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Jagd auf die Yankees

Europa meldet eigene Ansprüche im Nahen Osten an - gegen die USA und Israel, mit Muammar al-Gaddafi und Saddam Hussein

Von Thomas von ver Osten-Sacken und Thomas Uwer

Die Israel-Krise zeigt vor allem eines: Dem Kollaps US-amerikanischer Hegemonialpolitik am Golf folgt eine Aufhebung der Regeln, die dort den Verteilungskampf organisierten. Mit einem Jahrzehnt Verspätung ist die Blockauflösung der post-sozialistischen Ära damit auch im Nahen Osten angekommen: Das fragile Gleichgewicht zwischen Panarabisten, Öloligarchen und Islamisten droht im nationalen Aufstand gegen Israel zerstört zu werden.

Mit der Nichtumsetzung des in Sharm el Sheikh beschlossenen Waffenstillstands scheinen alle Versuche der USA, den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern mittels Verhandlungen zu schlichten, gescheitert. Nach der am Freitagabend beschlossenen Resolution der UN-Vollversammlung, die Israel einseitig wegen der Anwendung »exzessiver Gewalt« gegenüber Zivilisten verurteilt, hat sich eine klar anti-israelische Position gegenüber allen neutralen Vermittlungsversuchen durchgesetzt.

Noch am 7. Oktober konnte der Vertreter der US-amerikanischen Regierung im UN-Sicherheitsrat, Richard Holbrooke, die europäischen Mitgliedstaaten zu einer abgeschwächten Resolution bewegen, die zwar die Anwendung von Gewalt verurteilte, Israel aber nicht namentlich angriff. Im Gegenzug machten die USA nicht von ihrem Veto-Recht Gebrauch und ließen so eine Resolution passieren, die angesichts der Gewaltanwendung beider Seiten den Israelis bereits klar signalisierte, dass sie wenig internationale Unterstützung erwarten können.

Mit der aktuellen Entschließung der Vollversammlung haben die europäischen Staaten nun den von den USA bemühten Konsens aufgekündigt. Neun der 15 EU-Staaten unterstützten den arabischen Antrag, darunter Frankreich und Österreich, während sich die restlichen sechs Staaten ihrer Stimme enthielten. Sie machten damit deutlich, dass eine gemeinsame europäisch-amerikanische Haltung gegenüber den Konfliktparteien nicht weiter erwünscht ist.

Das Abstimmungsverhalten der Europäer ist nur eine weitere Schlappe in einer nicht enden wollenden Folge von Niederlagen US-amerikanischer Nah-Ost-Politik. Die Vorwürfe arabischer Staaten in der UN-Vollversammlung sind keineswegs neu. Libyen forderte beispielsweise 1983, »den historischen Irrtum« Israel auszulöschen, um »die Völker der Welt vor diesem faschistischen Wesen« zu retten. Solche Anträge wurden von den europäischen Staaten bislang immer zurückgewiesen. Die jetzt veränderte Haltung der Europäer ist ein offener Aufruhr gegen die 1991 als »neue Weltordnung« angekündigte Befriedung des Nahen Ostens unter US-amerikanischer Hegemonie. Und damit ein Spiegel europäischer Partikularinteressen.

Fraglos ist der europäische Vorstoß nicht vom Entsetzen über die Bilder erschossener palästinensischer Jugendlicher getragen, sondern Teil einer eigenen Nah-Ost-Politik, die - anders als die der USA - auch ohne einen Friedensschluss zwischen Israel und den arabischen Staaten auszukommen glaubt. Die europäische Politik resultiert dabei aus der amerikanischen Schwäche.

Überall dort, wo deren Politik gescheitert ist, treten die europäischen Regierungen auf den Plan. Beispielsweise im Iran, wo das einseitige US-Embargo Mitte der neunziger Jahre französischen Ölkonzernen die Übernahme US-amerikanischer Lizenzen bescherte und Bundeswirtschaftsminister Werner Müller samt einer Delegation deutscher Industrieller kürzlich erfolgreich den »kritischen Dialog« fortsetzte. Oder im Irak, wo Frankreich und Russland Ende September den internationalen Saddam-Flughafen wieder eröffneten und sich nach Auskunft der Baath-Regierung bereits eine Million Freiwillige für den heiligen Krieg gegen Israel gemeldet haben. Ideologisch verbrämt wird dies mit der Forderung nach einer europäischen Nah-Ost-Politik als Gegengewicht zur gescheiterten Pax Americana.

So werden derzeit europäische Kapitalinteressen bevorzugt als Imperialismuskritik vorgetragen. Man wirft den USA vor, lediglich eigene ökonomische und strategische Interessen zu vertreten. Empört stellte beispielsweise Werner Pirker in der jungen Welt fest, Clinton hätte »nicht (...) die soziale Emanzipation der Palästinenser im Sinn«. Diese Kritik wird zu einem Zeitpunkt laut, zu dem den USA zusehends die Kontrolle über die nah-östlichen Märkte entgleitet. Denn ihre wirtschaftliche Hegemonie ist von der politisch-militärischen nicht zu trennen. Um sie aufrechtzuerhalten, zielte ihre Politik auf Stabilität und Kontrolle in einer feindseligen und verfeindeten Region.

