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03.04.2003 | aufbauonline.com | von Thomas Schmidinger

Der Westen als Vorbild

Verhaltene Proteste in der arabischen Welt

Heftige Proteste in den arabischen Staaten gegen den Angriff der "Koalition der Willigen" auf den Irak waren zu erwarten. Obwohl Scheich Tantawi, der Leiter der Kairoer Al-Azhar-Universität, noch Tage vor Kriegsbeginn die Gläubigen zum Jihad gegen die USA aufgerufen hatte, blieben die Reaktionen auf den Angriff jedoch selbst unter den Studierenden dieser wichtigsten religiösen Universität des sunnitischen Islam eher zurückhaltend.

In Kairo nahmen selbst an den größten Kundgebungen nur 30.000 Demonstranten teil, ihre Zahl blieb damit weit hinter der europäischer Metropolen zurück. Die Sicherheitskräfte, die in Ägypten sonst jede Demonstration bereits im Keim ersticken, beließen es diesmal dabei, den Volkszorn in kontrollierbaren Bahnen zu halten.

In fast allen arabischen Hauptstädten spielten sich ähnliche Szenen ab. Aufgeheizte Demonstrationen richteten sich gegen die USA und - wie in solchen Fällen üblich - auch gegen "den zionistischen Feind". Zu Ausschreitungen kam es jedoch erst, wenn die Demonstranten versuchten, amerikanische Einrichtungen anzugreifen und von der Polizei davon abgehalten wurden. Nur im Jemen, wo Zehntausende nach dem Freitagsgebet in Richtung US-Botschaft zogen, starben bei Auseinandersetzungen drei Demonstranten und ein Polizist.

Wirkliche Begeisterung für Saddam Hussein wollte aber fast nur in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten aufkommen. Im Gegensatz zur vollen Unterstützung, welche die PLO-Führung Saddam Hussein 1991 gewährt hatte, hielten sich diesmal selbst führende palästinensische Politiker mit Loyalitätsbezeugungen zurück. International besonders beachtet wurde das Schweigen des gemäßigten neuen palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas. Überhaupt legten zwar fast alle arabischen Regierungen lautstarken Protest gegen den Angriff der USA, Großbritanniens und ihrer Verbündeten ein, ließen es jedoch vorerst bei symbolischen Protesten bewenden.

Die meisten arabischen Politiker scheinen eher abwarten zu wollen, als sich auf die Seite des sicheren Verlierers zu stellen und damit Gefahr zu laufen, zur "Achse des Bösen" gezählt zu werden. Öffentliche Proteste dienen eher der Befriedigung des Volkszornes im eigenen Lande und werden etwa im Falle Jordaniens durch die de facto Unterstützung für die Truppen der "Koalition der Willigen" unglaubwürdig, die auch vom Osten des Königreiches aus operieren.

Allerdings sind die Proteste bei jenen Regimen ernst gemeint, die im Falle eines Erfolgs der Militärintervention selbst fürchten müssen, unter Druck zu geraten. Die verbal verkündeten Ziele einer Demokratisierung der gesamten Region haben schließlich mit dazu beigetragen, dass sich auch in anderen prowestlichen, wenn auch keineswegs demokratischen arabischen Staaten kurzfristig mehr partielle Freiräume ergeben als früher.

Im autoritären "Gottesstaat" Saudi-Arabien hatten unmittelbar vor den Angriffen auf den Irak über 100 Intellektuelle in einem Memorandum zwar den geplanten Krieg verurteilt, aber zugleich eine rasche Demokratisierung des Landes gefordert; für Saudi-Arabien ein sehr mutiger Schritt. In Kairo wurde eine Woche vor Kriegsbeginn der bekannte Bürgerrechtler Saad Ed-din Ibrahim nach einer zweijährigen Haftstrafe in einer Berufungsverhandlung freigesprochen. Auch wenn sich diese Ereignisse nicht unmittelbar auf die Demokratisierungsforderungen zurückführen lassen, so zeigen sie doch, dass es vorerst zu keinem Schulterschluss der arabischen Regime und Bevölkerungen gekommen ist.

