"Widerstandskrieg" gegen die eigene Bevölkerung
Bei den blutigen Terroraktionen im Irak handelt es sich um keinen Freiheitskrieg gegen die Besatzer und ihre Verbündeten, sondern um den Kampf zur Errichtung einer radikalislamistischen Diktatur, meint Thomas Schmidinger.
Bereits bevor sich die Anschläge einzelner ba’thistischer
und radikalislamistischer Desperados im Zentralirak zu einem organisierten
Guerillakrieg entwickelten, begannen die europäischen Medien ehrfurchtsvoll
von „Widerstandskämpfern“ oder gar „Freiheitskämpfern“
zu sprechen, die - so der implizite Subtext - mehr oder weniger legitimen
Widerstand gegen eine fremde Besatzungsarmee leisteten, deren Krieg
„wir Europäer“ ja immer schon abgelehnt hatten. Die
immer den AraberInnen zugeschriebene Logik, dass der Feind meines Feindes
mein Freund ist, scheint selbst zum Maßstab für die europäische
Öffentlichkeit geworden zu sein. In der Rivalität mit den
USA werden zunehmend alle, die gegen diese USA zu Felde ziehen, als
potenzielle Verbündete oder zumindest als nützliche Idioten
gesehen.
Dass es sich bei den unterschiedlichen rivalisierenden Terrorgruppen
im Irak nicht um den Vietkong und bei Zarqawi oder al-Sadr nicht um
Che Guevara handelt, wird dabei genauso übersehen wie die Tatsache,
dass sich der Krieg der verschiedenen radikalislamistischen und ba’thistischen
Rackets primär gegen die eigene Bevölkerung richtet. Längst
sind es vor allem so genannte „weiche Ziele“, also irakische
ZivilistInnen, die den Selbstmordanschlägen und Autobomben zum
Opfer fallen und keine bewaffneten Soldaten. Dass auch die Opfer von
Entführungen Journalisten, MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen,
türkische LKW-Fahrer oder nepalesische Gastarbeiter sind, hält
europäische JournalistInnen nicht davon ab, mit einem gewissen
Respekt von „Widerstandskämpfern“ zu sprechen, deren
Methoden zwar abzulehnen sind, deren Ziele aber irgendwie legitim erscheinen.
Was sind aber nun diese Ziele der Entführer und Selbstmordattentäter?
Würde sich jemand die Mühe machen, die Erklärungen dieser
Gruppierungen zu lesen, könnten z.B. folgende Worte einem in Bagdad
verteilten Flugblatt entnommen werden, mit dem sich die sunnitischen
„Aufständischen“ in Faluja bereits Ende April mit den
schiitischen Extremisten um Muqtada al-Sadr solidarisierten:
„Wir, [...] erklären, dass wir euch [...] zur Förderung
des Islam und der Muslime gegen die Heiden, Besatzer, Eroberer und habgierige
unreine Juden unterstützen, die den reinen Boden und die heiligen
Städte verunreinigt haben.
Wir stehen hinter Muqtada El-Sadr [...] aufgrund seiner Haltung betreffend
die Befreiung des Irak von den aggressiven Heiden, die unsere Alten,
Wissenschafter und religiösen Gelehrten angegriffen haben. Wir
alle erklären unsere Bereitschaft zur Befreiung der Heimat, Förderung
und Erweiterung der Religion Gottes auf der ganzen Welt. Wir unterstützen
sie in ihrem Jihad, im Krieg gegen die Ungläubigen als religiöse
Pflicht.“
Es geht also um Blut und Boden, Heimat, einen expansionistischen Islam
und den Kampf gegen Ungläubige und Juden. Es geht nicht um Befreiung,
sondern um die Errichtung einer radikalislamistischen Diktatur, die
alle jene, die nicht in dieses Bild des Islam passen, das sich die selbsternannten
Retter der Heimat und des Islam machen, ausgrenzen und verfolgen würde.
Für irakische KommunistInnen, Liberale, DemokratInnen, FeministInnen,
Homosexuelle oder Angehörige religiöser Minderheiten wäre
in einem von diesen Gruppierungen „befreiten“ Irak kein
Platz. Gegen einen solchen Irak wäre die Diktatur im Iran, der
seit der islamischen Revolution Zehntausende Oppositionelle, Frauen
mit „unmoralischem Lebenswandel“, Bahai, Schwule und Lesben
zum Opfer gefallen sind, eine Musterdemokratie.
Allerdings wird den rivalisierenden Banden im Irak keine Machtübernahme gelingen. Dafür zeigen sich schon jetzt zu deutlich die Rivalitäten innerhalb der Terrorgruppen. Wenn auch der „gemeinsame Feind“ immer wieder zu Solidarisierungen unterschiedlicher sunnitischer Terrorgruppen mit der schiitischen Mahdi-Miliz Muqtada al-Sadrs führten, so kam es zugleich schon mehrfach zu Anschlägen gegen religiöse Feiern und Gebetsstätten der Schiiten, die von sunnitischen Extremisten als „Affen und Schweine, die schlimmer als die Juden sind“, betrachtet werden. Was einem Scheitern der irakischen Regierung folgen würde, wäre kein radikal-islamistisches Regime, sondern ein langjähriger Bürgerkrieg rivalisierender nationalistischer und jihadistischer Rackets.
Nicht zuletzt deshalb ist es der aus Kommunisten, Nationalisten, Kurden
und gemäßigten Islamisten zusammengetzten irakischen Regierung
zu wünschen, dass sie die Sicherheitslage im Lande rasch in den
Griff bekommt und tatsächlich freie Wahlen vorbereiten kann. Während
in österreichischen Medien jedoch ausschließlich die Katastrophenmeldungen
über den Irak dominieren, gibt es sehr wohl auch positive Nachrichten,
die allerdings kaum beachtet werden. Das Überraschendste ist dabei
wohl die ökonomische Entwicklung des Landes. Die Löhne sind
seit 2003 im ganzen Land rapide gestiegen.
Exil-IrakerInnen, deren Überweisungen seit 1991 oft die einzige
Einkommensquelle für ihre zurückgebliebenen Familien darstellten,
wurden in den letzten Monaten immer wieder dankend darauf hingewiesen,
dass ihre Zuwendungen nicht mehr benötigt werden. Insbesondere
im kurdischen Norden boomen Investitionen. Neue Häuser, Supermärkte
und Geschäfte werden aus dem Boden gestampft. Gelänge es,
auch die Sicherheitslage zu stabilisieren, könnte der Irak zu einem
der prosperierendsten Länder des Mittleren Ostens werden.
Thomas Schmidinger ist Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaften in Wien, Redakteur der Zeitschrift Context XXI und Mitarbeiter der im Irak tätigen Hilfsorganisation Wadi. Eben ist im ça ira-Verlag das von ihm und Mary Kreutzer herausgegebene Buch "Irak - Von der Republik der Angst zur bürgerlichen Demokratie?" erschienen.
erschienen in: Südwind Magazin 10 / 2004