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Januar 2003 | Asyl in Not | von Michael Genner

Schleier, Liebe und Asyl

Flüchtlingsfrauen aus islamischen Ländern

Ich war in Eisenstadt in der Außenstelle des Bundesasylamts. Mit Frau Soraya aus Afghanistan. Ihr Vater wurde von Islamisten umgebracht; sie selbst lehnt es ab, den Schleier zu tragen; sie will arbeiten und sich frei bewegen; sie will nicht, daß ihre kleine Tochter in einer islamistischen Gesellschaft aufwachsen muß. Das Leben im heutigen Afghanistan wäre unerträglich für sie.

Der Beamte, auf den wir trafen und dem meine Mandantin die Leiden der afghanischen Frauen erklären wollte, brach in Hohngelächter aus und rief: "Das Asylgesetz ist eine Hure!" Auf meine Nachfrage, wie das gemeint sei, antwortete er: "Weil es so einen missbräuchlichen Antrag erlaubt." Andere Länder würden meine Mandantin sofort abschieben.

Ich kenne diesen Beamten seit langer Zeit. Er haßt die Flüchtlinge und uns Rechtsberater. Vielleicht haßt er auch sich selbst und seinen Beruf. Neuerdings versteht er die Welt nicht mehr: Frauen sollen eine "soziale Gruppe" sein? Sollen Asyl erhalten, bloß weil sie nicht die Burka tragen wollen?

Er wird natürlich den Kürzeren ziehen; spätestens im Berufungsverfahren beim Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS) wird meine Mandantin Asyl erhalten. Deshalb ist der UBAS den Asylverhinderern ja so verhasst.

Deshalb hassen sie auch das Gesetz, das sie eigentlich vollziehen sollten. Deshalb warten sie nur darauf, daß Strassers Novelle in Kraft tritt. Damit sie endlich tun können, was sie wollen: einsperren und abschieben.

Der UBAS hat (gestützt auf Gutachten des Sachverständigen Dr. Sarajuddin Rasuly) wiederholt festgestellt, daß die Lage der Frauen sich in Afghanistan seit dem Sturz der Taliban nur unwesentlich geändert hat, sodaß die den Frauen von der islamischen Gesellschaft auferlegten Beschränkungen nach wie vor als asylrelevante Verfolgung (wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen) gewertet werden muß.

Die prowestliche Regierung Karzai tritt offiziell für Verbesserungen ein; sie kann aber die Frauen nicht schützen und versucht es nicht einmal. Frauen, die ohne Schleier auf die Straße gehen, müssen fürchten, beschimpft und misshandelt zu werden - besonders, wenn sie jung und schön sind. Frauen leben in Afghanistan in einem Klima ständiger latenter Bedrohung und struktureller Gewalt.

Gewaltsame Willkürakte drohen afghanischen Frauen nicht nur auf der Straße, sondern auch in der Familie: Männer betrachten "ihre" Frauen als ihr Eigentum. Frauen werden wegen Geringfügigkeiten gedemütigt, beschimpft und misshandelt.

Wenn sie sich vor Gericht beschweren, kommt es vor, daß die Männer sie mit Gewalt aus der Behörde entfernen. Zu Hause droht ihnen dann Schlimmeres: Das öffentliche Auftreten einer Frau gegen ihre Familie gilt als Schande und wird hart bestraft.

Das ist Alltag in Afghanistan, zwei Jahre nach dem Sturz der Taliban. Afghanische Frauen erhalten daher in Österreich Asyl. Vielleicht spricht sich das auch noch nach Eisenstadt herum. In anderen Außenstellen, Wien zum Beispiel, geht es schließlich auch:

Frau Sima ist neunzehn Jahre alt. Ihre Familie wollte sie zwangsverheiraten mit einem Cousin, einem bigotten Mudjahed. Darum ist sie geflüchtet; kurz vorher heiratete sie ihren jetzigen Mann. Mit dem geht es ihr aber auch nicht gut:

In Wien hat sie einen Deutschkurs besucht, sie geht in die Schule, macht den Hauptschulabschluß; das hat ihm nicht gepasst: Er hat sie geschlagen, sie hat sich von ihm getrennt. Er wurde gerichtlich verurteilt; nach drei Monaten stand er wieder vor der Tür und entschuldigte sich. Sie hat ihm verziehen - für eine dauernde Trennung ist sie noch zu schwach.

Sie leben wieder zusammen, "gezwungenermaßen", wie sie vor dem Bundesasylamt aussagte. Gezwungen durch die Tradition. Er wollte eigentlich zurück nach Afghanistan, aber das wäre undenkbar für sie. Dort wäre sie völlig rechtlos, seine Putzfrau. Hier in Österreich wird er wenigstens bestraft, wenn er sie schlägt.

Ich vertrat Sima im Asylverfahren und machte geltend, daß sie als Frau verfolgt wird; sie wurde sehr rasch vom Bundesasylamt Wien als Flüchtling anerkannt. Demnächst beginnt sie einen Computerkurs. Wir werden ihr weiter zur Seite stehen.

