurdengebieten Nordiraks 500 000 Menschen auf der Flucht sein und mit jedem Tag, an dem sich die Kämpfe ausweiten, wächst die Angst der Hilfsorganisationen vor weiteren Fluchtbewegungen. Aus Zentralirak, dem Machtbereich Saddam Husseins, gibt es nur spärliche Informationen. Die aber sind um so beunruhigender.
Von Ursula Rüssmann (Frankfurt a. M.)
Die US-Mennschenrechtsorganisation Human Rights Watch etwa hat in Nordirak
einige von mehreren tausend Menschen befragt, die aus den von Bagdad
kontrollierten Ölstädten Mosul und Kirkuk geflohen sind. Die
Flüchtlinge berichteten von Verhaftungswellen, die auf Männer
zwischen 15 und 45 Jahren zielten. Auch Amnesty International (AI) hat
Informationen über solche Razzien. Offenbar, so Ruth Jüttner
von AI Deutschland, versuche Bagdad so Aufstände zu verhindern,
wie es sie nach dem Irak-Krieg 1991 gegeben habe. Laut Jüttner
wurden in Schiiten-Wohnvierteln Bagdads, etwa in Saddam City, schon
lange vor den ersten US-Angriffen loyale Kräfte einquartiert, die
die Bewohner in Schach halten sollen.
Irak-Experte Thomas Uwer von der Menschenrechtsorganisation Wadi e.V. berichtet, irakische Truppen hätten inzwischen die Demarkationslinie zwischen Zentralirak und dem kurdisch kontrollierten Norden abgeriegelt: "Mit Gewalt wird die Bevölkerung gehindert, in sichere Regionen zu fliehen", so Uwer mit Verweis auf Informationen, die örtliche Mitarbeiter von Wadi in der kurdischen Stadt Suleimanijah erhalten hätten.
Was aber ist eine sichere Region? Das ändert sich von Tag zu Tag. So flohen auch aus Suleimanijah schon in den vergangenen Tagen Tausende aus Angst vor irakischen Giftgasattacken, viele von ihnen in Richtung Iran. Dort aber, im Grenzgebiet, fliegen die USA inzwischen Angriffe auf die Ansar el Islam, eine Islamistengruppe, der Washington Al-Qaeda-Kontakte vorwirft. Nach Angaben von Caritas International vom Montag hat das jüngste heftige US-Bombardement auf Mosul Bewohner mehrerer umliegender Dörfer in die Flucht getrieben. Das gleiche dürfte für Kirkuk gelten.
Wohin aber fliehen die Menschen? Viele, heißt es, kampieren provisorisch in den Bergen, andere kamen bei Verwandten unter, teils auch in Iran. Die türkische Grenze ist dagegen dicht; Vertreter von Hilfsorganisationen klagen darüber, dass sie nicht einmal Hilfsgüter nach Nordirak hinein bringen dürften. Human Rights Watch sieht die kurdischen Autonomiebehörden in Nordirak deshalb schon jetzt überfordert und allein gelassen. Es fehle an Unterkünften, Nahrung, sanitären und medizinischen Einrichtungen. Schwillt die Zahl der Flüchtlinge aus Zentralirak wieder an - und damit ist zu rechnen, wenn etwa die Schlacht um Bagdad entbrennt - "ist die humanitäre Katastrophe sicher", warnen die US-Menschenrechtler.
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