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Deutsche Zielauswahl

Europa hat kein Interesse an einem Krieg gegen den Irak

peter rhein/thomas uwer

»Schröder gerettet, aber unsere Soldaten müssen in den Krieg«, titelte der Berliner Kurier am Samstag und übersah, dass es der Erpressung im deutschen Bundestag nicht bedurfte, um den Ausnahmezustand zu rechtfertigen, sondern die Normalität. Um nichts anderes bemühen Gerhard Schröder und seine Cheftautologen Struck und Fischer sich, wenn sie für die »umfassende Strategie« werben, in der bestehenden »Partnerschaft« ein »gleichberechtigter Teil« zu werden. Niemand bezweifelt ernsthaft, dass auch die grüne Basis der Entsendung von Truppen nach Afghanistan als Ausnahmefall zugestimmt hätte, seit auch die UN der Militäraktion nachholend ihr Mandat gegeben hat.
Normalität aber ist nicht die Entsendung von Soldaten in Krisenherde, sondern die Bereitstellung von Militär als politische Verhandlungsgröße. Dies war so lange nicht möglich, wie deutsche Außenpolitik mit Auschwitz übercodiert war und jedes noch so triviale Interesse sich mit dem Holocaust rechtfertigte. In der wenig beachteten Tatsache, dass erstmals ein Bundeswehreinsatz beschlossen wurde, ohne die deutsche Geschichte als Legitimation zu bemühen, liegt zugleich der eigentliche qualitative Wandel.
So ist es auch kein Widerspruch, wenn gleichzeitig mit der Bereitstellung des Militärs die Bekämpfung der Ursachen des Terrors gefordert wird. Neben der weltweiten Armut, der Schröder bereits mit mehr Entwicklungshilfe den Kampf angesagt hat, werden diese im ungelösten Nahostkonflikt gesucht und damit in Israel. Ungeachtet der Tatsache, dass der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern im Weltbild der al-Qaida nur eine untergeordnete Rolle spielt, drängt sich Europa zur Zeit wieder einmal als Vermittler auf und fordert von den USA eine stärkere Beteiligung bei Verhandlungen, die gar nicht anstehen.
Die Vehemenz, mit der Europa den Konflikt ins Zentrum des »Kriegs gegen den Terror« zu rücken versucht, hängt direkt mit den militärischen Erfolgen der USA in Afghanistan zusammen. Mit dem Sturz des Taliban-Regimes droht der Islamismus der al-Qaida zu seinen nahöstlichen Ursprüngen zurückzukehren, die nicht in Israel oder der Westbank, sondern in den arabischen Staaten liegen. Die Bereitstellung deutscher Soldaten, die niemand haben wollte, soll vor allem eine Mitbestimmung bei der Auswahl der Ziele garantieren, auf die sich Militäraktionen künftig konzentrieren könnten.
Der Bundeswehreinsatz ist also vorerst ein Nichteinsatz, die Bereitstellung ein Mittel zur wirkungsvolleren Verweigerung. Michael Naumann erklärte der Zeit warum: »Eine Kriegsausweitung in den Irak wäre das 'Abenteuer', dem Gerhard Schröder sich verweigern müsste.«
Denn längst drängeln Europäer und Russen sich auf den lukrativen irakischen Märkten, ohne US-Konkurrenz fürchten zu müssen. Das Lamento über die Opfer des »US-Embargos« gegen den Irak ist zum Entréebillet in die nah-östliche Politik geworden. Joseph Fischers Werben um die arabischen Verbündeten im Kampf gegen den Terror ging im Sommer die Eröffnung einer deutschen Handelsvertretung in Bagdad voran. So engagiert sich die »Interessengemeinschaft Nordafrika und Mittlerer Osten« (NMI) der deutschen Industrie besonders für eine gerechte Lösung der Ursachen des Problems.
Mit im Vorstand der Vereinigung, die Anfang Dezember eine deutsch-arabische Wirtschaftskonferenz in Stuttgart ausrichten will, sitzt Jürgen Möllemann, der seit dem 11. September vor allem vom israelischen »Staatsterrorismus« redet. Das ist das deutsche an der neuen Normalität: Sie wird von dem bekannten lausigen Personal gestaltet, das selbst beim Geschäftemachen von seiner zwanghaften Fixierung auf Israel nicht lassen kann.

veröffentlicht in: jungle world 48 / 2001 vom 21.11.01


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