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Zum Wohle des Volkes

Findet mit der US-Intervention der Krieg im Irak ein Ende?


"Das Ziel des Krieges ist die Abschaffung des Krieges" (Mao Tse-Tung)


Für die Friedensbewegung nicht nur in Deutschland ist die Sache klar. Sie lehnt den möglicherweise bevorstehenden Krieg der USA wie schon die UN-Sanktionen gegen den Irak scharf ab. Damit gerät sie in das Dilemma, ungewollt zum Machterhalt des mörderischen Regimes von Saddam Hussein beizutragen. Umgekehrt steht aber auch die Inkaufnahme der US-Intervention als kleineres Übel vor dem Problem, dass sich die Lage der Bevölkerung durch die militärische Vertreibung des Regimes nicht zwangsläufig bessert.

Gegen Ende des letzten Golfkriegs gab das Präsidentenamt der Republik Irak eine Parole an die regimetreuen Truppen aus, die - eilfertig auf Panzer geschrieben - den Sieg des Baath-Regimes in der "Mutter aller Schlachten" (Saddam Hussein) beschwören sollte: "No more Shias after today". Damit begann der Krieg des Regimes gegen die schiitische Bevölkerung des Südirak, deren Aufstand mit Panzern und Napalm niedergewalzt wurde. Wie zuvor die Kurden wurden auch die Schiiten als Verkörperung feindlicher Aggression betrachtet und Rache an ihnen geübt. Der irakische Baathismus war zu seinem Normalzustand zurückgekehrt - dem Krieg gegen die eigene Bevölkerung.

Seitdem wird dieser Krieg als Friedenszustand fortgesetzt. Die südirakischen Marschen wurden trockengelegt, Flussläufe vergiftet, die Siedlungen der Bewohner zerstört, geschätzte 40.000 Menschen ermordet und eben so viele in Lagern interniert - all dies praktisch unter den Augen der einstigen Anti-Irak-Koalition. Das ist ebenso ein Skandal wie die Normalität der internationalen Politik gegenüber dem irakischen Regime seit Amtsantritt Saddam Husseins. Der regiert seit 1979, hat seitdem zwei Kriege begonnen, die eigene Bevölkerung mit Giftgas bombardiert, über eine Million Zivilisten umgebracht und den korporativen Faschismus seines Vorgängers Al-Bakr zu einem paranoiden Geheimdienststaat umgebaut. Vor diesem Hintergrund ist jede Irakpolitik, sei es die amerikanische oder die europäische, Kriegspolitik - eine Kriegspolitik, die mit der gebräuchlichen Formulierung, der Irak sei als Bollwerk gegen die islamische Revolution im Iran gebraucht und später fallen gelassen worden, nicht ausreichend beschrieben ist.

Denn diese Fixierung der Irakpolitik auf die geostrategische Bedeutung des Landes blendet aus, wie stark Husseins Kriegspolitik in den vergangenen zwanzig Jahren die internationalen Wirtschaftsbeziehungen mit dem Irak geprägt hat. Große Teile des Außenhandels mit dem Irak spielten und spielen sich im Bereich der Rüstung oder sogenannter Dual-Use-Güter ab, d.h. der Lieferung von Technik, Industrieanlagen und Know-How, die gleichzeitig zur Waffenproduktion bis hin zu Massenvernichtungswaffen verwendet werden können. Deutsche Firmen bauten in dieser Zeit zwar nicht ausschließlich "Pestizid-" (sprich Giftgas-) Fabriken und Bunkeranlagen, sondern planierten auch Straßen und belieferten die Erdölindustrie mit Technik. Aber das Missverhältnis zwischen irakischen Investitionen in zivile Bereiche und solchen in die Rüstungs- und Erdölindustrie konnte niemandem entgangen sein. So brachte der irakische Staat binnen weniger Jahre die eigene landwirtschaftliche Produktion, die größtenteils vom Nordirak lebte, fast vollständig zum Erliegen. Die internationalen Außenbeziehungen mit dem Irak verrohten auf diese Weise zur wissentlichen Beihilfe zum Mord an den Kurden - ein Symbol für das Verhältnis zu einem Staat, der sich ideologisch im beständigen Mobilisierungszustand gegen einen äußeren Feind befindet, den er in der Praxis im eigenen Land vernichtet.

