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Keine Tränen mehr

Die Bundesregierung hat aus dem Krieg im Irak bereits ihren Nutzen gezogen: Die Reste internationaler Standards für den Schutz von Flüchtlingen wurden abgeschafft.

Von Thomas Uwer


Denkt man an ihre früheren Auftritte zurück, so verwundert vor allem die sachliche Kürze, mit der die Vorsitzende der Grünen, Angelika Beer, in der vergangenen Woche das Schicksal irakischer Flüchtlinge abhandelte. Öffentlich ausgetragene Gewissenskonflikte und tränenreiche Bekenntnisse zur Humanität blieben dieses Mal ebenso aus wie der Verweis auf das menschliche Leid, das es zu bekämpfen gelte. Knapp vier Zeilen Pressemitteilung reichten Beer aus, um zu erklären, dass Flüchtlinge aus dem Irak am besten in der Region selbst untergebracht seien.

So einfach geht im Schatten des Irakkrieges durch, was nicht nur angesichts der von den Grünen angekündigten liberalen Asylpolitik vor kurzer Zeit fast undenkbar schien. Drehte sich die Debatte während des Kosovokrieges noch um die zeitliche Begrenzung des Aufenthalts von Flüchtlingen in Deutschland, so wird jetzt der internationale Schutz generell in Frage gestellt. In Deutschland sind Iraker, die vor ihm fliehen, noch unerwünschter als der Krieg selbst.

Eine Farce war daher auch der als großzügige humanitäre Geste verkaufte Abschiebestopp für irakische Flüchtlinge. Denn was den Nachrichtenredaktionen entging, die nicht müde werden, die Berichterstattung der »embedded journalists« als Propaganda zu entlarven, ist die Tatsache, dass Iraker ohnehin nicht abgeschoben werden können. Seit dem Jahr 1990 ist der Irak für die Rückkehr von Flüchtlingen faktisch verschlossen. Als »Luftnummer« verhöhnte Bayerns Innenminister Beckstein (CSU) die Ankündigung, obwohl er wissen dürfte, dass die Humanität des Bundesinnenministers Otto Schilys lediglich die sozialdemokratische Variante verschärfter Repression darstellt.

Denn liest man die Durchführungsempfehlung des Innenministeriums an die Länder genau, so wird deutlich, dass der »Abschiebestopp« in Wirklichkeit bereits bevorstehende Abschiebungen ankündigt. »Für eine Ausdehnung der Aussetzung von Abschiebungen auf die Nachbarstaaten des Irak«, heißt es dort, »wird hier gegenwärtig keine Notwendigkeit gesehen.« Im Klartext bedeutet der ministeriale Stabreim, dass Flüchtlinge zwar nicht in den Irak, wohl aber in die angrenzenden Staaten Türkei, Syrien, Jordanien und Iran verbracht werden können, die bislang aus gutem Grunde nicht als »sichere Drittstaaten« für irakische Asylsuchende galten.

In allen vier Ländern sind irakische Flüchtlinge unerwünscht. Während die Türkei eine »Sicherheitszone« errichtet hat, um Flüchtlinge aus dem Nachbarland militärisch abzuwehren, hat der Iran nach Angaben des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) jüngst erneut die Grenze für Flüchtlinge aus der Kriegsregion gesperrt. In Jordanien können irakische Sicherheitskräfte wegen eines binationalen Abkommens ganz legal gegen dissidente Landesflüchtige vorgehen. Das UNHCR fordert entsprechend, »angesichts der politischen Entwicklung in der Region um den Irak Schutzsuchende nicht auf Länder in dieser Region« zu verweisen.

Der »humanen« Flüchtlingshilfe der Bundesregierung tut dies keinen Abbruch. Vorsorglich haben nicht nur das Internationale Rote Kreuz und das UNHCR Zeltstädte für die Versorgung von Flüchtlingen aus dem Irak aufgebaut, auch deutsche Nothilfeagenturen wie die Organisation Cap Anamur befinden sich bereits vor Ort, um die von der Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul angekündigten Sofortmaßnahmen durchzuführen. Dabei geht es nicht nur um die Nothilfe für Kriegsflüchtlinge, sondern auch darum, ihre Weiterreise nach Europa zu verhindern.