Ihr Mann wird Asyl durch Erstreckung erhalten und sie, wenn er gescheit ist, nicht mehr schlagen; denn er weiß genau, daß er sein Asyl nur ihr verdankt und es sehr rasch wieder verlieren kann.

Rollentausch

Die meisten afghanischen Frauen stellen keine eigenen Asylanträge, wenn sie nach Österreich kommen. Den Asylantrag stellt der Mann; die Frau und die Kinder stellen nur "Erstreckungsanträge". Das entspricht der afghanischen Tradition.

Asylverfahren in Österreich dauern aber oft mehrere Jahre. In Afghanistan hat sich die Lage geändert nach dem Sturz der Taliban. Die Fluchtgründe der Männer könnten weggefallen sein. Aber die Frauen werden immer noch als soziale Gruppe verfolgt; für sie hat sich nichts Grundlegendes geändert unter dem neuen Regime.

Wir haben daher in letzter Zeit für eine Reihe afghanischer Frauen eigene Asylanträge gestellt. Und siehe da: Bei den Einvernahmen stellt sich heraus, daß die Frauen in den Jahren ihres Aufenthalts in Österreich politisch aufgewacht sind, daß sie gelernt haben, ihre Meinung zu sagen; eine Rückkehr nach Afghanistan, unter das Regime der Burka, ist für sie unvorstellbar. Und schon gar nicht würden sie akzeptieren, daß ihre Töchter einmal so leben sollen.

Sie werden daher Asyl wegen ihrer eigenen Gründe erhalten und ihre Männer nur Asyl durch Erstreckung. Dieser Rollentausch kann zur Demokratisierung der afghanischen Familienstrukturen führen. Und was hier im Exil geschieht, bleibt auch in der Heimat nicht verborgen. Die Verwandten hören davon, erzählen es weiter...

Es ist ein erzieherischer Prozeß, durch den wir auch unseren Beitrag leisten zur künftigen Veränderung der Gesellschaft in Afghanistan.

Die so verstandene Gerechtigkeit

Um die heute geltende Judikatur haben wir lange gekämpft. Ich erinnere mich nur zu gut daran, wie es noch vor einigen Jahren, vor der Gründung des UBAS, war:

Frau Sadeghi aus dem Iran hatte die Ehe gebrochen; ihr drohte die Steinigung. Das Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, wies ihren Asylantrag mit der Begründung ab: Sie sei ja nur "vor der in ihrem Lande so verstandenen Gerechtigkeit" geflohen.

In der Berufung machten wir geltend, Frau Sadeghi werde verfolgt, weil sie der sozialen Gruppe jener Frauen angehört, die sich den Moralbegriffen der Mullahs nicht unterordnen wollen.

Unsere Berufung wurde abgewiesen; die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ebenso. Eine "soziale Gruppe der Ehebrecherinnen", schrieb das Innenministerium, sei hieramts unbekannt.

Frau Sadeghi flüchtete weiter in ein anderes Land. Ich habe nichts mehr gehört von ihr; hoffentlich geht es ihr gut. Den Asylbeamten, der den Bescheid auf dem Gewissen hatte, griffen wir immer wieder öffentlich an. Das hinderte ihn nicht, noch viele rechtswidrige Bescheide zu verfassen - bis er, seelisch zermürbt, aus dem Fenster im vierten Stock sprang.

Der Verwaltungsgerichtshof änderte mittlerweile seine Judikatur. Er stellte fest, daß wegen der Verquickung von Staat und Religion im Iran Verletzungen religiöser Vorschriften als Ausdruck oppositioneller politischer Gesinnung angesehen und verfolgt werden. Auf deutsch: Ehebrecherinnen gelten im Iran als Staatsfeindinnen, weil sie die Grundlagen des Mullahregimes untergraben. Sie werden daher aus politischen Gründen verfolgt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hier etwas sehr Wichtiges entdeckt: Die Hauptgefahr für Staat, Familie und Religion sind nicht die "politischen" Sekten, die Mudjaheddin, Fedayin oder wie sie alle heißen, die ihre SympathisantInnen in sinnlosen Aktionen verheizen - sondern die ganz normalen, scheinbar "unpolitischen" Menschen, die frei sein wollen, die lieben wollen nach ihrer Fasson ...

Der Schlag soll ihn treffen

Zwölf Jahre ist es her, da war ich mit jungen Frauen und Männern aus dem Iran, die ich im Asylverfahren betreute, auf der Donauinsel. Wir grillten Kebab und amüsierten uns. Babak, ein junger Iraner, sah mit großen Augen die Wienerinnen an, die "oben ohne" badeten oder mit ihren Freunden, eng umschlungen, auf der Insel promenierten, und meinte: "Schade, daß der Khomeiny nicht hier ist. Es würde ihn der Schlag treffen, wenn er das sieht."

