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Zurück in den Irak

Mit der Verschärfung ethnisierter und sektiererischer Konflikte im Irak, zeigt die europäische Irak-Politik einmal mehr ihre Janusköpfigkeit. Während auf der einen Seite Horrorszenarien entworfen werden, gilt der Irak als „sicher“, sobald es darum geht Flüchtlinge dorthin abzuschieben.

von Thomas Schmidinger

Wie katastrophal sich die Sicherheitssituation im Irak in den letzten Monaten entwickelt hat, muss hier kaum noch geschildert werden. Nach zwei Jahren Terrorkrieg gelang es Gihadisten und Postbaathisten den Irak in einen ethnisierten Bürgerkireg zu treiben, in dem täglich mehr tote ZivilistInnen zu beklagen sind. Frauen wagen sich in großen Teilen des Landes kaum mehr auf die Straße. Ethnische und religiöse Minderheiten, wie Christen, Mandäer oder Yezidi werden ebenso zwischen den großen Kriegsparteien zerrieben, wie irakische Intellektuelle, die sich einer Ethnisierung verweigern. Seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im April 2003 sind im Irak nach inoffiziellen Schätzungen bereits 160 Professoren von Universitäten und Gymnasien ermordet worden. Unter irakischen Intellektuellen gehen Gerüchte um, dass Milizen und ihre Unterstützer in den irakischen Nachbarstaaten gezielt die intellektuelle Elite des Landes beseitigen wollen. Aber auch für ganz normale IrakerInnen ist das Leben unter Terrorangst zunehmend unerträglich geworden. Dazu kommt noch, dass die Ethnisierung selbst in Gebieten mit relativer Sicherheit, wie den kurdischen Provinzen, einer zunehmend autoritären und nationalistischeren Politik den Weg ebnet. Kein Wunder, dass es angesichts des aktuellen Desasters genau das gibt, was 2003 vergeblich erwartet wurde: eine neue Welle irakischer Flüchtlinge in die Nachbarländer des Nahen Ostens und nach Europa.

Autoritäre Tendenzen in den kurdischen Provinzen

All dies ist in Europa gut bekannt und wird, v.a. von antiamerikanischen EuropäerInnen manchmal gar mit einem gewissen Triumphgefühl thematisiert. Sobald es jedoch um irakische Flüchtlinge geht, wird die irakische Katastrophe plötzlich klein geredet. Zumindest die kurdischen Provinzen werden zunehmend als sicher betrachtet und als mögliches Abschiebungsziel interessant. Ignoriert wird dabei, dass die kurdische Autonomie immer noch einen durchaus prekären Status besitzt und weiterhin mit den Geschicken der anderen Teile des Irak verbunden ist. Ignoriert wird jedoch ebenfalls, dass die prekäre Sicherheitslage und die Ethnisierung der Konflikte auch in den kurdischen Provinzen die Tendenz zu einer autoritäreren Politik der beiden kurdischen Regierungsparteien PDK und PUK verstärkt hat, die sich gegen Angehörige radikaler Oppositionsgruppen ebenso richtet, wie gegen die Presse- und Meinungsfreiheit. Vor den letzten Wahlen wurde im Dezember 2005 ein Parteibüro der Islamischen Union Kurdistans (Yekgirtu), einer den Muslim Brüdern nahestehende Oppositionspartei, von Anhängern der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) in Brand gesetzt. Vier Aktivisten der Oppositionspartei kamen dabei ums Leben. Assyrische Gruppen warfen der PDK während der Wahlen vor, in ihren Dörfern die Wahl behindert zu haben. Soziale Proteste werden auch in Irakisch-Kurdistan mit zunehmender Brutalität niedergeschlagen. In Halabja hatten im vergangenen März tausende BewohnerInnen die Gedenkstätte für die Giftgasangriffe unter Saddam Hussein gestürmt und verwüstet, nachdem kurdische Sicherheitskräfte einen jungen Demonstranten erschossen hatten. Eine Repressionswelle der kurdischen Sicherheitskräfte in der Stadt trieb in der Folge Jugendliche aus der Stadt in die Flucht. Im August 2006 kamen bei Protesten in mehreren kurdischen Städten zwei Demonstranten ums Leben, nachdem Sicherheitskräfte der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) das Feuer auf die Protestierenden eröffnet hatten. Hunderte landeten im Gefängnis. Parteiunabhängige JournalistInnen wurden mehrmals verhaftet, Aktivisten der Arbeiterkommunistischen Partei oder anderer radikaler Oppositionsgruppen eingeschüchtert.

