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Tod eines Tyrannen

von Thomas Schmidinger

Im Sommer 2004 erlebte ich die erste öffentliche Anhörung im Prozess gegen Saddam Hussein in Halabja. Die gesamte Familie, bei der ich eingeladen war, starrte auf den Fernseher um wie gebannt mitzuerleben wie jener Mann der sechzehn Jahr zuvor ihre Stadt mit Giftgas bombardieren ließ, der für die Ermordung von Geschwistern, Freunden und Bekannten verantwortlich war, vor seinem Richter zu sehen. Die Anspannung im Raum war zu greifen nahe, bis mir einer der anwesenden Freunde erklärte, dass sie auch heute noch Angst vor diesem Mann hätten. „Bis Saddam tot ist, werden wir keine Ruhe haben.“ erklärte er mir damals. Am vergangenen Samstag schickte mir dieser Freund ein e-mail, in dem er seine überschäumende Freude darüber zum Ausdruck brachte, dass der Mann, vor dessen Giftgas er sich damals in letzter Minute in die Berge in Richtung Iran retten konnte, erhängt worden ist.

Ich kann seine Freude verstehen, wie ich die Freude vieler IrakerInnen verstehen kann, die in den Gefängnissen dieses Regimes saßen, die als Kurden aus Kirkuk oder als Sumpfaraber aus dem Marshen vertrieben worden waren, als angebliche „Iraner“ in ein Nachbarland deportiert worden waren, dessen Sprache sie nicht einmal kannten, die Familienmitglieder in der Anfal-Kampagne, bei den Giftgasangriffen auf kurdische Dörfer und Städte, bei den Massakern gegen SchiitInnen im Südirak oder bei der Bekämpfung der kommunistischen, liberalen oder religiösen Opposition verloren haben. In einer Region, in der die liberale Errungenschaft der Abschaffung der Todesstrafe – wie wir es in Europa auch erst in den letzten Jahrzehnten durchsetzen konnten – kann das weit verbreitete Bedürfnis nach Rache am ehemaligen Schlächter von Bagdad offensichtlich nur durch dessen Tod befriedigt werden. Das gefällt Menschen, die wie ich die Todesstrafe aus grundsätzlichen Überlegungen ablehnen nicht, ist aber eine wenig verwunderliche Tatsache. Dass sich die letzten Tage auch politische Parteien, Journalisten oder Religionsgemeinschaften aus aller Welt für Saddam Husseins Leben eingesetzt haben, die nicht diese grundsätzliche Ablehnung der Todesstrafe teilen und Schwulen im Iran oder Oppositionellen in China nicht ein Hundertstel der Aufmerksamkeit schenken, wenn diese zum Tode verurteilt werden, wie einem gestürzten Tyrannen, mag an der weit verbreiteten Scheinheiligkeit jener liegen, die die Menschenrechtsfrage im Irak erst nach dem Sturz Saddam Husseins entdeckt haben. Trotzdem hätte es einige gewichtige Gründe gegeben, die Hinrichtung Saddam Husseins wenigstens nicht so schnell und übereilt über die Bühne zu bringen.

Saddam Hussein wurde zwar nach einem Verfahren, das angesichts der extrem schwierigen Sicherheitsbedingungen im Irak geradezu vorbildlich geführt worden war, zu Tode verurteilt, allerdings lässt die überstürzte Hinrichtung eine Reihe von Fragen offen, deren Beantwortung auch für die Opfer Saddam Husseins langfristig wichtiger gewesen wäre, als die Befriedigung ihres Rachebedürfnisses.

Saddam Hussein wurde für ein grausames Massaker in einer schiitischen Kleinstadt hingerichtet, das zwar für sich genommen nach irakischem Recht mehr als ausreichend war, den ehemaligen Diktator zur Höchststrafe zu verurteilen, allerdings wird nach der Hinrichtung Saddams die juristische Aufarbeitung jener Verbrechen wesentlich unwahrscheinlicher und schwieriger, denen noch weit mehr Menschenleben zum Opfer fielen: die Massaker in irakischen Gefängnissen, die Hinrichtung schiitischer Geistlicher, kommunistischer Oppositioneller aber auch von Rivalen innerhalb der Baath-Partei, die Anfal-Kampagne, bei der rund 180.000 Kurden ermordet worden waren, die Giftgasangriffe auf Halabja und andere kurdischen und assyrisch-christliche Städte und Dörfer, die Vertreibung der Marsh-Araber, die Massaker gegen aufständische Schiiten 1991, die Kriegsverbrechen in den beiden irakischen Angriffskriegen gegen den Iran und gegen Kuwait,… Von der öffentlichen Erhängung irakischer Juden - angeblich „zionistische Spione“ - nach dem Baath-Putsch 1969 oder den geköpften angeblichen „Prostituierten“ in den Neunzigerjahren spricht selbst von den Opfern Saddam Husseins kaum noch wer. Angesichts der katastrophalen Gegenwart des Irak, könnten all diese Verbrechen der Vergangenheit bald dem öffentlichen Vergessen anheim fallen.