Babak hatte im Iran mit seiner Freundin eine Bergwanderung unternommen. Sie waren von "Revolutionswächtern" aufgegriffen und zu 80 Peitschenhieben verurteilt worden - auf Bewährung zwar nur; aber dann hatte man ihn auch noch mit regimefeindlichen Kassetten erwischt...

Das war sein Fluchtgrund. Dem Mädchen ist nichts passiert; sie ist "nur" - unter der Androhung der Peitsche - angepaßt und sittsam geworden, wie Millionen Frauen unter der Herrschaft der Kirche und des Islam.

Ich vertrat Babak im Asylverfahren, er wurde als Flüchtling anerkannt und verliebte sich in Fataneh, ein Mädchen aus einer Flüchtlingsfamilie, die den Volksmudjaheddin, einer linksislamistischen Widerstandsbewegung, nahe stand.

Die Familie war nicht einverstanden mit dieser Beziehung, weil Babak zu unpolitisch war. Fataneh wurde von ihren Verwandten (Bruder, Schwester und Schwager) gewaltsam verschleppt und in eine Wohnung gesperrt.

Ich fand aber die Adresse heraus. Ich wusste auch, wo einer der Wiener Chefs der Volksmudjaheddin wohnte. In der Nacht stattete ich ihm einen Besuch ab und erklärte ihm, daß er sofort mitkommen müsse.

Das große Messer, das ich vorsichtshalber eingesteckt hatte, brauchte ich nicht zu benützen (wahrscheinlich hätte ich ohnedies nicht gewußt, wie ich damit umgehen soll - er fuhr freiwillig mit mir zur Wohnung, wo Fataneh festgehalten wurde.

Und es gelang uns, mit der richtigen Mischung aus ein bisschen Drohung und viel Diplomatie, das Problem zu lösen. Babak und Fataneh heirateten bald darauf, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Erinnerungen an 1968

Im Iran ist heute manches anders als vor zwölf Jahren. Die jungen Frauen und Männer trauen sich viel mehr. Die alten Regeln der Familie und der Religion verlieren ihre Macht. Die Massenflucht, die zehntausende junge Menschen aus dem Iran nach Europa und Amerika führte, wo sie "westliche" Freiheiten kennen und schätzen lernten, hat ihren Beitrag geleistet dazu. Und zwar, obwohl die Flüchtlinge hierzulande alles andere als gut behandelt wurden.

Wir NGOs haben die Massenflucht durch unseren rechtlichen Beistand gefördert; wir haben den Flüchtlingen geholfen, hier Fuß zu fassen. Damit haben wir unseren Beitrag geleistet nicht nur zum Kampf gegen den Rassismus hierzulande, sondern auch zum künftigen Umsturz im Iran.

Meinen jungen Klientinnen und Klienten aus dem Iran und aus Afghanistan habe ich oft davon erzählt, wie es früher in Österreich war. Daß auch bei uns Familie und Religion sehr mächtig waren vor noch nicht langer Zeit und es zum Teil auch heute noch sind; daß wir aber große Schritte nach vorn gemacht haben. Und auch, daß die etwas größere Freiheit, in der wir heute leben, uns nicht vom Himmel geschenkt, sondern hart erkämpft worden ist.

Als ich jung war, steckte man in Österreich Burschen und Mädchen, die gegen den Willen ihrer Eltern zusammen waren, ins Erziehungsheim. Dort wurden sie geprügelt, bis sie begriffen, was bürgerliche Moral bedeutet. Dagegen leisteten wir Widerstand, wir Achtundsechziger, und mit Erfolg.

Ein solches Liebespaar habe ich sieben Wochen lang versteckt, gegen einen Großeinsatz der ganzen Wiener Polizei, und sie haben uns nicht erwischt - bis der Vater des Mädchens, ein Kriminalbeamter, klein beigab und einen Vertrag mit mir unterschrieb, daß sie nicht ins Heim müßten; dann tauchten die beiden Flüchtlinge wieder auf. Die Prügelheime wurden einige Jahre danach von Christian Broda abgeschafft.

Die Freigabe der Abtreibung war bitter hart erkämpft gegen Kirche und ÖVP. Ebenso: die Straffreiheit für Homosexuelle; der berüchtigte § 209 ist erst vor ganz kurzer Zeit gefallen. Und auch Ehebruch ist erst seit wenigen Jahren straffrei in unserem christlichen Land.

Auch im Iran und in Afghanistan werden die Schleier fallen. Werden alte Strukturen zerbrechen. Werden junge Menschen lernen, einander zu lieben, wie sie wollen, ohne Rücksicht auf die alte verlogene Moral. Mit der größeren sexuellen Freiheit einhergehen wird der Aufbau der politischen Demokratie. Die Menschen werden frei sein - in Wien, in Kabul, in Teheran.


Unser Beitrag zur Diskussion über Kopftuch, Familie und andere "Werte" erschien bisher in "Die Bunte Zeitung", November 2003, und im Weihnachtsrundbrief von Asyl in Not (Printversion).


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