Die Mittel, die sie dazu einsetzte, sind bekannt: Die arabischen Staaten wurden in einem feindlichen Gleichgewicht gehalten mit dem Ziel, sie zu neutralisieren. Damit sollte einerseits der offene Ausbruch der Gewalt zwischen den Staaten - und ein potenziell außer Kontrolle geratender Krieg, der auch die Oligarchien und Herrschaftseliten am Golf gefährden könnte - vermieden werden. Zugleich sollte eine Einigung der Staaten gegen US-amerikanische Interessen verhindert werden.

Die US-Strategie war also weder Kriegs- noch Friedenspolitik, sondern in erster Linie Kontrolle durch beständiges Abwägen. Dass ein freier Zugang zu den nah-östlichen Rohstoffmärkten und eine Aufrechterhaltung der strategischen Vormachtstellung nur durch eine relative Ruhe im Nahen Osten zu erreichen seien, war die maßgebliche Doktrin der neunziger Jahre.

Dieser Doktrin ist beispielsweise die Irak-Politik geschuldet, die Saddam Hussein kaltstellt, ohne zugleich eine tragfähige Alternative zur Hand zu haben. Das irakische Beispiel zeigt zugleich die Widersprüchlichkeit dieser Politik. Für die Aufrechterhaltung des Status quo in der Region wurde auch auf die Abschöpfung des irakischen Reichtums verzichtet. Um genau diesen Reichtum brechen jetzt die Verteilungskämpfe aus. Wer auf dem irakischen Markt auftreten will, löst automatisch ein anti-amerikanisches Ticket.

Jede Annäherung an den Irak unterminiert direkt die US-Politik und wird auch genau so verstanden: sowohl von den USA als auch von ihren erklärten Feinden. Während die irakische Regierung ihren Außenhandel vom US-Dollar auf den Euro umstellt, verknüpft Ussama Bin Laden neuerdings die Befreiung des Irak mit der Palästinas; und auf den Straßen von Hebron und Nablus werden wieder Bilder Saddam Husseins geschwenkt.

Die Gefahr, die angesichts des palästinensischen Aufstandes beschworen wird, resultiert direkt aus der Schwäche der USA - und damit aus dem Bedeutungsgewinn europäischer Nah-Ost-Politik, die ihre Partikularinteressen lediglich über die nationale Mobilisierung arabischer Staaten durchsetzen kann. Als national-religiöser Aufstand gegen die israelisch-amerikanische Nah-Ost-Dominanz, wie nicht nur Bin Laden, der Irak oder die Hamas die »Al Aksa-Intifada« sehen, ist diese eine Gefahr nicht nur für Israel, sondern auch für die Regierungen seiner Nachbarländer.

Die berechtigte Unzufriedenheit der arabischen Bevölkerung mit ihren Existenzbedingungen entzündet sich seit 1947 an der vermeintlichen Dependance des Westens in der Region, an Israel. Die arabischen Regierungen haben diesen Hass selbst unablässig geschürt, ihn andererseits aber zu kanalisieren versucht. Die Unzufriedenheit, die sich auf den Straßen am Hassobjekt Israel entlädt, droht sich immer auch gegen die eigene Herrschaft zu richten. So wird schon jetzt bezweifelt, ob Yassir Arafat tatsächlich noch die Kontrolle über den Aufstand besitzt. Während er in Sharm el Sheikh einen Waffenstillstand aushandelte, beschossen palästinensische Scharfschützen das jüdische Viertel Gilo in Jerusalem und machten ihn de facto verhandlungsunfähig.

Entsprechend ratlos reagieren Ägypten und Jordanien, deren vermittelnde Rolle nur unter US-amerikanischer Hegemonie Sinn ergibt. Ihnen blieb auf dem arabischen Gipfel wenig mehr, als mit Lippenbekenntnissen für die Sache der Palästinenser die eigene Bevölkerung zu beruhigen.

Das Stratfor Institute, ein konservativer außenpolitischer Think Tank aus den USA, befürchtet, dass weit mehr auf dem Spiel steht als die Osloer Friedensverträge: »In dieser Situation stellt sich eine noch finsterere Frage: Können die Camp-David-Ergebnisse zwischen Israel und Ägypten den aktuellen Druck überleben? Wir sind an einem anderen Punkt angelangt, einem ganz neuen, unfreundlichen und gefährlichen Punkt.« Die Stars des arabischen Gipfels stehen bereits fest: Iraks Vizepräsident Tarik Aziz und Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi, beide erklärte Feinde des Camp-David-Abkommens von 1977 und Vertreter der europäischen Option.

(Ende Oktober 2000)


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