Die viel gerühmte "Arabische Straße", die einfache Bevölkerung in den arabischen Staaten, scheint vorerst andere Probleme zu haben als sich für das Regime Saddam Hussein ins Zeug zu legen. Die Befürchtungen vieler BürgerInnen arabischer Staaten scheinen sich eher auf die Verschlechterung ihrer konkreten Lebensituation durch ökonomische Auswirkungen des Krieges zu beziehen. In ihrer unmittelbar vor Ausbruch der Kampfhandlungen erschienen Ausgabe zitiert die ägyptische Zeitung "Al-Ahram Weekly" einen Schmied aus Unterägypten, der befürchtete, dass die ohnehin schlechte wirtschaftliche Situation durch einen Krieg noch schlimmer werden könnte. Der Schmied meinte: "Wollen sie wirklich, dass die Leute hier einfach ihren Arbeitsplatz aufgeben um zu demonstrieren? Wenn sie am nächsten Tag zurückkehren, werden sie ihren Job verloren haben."

Teilweise sieht es fast so aus, als würden die arabischen Proteste von den europäischen Demonstrationen vorangetrieben - und nicht umgekehrt. In der oberägyptischen Stadt Menya erklärte Mohamed Said der "Al-Ahram Weekly": "Wir hören von den Protesten im Westen und wir sind die Letzten, die agieren. Wir hätten schon längst mit den Protesten beginnen sollen."

Auch in den großen arabischen Tageszeitungen ist das Bild, das den LeserInnen vermittelt wird, keineswegs einheitlich. Zwar wird fast einhellig der Angriff auf den Irak verurteilt und der teilweise erfolgreiche Widerstand der irakischen Truppen gefeiert, allerdings berichtet die vor allem von Intellektuellen gelesene Londoner "Al-Sharq al-Awsat" seit einigen Tagen deutlich kritischer über den Irak und stellt auch die Berichterstattung in den meisten arabischen Tages- und Wochenzeitungen in Frage. Insbesondere der Chefredakteur Abd al-Rahman al-Rashid kritisiert seit Tagen die Ausblendung der Verbrechen des irakischen Regimes und das Verschweigen der Positionen der irakischen Opposition. Am 24. März fragte er in einer Kolummne: "Was geschah mit den vier Millionen Irakern, die vor dem gegenwärtigen System flohen und die alle nur das Ende des jetzigen Regimes fordern? Alles was gezeigt wird, sind die Stimmen der anderen Araber, der Syrer, Saudis, Ägypter und Palästinenser."

Zur Zeit scheint bei allen Protesten gegen den Angriff auf den Irak sowohl in der arabischen Medienlandschaft, die mit wenigen Ausnahmen wie der "Al-Sharq al-Awsat" meist eng mit den jeweiligen Regimen verbunden ist, als auch in der Politik primär Abwarten angesagt. Ob die derzeitige Welle des Antiamerikanismus in der arabischen und muslimischen Welt schnell wieder auf das normale Maß antiwestlicher Emotionen abebbt oder zu einem ernsthaften Problem für die USA und ihre Verbündeten wird, dürfte primär vom weiteren Kriegsverlauf abhängen. Sollten die Fehleinschätzungen des irakischen Widerstands durch das Pentagon zu langen Kämpfen um die irakischen Städte, und damit zu hohen Opferzahlen in der Zivilbevölkerung führen, könnte es mit der abwartenden Haltung der arabischen Öffentlichkeit bald vorbei sein. Insbesondere, wenn sich britische und US-amerikanische Militärs, um eigene Verluste gering zu halten, für ein lange andauerndes Bomdardement der Städte entscheiden sollten, würden sich ihre Chancen, von der n Irakis als Befreier akzeptiert zu werden dramatisch reduzieren.

Dann könnte es auch nicht bei einem einzelnen Selbstmordanschlag, bei dem in Najaf am vergangenen Samstag fünf US-Soldaten ums Leben kamen, bleiben. Die arabischen Reaktionen auf einen längeren Kampf gegen eine Armee, die teilweise auf eine Guerillataktik zu setzen scheint, würden sicher anders ausfallen als bei einem schnellen militärischen Erfolg, der mit einer partiellen Unterstützung der irakischen Bevölkerung rechnen könnte. Die künftigen Reaktionen in der arabischen Welt werden somit unmittelbar mit dem Verlauf der Kämpfe in den nächsten Tagen und Wochen zusammenhängen.


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