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"... auf dem Weg zu einer Weltfriedensordnung"

Als amerikanische Marschflugkörper im Dezember irakische Militärbasen angriffen, schaltete das ZDF eine Sondersendung unter dem Titel: "Die Schöne und das Biest". Eingeblendet wurden Lewinsky und Hussein, gemeint waren Lewinsky und Clinton. "Wer wird noch nach Sex und Kriminalität im Weißen Haus fragen," fragte die UZ ihre der Aufklärung verpflichteten Leser, "wenn die TV-Sender rund um die Uhr von den glorreichen militärischen Schlägen gegen den zum Todfeind hochstilisierten Irak berichten?", und lieferte damit die Antwort gleich mit. Bill Clintons "Oralgeddon" (Ha´aretz) hat das Feindbild USA nicht unbedingt bereichert, aber salonfähig gemacht. Wer immer schon wußte, daß die us-amerikanische Politik vornehmlich von Geldgier, Sex und Intrigen geleitet ist, findet sich jetzt im Mainstream wieder. Daher wird auch das Ende des Impeachment-Verfahrens nichts daran ändern, daß acht Jahre nach dem Golfkrieg nicht mehr Hussein, sondern Clinton die Rolle des "Irren von Bagdad" spielen muß. Ähnlich dem alten ist auch das neue Bild des irren Despoten lediglich ein Ausdruck manifester politischer und ökonomischer Interessen, nur im Gegensatz zu 1991 nicht im Verbund mit, sondern gegen die USA. Jürgen Gottschlich hat in der "taz" auf den Punkt gebracht, worum es diesmal geht: "Man muß nicht gleich von der neuen Weltmacht Europa reden, nur weil an diesem 1. Januar der Euro gut gestartet ist. Doch langfristig ist die Europäische Union ganz sicher eine vielversprechendere Vision als die Pax Americana."

Es scheint das Schicksal der Vereinten Nationen zu sein, daß ihre vermeintliche Neutralität außer zu Festakten nur dann beteuert wird, wenn im inner-imperialistischen Konkurrenzkampf jener moralisch abgestraft werden muß, dessen Interessen nicht konform zur Meute liegen. Die UN und die "Weltfriedensordnung" werden beschworen, gerade so, als entsprängen Krisen und Konflikte nicht dem Kampf um Vorherrschaft und Teilhabe am kapitalistischen Weltmarkt, sondern Unwissen und Boshaftigkeit und wären daher durch gutes Zureden oder einfaches Abstrafen zu lösen. Seit dem Beginn der letzten Irak-Krise im Februar vergangenen Jahres, die sich kontinuierlich zum militärischen Konflikt zuspitzte, sind dies die USA. Damals war es ausgerechnet die FAZ, die kritisierte, "das Säbelrasseln der USA am Golf" diene nicht dem Weltfrieden, sondern der Vertretung ökonomischer Interessen. Ein Widerspruch, den darzustellen dem selben Blatt noch vor wenigen Jahren als Hochverrat erschienen wäre.

