zurück


Terror gegen Terror

Die irakische Regierung musste eingestehen, dass Sicherheitskräfte Gefangene gefoltert haben. Der Terror provoziert eine Verrohung der Gesellschaft.

von Thomas Schmidinger

http://www.jungle-world.com/

Leugnen konnte Regierungssprecher Laith Kubba nicht, dass irakische Sicherheitskräfte Gefangene gefoltert haben: »Diese Dinge geschehen. Wir wissen das.« Die Angaben der britischen Zeitung The Observer, ihr lägen Fotos vor, die die Folter an Häftlingen dokumentierten, wurden mittlerweile bestätigt. Die Forderung des britischen Verteidigungsministeriums, eine Untersuchung der Vorwürfe einzuleiten, beantwortete die Regierung in Bagdad mit einem Teilgeständnis.

Kubba versprach, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden. Gefoltert werde nicht, »weil die Regierung zustimmt oder eine solche Politik betreibt«, vielmehr schule die Regierung Polizisten und Soldaten darin, die Menschenrechte zu respektieren. Die Brutalisierung der Gesellschaft unter Saddam Hussein sei eine Mitursache für die Übergriffe der Sicherheitskräfte.

Der Observer berichtete über Verbrennungen, Knochenbrüche, Strangulierungen, sexuellen Missbrauch sowie den Einsatz eines elektrischen Bohrers. Die dokumentierten Fälle dürften nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Das britische Verteidigungsministerium soll bereits im April über die Vorwürfe unterrichtet worden sei. Human Rights Watch sprach Anfang des Jahres von »routinemäßigen und allgemein verbreiteten« Misshandlungen durch irakische Sicherheitskräfte.

Auch wenn die irakische Regierung nicht über die Details der Foltermethoden unterrichtet war, ist sie verantwortlich für die Rekrutierung ehemaliger ba'athistischer Spezialtruppen, die noch unter Saddam Hussein ihr Folterhandwerk gelernt haben. Die Reba'athisierung der Sicherheitskräfte begann bereits unter der Übergangsregierung Iyad Allawis. Die nach den Wahlen gebildete Regierungskoalition unter Ministerpräsident Ibrahim al-Jaafari steht vor dem Dilemma einer Gesellschaft, die täglich vom Terror heimgesucht wird: Auch die Gegner des Terrors greifen zu terroristischen Methoden. Die nachhaltigste Folge des Terrors ist die Verrohung von Politik und Gesellschaft, die er provoziert.

Im Irak haben die Enthüllungen des Observer denn auch weit weniger Aufregung verursacht als in Europa. Die irakische Gesellschaft hat sich längst an die Bilder eingeschüchterter Gefangener mit blau geschlagenen Augen gewöhnt, die allabendlich im Fernsehen interviewt werden. Hier gehört es schon zum Allgemeinwissen, dass es bei der Verhaftung mutmaßlicher Terroristen durch irakische Antiterroreinheiten immer wieder zu illegalen Hinrichtungen kommt.

Wer es einmal in ein offizielles Gefängnis geschafft hat, wird im Allgemeinen nicht mehr gefoltert. Hier ist man mittlerweile auf die Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards bedacht. Im Gefängnis im kurdischen Suleimaniya etwa ist es für Gefangene mittlerweile möglich, eine Wandzeitung zu gestalten, Bücher auszuleihen, an Workshops teilzunehmen und sich beim Besuch ihrer Ehefrauen in Zelte zurückzuziehen.

Wer allerdings im Zentralirak als mutmaßlicher Terrorist festgenommen wird, geht zuerst meist durch die Hände ehemaliger ba'athistischer Folterknechte, die versuchen, mit allen Mitteln Informationen aus den Gefangenen herauszupressen. Dabei schrecken nur die wenigsten Angehörigen der Antiterroreinheiten davor zurück, Mitverhaftete vor den Augen der Terrorverdächtigen zu erschießen. Im Chaos, das zur Zeit im Zentralirak herrscht, fragt niemand nach einzelnen Verschwundenen. Erfolge im Kampf gegen den Terror scheinen mittlerweile auch der Mehrheit der Bevölkerung wichtiger zu sein als der Respekt vor den Menschenrechten oder die versprochene Demokratisierung.


erschienen in: Jungle World 28 vom 13. Juli 2005


WADI e.V. | tel.: (+49) 069-57002440 | fax (+49) 069-57002444
http://www.wadinet.de | e-mail: