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Irakische Flüchtlinge sollen "zurück"

Weil Saddam Hussein gestürzt ist, gelten irakische Flüchtlinge nicht mehr als verfolgt. Die Vorbereitung ihrer Abschiebung hat begonnen.

von Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken

Etwa vor Jahresfrist lancierte die britische Regierung ein Papier zur Zukunft der europäischen Flüchtlingspolitik. Die zu erwartende Fluchtbewegung aus dem Irak, hieß es in dem so genannten Blair-Papier, müsse bereits im Vorfeld politisch eingedämmt werden. Irakische Flüchtlinge sollten daher in von internationalen Organisationen und den Organen der UN betreuten Lagern in den Nachbarländern des Irak untergebracht und bis zur absehbaren Beilegung von Krieg und Unruhen versorgt werden.

So groß vor allem in Deutschland die Aufregung seinerzeit war, so wirkungslos blieb der Vorstoß Großbritanniens. Denn abgesehen von der Forderung, bereits vorauseilend den Anspruch auf einen Aufenthaltstitel für Flüchtlinge in der EU auszuschließen, enthielt das, was dort als »Strategie« formuliert wurde, wenig Neues. Zumindest in Deutschland ist der Verweis auf eine sichere Unterkunft in Lagern nahe des Herkunftsortes längst gängige Praxis.

Seit im Frühjahr 2003 zudem abzusehen war, dass die erwartete Massenflucht von Irakern ausbleiben würde, ist von großen politischen Strategien keine Rede mehr. Mit dem Sturz des Saddam-Regimes schlug in Deutschland die Stunde der Technokraten, deren Stärke bekanntlich in der Verwaltung des Bestehenden liegt. Im Falle der etwa 80 000 Iraker, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, bedeutet dies die Vorbereitung ihrer Abschiebung.

Publikumswirksam wies Bundesinnenminister Otto Schily im März 2003 die Länder an, Abschiebungen in das Kriegsgebiet vorerst auszusetzen. Gleichzeitig setzte das Bundesamt für Migration seine Entscheidungen im Erstverfahren vorläufig aus. Was als Akt der Menschlichkeit verkauft wurde, stellte in Wirklichkeit nicht mehr als eine behördliche Anweisung dar, die anhängigen Verfahren irakischer Asylsuchender bis zu einer Besserung der Lage auf Eis zu legen. Denn während Abschiebungen in den Irak seit 1990 ohnehin unmöglich waren, sah sich das Bundesamt mit dem Problem konfrontiert, eine vollständige Ablehnung der Asylanträge vor dem Hintergrund des stattfindenden Krieges nicht durchsetzen zu können.

Ohne die Geste des Bundesinnenministers wäre das Bundesamt praktisch verpflichtet gewesen, Entscheidungen zu fällen, gegen die es nach dem absehbaren Ende der Kampfhandlungen nur auf dem beschwerlichen Wege des Widerrufes hätte vorgehen können. So aber eröffnete sich die bequeme Möglichkeit zu warten, bis die Situation vor Ort Ablehnungen wieder erlauben würde.

Der Zeitpunkt der »Besserung« trat Ende September ein. Etwa zeitgleich mit einer ganzen Serie negativer Entscheidungen der Verwaltungsgerichte in Verfahren mit irakischen Asylsuchenden hat das Bundesamt im Herbst seine Entscheidungstätigkeit wieder aufgenommen. Mit durchschlagendem Erfolg: Trotz Entscheidungsstopp bearbeitete das Amt in den verbleibenden fünf Monaten des Jahres 2003 mehr als 5 000 Fälle, von denen gerade einmal 148 eine Anerkennung nach Artikel 16a Grundgesetz erhielten. Über 4 700 Anträge hingegen wurden vollständig abgelehnt.

Hintergrund ist die in Deutschland nach wie vor geltende Einschränkung des Verfolgungsbegriffs auf Maßnahmen, die von staatlichen oder quasi staatlichen Stellen ausgeübt werden. »Danach ist nicht mehr davon auszugehen, dass der Antragsgegner bei einer Rückkehr in den Irak von staatlichen oder quasi staatlichen Verfolgungsmaßnahmen bedroht wäre«, argumentierte beispielsweise das Verwaltungsgericht Würzburg. Denn wo kein Staat mehr ist, kann auch keine staatliche Verfolgung mehr sein.