Sein oder Nichtsein

Damit sind auch die Bedingungen des aktuellen Konfliktes vorgegeben. Politik erscheint im Irak unter der Herrschaft Saddam Husseins immer nur als Frage von Sein oder Nichtsein; also als Krieg, der auf die Vernichtung des anderen abzielt. Das ist im Umgang mit dem Irak die längst bekannte Norm. Unter Annahme dieser Prämisse ist auch die aktuelle Auseinandersetzung zwischen den USA und Europa in der Irak-Politik nur ein Konflikt zwischen zwei unterschiedlichen Kriegsoptionen: Denn nicht nur der angekündigte Sturz Saddam Husseins, sondern auch die Alternative - die Wahrung des Status Quo und die schleichende Rehabilitierung des Regimes - bedeutet Krieg.

Ein Ende der brutalen Unterdrückung, des Niedermachens und Aushungerns der "feindlichen" Bevölkerung, ist mit dem unreformierbaren Hussein-Regime auf dem Verhandlungswege nicht erreichbar. Das gilt auch für die Bemühungen um eine "neutrale" Vermittlung durch die UN, deren Sanktionen bereits als feindlicher Akt betrachtet und deren Inspektionsteams nicht ins Land gelassen werden. Gleichzeitig nutzt das Regime das Verteilungssystem unter den UN-Sanktionen zum Aushungern der Bevölkerung. Die baathistische Herrschaftsform schließt die neutrale Vermittlung a priori aus, sie duldet keine Schlichtung und keinen Konflikt, dessen Ausgang nicht von Vornherein durch die bereits in die Verfassung des Landes vorgegeben Prämisse bestimmt wird: Danach dient der Baath-Staat immer dem Wohle des irakischen Volkes, das sich in seinem Führer Saddam Hussein verkörpert.

Dabei bedarf die brutale Art, mit der das Regime die Interessen der Bevölkerung dem Willen des "irakischen Volkes" in Person Husseins unterwirft, keiner Krisensituationen: "Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung finden statt auf einer alltäglichen Ebene" (Amnesty International). Der irakische Staat ist nicht nur durch seine Führungspersonen, sondern in seiner gesamten sozialen und politischen Institution einschließlich seiner Rechtsordnung ein verbrecherisches System, oder wie die International Commission of Jurists feststellte, ein Beispiel dafür, wie "ein legales System Unrecht erzeugt". So wie in den 70er Jahren die Kommunistische Partei und ihre Massenorganisationen, in den 80ern die kurdische Bewegung und die Faili-Kurden, später dann südirakische Schiiten verfolgt und ermordet wurden, so richtet sich die Gewalt des Regimes heute gegen jede Schicht und Klasse, die zu Einfluss oder auch nur formulierbaren Eigeninteressen gelangen könnte.

Unrecht durch Völkerrecht

Unter den UN-Sanktionen wurden die letzten Bereiche privater Wirtschaft, die außerhalb der unmittelbaren Kontrolle der herrschenden Elite standen, zerschlagen. Seit Mitte der 90er Jahre wurden als Feinde der nationalen Wirtschaft und Sicherheit regimetreue Devisenhändler und Kaufleute, Lehrer, Universitätsprofessoren und Ärzte verhaftet und ermordet. Wie das UN- Flüchtlingskommissariat feststellte, entsprechen sie alle nicht mehr dem klassischen Profil des politisch Verfolgten.

Verhandlungen mit dem Regime würden diesen alltäglichen Krieg gegen die Bevölkerung fortsetzen, da sie den Fortbestand der Diktatur als Herrschaftssystem voraussetzen. Vor diesem Hintergrund wird auch der formale Schutzmechanismus, den das Völkerrecht seinen Subjekten, den Nationalstaaten, garantiert, nämlich die Unantastbarkeit der Souveränität, zum Unrecht. Freiheit vor Krieg und willkürlicher Unterdrückung herrscht im Irak nur, wo das Völkerrecht nicht gilt: im kurdischen Nordirak, wo das Regime vorübergehend die Kontrolle verloren hat.