Erste Abschiebungen

Trotzdem preschen derzeit einige europäische Staaten vor, irakische Flüchtlinge wieder los zu werden. Während neue irakische Flüchtlinge eben erst Europa erreichen, droht tausenden IrakerInnen, die teilweise schon jahrelang in Europa sind, nun die Abschiebung in eine ungewisse Zukunft.

Den Vorreiter spielte diesmal Großbritannien, wo seit den Zeiten des britischen Protektorats über den Irak die größte irakische Community Europas lebt. Bereits am 20. November 2005 ging der erste Deportationsflug abgewiesener irakischer AsylwerberInnen aus der EU in den Irak. 15 Irakis wurden direkt aus Großbritannien nach Arbil, der Hauptstadt des kurdischen Autonomiegebietes, geflogen. Dort wurden sie mit 100 U$ entlassen. Später stellte sich heraus, dass mindestens einer der Flüchtlinge widerrechtlich abgeschoben worden war.

Dabei hatten die kurdischen Behörden sich offiziell geweigert, Abschiebungen entgegen zu nehmen. Als die Flüchtlinge da waren, sahen sich die Behörden vor Ort jedoch vor vollendete Tatsachen gestellt.

Als nächstes folgt nun Deutschland, wo rund 75.000 IrakerInnen leben, davon zwischen 14.000 und 15.000, die lediglich über einen prekären Aufenthaltsstatus verfügen. Obwohl die Diktatur gestürzt wurde, von der die meisten von ihnen seit den 1970er-Jahren geflohen waren, will die überwiegende Mehrheit dieser ExilirakerInnen nicht in den Irak zurückkehren. Neben im Laufe der Zeit entstandenen familiären und beruflichen Bindungen in Europa, fürchten sie vor allem die neuen Unsicherheiten, die durch Terrorismus, Besatzung und Milizenherrschaft entstanden sind, die eine Rückkehr in den Irak für viele unmöglich machen. Seit 2004 versendet das Bundesamt für Migration trotz der zunehmend katastrophaleren Sicherheitslage im Irak so genannte Widerrufsbescheide an irakische Flüchtlinge. Mit der Begründung, der Fluchtgrund Saddam Hussein wäre nun weggefallen, wurden so aus anerkannten Flüchtlingen nur noch „Geduldete“. Von diesem Widerruf betroffen waren allein im vergangenen Jahr über 7.000 irakische Flüchtlinge, die nun ihren Wohnort bzw. dessen unmittelbare Umgebung nicht mehr verlassen dürfen, keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr haben und so über Nacht zum Sozialfall degradiert werden.

Verschärft wird die Situation jetzt noch durch die neue „Bleiberechtsregelung“ für „Geduldete“, von der IrakerInnen ausdrücklich ausgenommen werden sollen. Obwohl das UN-Flüchtlingskommissariat, NGOs und christliche Kirchen Anfang November vor genau dieser Ausnahme für IrakerInnen warnten, wird die Herausnahme von IrakerInnen aus der „Bleiberechtsregelung“ durch massives Betreiben des bayerischen Innenministers Günther Beckstein immer deutlicher Konsens unter deutschen Innenministern. Das niedersächsische Innenministerium fragte mittlerweile in einem Rundschreiben an die Ausländerbehörden des Landes bereits nach IrakerInnen, die für eine Deportation in Frage kommen.

Druck zur „freiwilligen“ Rückkehr

Bislang setzte Deutschland überwiegend darauf, IrakerInnen durch die Aberkennung des Flüchtlingsstatus so den Aufenthalt im Lande zu vergällen, dass diese „freiwillig“ in den Irak zurückkehren. In diesem Zusammenhang konnten auch einige kurdische und assyrische ExilirakerInnen gefunden werden, die mit Initiativen mit klingenden Namen wie „Coming Home“ oder „Heimatgarten“ ihre berufliche Karriere darauf bauen, andere Exilirakis zur „Rückkehr“ zu überreden. Dabei wird in eigens dafür organisierten Versammlungen die Zukunft im Irak in den schönsten Farben ausgemalt und nicht vergessen darauf hinzuweisen, dass wer jetzt nicht freiwillig ginge, vielleicht schon bald zwangsweise abgeschoben werde. Als „Starthilfe“ winken € 500.- pro Person, womit im Irak gerade einmal zwei Monatsmieten für eine Wohnung bezahlt werden können. Die Funktionäre dieser Organisationen, werden deutlich mehr verdienen. Immerhin finanziert das Bundesamt für Migration eine Deutschland-weite Tour des „Internationalen Vereins für die Menschenrechte der Kurden“ um diesen für die sanfte Abschiebung ihrer Landsleute einsetzen zu können. Neben den guten Verdienstmöglichkeiten in der Rückkehrbranche kann in den ethnisierten Konflikten im Irak so noch weiteres „Menschenmaterial“ für die eigene „Ethnie“ nachgeliefert werden.