Dabei war erst einmal nichts außergewöhnliches geschehen: Die irakische Führung hatte sich wieder einmal geweigert, die UN-Abrüstungsinspektoren in relevante Gebäude einzulassen und sie obendrein gezwungen, kistenweise sichergestelltes Material über die militärisch-industrielle Entwicklung des Irak vor Einsichtnahme wieder herauszugeben. Der Konflikt kulminierte, als die Mehrheit im UN-Sicherheitsrat die übliche Drohung zur Durchsetzung der Sanktionen ablehnte und die USA dennoch den militärischen Vollzug des UN-Mandats, nötigenfalls auch ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat, androhten. Eiligst reiste UN-Generalsekretär Kofi Annan mit einer Verhandlungsdelegation nach Bagdad, im Gepäck auch jene irakischen Dokumente, auf die sich der Verdacht stützt, der Irak verfüge noch immer über biologische und chemische Waffen. Das Material stammt pikanter Weise von den Irakern selber, bzw. von Hussein Kamel, einem hohen irakischen Regierungsbeamten, der 1995 übergelaufen war, später aber in den Irak zurückkehrte und ermordet wurde. Den Protokollen der Verhandlungen in Bagdad ist zu entnehmen, was vom Kooperationswillen der irakischen Regierung zu halten ist: "Erstens bestritt der Irak zwischen 1991 und 1995 massiv die Existenz irgendwelcher B-Waffenprogramme. Dies erwies sich als absolut unwahr. Zweitens dementierte der Irak bis 1995 jegliche Produktion von VX. Nach Nachforschungen der UNSCOM veröffentlichte der Irak eine Erklärung, daß er lediglich 260 Liter VX produziert habe. Heute wissen wir, daß der Irak mindestens 3,9 Tonnen VX hergestellt hatte." Der stellvertretende Premierminister des Irak, Tarik Aziz, "behauptete, die UNSCOM sei Mitte 1995 im Begriff gewesen (die vollständige Abrüstung der Massenvernichtungswaffen) ausdrücklich anzuerkennen. Dies sei aber gestoppt worden, als eine Person, die er als "Idioten" bezeichnete, der verstorbene Generalleutnant Hussein Kamel, sich aus dem Irak absetzte und eine große Anzahl versteckter Dokumente über Iraks verbotenes Waffenprogramm zurückließ." Was Annan in Bagdad mutmaßlich versuchte, war, die Fortsetzung der UNSCOM-Inspektionen zu sichern und einen militärischen Konflikt zu verhindern, wissend, daß eine Eskalation die Arbeit der Inspektoren vor Ort endgültig beenden würde. Die Bedeutung der Inspektionen entspringt nicht alleine der Gefahr durch chemische und biologische Waffen: Für die Kontrolle anderer zentraler Forderungen, wie die Einhaltung allgemeiner Menschenrechtsstandarts, hatte sich im UN-Sicherheitsrat niemals eine Mehrheit finden können, obwohl der UN-Sonderbeauftragte für Menschenrechte im Irak, Max von der Stoel, seit Jahren auf "Verschwindenlassen", systematische Folter und die massenhafte Ermordung politischer Gefangener hinweist und Inspektionen in irakischen Gefängnissen fordert. Die Abrüstungskontrolle ist damit tatsächlich die einzige relevante Instanz, die das Embargo der Vereinten Nationen rechtfertigt und sichert. Wie sich zeigte, konnten die Verhandlungen Annans in Bagdad auch diese nicht dauerhaft sichern. Die militärische Eskalation wurde lediglich verzögert, während der Konflikt sich weiter zuspitzte.

Nicht zufällig hatten sich die Angriffe der irakischen Regierung vor allem gegen eine us-amerikanische Beteiligung an den UNSCOM-Inspektionen gerichtet und damit die Stoßrichtung vorgegeben, der die russische und europäische Politik im UN-Sicherheitsrat folgen sollte. Um die mittlerweile von allen Seiten geforderte Unabhängigkeit der Kontrollen zu garantieren, sollte die Kommission vor Ort zukünftig durch internationale Diplomaten überwacht werden. Damit wurde nicht nur der allgemeinen Annahme entsprochen, die us-amerikanischen Mitarbeiter der UNSCOM seien Agenten des Pentagon. Quasi durch die Hintertür sollten wieder Diplomaten im Irak reüssieren, ausgerechnet um die Unabhängigkeit der Inspektionen von den nationalen Interessen Einzelner zu garantieren – eine contradictio in adjecto. Nicht daß dies wirklich von materieller Bedeutung gewesen wäre: Russische und französische Regierungsbeamte gaben sich in Bagdader Ministerien schon vor dem Februar die Klinke in die Hand. Annans Kompromiss aber stellte klar, daß die Vereinten Nationen ohne die sich von den USA emanzipierenden Großmächte nicht sanktionsfähig sind, und diese haben kein Interesse an einem Embargo-Regime, das ihren eigenen Interessen zuwider läuft. Entsprechend positiv wurde der Kompromiss von Bagdad in der hiesigen Öffentlichkeit aufgenommen. "Zum ersten mal außerhalb der Tage Mahatma Ghandis", schrieb der "Freitag", habe die Menschheit "ein(en) Sieg der Menschlichkeit über die Barbarei" erhalten.

Zwischenzeitlich haben amerikanische Journalisten aufgedeckt, daß im Rahmen der UN-Kontrollen tatsächlich us-amerikanische Spionage betrieben wurde. Dem Leiter der Kommission Richard Butler wird vorgeworfen, Geräte eingesetzt zu haben, die über das Maß legalisierter UNSCOM-"Spionage" hinaus reichen. Das sollte nicht verwundern. Letztlich benötigt derjenige ausgerechnet die UNSCOM-Inspektionen zum Aufstellen von Abhörstationen, der seine Informationen nicht über den normalen Postweg auf den Schreibtisch bekommt.