So machte sich Otto Schily beim informellen Rat der Justiz- und Innenminister der EU Ende März in Griechenland dafür stark, einen von Großbritannien vorgelegten Entwurf zur einheitlichen Behandlung irakischer Flüchtlinge in Europa zu verschärfen. Sah das so genannte Blair-Papier vor, Iraker, ähnlich wie seinerzeit die Kosovo-Flüchtlinge, aus dem individuellen Asylverfahren auszuschließen und sie lediglich kontingentiert und zeitlich befristet aufzunehmen, so drängte die Bundesregierung vorauseilend auf die Feststellung, dass eine »regionale Versorgung« künftiger Flüchtlinge einen ausreichenden Schutz gewähre. Selbst eine zeitlich befristete Aufnahme scheidet damit von vornherein aus.

Lange bevor klar ist, welches Ausmaß die Fluchtbewegungen aus dem Irak tatsächlich haben werden, hat die Bundesregierung den Irakkrieg dazu genutzt, die letzten Reste internationaler Standards im Flüchtlingsschutz zu entsorgen. Dass Flüchtlinge aus Kriegsregionen und Ländern mit diktatorischen Regimen internationalen Schutzes bedürfen, stellte einst die Voraussetzung des Flüchtlingsrechts dar. Als Konsequenz aus dem von Nazi-Deutschland ausgelösten Flüchtlingselend wurden in der Genfer Flüchtlingskonvention erstmals Rechte von Flüchtlingen formuliert, deren Schicksal nicht mehr allein vom guten Willen und von den Almosen anderer Staaten abhängen sollte. Sicherheit könne nur gewährleistet sein, wo Flüchtlinge ein Recht auf Schutz genießen. Das von Hannah Arendt formulierte »Recht, Rechte zu haben« stellt das eigentliche Ziel des Flüchtlingsschutzes dar. Eben dieses Recht sollen Flüchtlinge nach dem Willen der Bundesregierung nicht genießen.

Bei den irakischen Asylsuchenden zählt schon seit langem nicht mehr, ob sie in der Region Rechte und dauerhafte Sicherheit genießen, sondern lediglich, ob eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln gewährleistet ist. Seit im Dezember 2001 das Oberverwaltungsgericht Magdeburg ausgerechnet hat, dass Flüchtlinge in den Lagern im kurdischen Nordirak durchschnittlich 2 229 Kalorien am Tag erhalten, sind die Anerkennungsquoten irakischer Asylsuchender in Deutschland faktisch zusammengebrochen. Erhielten damals noch mehr als 65 Prozent der Antragsteller im Erstverfahren wenigstens das »Kleine Asyl«, so ist die Zahl jener, die überhaupt noch einen Aufenthaltsstatus bekommen, mittlerweile auf zehn Prozent gesunken.(Jungle World, 6/02 und 36/02)

Rund 18 000 Irakis befinden sich derzeit in ungeklärten Asylverfahren oder leben lediglich mit einer Duldung in Deutschland. Sie könnten die Ersten sein, die Schilys angeblicher »Abschiebestopp« betrifft, indem sie in die Nachbarstaaten abgeschoben werden.

Doch sogar eine Anerkennung bedeutet noch keinen dauerhaften Schutz. Das deutsche Asylrecht sieht die Möglichkeit vor, einen bereits erteilten Aufenthaltsstatus zu widerrufen, sobald sich die Situation im Herkunftsland eines Flüchtlings grundlegend ändert. Das dürfte der Fall sein, wenn wieder zivile Flugzeuge in Bagdad landen können, und es betrifft vermutlich weit mehr Iraker in Deutschland als solche, denen mit Beginn des Krieges vorsorglich ein dauerhafter Status verwehrt wurde.

Zumindest das Bundesinnenministerium kann daher mit dem Krieg im Irak bislang zufrieden sein. So billig und widerstandslos wie heute war die Entsorgung des Flüchtlingsrechts noch nie zu haben. Denn vorerst sind auch die erwarteten Hunderttausende Flüchtlinge ausgeblieben. Sollten sie dennoch kommen, so werden die deutschen Hilfsorganisationen es schon richten, Wolldecken und Zelte verteilen und vor Humanität zerfließen.

erschienen in: Jungle World 16 - 09. April 2003


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