Längst haben dies auch die Landesinnenminister begriffen. Die Innenministerkonferenz (IMK) forderte Ende November den Bund auf, »die Länder über die weitere Entwicklung der Lage zu unterrichten, damit die Ausländerreferenten rechtzeitig ein abgestimmtes Konzept zur Rückführung ausreisepflichtiger irakischer Staatsangehöriger vorlegen können, sobald eine zwangsweise Rückführung möglich ist.« Im Klartext bedeutet dies, dass die Vorbereitung künftiger Abschiebemaßnahmen begonnen hat.

Sobald die »Lage« es erlaubt, müssen alle irakischen Flüchtlinge, die über keinen gesicherten Aufenthaltstitel verfügen, mit ihrer Rückführung rechnen. Und das sind nicht eben wenige. Von den im Ausländerzentralregister erfassten 84 551 irakischen Flüchtlingen in Deutschland verfügen gerade einmal 10 305 über einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Mehr als 45 000 haben lediglich eine Aufenthaltsbefugnis, zwischen 4 000 und 5 000 können nicht mehr als eine Duldung vorweisen.

Unter diesen Voraussetzungen darf nicht verwundern, dass bereits jetzt das Geschäft mit der Rückführung beginnt. Während die provisorische Übergangsverwaltung der Koalitionstruppen im Irak genauso wie die irakische Übergangsregierung eine Rückführung von Flüchtlingen noch strikt ablehtnen, hofft man in Deutschland auch auf den Willen der Iraker, in ihr Herkunftsland zurückzukehren. So schloss die IMK im November mit einem Appell »an die in Deutschland lebenden irakischen Staatsangehörigen, sich aktiv (am Wiederaufbau) zu beteiligen, indem sie ihr Wissen und Können den Menschen in ihrer Heimat zur Verfügung stellen«.

Was klingt wie bittere Ironie, gilt in Entwicklungshilfekreisen längst als Geheimnis des Erfolges. Die Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte GmbH (Agef) hat sich auf Begleitprogramme bei der Rückführung von Flüchtlingen spezialisiert. Der gemeinnützige Dienstleister, der damit wirbt, »Potenziale und kreative Köpfe zu entdecken«, hat sich schon an der Rückführung »kreativer Köpfe« ins Kosovo und nach Afghanistan beteiligt und bereist nunmehr mit Werbeveranstaltungen die irakischen Exilgemeinden in der Republik. Dort ist man nicht wenig erstaunt über das plötzlich erwachte Interesse. Denn neben der vom Bundesministerium für Zusammenarbeit geförderten GmbH sind längst auch andere Organisationen und Arbeitsvermittler vorstellig geworden. Sie folgen dem nahe liegenden Kalkül, dass Entwicklungshilfegelder nur dann fließen, wenn sich ein vitales Interesse damit verknüpfen lässt. Dass die irakischen Parteien Rückführungsprogramme dezidiert ablehnen, wird dabei einfach ignoriert.

Seit Mitte des vergangenen Jahres versucht auch das deutsche UNHCR, mit Fragen nach den Wünschen und Interessen, dem Ausbildungsstand und der Herkunft irakischer Flüchtlinge, die Voraussetzungen eines freiwilligen Rückkehrerprogramms zu erforschen. Mit einer Hotline wirbt das Amt um die Herzen exilierter Iraker in Deutschland. Dass eine derartige Beratungsstelle ausgerechnet jetzt eingerichtet wird, da die Zahl neuer irakischer Asylbewerber in Deutschland einen Tiefstand erreicht hat, dürfte mit der geschwächten Position zusammenhängen, in der sich das Uno-Hochkommissariat im Falle des Irak befindet. Dort ist das UNHCR seit dem Ende des Programms »Öl für Nahrung« praktisch nicht mehr präsent. Will es überhaupt in den anstehenden Rückkehrprozess eingebunden werden, dann muss es sich um die Exilierten bemühen. Denn in den Flüchtlingslagern, die das Amt zur »regionalen Versorgung« im Sinne des Blair-Papiers in der jordanischen Wüste errichtet hat, wohnen heute außer Wüstenfüchsen nur noch ein paar Beduinen.


erschienen in Jungle World 10, 25. Februar 2004


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