Das UN-Mandat im Irak war von Beginn an nicht als neutrale Vermittlung gedacht, sondern als ein Instrument, um hegemoniale Interessen auch dort zu vertreten, wo die übliche Diplomatie gescheitert war. Daß die 1990 vom UN-Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 688 auf einen frapierenden Verstoß gegen internationales Recht durch die Okkupation Kuwaits reagierte und das irakische Regime sich fraglos nicht nur unzähliger Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung schuldig gemacht hatte, sondern auch eine Gefahr für andere Staaten der Region darstellte, steht dem nicht entgegen. Nähme man aber die postulierte Überparteilichkeit der UN als gegeben an, dann hätte der Irak schon aufgrund seiner Militärkampagnen gegen die Kurden seit Mitte der siebziger Jahre, spätestens aber seit Beginn des Iran-Irak-Krieges unter Embargo gestellt werden müssen. Solange das irakische Regime durch den Krieg mit dem Iran gebunden war, blieben seine Aggressionen nützlich. Einmal freigesetzt, war es zu einer nicht kontrollierbaren Gefahr für seine ehemaligen Verbündeten geworden, denen mit dem Wegfall des Blockkonfliktes vorerst der gemeinsame Feind abhanden gekommen war. Als sich die irakische Aggression gegen die labile pro-westliche Ordnung im Nahen Osten richtete, bestand vor allem für die USA, als hegemoniale westliche Macht am Golf dringender Handlungsbedarf. Das Regime mußte in seine Schranken verwiesen, der Gefahr künftiger militärischer Aggressionen die Spitze genommen und das Land wirtschaftlich und diplomatisch bis auf weiteres aus dem Verkehr gezogen werden. Ersteres übernahm der militärische Planungsstab der Anti-Irak Koalition unter Leitung von US-General Schwarzkopf. Letzteres wurde durch die UN-Resolution 688 und das damit verbundene Vollembargo garantiert. Wenn heute ein Skandal darin gesucht wird, daß der amerikanische Nachrichtendienst die UN zur Spionage gegen den Irak nutzte, dann wird damit zugleich der Widerspruch geleugnet, aus dem heraus das UN-Mandat im Irak überhaupt erst hervorgegangen ist: Daß konkrete politische und ökonomische Interessen mit dem Wegfall des Blockkonfliktes im Nahen Osten nur vermittelt über die scheinbar interesselosen Vereinten Nationen durchsetzbar und zu rechtfertigen waren.

An diesem Widerspruch scheitern seither alle Versuche, den Irak-Konflikt endlich zu beenden. Das Embargo, das darauf angelegt war, die Hussein-Regierung so lange zu schwächen, bis sie entweder zur Aufgabe bereit ist oder gestürzt werden kann, hat weder das eine, noch das andere bewirkt, dafür aber zu einer massenhaften Verelendung der irakischen Bevölkerung geführt, die eine Rechtfertigung der Sanktionen immer schwerer macht. Derweil ist die einstige Anti-Irak-Koalition zerbrochen. Die ehemaligen Verbündeten der USA im UN-Sicherheitsrat haben längst schon eigene wirtschaftliche Interessen und immer lauter auch hegemonialen Anspruch am us-dominierten Golf angemeldet. Russland z. B. ratifizierte zwar die Resolution 688, protestierte aber damals schon wie China gegen deren militärische Durchsetzung und entwickelte sich unter Federführung Primakows in Folge zum wichtigsten Verbündeten des Irak. Auch Frankreich unterhält spätestens seit 1994 wieder diplomatische Beziehungen zum Irak und arbeitet über das ehemalige Mandatsgebiet Syrien eifrig an einer Reorganisation der französischen Einflußsphäre im Nahen Osten. Diesem Engagement dürfte es zu verdanken sein, daß Syrien und Irak nach zwanzig Jahren erbitterter Feindschaft erstmals wieder Beziehungen aufgenommen haben. Alle Mitglieder der Anti-Irak-Koalition haben ihre Duftmarken am Golf hinterlassen und mit Ausnahme Großbritanniens setzen sie auf eine Rehabilitierung des Irak. Unter den gegebenen Bedingungen, und so lange die UNSCOM-Inspektoren im Irak noch über Giftgasfässer stolperten, war dies kaum zu erreichen.