So reduziert sich die entscheidende Frage tatsächlich darauf, ob der möglicherweise bevorstehende Krieg der USA dem Krieg im Irak ein Ende bereiten kann. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass die oft beschworene Gefahr eines Machtvakuums nach dem Sturz des Regimes keine Bedrohung, sondern die einzige Hoffnung des Landes und seiner Bevölkerung ist. 1991 hat die Bevölkerung mit ihrem Aufstand, den niemand unterstützte, ein Fenster zur Freiheit aufgetan. Die Angst vor dem unkontrollierbaren Zustand, die zugleich eine vor der Freiheit des Irak von diktatorischer Unterdrückung ist, diktierte eine Politik des sich selbst als "Internationale Staatengemeinschaft" feiernden Westens, die Hussein weder stürzen noch rehabilitieren wollte. Einzig im Nordirak konnte sich aus der Angst der Nachbarländer vor einer Destabilisierung ein selbstverwaltetes Autonomiegebiet etablieren, in dem die Menschen zumindest außerhalb der unmittelbaren Herrschaft Saddam Husseins leben können. Aus dieser Perspektive - nicht aber aus jener, die den Krieg gegen das Hussein-Regime und damit dessen Sturz apodiktisch ablehnt - erschließt sich die Tragik der irakischen Opposition, die auf die Unterstützung eines interessierten Dritten angewiesen ist, um das hochmilitarisierte Regime zu stürzen: Ein besserer Dritter als die USA ist derzeit nicht zu haben.

In der momentanen Irak-Politik der USA spielen natürlich weder die Bevölkerung noch die Perspektive auf einen demokratischen Irak eine zentrale Rolle. Dass der angekündigte Krieg der USA nicht darauf zielt, die diktatorische Herrschaft im Irak zu beenden, sondern lediglich das Personal auszutauschen, muss der irakischen Opposition nicht erläutert werden. Die Iraker haben in den letzten dreißig Jahren oft genug erfahren müssen, dass der Westen kein Interesse an ihrem Wohlergehen hat. Wenn nun aber trotzdem der Druck, den neuerdings die USA gegen Saddam Hussein ausüben, indirekt von der irakischen Opposition begrüßt wird, dann nicht, weil man sich von den USA einen demokratischen Irak erhofft, sondern sich erstmalig wieder Handlungsperspektiven eröffnen.

Beginnt der Untergang?

Die Chancen auf ein Ende des Krieges steigen und fallen bei einem möglichen Sturz Saddams mit der Rolle der Opposition, die anders als die Nordallianz in Afghanistan die Bevölkerung nicht unterdrückte. In den Bagdader Vierteln "Saddam City", Kadmiyah oder Admiyah, wo dem Baathregime die effektive Kontrolle der Bevölkerung immer schwerer fällt, in den südirakischen Städten Amara oder Basra und im kurdischen Nordirak warten die Menschen ungeduldig auf den Beginn des Untergangs von Saddam Husseins. "Normale Iraker würden jedes neues Regime mit großer Erleichterung begrüßen" erklärte deshalb lakonisch Mustafa Alani, Mitarbeiter des Londoner Royal United Services Institute der BBC. Saddam Hussein dagegen habe in der Bevölkerung keinerlei Unterstützung.

All jene Oppositionsparteien, die über eine Unterstützung im Land selbst verfügen (also vor allem die kurdischen Parteien, die Kommunisten und Schiiten), haben noch nicht entschieden, ob sie ein Vorgehen der US-Amerikaner unterstützen oder nicht. Sie begründen dies damit, dass die USA ihnen noch keine positive Perspektive einer Post-Saddam-Ära im Irak offeriert haben. Damit verhalten sie sich so instrumentell zum Kriege, wie Engels und später Lenin und Mao dies vorgegeben haben: Dass "der Militarismus untergehen (möge) an der Dialektik seiner eigenen Entwicklung". Sie stellen die zentrale Frage, ob ein Krieg der Abschaffung des Krieges dient und die Gewalt ihrer eigenen Aufhebung. Im Falle des Irak wäre also zu diskutieren, ob durch die US-Intervention der seit 30 Jahren gegen die eigene Bevölkerung geführte Krieg des Regimes ein Ende fände. Denn letzteres wäre die Voraussetzung jeder Veränderung zum Besseren.

Thomas Uwer und Thomas v. der Osten-Sacken sind Mitarbeiter der entwicklungspolitischen Organisation wadi e.V., die u.a. die kurdische Bevölkerung im Nordirak unterstützt.

erschienen in Blätter des iz3w Nr. 260 April/ Mai 2002


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