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Humanitäre Pflichten

Acht Jahre nach der Änderung des Asylrechts will Otto Schily nun auch dessen Reste entsorgen. Bis auf die Flüchlinge sind alle hellauf begeistert.


von thomas uwer


Die Reaktionen erinnern an die Zeiten der Asyldebatte von 1992/93. Allerdings gibt es einen Unterschied. Claudia Roths Lob für die Pläne des Innenminister Otto Schily (SPD) zeigt, dass die Grünen heute mit dabei sind, wenn es um die Einschränkung von Flüchtlingsrechten geht.

Aber auch CDU/CSU und FDP, die im Frühjahr 1993 im Bundestag mit der SPD für die Änderung des Grundgesetzartikels 16 stimmten, tun sich schwer, Schilys Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes etwas Substanzielles entgegenzusetzen. Unerschütterlich ist der gesellschaftliche Konsens, der bislang gültige Flüchtlingsschutz sei zugunsten einer staatlichen Steuerung der Migration nach volkswirtschaftlichen Effizienzkriterien abzuschaffen. Abgesehen vom Verband der Verwaltungsrichter, der darauf verwies, dass rund 100 000 Flüchtlinge in einer rechtlichen Lücke verschwinden könnten, die durch die angebliche Vereinfachung des Aufenthaltsrechts erst erzeugt würde, gab es kaum Kritik. Und auch diese beschränkte sich auf Formalia. Angesichts der monierten Defizite sei es fraglich, ob der Entwurf in der vorliegenden Form überhaupt in ein Gesetz überführt werden könne.

Dabei sind die von Schily vorgesehenen Änderungen des bestehenden Aufenthaltsrechts gravierend. So soll es künftig neben einer auf drei Jahre befristeten Aufenthalts-, nur noch eine unbefristete Niederlassungserlaubnis geben. Die Duldung als vorübergehender Aufenthaltstitel für abgelehnte Asylbewerber, die wegen der Situation in ihrem Herkunftsland nicht abgeschoben werden können, soll vollständig entfallen.

Davon betroffen wären weit mehr als jene von den Verwaltungsrichtern erwähnten 100 000, deren Herkunft nicht mehr nachzuweisen ist; auch die große Gruppe derer, die staatliche Verfolgung nicht als Asylgrund geltend machen konnten, weil sich der Staatsverband zum Zeitpunkt ihrer Flucht in Auflösung befand - wie etwa im Nordirak, in Somalia oder Afghanistan - wird künftig keinen Anspruch auf einen legalen Status mehr haben. Ohnehin sind sie bisher nur deshalb geschützt, weil kein Flugzeug die unsicheren und umkämpften Regionen erreichen kann.

Anspruch auf einen rechtlich einwandfreien Aufenthaltsstatus soll nach Schilys Vorstellungen künftig nur noch haben, wer trotz seiner Bereitschaft zur Rückkehr nicht in sein Herkunftsland zurückreisen kann. Schon heute gehen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte davon aus, dass jeder, der geflohen ist, auch zurückkehren kann, entweder auf illegalem Wege oder mit ausschließlich zur Heimreise ausgestellten deutschen Ersatzpapieren.

Die »Rückkehrunwilligen« hingegen sollen in gesonderten »Ausreiseanstalten«, wie sie in Schilys Papier heißen, interniert werden, selbstredend ohne legalen Aufenthaltstitel. So könnte die paradoxe Situation einer rechtlich vollzogenen Illegalität entstehen.

Ein Vorbild für die Einführung des Prinzips der »freiwillige ückkehr« dürfte das seit April geltende niederländische Ausländerrecht sein, das schon als »Policy of Starvation« kritisiert wird. Asylbewerber, die nach der Ablehnung in letzter Instanz ohne Aufenthaltsrecht auf der Straße sitzen, sollen durch die staatlich organisierte Verelendung zum Verlassen des Landes gezwungen werden.

Schily geht mit seinem Entwurf noch weiter. Um die Entstehung eines illegalen Sektors durch unkontrollierte Verelendung zu verhindern, soll hier an die Stelle des Rauswurfs aus Flüchtlingsunterkünften die verschärfte Internierung treten. Was die Umwandlung des Asylverfahrens in einen fast ausschließlich der Exekutive überlassenen Behördenakt bedeuten würde.