Zwar werden die Prozesse gegen andere Hauptverbrecher des Regimes weiter geführt werden, allerdings werden sich diese nun leichter auf einen Toten hinausreden können. Saddam Hussein selbst wird sich dafür nicht mehr verantworten müssen. Und Saddam Hussein wird auch nichts zu ihrer Aufklärung beitragen können. Man muss kein Anhänger der im Nahen Osten weit verbreiteten Verschwörungstheorien sein, um zu vermuten, dass sich nicht nur ehemalige Opfer Saddam Husseins über dessen Tod freuen werden, sondern auch manch europäische und US-amerikanische ehemalige Geschäftspartner des Diktators, die damit auch einen unbequemen Zeugen ihrer eigenen Verwicklung in die Verbrechen des Regimes los geworden sind. Wer wird in Zukunft noch danach fragen welche deutsche Firmen Saddam Hussein die Technologie zur Giftgasproduktion geliefert hatten? Wer wird noch danach fragen, wie die österreichischen Norikum-Kanonen, die im Irak berüchtigte „Nimsawi“ („Österreicher“), mit denen in den Achtzigerjahren nicht nur der Iran, sondern auch die Kurden bekämpft wurden, ihren Weg in den Irak fanden? Wer wird noch nach den Namenslisten fragen, die die Baathisten nach ihrem ersten Militärputsch 1963 von westlichen Geheimdiensten über kommunistische Aktivisten erhalten hatten? Wer nach französischen, sowjetischen und US-amerikanischen Waffenlieferungen? In der blutigen Gegenwart des Irak drohen all diese Fragen zur Tyrannei der Vergangenheit unterzugehen. Dafür ist selbstverständlich nicht nur die schnelle Hinrichtung Saddam Husseins verantwortlich, aber fast scheint es, als wäre seine rasche physischen Entsorgung noch schnell vor der völligen Eskalation des Bürgerkriegs über die Bühne gebracht worden.

Dieser wird durch die Exekution des Ex-Tyrannen weder angeheizt noch beendet werden. Die Anhänger Saddam Husseins werden den bis zu letzt Reuelosen als Märtyrer in Erinnerung behalten, der als „Standfester“ in den Tod gegangen ist, seine GegnerInnen als brutalen Schlächter. Die Muqtada-Rufe bei seiner Hinrichtung, die Hinrichtung während des islamischen Opferfestes Aid al-Adha, die religiös aufgeladenen Feiern der irakischen Schiiten nach seiner Hinrichtung und seine Bestattung in Tikrit, wirken eher als hätten hier die Schiiten Rache am Sunniten Saddam genommen und nicht als wäre der ehemalige Diktator im Namen der Justiz eines neuen demokratischen Irak hingerichtet worden. Das Bild Saddams in der arabischen Welt, die ihn schon jetzt vielfach als Held feiert, wird aber sein furchtlos wirkender Gang zum Galgen und nicht der verlauste alte Mann aus dem Erdloch prägen, aus dem ihn amerikanische und kurdische Einheiten gezogen hatten. Dieses Bild vom standhaften Märtyrer – so fürchte ich - wird in einer Gesellschaft, die noch immer größeren Wert auf vermeintlich „männliche“ Tugenden legt, als auf Demokratie, Emanzipation und Menschenrechte, noch auf lange Zeit wirksamer sein als das Bild vom gestürzten Tyrannen, der sich erstmals in dieser Region vor einem Gericht für seine Untaten verantworten musste.


Thomas Schmidinger
ist Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien mit Lehrveranstaltungen zum Irak und zum Politischen Islam. Er ist Obmann der im Irak tätigen Hilfsorganisation WADI (Österreich) und Vorstandsmitglied des Österreichisch-Irakischen Freundschaftsvereins IRAQUNA.


Artikel erschienen in der luxemburger Wochenzeitung WOXX vom 5.1.2007


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