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"Wichtiger Schritt zur Demokratie"

Wahlbeobachter im Irak: Interview mit Martin Roddewig

Suleymaniah/Leipzig. Gestern wählten die Iraker das erste reguläre Parlament seit dem Sturz Saddams. Der 40-jährige Berliner Martin Roddewig von der deutsch-österreichischen Hilfsorganisation Wadi ist als einer der wenigen deutschen Wahlbeobachter seit zwei Wochen im Nordirak.

Frage: In Mossul explodierte zum Wahlauftakt ein Sprengsatz. Wie ist die Lage in Suleymaniah?

Martin Roddewig: In Mossul im Nordwesten des Irak ist die Situation angespannter als hier in Suleymaniah im Grenzgebiet zum Iran. Die Lage ist ruhig, die Menschen gehen zur Wahl. Es herrscht ein Fahrverbot, was zur Sicherheit beiträgt. Hier leben nur Kurden, keine Schiiten und Sunniten, so dass es keine ethnischen Konflikte gibt.

Wie ist die Wahlbeteiligung?

Sie ist etwa so hoch wie beim Verfassungsreferendum im Oktober. Die Stimmung ist nicht zu vergleichen mit der Euphorie, die im Januar herrschte bei der Wahl des Übergangsparlaments. Da waren die Menschen noch voller Hoffnung. Inzwischen macht sich Resignation breit.

Warum, weil sich die Lage nicht so verändert hat, wie die Iraker es erwarteten?

Ja, die Menschen haben nach der ersten Wahl gehofft, dass sich ihre Lebensbedingungen verbessern werden. Strom gibt es nach wie vor nur vier bis sechs Stunden am Tag. Die Preise für Lebensmittel und Wohnraum explodieren. Vor allem die jüngeren Leute äußern darüber ihren Unmut.

Streben die Kurden im Nordirak eine Autonomie, einen eigenen Staat an?

Ich bin seit 1992 regelmäßig im Nordirak und höre solche Forderungen vereinzelt immer mal wieder. Aber ein ausgesprochener Separatismus ist mir bisher nie begegnet. Die Leute sagen zwar, sie seien in erster Linie Kurden, fühlen sich aber ebenso als Iraker.

Wie ist das Verhältnis der Kurden zu den Amerikanern?

Hier in Suleymaniah, auch in Erbil, habe ich keine US-Soldaten mehr gesehen, nur irakische Sicherheitskräfte, die den Schutz schon voll übernommen haben. In Mossul und Kirkuk sind an den Stadtgrenzen noch Amerikaner stationiert. Dort ist es insgesamt konfliktreicher.

Was erwarten Sie als politischer Beobachter von den Wahlen?

Für den Irak ist das ein wichtiger Schritt in Richtung demokratische Selbstständigkeit und Legitimität. Alle Beteiligten geben sich große Mühe, wirklich demokratische, also freie und faire Wahlen durchzuführen. Nach meiner Beobachtung gelingt das auch. Eine demokratisch legitimierte irakische Regierung steht doch ganz anders da, national und international, und ist ein Stabilisierungsfaktor.

Welche Parteien sind im Nordirak die Favoriten?

Die Patriotische Union Kurdistans und die Kurdische Demokratische Partei - und von den Gruppierungen, die im ganzen Land antreten, eigentlich nur die von Ijad Allawi: die Partei des Chefs der ersten Übergangsregierung. Insgesamt treten weit über 200 Listen und Parteien an, die meisten aber nur regional.

Haben Sie Unregelmäßigkeiten festgestellt?

Ja, es gab Unmut, weil Bürger, die ihre Stimme abgeben wollten, dies nicht konnten, da sie nicht auf den Wählerlisten standen. Heute Morgen war ich in Halabdschda, unweit von Suleymaniah, direkt an der Grenze zum Iran. Dort habe ich das erlebt. Es betraf etwa 1000 Iraker, größtenteils wahrscheinlich Rückkehrer, die noch nicht erfasst wurden.

Auch diese Wahl wird das Sicherheitsproblem des Irak, die täglichen Terroranschläge, nicht lösen...

.... von Deutschland aus ist die Wahrnehmung eine andere. Da stehen die furchtbaren Anschläge im Fokus. Die Unruhen betreffen etwa ein Viertel des Irak, Städte wie Bagdad oder Falludscha. Der größte Teil des Landes ist relativ sicher.

Interview: Anita Kecke
© Archiv - Leipziger Volkszeitung


Artikel erschienen in der Leipziger Volkszeitung am 16.12.2005


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