So ist auch für anerkannte Asylbewerber nur ein befristeter Aufenthaltstitel vorgesehen, der alle drei Jahre anhand der Lageberichte des Auswärtigen Amtes überprüft werden soll. Schließlich könnte sich die Lage im Herkunftsland ja zugunsten des Flüchtlings geändert haben. Zuständig für die Ausgabe auch der dauerhaften Titel wäre dann das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, das ohnehin vom Außenministerium mit Erkenntnissen versorgt wird.

Die bereits heute gängige Bundesamtspraxis der Widerrufsverfahren würde so zur Regel erhoben. Wie schnell auf diesem Weg Verfolgerstaaten zu sicheren Zufluchtsorten gemacht werden können, zeigt das Beispiel der Lageberichte zum Irak. So erklärte das Auswärtige Amt den kurdischen Nordirak auf Drängen des Bundesinnenministeriums 1997 erstmals zu einer »sicheren Fluchtalternative«; binnen Monatsfrist sanken die Anerkennungsquoten von knapp 90 auf rund 30 Prozent.

Angesichts der zu befürchtenden vollständigen exekutiven Kontrolle mutet es geradezu absurd an, dass die Grünen ausgerechnet die fehlende Anerkennung geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung kritisieren. Und zwar nicht etwa deshalb, weil das Ministerium von Joseph Fischer Fälle geschlechtsspezifischer Verfolgung weiterhin als familiär oder kulturell bedingte Einzeltaten bewertet, sondern weil die Anerkennung nicht staatlicher Verfolgung eine Angleichung an internationales Flüchtlingsrecht bedeuten würde. Diese aber wird durch den Gesetzentwurf, der die Genfer Flüchtlingskonvention als bindendes internationales Recht endgültig zur Makulatur macht vollends unterminiert. Die von Vertretern aller Parteien verwendete Formulierung »humanitäre Verpflichtung« verdeutlicht das.

Dabei handelt es sich keineswegs um selbst auferlegte humanitäre Verpflichtungen, sondern um internationales Flüchtlingsrecht, das als Reaktion auf die vom NS-Regime verursachte Flüchtlingskatastrophe in die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) aufgenommen wurde. Auch die gängige Formulierung vom »anerkannten Asylanten« zeigt, dass die Grundsätze der GFK in Deutschland niemals in gesellschaftliche Realität überführt, sondern wie die meisten nach dem Nationalsozialismus geschlossenen internationalen Bindungen als fremder Zwang empfunden wurden.

Doch während um die Anerkennung nicht staatlicher Verfolgung noch gestritten wird, bleibt die grundlegende Umkehrung der darin verankerten Schutzmechanismen ohne Kritik. Exemplarisch ist die von Schily geplante Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge. Mit der Formel von den regionalen Bedürfnissen des Arbeitsmarktes aber wird das in der Flüchtlingskonvention vorgesehene Verbot der wirtschaftlichen Ausbeutung und Verwertung von Flüchtlingen gebrochen. Es soll im Ermessen der Arbeitsämter liegen, Arbeitsplätze auch an Flüchtlinge zu vergeben; Deutsche haben aber weiterhin den Vorrang. So könnte ein industrielles Reservekontingent geschaffen werden, das man bei Bedarf einsetzt.

Schily verdankt die allgemeine Zustimmung zu seinem Papier der Bindung des Flüchtlingsschutzes an wirtschaftliche Verwertungskriterien. Der einzige Bereich, der bisher nicht nach seinem ökonomischen Nutzen gefragt wurde, war die Asylpolitik. Auch er soll nun den Notwendigkeiten des Staatsbudgets und den Ansprüchen des Marktes unterworfen werden.

Denn spätestens wenn die Asylpolitik nicht mehr als vom Staat gegen die Gesellschaft durchgeführte Zwangsmaßnahme, sondern als Teil der gemeinsamen Anstrengungen zur Verwertung aller gesellschaftlichen Ressourcen begriffen wird, kriegt von der endgültigen Abschaffung des tradierten Asylrechts keiner mehr etwas mit.

in jungle world 34/2001



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