Die ägyptische Tageszeitung Al-Ahram erläuterte am 26. Januar die us-amerikanischen Militäraktionen ihrer Leserschaft, der man offensichtlich und aus naheliegenden Gründen mit einer Weltfriedensordnung nicht kommen kann: "Wir Araber sind alle der Überzeugung, daß keine westliche oder sonstige Macht ihre Truppen in unser Land bringt, nur um unseren Interessen zu dienen. Sie dienen ihren Interessen und von Zeit zu Zeit sind unsere Vorstellungen und ihre Interessen ähnlich." Es kann als sicher angenommen werden, daß weder der anglo-amerikanische Luftangriff, noch die amerikanische Unterstützung für die irakischen Kurden und die exilierte Opposition aus Freundschaft geschehen sind. Bislang bestand die us-amerikanische Politik darin, führende Militärs des Regimes zu einem kalten Putsch zu ermuntern, der das innerirakische Machtgefüge möglichst unberührt lassen sollte. Weder die Kurden im Norden des Landes, noch die bedeutungslose Exilopposition waren in den vergangenen Jahren in der Lage, eine konsistente Alternative zu bieten, während alle us-orientierten Putschversuche kläglich scheiterten. Die strikte Weigerung, das irakische Regime ohne zumindest einen personellen Wechsel wieder anzuerkennen, ohne zugleich eine Alternative zu bieten, konnte nur mit Hilfe der UN-Sanktionen über acht Jahre aufrecht erhalten werden. Mit dem Angriff auf den Irak sollte daher offenbar versucht werden, das Embargo vom Kopf wieder auf seine Füße zu stellen: Wenn sich die irakische Regierung nicht an die Auflagen hält, wird sie militärisch abgestraft. Der anglo-amerikanische Luftangriff exekutierte das UN-Mandat gegen den Willen der UN, resp. ihrer contra-amerikanischen Mehrheit im Sicherheitsrat. Die einzige Alternative dazu wäre die Aufhebung der UN-Sanktionen, weil Auflagen, die sich nicht durchsetzen lassen, sinnlos sind. Exakt dies ist die euro-russische Option, denn "es ist keine abstrakte Völkerrechtsfrage oder eine Frage des politischen Geschmacks, ob man auf dem Weg zu einer Weltfriedensordnung lieber die UNO oder die Supermacht USA hat" (taz). In diesem Sinne verriet Eugen Drewermann seiner UNO und allen, die es wissen wollen, auch ganz konkret, wohin sie ihr nächstes Mandat führen sollte: "Man konstruierte die Wasserstoffbombe, man konstruierte die Neutronenbombe, man verstieg sich in den Krieg der Sterne, man arbeitete weiter an Computermodellen für neue Atombomben und Laserkanonen. Ja, man hatte die Stirn, Volksseuchen wie Pest, Botulismus und Cholera in den Händen der Zyniker der Macht im Pentagon als Waffen und Kampfmittel zu erklären und sie entsprechend zu lagern."

Ausgerechnet Sybille Tönnies hat in der taz aus falschen Gründen das richtige geschrieben, als sie Außenminister Fischer das "nötige Maß Pragmatismus" bescheinigte und seine Zurückhaltung gegenüber der amerikanischen Regierung lobte. Richtig ist, daß die Bundesregierung sich eine Kritik an der amerikanischen Nahost-Politik kaum erlauben kann. Nicht aber, wie Tönnies hofft, um als Juniorpartner der USA im Nahen Osten mit zu mischen, sondern weil die Reihe der Peinlichkeiten und Pannen deutscher Nahost-Experimente in den vergangenen Jahren das Auswärtige Amt zur Zurückhaltung zwingen. Nur wenige Wochen vor dem anglo-amerikanischen Luftangriff war erneut eine Darmstädter Firma bei dem Versuch aufgeflogen, Ersatzteile für Scud-Raketen an den Irak zu liefern. Weil man selbst nicht kann, wie man gerne möchte, werden höhere Instanzen vorgeschickt: die UNO, die Weltfriedensordnung oder - wie Fischer während seiner Nahost-Reise im Februar – die EU, die "über eine Änderung der Sanktionsbeschlüsse gegen den Irak nachdenke, um das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern" (FR). Da ist die russische Regierung schon direkter: Wie der "Sunday Telegraph" am 13.2.99 berichtete, wurde mit der irakischen Regierung im Januar vereinbart, die MIG-Kampfflieger der irakischen Luftflotte für rund 280 Mio. Mark auf Vordermann zu bringen.

Thomas Uwer, WADI e. V.

(in verkürzter Fassung abgedruckt in "jungle world" vom 24. 3. 1999)

 


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