Wöchentliche Abschiebungen geplant

Dass es Deutschland mit der Androhung in Zukunft eine härtere Gangart einzuschlagen tatsächlich ernst meint, zeigten die ersten beiden Zwangsabschiebungen. Bereits im Dezember 2005 wurde ein irakischer Flüchtling aus München, im Frühling 2006 einer aus Frankfurt am Main in den Irak abgeschoben. Der aus München abgeschobene Flüchtling berichtete später, er sei von Bundespolizisten in einer kleinen Maschine vom jordanischen Amman nach Erbil gebracht worden und während des gesamten Fluges gefesselt gewesen. Die kurdischen Behörden hätten sich darüber gewundert, dass er in Handschellen das Flugzeug verließ, und vorsichtshalber den kurdischen Geheimdienst gerufen. Dieser habe ihn mit verbundenen Augen zu einem Verhör gebracht, bei dem er stundenlang beschimpft und geschlagen worden sei.
Während offiziell die irakischen Behörden keine Zwangsdeportierten entgegen nehmen, setzen die deutschen und britischen Behörden bislang auf die Macht des Faktischen. Für den Irak werden keine Heimreisezertifikate beantragt. In Arbil – so die Überlegung - werde man die Deportierten schon nicht mehr nach Europa zurückschicken.
Tatsächlich ist mittlerweile alles für Abschiebungen in den Irak bereit. Mit der kurdischen Charterflug-Airline Zozik Air haben die deutschen Innenminister bereits eine Airline gefunden, die in Zukunft wöchentlich deportierte IrakerInnen mit deutschem Wachpersonal direkt nach Sulemaniya transportieren soll.

Offizielle Reisewarnung

Das Absurde daran: Was die deutschen Innenminister für sicher halten, halten andere deutsche Behörden noch lange nicht für einen sicheren Staat. Bereits vor einem Jahr hatte der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) davor gewarnt, der Irak könne sich in einen Failed State verwandeln. Und das deutsche Auswärtige Amt hält weiterhin eine Reisewarnung für den gesamten Irak aufrecht. Deutschen Staatsangehörigen wird auf der Website des Auswärtigen Amtes „dringend geraten, das Land zu verlassen“. Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die „genannten Sicherheitsrisiken […] grundsätzlich auch für den vergleichsweise ruhigeren und stabileren Teil der Provinzen Dohuk, Arbil und Sulaimaniya“, also die drei von den Innenministern als sicher eingestuften kurdischen Provinzen, gelten. Während der Irak also vom Auswärtigen Amt für eines der gefährlichsten Länder der Welt gehalten wird, sind die Innenminister der Meinung, dass in dieses Land problemlos abgeschoben werden kann.
Auch vom österreichisches Außenministerum wird vor Reisen in den Irak „ausdrücklich gewarnt“. Wenn dabei die kurdischen Provinzen als vergleichsweise sicherer eingeschätzt werden, besteht laut Außenministerium „auch in dieser Region weiterhin die Gefahr von Terrorakten“. Konsequenterweise wird deshalb vor Reisen in den gesamten Irak gewarnt. Bislang sind aus Österreich noch keine Aberkennungen des Flüchtlingsstatus von irakischen Flüchtlingen bekannt. Von den 4.000 bis 5.000 IrakerInnen, die in Österreich leben, besitzen schätzungsweise über die Hälfte bereits eine österreichische Staatsbürgerschaft. Sollte es sich in anderen EU-Staaten jedoch durchsetzen, IrakerInnen wieder in ihr, vom Bürgerkrieg gebeuteltes Land, abzuschieben, könnte mittelfristig auch irakischen Flüchtlingen in Österreich Gefahr drohen. Ganz zu schweigen von der Situation neu ankommender Bürgerkriegsflüchtlinge, deren Zahl seit August 2006 deutlich zugenommen hat und deren Zukunft in der EU äußerst ungewiss ist.

Thomas Schmidinger ist Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien, Flüchtlingsbetreuer in Niederösterreich, Obmann der im Irak tätigen NGO Wadi und Vorstandsmitglied der Österreichisch-Irakischen Freundschaftsgesellschaft Iraquna.


Artikel erschienen in asyl aktuell Nr. 4 / 2006


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