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21.07.2005 | Leipziger Volkszeitung

"Verbrechern keine Zugeständnisse machen"

Deutscher Entwicklungshelfer Thomas von der Osten-Sacken über die Lage im Pulverfass Irak


Leipzig/Frankfurt a. Main.
Thomas von der Osten-Sacken, Geschäftsführer der Hilfsorganisation Wadi kehrte nach mehrwöchigem Einsatz aus dem Irak zurück. Der 36-jährige Frankfurter ist einer der Wenigen, die sich überhaupt noch in den Irak trauen.

Frage: Wo waren Sie im Irak und welche Projekte haben Sie betreut?

Th. v. d. Osten-Sacken: Diesmal war ich für knapp vier Wochen im Nordirak, hauptsächlich in Sulaimaniya und Erbil, wo der Verein Wadi Verbindungsbüros hat. Unsere Programme dienen vor allem der Stärkung der Rechte der Frauen. Wir unterstützen Frauenschutzhäuser, wo Opfer von Gewalt Zuflucht finden. Dann bilden wir Frauenteams, bei denen immer eine Ärztin dabei ist, die in abgelegene Dörfer gehen und dort - häufig zum ersten Mal - die Frauen medizinisch betreuen. Außerdem starten wir eine Kampagne gegen die Beschneidung von Frauen. Dieser Verstümmelung fallen viele kurdische Mädchen im Nordirak zum Opfer, und das war bisher ein Tabu-Thema.

Arbeiten Sie überwiegend mit deutschen Helfern?

Nein, ich war der einzige Deutsche. Wir arbeiten seit zwölf Jahren dort, bringen die Projekte zum Laufen und finanzieren sie aus Spendenmitteln. Alles andere machen die Iraker selbst. Es sollen doch selbstständige Strukturen entstehen, die auch ohne uns funktionieren.

Wie empfanden Sie die Sicherheitslage?

In Kirkuk, Erbil und Halabschah gab es Anschläge mit Toten und Verletzten. Aber im Nordirak ist die Situation nicht so schlimm wie im sunnitischen Dreieck um Bagdad. Ich vergleiche die Lage im Nordirak mit der in Israel: Nie ganz sicher, aber so, dass das normale Leben funktioniert.

Und wie sind die Lebensbedingungen im Nordirak?

Der Norden ist so etwas wie das Dorado im Irak. Es herrscht ein regelrechter Bauboom. Überall wachsen Häuser, Supermärkte und Hotels. Auch die Strom- und Wasserversorgung hat sich verbessert. Es gibt etwa 14 Stunden Strom am Tag. Doch die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch. Die Verwaltung ist der größte Arbeitgeber.

Akzeptieren die Kurden die neue irakische Regierung in Bagdad?

In Kurdistan betrachtet man die Regierung eher mit Skepsis, besonders die streng islamischen Parteien und die nationalistisch geprägten arabischen Sunniten. Die Kurden wollen einen säkularen, föderalen Staat. Sie fürchten, dass die Schiiten das islamische Recht in der neuen Verfassung verankern.

Würde es die Sicherheitslage verbessern, wenn die US-Truppen abzögen?

Nein. Verbrechern, die nicht davor zurückschrecken, Kinder in die Luft zu sprengen, darf man keine Zugeständnisse machen. Die muss man bekämpfen. Das sind meist keine Iraker, sondern ausländische Terroristen, die von der Bevölkerung gehasst werden. Erst wenn die irakische Armee und Polizei selbst für Sicherheit sorgen können, kann die US-Armee die Koffer packen.

Gibt es Hoffnung für den Irak?

Natürlich. Die Iraker haben nicht vergessen, welche Gewalt und Barbarei unter Saddam Hussein herrschte. Die Anschläge halten die positiven Entwicklungen leider immer wieder auf. Interview: Anita Kecke


© Leipziger Volkszeitung


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